Einsatz von schonenden geophysikalischen Untersuchungsmethoden beim Aufspüren und Räumen von Kampfmitteln in Grünflächen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch, Jutta Koller, Dominik Krause und Sabine Krieger (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 20.4.2018
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine „laufende“ Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
In Ihrem Antrag vom 20.4.2018 führen Sie Folgendes aus:
„Die LH München verpflichtet sich bei allen Kampfmitteluntersuchungen eine baum- und umweltschonende Gefährdungseinschätzung mittels geophysikalischer Feststellungsmethoden vorzunehmen. Im erhärteten Verdachtsfall nach einer ersten Messung ist bei geplanten Eingriffen in wertvollen Baumbestand zwingend die Untere Naturschutzbehörde einzuschalten“.
Zu vorgenanntem Antrag teile ich Ihnen Folgendes mit:
Die LH München setzt bereits jetzt zur Kampfmittelerkundung geophysikalische Erkundungsmethoden ein. Diese Verfahren sind aktuell Bestandteil des Standardverfahrens zur Kampfmittelräumung, auch auf den Liegenschaften der LH München, und werden nachfolgend weiter erläutert. Auch eine Verpflichtung zur zwingenden Einschaltung der Unteren Naturschutzbehörde ist nicht erforderlich, da dies im Rahmen der gesetzlichen Genehmigungsverfahren (Baumfällantrag) ohnehin erfolgt. Zudem weisen wir daraufhin, dass die Entscheidung, ob Fällarbeiten zur Gefahrenabwehr bei erhärtetem Kampfmittelverdacht erfolgen, von der örtlichen Sicherheitsbehörde, dem Kreisverwaltungsreferat, getroffen werden.
1. Standardmäßiger Ablauf einer Kampfmitteluntersuchung auf Liegenschaften der LH München
Für die konkrete Planung und Ausführung der Erkundung, Bewertung und Räumung von Kampfmitteln wird als allgemeiner Stand der Technik die Arbeitshilfe Kampfmittelräumung (AH KMR) herangezogen. Diese gilt streng-genommen nur für Bundesliegenschaften, wird aber auch für städtische Liegenschaften angewandt.
Die Vorgehensweise richtet sich in der Regel gemäß den Anforderungen der AH KMR nach folgendem 3 Phasen Ablaufschema und findet auf allen stadteigenen Grundstücken und im Rahmen städtebaulicher Verträge auch auf allen Abtretungsflächen und Sonderflächen privater Dritter Anwendung.
Phase A : Historische Erkundung der möglichen Kampfmittelbelastung und Bewertung.
Zur Konkretisierung des diffusen Kampfmittelverdachts, der infolge der insgesamt 58 Luftangriffe für das Stadtgebiet Münchens besteht, wird eine Fachfirma beauftragt, eine sogenannte Historisch-genetische Rekonstruktion (HgR-KM) der Kampfmittelbelastung durchzuführen. Mit Hilfe der kombinierten Auswertung von Archivalien und Kriegsluftbildern der alliierten Luftwaffen soll der diffuse Anfangsverdacht konkretisiert werden. Insbesondere sollen die Verursachungsszenarien, welche für eine pot. Kampfmittelbelastung in Frage kommen können (blindgegangene Abwurfmunition, Bodenkämpfe, Munitionsvergrabungen in Hohlformen, Stellungen etc.), ermittelt werden. Die HgR-KM endet mit der Feststellung, ob und in welche Richtung sich der Gefahrenverdacht konkretisiert hat oder ob eine mögliche Gefährdung durch Kampfmittel mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Im ersten Fall sind weitere technische Erkundungsmaßnahmen erforderlich.
Phase B: Technische Erkundung der Kampfmittelbelastung und Gefährdungsabschätzung.
Ist der Anfangsverdacht nicht ausgeräumt, wird im Rahmen der Phase B eine Fachfirma, welche die Fachkunde gemäß § 9 Sprengstoffgesetz (SprengG) und über Fachpersonal mit Befähigungsschein § 20 SprengG verfügt sowie die Erlaubnis nach § 7 SprengG besitzt, mit der weiteren Erkundung beauftragt.
