Eigenbetrieb Kammerspiele muss parteipolitische Neutralität wahren
Antrag Stadtrat Manuel Pretzl (CSU-Fraktion) vom 17.7.2018
Antwort Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers:
Nach Paragraf 60 Absatz 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Die Funktion des Dienstvorgesetzten beziehungsweise Vorgesetzten sowie der Dienstaufsicht über die Werkleitung der Münchner Kammerspiele steht nach Artikel 37 Absatz 4 BayGO und Paragraf 9 Absatz 4 Satz 2 der Betriebssatzung der Münchner Kammerspiele als originäre Zuständigkeit dem Oberbürgermeister zu, weshalb eine beschlussmäßige Behandlung im Stadtrat rechtlich nicht möglich ist1.
In die Angelegenheiten des Artikel 37 Absatz 4 BayGO, die dem Oberbürgermeister kraft Gesetzes allein zur Erledigung zugewiesen sind, kann der Gemeinderat ebenso wenig eingreifen wie in den Fällen der Absätze 1 und 3. Diese Angelegenheiten können aber auch nicht dem Gemeinderat überlassen werden. Wohl aber können einzelne Befugnisse, die sich aus der Dienstaufsicht ergeben, auf weitere Bürgermeister, berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder oder Gemeindebedienstete im Rahmen des Artikel 39 Absatz 2 BayGO übertragen werden2.
Dementsprechend regelt Paragraf 9 Absatz 4 Satz 2 der Betriebssatzung der Münchner Kammerspiele, dass die Aufgabe des Dienstvorgesetzten beziehungsweise Vorgesetzten der Werkleitung auf den Kulturreferenten übertragen werden kann.
Mit Schreiben vom 17.07.2018 haben Sie beantragt:
1. Der Oberbürgermeister untersagt den Kammerspielen München die Beteiligung an der Demonstration “#ausgehetzt – gemeinsam gegen die Politik der Angst!“
2. Gegen die Verantwortlichen werden dienstaufsichtsrechtliche Maßnah- men eingeleitet
Ihren Antrag begründen Sie wie folgt:„Die Kammerspiele München sind Erstunterzeichner des Aufrufs für oben genannte Demonstration. Die Kammerspiele sind ein städtischer Eigenbetrieb und als solche zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. Die Unterzeichnung dieses Aufrufs ist ein deutlicher Verstoß gegen diese Neutralitätspflicht und kann so nicht akzeptiert werden. Der Oberbürgermeister muss hier dringend handeln.“
Inhaltlich wird Ihrem Antrag aus den nachfolgenden Gründen nicht entsprochen:
Am Sonntag, 22.7.2018, haben tausende Menschen gegen einen „Rechtsruck in der Gesellschaft“ unter dem Thema „#ausgehetzt – gemeinsam gegen die Politik der Angst“ demonstriert. Presseberichten zu Folge und nach Angaben der Polizei nahmen an der von rund 160 Organisationen aus ganz Bayern getragenen Großdemonstration etwa 25.000 Menschen teil. Die Veranstalter sprachen sogar von rund 50.000 Teilnehmern. Die maßgeblich von Asylhelfer-Organisationen, Gewerkschaften, politischen Parteien, kirchlichen Gruppen und Theaterschaffenden getragene „#ausgehetzt“-Demo wurde auch von etlichen Prominenten wie den Kabarettisten Luise Kinseher, Max Uthoff, Claus von Wagner und Urban Priol unterstützt. Neben vielen anderen haben Herr Reiter (als Parteipolitiker), die Landtags-Spitzenkandidaten vieler Parteien, aber auch der Intendant der Münchner Kammerspiele auf der Demonstration das Wort ergriffen.
Da die Demonstration bereits stattgefunden hat, hat sich die Ziffer 1. Ihres Antrags durch Zeitablauf erledigt.
Dienstaufsichtliche Maßnahmen gegen die Verantwortlichen – wie von Ihnen in Ziffer 2. gefordert – sind nicht geboten.
Zwar ist zutreffend, dass die Münchner Kammerspiele sich am Aufruf zu der Demonstration beteiligt haben. Die „Münchner Kammerspiele“ erscheinen im Aufruf namentlich neben ca. 70 anderen Verbänden, Parteien und Organisationen. Der Intendant der Münchner Kammerspiele hat mitgeteilt, dass er den Aufruf so für die Münchner Kammerspiele offiziell freigegeben habe und dass er die volle persönliche Verantwortung hierfür übernehme.
Allerdings ist es sehr fraglich, ob Herr Lilienthal hierdurch seine Pflichten aus dem zu Grunde liegenden Sonderdienstverhältnis verletzt hat.Grundsätzlich ist die Landeshauptstadt München als Trägerin öffentlicher Gewalt dazu gehalten, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit die Grenzen des Sachlichkeitsgebots und der parteipolitischen Neutralität zu wahren. Als Grundrechtsverpflichtete kann sie sich bei amtlichen Äußerungen – anders als Private – in aller Regel auch nicht auf die Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 GG berufen3.
