Preisverleihungen und Ehrungen im Bereich der Münchner Volkskultur Archiv
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Rathaus Umschau 221 / 2018, veröffentlicht am 20.11.2018
Die Stadt München ehrt jährlich Persönlichkeiten und Gruppierungen aus dem Bereich der Münchner Volkskultur. Mit der „Ehrenmedaille für Verdienste um die Volkskultur in München“ wird Ursula Fröhmer geehrt. Die Trachtenberaterin und Schneiderin wird für ihren vorbildlichen Einsatz im Bereich der Trachtenforschung auf städtischem Gebiet und für die Wiederbelebung der historischen Gewandkultur sowie deren Verankerung im urbanen Kontext geehrt.
Mit dem „Innovationspreis Volkskultur“ werden Sebastian Edtbauer und Johannes Rieder ausgezeichnet. Mit ihrer bairischen Fassung des international erfolgreichen Theaterstückes „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza gelingt ihnen eine Mundart-Fassung, die einen innovativen Brückenschlag zwischen aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und dem Volkstheater schafft und damit neue Räume in der Wahrnehmung des Dialekts öffnet.
Zudem werden rund 20 Münchner Volkskulturgruppen mit einer Urkunde für ihr langjähriges Engagement in der Münchner Volkskultur gewürdigt. Die undotierten Preise und Ehrungen werden am Freitag, 23. November, bei einem Festakt mit geladenen Gästen durch Bürgermeisterin Christine Strobl und Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers überreicht. Über die Vergabe der Ehrungen entschied der Ältestenrat der Landeshauptstadt München auf Empfehlung des Kulturreferats.
Aus der Begründung „Ehrenmedaille“:
„Ursula Fröhmer, aufgewachsen in einer Schneiderfamilie, die ihr Geschäft am Jakobsplatz im bekannten ORAG-Haus hatte, wurde das Schneiderhandwerk quasi in die Wiege gelegt. Mit der Geschäftsübernahme von ihrem Vater reifte in ihr bald der Entschluss, das damalige Brautmodengeschäft in ein Trachtengeschäft umzuwandeln.
So eröffnete Frau Fröhmer 1979 ihren Laden ‚Tracht und Heimat‘, nicht als Trachtenmodengeschäft, sondern als Begegnungsort mit dem besonderen Anspruch von Forschung, Austausch und ausführlicher Beratung, um die bayerische Lebensart und Kultur in Form traditioneller Kleidung zu pflegen, behutsam zu erneuern und so für die Nachwelt zu erhalten. Damals war dieses Konzept einer Trachtenberatungsstelle mit eigener Manufaktur und eigenem Verkauf nicht nur in München, sondern bayernweit einmalig. Mit ihrer Fachkenntnis im Schneiderhandwerk und Erforschung traditioneller Kleidungsformen wurde sie bald zur gefragten Beraterin. Gerade in München ergab sich eine enge Zusammenarbeit mit dem damaligen Leiter der Volkskultur Volker D. Laturell. In den 1980er Jahren forschten sie über die regionale Gewandkultur abseits der in München vertretenen Gebirgstrachten. Dabei wurden unterschiedlichste Quellen wie Votivtafeln, Lithographien und Gemälde, auf denen die Mode der städtischen und damals in den Vororten lebenden ländlichen Bevölkerung des 19. Jahrhunderts zu erkennen war, zusammengetragen. Die Wiederentdeckung des Münchner Miedergewandes, heute bekannt als Münchner Bürgerinnentracht, basierend auf Darstellungen Münchner Kellnerinnen im 19. Jahrhundert zählt zu Frau Fröhmers Hauptarbeiten. Auch eine den heutigen Tragegewohnheiten angepasste Form der so genannten Dachauer Tracht stammt aus ihrer Werkstatt.
Viele Vereine haben sich seit den 1980er Jahre dazu entschlossen, auf von Frau Fröhmer entwickelte erneuerte Formen der regionalen Gewandkultur zurückzugreifen. Das Ergebnis in München ist eine vielfältige und bunte Trachtenlandschaft, die es ohne sie heute nicht in diesem Maße geben würde.
