Baut München langfristig zukunftsfähig und klimaneutral?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Anna Hanusch, Dominik Krause, Sabine Krieger und Sabine Nallinger (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 14.2.2018
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 14.02.2018 haben Sie gemäß Paragraf 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
Aufgrund der erforderlichen Klärungen und der Einbeziehung externer Stellungnahmen konnte die Anfrage nicht in der geschäftsordnungsgemäßen Frist erledigt werden. Wir bitten hierfür um Verständnis.
In Ihrer Anfrage führen Sie das Folgende aus:
„Die Bundesregierung verfolgt im Klimaschutz das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050. Dazu müssen neben einer deutlichen Beschleunigung der Altbausanierung die energetischen Gebäudestandards im Neubau erhöht werden. Niedrigstenergie-, Passiv- und Plusenergiehäuser müssen den Regelfall im Neubau darstellen. Fachliche Grundlage im Rahmen der Bauleitplanung sind Energiekonzepte für Baugebiete. Insbesondere für die optimale Kombination aus Wärmedämmung der Gebäudehülle, Wärmeversorgung und Heizungstechnik der neuen Gebäude empfiehlt sich die Aufstellung von Energiekonzepten für alle größeren Neubaugebiete.“
Die Fragen und Antworten im Einzelnen:
Frage 1:
Für wie viele Neubaugebiete größer 400 Wohnungen wurden in den letzten fünf Jahren Bebauungspläne (Satzungsbeschlüsse) gemacht? Wie viele jeweils auf städtischem Grund und auf Privatgrund? Bei wie vielen lagen jeweils Energiekonzepte vor?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hat nach seinen Wohnungsbaustatistiken im Zeitraum von 2013 bis 2017 Satzungsbeschlüsse für 17 Bebauungspläne für Neubaugebiete mit mehr als 400 Wohnungen herbeigeführt. Davon befinden sich insgesamt 7 Bebauungspläne auf überwiegend städtischen Grundstücksflächen, die übrigen 10 Bebauungspläne umfassen überwiegend private Grundstücksflächen.Das Baugesetzbuch setzt den rechtlichen Rahmen für die formelle Bauleitplanung. Im Rahmen der Bauleitplanung werden Energiekonzepte als informelle Planungsinstrumente nicht explizit definiert und geregelt. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung setzt in den Verfahren zur Stadt- bzw. Bebauungsplanung eine integrierte Betrachtung der energiebezogenen Belange im Kontext ausgewählter Nachhaltigkeitsaspekte um. Es erfolgt eine frühzeitige Betrachtung und überschlägige Bewertung der geplanten Gebäudestrukturen und ihrer Wärmebedarfe (zum Beispiel bezogen auf städtebauliche Dichte und Kompaktheit der Gebäude) sowie der örtlich vorhandenen bzw. vorgesehenen Energieversorgung im Quartier (zum Beispiel Anschluss an Fernwärmeversorgung). Zusätzlich können regenerative energetische Potenziale wie beispielsweise die Erzeugung von Solarstrom einfließen. Bebauungspläne schaffen im Ergebnis des integrierten Planungs- und Abwägungsprozesses die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige und nachhaltige Stadtentwicklung.
Die detaillierten energetischen Anforderungen an die zukünftigen Gebäude wie beispielsweise die Qualität der Gebäudehülle, die Gebäudetechnik, der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen und regenerativen Energiequellen können auch bereits im Rahmen der Bauleitplanverfahren untersucht und in Varianten durchgerechnet werden. Deren Festlegung erfolgt in den folgenden Planungsprozessen und in Abhängigkeit der dann geltenden Rahmenbedingungen, wie beispielsweise des avisierten Gebäudeenergiegesetzes GEG und städtischen Vergabekriterien.