In Abhängigkeit der aktuellen Nutzung, der Untergrundverhältnisse sowie der zu erwartenden Kampfmittel (Großladungsbomben, Artilleriemunition etc.) werden flächige geophysikalische Untersuchungen des Untergrundes durchgeführt um ferromagnetische (eisenhaltige) Störkörper, welche gefährliche Kampfmittel sein können, zu ermitteln. Die derzeit praktizierten geophysikalischen Methoden sind das passive Geomagnetikverfahren (Messung von Anomalien des Erdmagnetfeldes durch Eisenkörper), das aktive Elektromagnetische Verfahren (Pulsinduktionsverfahren) sowie dasGeoradar (aktives Verfahren, bei dem hochfrequente elektromagnetische Impulse ausgesendet und reflektiert werden). Die geeignetste Methode wird ggf. durch Testfeldsondierungen ermittelt. Die dabei detektierten ferromagnetischen Störkörper werden anschließend nachgegraben und identifiziert. Die bisherigen geophysikalischen Messmethoden erlauben derzeit noch keine Unterscheidung von ungefährlichem Eisenschrott und gefährlichen Kampfmitteln, so dass in der Regel alle Störkörper identifiziert werden müssen.
Auf Basis der vorgenannten geophysikalischen Untergrunduntersuchungen bzw. Testfeldsondierungen wird bei größeren Räumbereichen ein sogenanntes Räumkonzept erarbeitet und abgestimmt. Bei privaten Planungsbeteiligten im Rahmen städtebaulicher Verträge erfolgt diese Abstimmung mit dem Kommunalreferat.
Phase C1: Räumkonzept, Ausschreibung und Vergabe der Leistungen
Phase C2: Räumung, Abnahme und Dokumentation
Zum Räumkonzept (Phase C1) führt die AH-KMR folgendes aus:
„Auf Grundlage der Gefährdungsabschätzung entscheidet der Nutzer im Einvernehmen mit dem Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes (in Bayern nicht der Fall, hier Rückgriff auf Fachfirmen) über die Art der durchzuführenden Maßnahmen, die eine gefahrlose Nutzung der Liegenschaft zum Ziel haben. Hierzu bieten sich grundsätzlich folgende Lösungsmöglichkeiten an:
- Kampfmittelräumung ohne Einschränkungen,
- Kampfmittelräumung mit Einschränkungen,
- Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen.“
Im Räumkonzept sollen die Räummaßnahmen nutzungsorientiert geplant werden. Aufbauend auf der Analyse der Kostenwirkungsfaktoren (Untergrund, Störkörper, bereits gefundene Kampfmittel, Tiefe der Funde, geeignete Methoden der Kampfmittelräumung, nutzungsbedingte Bodenkontaminationen etc.) und unter Berücksichtigung der Bauleitplanung werden im Räumkonzept Lösungsmöglichkeiten für die gefahrlose Nutzung einer Liegenschaft/Fläche untersucht und abgewogen. Das Räumkonzept stellt die geplanten Räummaßnahmen mit Terminen, die technische Vorgehensweise, die zu beachtenden Randbedingungen (Naturschutz etc.) und die Wirtschaftlichkeit (Kosten, Varianten) dar. Insbesondere liegt hier der Fokus auf der aktuellen sowie der zukünftigen Nutzung. Das Räumkonzept istdann Grundlage für die Ausführungsplanung und Leistungsbeschreibung der Kampfmittelräumung.
Zum Abschluss der Räummaßnahme (Phase C2) wird ein Abschlussbericht erstellt. In diesem wird in einem Ergebnisplan festgehalten, welche Bereiche ohne Einschränkungen kampfmittelfrei oder nur eingeschränkt bis zu einer bestimmten Tiefe (z.B. 0,5 m unter Geländeoberkante in Bereichen mit Baumbestand, Auffüllungen etc.) kampfmittelfrei sind. Zudem können je nach Vorliegen von Verdachtsmomenten Einschränkungen in der Größe der Kampfmittel (Räumung nur großkalibriger Munition bei Verdacht Abwurfmunition) gemacht werden.
Eine eingeschränkte Kampfmittelfreigabe wird in der Regel eine Nutzungseinschränkung (keine multifunktionale Nutzung) und auch immer ein Restrisiko nach sich ziehen, das vom Grundstückseigentümer getragen und akzeptiert werden muss. Bei späteren Nutzungsänderungen werden ggf. weitere Maßnahmen zur Kampfmittelräumung notwendig.
Das v.g. Standardverfahren ist Grundlage jeder Kampfmittelräumung. In Abhängigkeit der Größe der Untersuchungsfläche bzw. der Komplexität der Aufgabe (eine Untersuchung einer Ackerfläche ist relativ einfach zu bewerkstelligen, dagegen ein Nutzungsmix mit Baum- und Gebäudebestand komplex und aufwändig) kann bereits nach der Phase B das Ergebnis der Kampfmittelfreiheit feststehen oder auch erst nach der Durchführung der Phasen C.