Bei ‚Tracht und Heimat‘ finden bis heute Interessenten, die sich eine eigene oder erneuerte Tracht wünschen, tatkräftige Unterstützung und professionellste Beratung. Vor allem durch das Einbringen persönlicher Ideen stattet Frau Fröhmer längst überregional eine Vielzahl von Heimat- und Trachtenvereinen, Musikkapellen und Schützengruppen, aber auch private Kunden aus. Größten Wert legt sie dabei auf individuelle Abstimmung ihrer Stücke und deren hochwertige Fertigung in der eigenen Schneiderei.“
Aus der Begründung „Innovationspreis“:
„Der Schauspieler Sebastian Edtbauer und der Regisseur Johannes Rieder haben beide ihre Ausbildung an der Otto-Falckenberg Schule in München absolviert und beschäftigen sich seit Jahren mit der Idee, das Bairische und das zeitgenössische Sprechtheater miteinander zu verquicken. Sebastian Edtbauer argumentiert in seiner Vorstellung vom Dialekt als künstlerischer Ausdrucksform klar, dass die Mundart sowohl auf der Bühne als auch vor der Kamera in vielen Fällen ein von Klischees und kommerzialisierten Erwartungsmustern belegtes Dasein fristet.
So entwickeln Edtbauer und Rieder 2014 als Eigenprojekt außerhalb des subventionierten Betriebs die Idee, aus der deutschen Fassung des international erfolgreichen Theatertexts ‚Der Gott des Gemetzels‘ von Yasmina Reza eine Mundart-Fassung zu erstellen, doch der Verlag untersagt grundlegend die Übertragung von Rezas Texten in jeglichen Dialekt. Edtbauer und Rieder entwickeln das Projekt dennoch weiter und wenden sich mit einem überzeugenden Brief an die Autorin selbst, in dem sie dar- legen, was genau ihre bairische Fassung leisten soll und kann und welche Kraft in einer solchen Neufassung besteht. Sie machen klar, dass der Dialekt hier so intelligent eingesetzt funktioniert, dass keine Gefahr besteht, in die so negativ besetzten Muster zu verfallen. Sie argumentieren: ‚Bayern ist Paris und Paris ist Bayern. Das ist zum Teil beruhigend und zum Teil verstörend, auf jeden Fall ist es eine einfache aber mächtige Behauptung. Mit den gängigen Klischees von gemütlicher Tradition in Lederhosen kommt man dabei nicht weit.‘ Die Autorin ist vom Schreiben überzeugt und genehmigt zum ersten Mal seit dem Siegeszug des Textes durch internationale Bühnen und der Verfilmung von Roman Polanski im Jahr 2011 die Übertragung in einen Dialekt.
In der Besetzung mit den Kollegen Ina Meling, Cornelia Pollak und Matthias Ransberger beginnen die Proben mit der von Sebastian Edtbauer übertragenen bairischen Fassung. In der Inszenierung von Johannes Rieder überzeugt das Stück in ihrer Übertragung der Themen- und Konfliktwelten in einen bairischen Sprachraum, der so authentisch, präzise und mit differenzierendem Fingerspitzengefühl gestaltet ist, dass nach wenigen Minuten positiv vergessen ist, dass hier Theater im Dialekt stattfindet. Das Ensemble benutzt diesen Sprachraum auf so unprätentiöse und klischeefreie Weise, dass der Brückenschlag zwischen aktuellen gesellschaftspolitschen Themen und dem Volkstheater eine innovative Form bekommt. Hier ist nichts Folklore, sondern Münchner Lebens- und Alltagswelt, so wie sie sich jeden Tag in dieser Stadt mit den in ihr beheimateten Menschen und ihren Sorgen und Ängsten erzählt. Dass das in so künstlerisch hochwertiger Form auf der Bühne stattfindet, gibt dem Volkstheater das, was es dringend braucht: Eine Heutigkeit und Selbstverständlichkeit, die abgelöst von der erstarrten Kollektivsymbolik, mit der das Bairische so oft verwechselnd gleichgesetzt und benutzt wird, neue Räume in der Wahrnehmung des Dialekts aufmacht.
Diese freie Produktion dient als echtes ‚best practice‘ Beispiel für die Erneuerung von Theater, in dem Welt und Wirklichkeit in neuen Sprachräumen reflektiert und aufbereitet werden und so auch für die Zuschauer auf neue Weise erfahrbar werden.“