Frage 2:
Wurden dem Grundsatzbeschluss des Stadtrates (Vollversammlung) vom 22.01.2014 „Energiekonzepte neue Baugebiete“ entsprechend für die Baugebiete Bayernkaserne, Freiham-Nord und Zschokkestraße Energiekonzepte aufgestellt?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung teilt zu den Energiekonzepten der drei Baugebiete das Folgende mit:
Baugebiet Bayernkaserne
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hat bereits beim städtebaulichen Wettbewerb eine fachgutachterliche Begleitung für ausgewählte Nachhaltigkeitsaspekte einbezogen. Im weiteren Verlauf der Bauleitplanung sind auch die Ergebnisse des vom Referat für Gesundheit und Umwelt beauftragten Energiegutachtens eingeflossen: dem städtebaulichen Entwurf wurde regelmäßig ein hohes energetisches Niveau bezogenauf die gute Kompaktheit und vergleichsweise geringe Verschattung der einzelnen Gebäude attestiert. Zudem haben die Gutachter nach Prüfung unterschiedlicher Eignungskriterien den vollständigen Anschluss an die vorhandene Fernwärme empfohlen. Das Energiegutachten wird im Abwägungsprozess im Rahmen der Bauleitplanung in Relation mit den zahlreichen anderen wichtigen und zum Teil auch umweltrelevanten Belangen gebracht. Das Energiekonzept Bayernkaserne stellt sich aktuell auf Ebene der Bauleitplanung nach Billigung folgendermaßen dar:
Die Flächen befinden sich zu ca. 75% im Eigentum der LHM, zu ca. 25% im Besitz privater Grundeigentümer. Die Wärmeversorgung erfolgt durch die Fernwärme der SWM GmbH, für die Flächen der LHM wird der Anschluss an die Fernwärme und der Verzicht auf andere regenerative Wärmeversorgung vertraglich vereinbart, die Nutzung der Dachflächen für Photovoltaik beispielsweise für Mieterstromprojekte ist nach Bebauungsplan möglich.
Der Mindeststandard für die Qualität der Gebäudehülle ist nach Wohnen in München VI (WIM IV) bzw. nach dem Ökologischen Kriterienkatalog festgelegt: Energieeinsparverordnung (EnEV) minus 15% oder besser.
Baugebiet Freiham Nord
Die Umsetzung des neuen Stadtteils Freiham basiert seit dem Grundsatzbeschluss „Energiekonzept Freiham“ vom 08.10.2008 auf der Vorgabe, einen größtmöglichen Anteil von erneuerbaren Energien an der Bedarfsdeckung zu gewährleisten und eine hohe Qualität der Gebäudehülle festzulegen. Für die Realisierung der neuen Wohngebäude bedeuten diese Bindungen, die über die Grundstücksverträge gesichert werden, den Anschluss an das Niedertemperaturnetz des Geothermieheizwerks und mindestens die Ausführung der Gebäude im „Freihamer Gebäudestandard“. Aktuelle Planungen von GWG und GEWOFAG zeigen, dass mit diesen Vorgaben
sehr zukunftsfähige Wohngebäude entstehen. So wird beispielsweise auf ein Wärmedämmverbundsystem WDVS soweit wie möglich verzichtet und stattdessen eine nachhaltige, monolithische Außenwandkonstruktion mit niedrigem U-Wert geplant. Das Energiekonzept Freiham stellt sich zum aktuellen Zeitpunkt folgendermaßen dar:
Die Fläche befindet sich zu 100% im Eigentum der LHM. Die Wärmeversorgung erfolgt durch Anschluss an das Niedertemperaturnetz aus dem Geothermiekraftwerk Freiham der SWM GmbH, der Anschluss wird vertraglich vereinbart, die Nutzung der Dachflächen für Photovoltaik beispielsweise für Mieterstromprojekte ist nach B-Plan möglich.