2. Abwägung Baumschutz/Gefährdung durch Kampfmittel
Aufgabe des bereits beschriebenen Räumkonzeptes ist es, den für die Aufgabenstellung notwendigen Umfang und die geeignetste geophysikalische Messmethode (Geomagnetik, Elektromagnetik und/oder Georadar) zu ermitteln. Hier geht es in erster Linie um die Erreichung eines definierten Räumziels. Die vorgenannten geophysikalischen Methoden sind „baumschonend“, da sie im ersten Schritt beprobungslos ohne Bodeneingriffe erfolgen. Erst das für die Kampfmittelräumung notwendige Nachgraben ermittelter Störkörper (gefährliche Kampfmittel; aber auch ungefährlicher Schrott!) führt bei allen vorgenannten Messmethoden zu Bodeneingriffen per Handschachtung bzw. mit Minibagger.
Hierbei ist anhand der Messergebnisse von der beauftragten Fachfirma sowie dem Auftraggeber bzw. den künftigen Nutzern eine Entscheidung zu treffen, welchen Störkörpern bzw. bis in welche Tiefe nachgegrabenwerden muss, um eine Kampfmittelfreiheit zu attestieren. Ohne Bodeneingriffe zur Identifizierung der gemessenen Störkörper wird eine Kampfmittelfreiheit und damit eine Beseitigung der Gefahr für die aktuelle bzw. zukünftige Nutzung von der Fachfirma nach § 20 SprengG nicht erteilt.
Grundsätzlich wird das Ziel einer uneingeschränkten Kampfmittelfreiheit verfolgt. Ist dies auf Grund hoher Störkörperdichte (eine Unterscheidung der geophysikalisch gemessenen Störkörper als Kampfmittel von ungefährlichem Schrott ist bisher nicht Stand der Technik) nicht erreichbar ohne Biotopflächen bzw. Baumbestand zu vernichten, wird für Teilbereiche eine Einschränkung der Kampfmittelfreiheit (siehe Phase C) mit entsprechendem Restrisiko abgewogen. Mindestanforderung bleibt aber die gefahrlose Herstellung, Nutzung und Pflege entsprechend der beabsichtigten Verwendung des Grundstücks. Darüber hinaus können Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen (Biotop) nötig werden.
Bäume, bei denen kein Gefährdungspotential vorhanden ist, werden im Rahmen der Kampfmittelsuche grundsätzlich nicht gefällt. Wenn in der Vergangenheit Bäume gefällt wurden, waren anhand der Kampfmittelerkundungen aussagekräftige Indizien vorhanden, welche eine Fällung zur Gefahrenabwehr notwendig machten!
3. Praxisbeispiel „urbane Mitte am Ackermannbogen“:
Die Kampfmittelräumung für die künftige öffentliche Grünfläche „urbane Mitte am Ackermannbogen“ wurde unter der Projektleitung des Kommunalreferates (KR-IS-SP-KG) durchgeführt.
Die Vorgehensweise für das o.g. Projekt erfolgte analog des unter Punkt 2 vorgestellten Standardverfahrens.
Der Abschlussbericht der vom Kommunalreferat beauftragten Fachfirma schließt mit folgenden Daten:
Insgesamt wurde eine Fläche von 22.000 m² von Kampfmitteln geräumt. Dabei wurden 493 kg Kampfmittel (u.a. 3 Handgranaten oberflächennah, diverse Stabbrandbomben und eine 250 kg Sprengbombe) geräumt. Dabei konnte der wertvolle schützenswerte Baumbestand (ca. ein Drittel der Fläche) erhalten werden. Lediglich ein Bestandsbaum musste gefällt werden, da hier beim Nachgraben von Störkörpern ein abgeschertes Leitwerk einer 1.000 kg Sprengbombe identifiziert worden ist. Nach Abwägung der Fakten unter Einbeziehung des staatlichen Sprengkommandos München wurde in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde entschieden, den Baum zur Gefahrenabwehr zu fällen, um den erwarteten Sprengkörperzu räumen. Beim Fund der ersten 250 kg Sprengbombe war ebenfalls ein abgeschertes Leitwerk identifiziert worden. Glücklicherweise handelte es sich bei den im Bereich des Baumes festgestellten Störkörpern nur um ungefährliche Munitionsteile. Für den Baum wurde eine Ersatzpflanzung vorgenommen. Insgesamt konnte die gesamte Fläche kampfmittelfrei an das Baureferat Gartenbau und damit der Nutzung als öffentliche Grünfläche mit Kinderspielplätzen übergeben werden.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Bitte beachten Sie auch die Ihnen bereits vorliegende Beantwortung der Anfrage vom 20.4.2018 (Anfrage Nr. 14-20/F 01181). Die Angelegenheit ist damit abgeschlossen.