Die Qualität der Gebäudehülle wird ebenfalls im Mindeststandard nach WIM VI bzw. Ökologischem Kriterienkatalog – minus 15% oder besser – ausgeführt.Baugebiet Zschokkestraße
Im Bauleitplanverfahren Zschokke-/Westendstraße wird derzeit das Verfahren gemäß Paragraf 3 Abs. 1 BauGB vorbereitet. Bereits nach der Aufgabenstellung des Wettbewerbsverfahrens waren die städtebaulichen Voraussetzungen für Klima- und Ressourcenschutz zu schaffen und Aussagen zu den Nachhaltigkeitsaspekten und Energieeffizienz zu treffen. Vor allem die energetische Optimierung der Baukörper hinsichtlich kompakter Bauformen und Südorientierung, die Anordnung der Bäume hinsichtlich Verschattung sowie ein flächensparendes Erschließungskonzept waren hier von Bedeutung. Der aktuelle Rahmenplan für das neue Baugebiet setzt diese Nachhaltigkeitsaspekte gut um. Die SWM GmbH als überwiegender Grundstückseigentümer mit einem Flächenanteil von zirka 70% – die übrigen Flächen liegen bei der LHM – haben zum Energiekonzept das Folgende mitgeteilt:
„Im Sinne einer langfristig und ganzheitlichen Klimaschutzstrategie sollte, wo wirtschaftlich möglich und sinnvoll, Fernwärme und damit perspektivisch Geothermie als Wärmeversorgung bevorzugt werden. Es ist vorgesehen, die Gebäude im Planungsgebiet Zschokke-/Westendstraße mit umweltschonender Fernwärme zu versorgen. Es ist weder wirtschaftlich noch ökologisch sinnvoll, die Fernwärme durch andere regenerative Wärmelösungen zu verdrängen.
Das Quartier wird an das Stromnetz der SWM angeschlossen. Für Stromkunden der SWM wird der Verbrauch durch Strom aus regenerativen
Quellen (vor allem Wind) abgedeckt. Der generelle Anschluss an das Netz der SWM schließt nicht aus, dass zusätzlich Strom vor Ort über innovative Modelle, wie beispielsweise Quartiers- bzw. Mieterstrommodelle erzeugt wird.
Bei der Errichtung der Gebäude im Quartier wird der aktuelle Ökologische Kriterienkatalog der LHM zugrunde gelegt: EnEV minus 15% oder besser.“
Frage 3:
Plant die Stadtverwaltung nach dem peinlichen Rückzieher bei der ökologischen Mustersiedlung „Prinz-Eugen-Kaserne“ erneut eine modellhafte Siedlung auf eigenem Grund in Niedrigst-, Passiv- oder Plusenergiestandard; etwa bei der Bayernkaserne?
Antwort:
In der Ökologischen Mustersiedlung im Prinz-Eugen-Park kamen die Grundstücksflächen mit der energetischen Auflage nach Ökologischem Kriterienkatalog (minus 15%) zur Ausschreibung. Die Bauherrinnen und Bauherren der neuen Wohnquartiere setzen hier auf freiwilliger Basis größtenteils deutlich höhere Energiestandards um, wie KfW EH 55, KfW EH 40und Passivhausstandard. Die Ökologische Mustersiedlung in Holzbauweise mit ihren hohen energetischen Standards ist ein Klimaschutz-Modellprojekt, das bundes- und europaweit große Anerkennung erfährt. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung beabsichtigt, die positiven Erfahrungen aus der Ökologischen Mustersiedlung weiter zu entwickeln und prüft, den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen in Verbindung mit hohen energetischen Standards in zukünftige Grundstücksausschreibungen aufzunehmen.
Frage 4:
Aus Sicht des Klimaschutzes und der angestrebten, langfristigen Klimaneutralität der Gebäude und gemäß EU-Richtlinie 2010/31/EU ist die im ökologischen Kriterienkatalog festgelegte Vorgabe für den energetischen Gebäudestandard auf städtischem Grund unzureichend. Die EU zielt auf „nearly zero energy buildings“ ab, deren Restenergiebedarf ganz oder überwiegend mit erneuerbaren Energien gedeckt wird. Ist beim ökologischen Kriterienkatalog in naher Zukunft eine entsprechende Verbesserung geplant? Wieviel Prozent der Neubauten von GWG und GEWOFAG erfüllen diese Zielvorgaben der EU?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung ist mit dem Beschluss der Vollversammlung des Stadtrats vom 15.02.2017 „Ökologischer Kriterienkatalog Fortschreibung 2016/2017“, Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 02989 beauftragt, dem Stadtrat über die Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum energetischen Planen und Bauen zu berichten. Im Sinne dieses Auftrags wird das Referat für Stadtplanung und Bauordnung bei einer Fortschreibung der Energieeinsparverordnung EnEV bzw. bei der Einführung des geplanten Gebäudeenergiegesetzes GEG auch den Ökologischen Kriterienkatalog in Abstimmung mit den zu beteiligenden Referaten entsprechend anpassen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei stets das technisch Mögliche mit dem wirtschaftlich Umsetzbaren in Einklang zu bringen.
Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GEWOFAG und GWG haben mitgeteilt, dass sie bei Neubauten den Standard nach WIM VI bzw. den Ökologischen Kriterienkatalog umsetzen. Je nach örtlicher und bauvorhabensbezogener Anforderung werden auch bessere Standards umgesetzt, womit die gesetzlichen Anforderungen noch weiter übererfüllt werden. Laut den Gesellschaften steigen allerdings dadurch auch die Bau- und Unterhaltskosten.Die GEWOFAG führt aus, dass die vier Passivhäuser der Gesellschaft in Ramersdorf annähernd dem Begriff „nearly zero energy buildings“ entsprechen.
Die GWG hat mit den beiden „Plus-Energiehäusern“ in Sendling – Westpark Wohngebäude errichtet, die mit einer gut gedämmten Gebäudehülle (Standard nach WIM VI) in Verbindung mit Solarstromerzeugung eine rechnerisch positive Energiebilanz aufweisen. Diese Gebäude entsprechen im Wesentlichen dem Begriff „Niedrigstenergiegebäude“ nach der EU-Richtlinie.
In Bezug auf das gesamte Neubauvolumen schaffen die beiden städtischen Wohnungsbaugesellschaften langfristig zukunftsfähigen Wohnraum, sowohl in energetischer als auch in wohnungswirtschaftlicher Hinsicht. Allgemein sind die Akteurinnen und Akteure der Wohnungswirtschaft – insbesondere im Bereich des kostengünstigen Wohnungsbaus wie GWG und GEWOFAG – in energetischer Hinsicht mit der Verabschiedung der Münchner Klimaschutzziele und weiteren zu erwartenden Klimaschutzvorgaben des Bundes mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Frage 5:
In den nächsten Jahren sind jeweils Tausende neuer Wohnungen in München geplant. Sind diese Wohngebäude im städtischen Einflussbereich zukunftsfähig in puncto Klimaneutralität oder wird – so der Eindruck – die energetische Qualität der Gebäudehülle von der LHM nachrangig behandelt?
Antwort:
Die Mindestanforderung für die energetische Qualität der Gebäudehülle neuer Wohngebäude wird nach „Wohnen in München VI“ und dem „Ökologischen Kriterienkatalog“ definiert. Der aktuell gültige gesetzliche Standard nach der Energieeinsparverordnung EnEV ist damit um mindestens 15% zu unterschreiten. Die energetische Qualität der Gebäudehülle geht damit bereits jetzt deutlich über den derzeitigen gesetzlichen Mindeststandard hinaus. Die Verbesserung der Qualität der Gebäudehülle wirkt sich unmittelbar auf den Heizwärmebedarf und damit auch auf die Heizkosten aus. Der bessere Standard kommt damit unmittelbar den Bewohnerinnen und Bewohnern der Gebäude zugute.
Mit der Einführung des geplanten Gebäudeenergiegesetzes GEG sind weitere Impulse in Richtung Klimaneutralität zu erwarten. Um das EU-Klimaschutzziel des „klimaneutralen Gebäudebestandes“ bis 2050 zu erreichen, liegt die größte Herausforderung in der verstärkten energetischen Ertüchtigung bestehender Wohngebäude und deren Versorgung mit möglichst regenerativen Energieträgern. Mit der Verabschiedung des Förderprogramms Energieeinsparung (FES) (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 11624) hat die Landeshauptstadt München bereits auf die neuen Herausforderungen und das selbst gesetzte Ziel der weitestgehenden Klimaneutralität Münchens bis 2050 reagiert. Ab 2019 liegt ein Förderschwerpunkt neben energieeffizienten Neubauten insbesondere auf der Sanierung von Bestandsgebäuden sowie der Nutzung der Solarenergie.