Zu diesem Grundsatz gibt es aber auch Ausnahmen: So hat das VG München4 jüngst klargestellt, dass das Neutralitätsprinzip nur eingeschränkte Wirkung entfaltet, soweit sich die Landeshauptstadt München als Trägerin einer wissenschaftlichen Institution am wissenschaftlichen Wettbewerb (Artikel 5 Absatz 3 GG) beteiligt. In diesem Fall könne das Handeln im Selbstverwaltungsrecht (Artikel 28 Absatz 2 GG) der Landeshauptstadt seine Rechtfertigung finden.
Ähnliches muss auch im Bereich der Kunst und der ebenfalls durch Artikel5 Absatz 3 GG geschützten Kunstfreiheit gelten. Es ist allgemein anerkannt, dass auch staatliche Einrichtungen wie etwa Museen, Theater, Orchester etc. Träger der Kunstfreiheit sein können5.
Die Kunstfreiheit ist dabei nicht auf die eigentliche künstlerische Tätigkeit des Schaffens eines Kunstwerks reduziert. Das Bundesverfassungsgericht hat die Kunstfreiheit in einen so genannten „Werkbereich“ und „Wirkbereich“ unterteilt und auch Letzteren dem Schutzbereich des Artikel 5 Absatz 3 GG unterstellt6.
Der Werkbereich meint den Vorgang der Herstellung, der Schöpfung des Kunstwerks. Hierzu zählen nicht nur die unmittelbar der Herstellung dienenden Handlungen, sondern auch die Vorbereitungen.
Kunst ist kein Selbstzweck. Sie erschöpft sich nicht im Erschaffen von Objekten. Vielmehr ist sie Ausdruck emotionaler oder intellektueller Inhalte, welche der Künstler oder die Künstlerin mittels einer bestimmten Formensprache vermittelt. Das Kunstwerk steht also nicht für sich selbst, sondern soll auf andere wirken. Dieses kommunikative Element wird in Zusammenhang mit Artikel 5 Absatz 3 GG als der Wirkbereich des Grundrechts bezeichnet. Aus diesem Grund zählt die Kunstfreiheit zum Kreis der Kommunikationsgrundrechte.
Dieser Wirkbereich erfasst insbesondere die öffentliche Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, das heißt die Vermittlung und Vermarktung anDritte. Dazu gehören die Präsentation und Aufführung von Kunstwerken, Ihre Veröffentlichung sowie die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit dafür.7
Man kann den Münchner Kammerspielen also nicht grundsätzlich untersagen, auf ihrer Bühne gesellschaftskritische oder politische Werke aufzuführen, selbst wenn diese sich gegen nur in einzelnen, bestimmten politischen Parteien vertretene Strömungen richten. Ebenso ist nicht immer dann ein Einschreiten angezeigt, wenn die Kammerspiele für die politische und gesellschaftskritische Ausrichtung ihres Hauses werben und mit dieser Ausrichtung in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten.
Mit der Berufung von Matthias Lilienthal zum Intendanten der Münchner Kammerspiele hat sich die Landeshauptstadt München bewusst für eine „Öffnung des Hauses“8 entschieden. Mehr denn je muss sich das Theater Fragen nach seiner Relevanz in einer sich rasant verändernden Welt stellen. Die Kammerspiele reagieren darauf unter Lilienthal mit einer Politik der ästhetischen und gesellschaftlichen Öffnung. Lilienthal sieht Theater nicht als elitären Raum, sondern als Ort für Reflexion und Begegnung, der die Themen einer Stadt aufgreift und sie wieder in die Straßen zurückspielt9, als „Labor zum Ausprobieren urbanen Lebensraums“10 .
Wenn sich die Münchner Kammerspiele nun an zivilgesellschaftlichen Aktionen oder Demonstrationen beteiligen, kann man dies durchaus noch als ein – vom Wirkbereich der Kunstfreiheit gedecktes – Werben für die Ausrichtung des Hauses begreifen.
Vor diesem Hintergrund ist es bei der Entscheidung über eine dienstaufsichtliche Maßnahme geboten, zwischen den konkurrierenden Verfassungsprinzipien (Kunstfreiheit auf der einen Seite sowie Gebot der Sachlichkeit und Neutralität auf der anderen Seite) einen gerechten Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz11 herzustellen.
Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht gerade in der Vorwahlzeit ein „Gebot der äußersten Zurückhaltung“ statuiert hat12.
Andererseits führen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags13 zum Gebot von Sachlichkeit und Neutralität bei nicht rein privaten Wahlkampfauftritten wie folgt aus:
„Zweitens ist es von Bedeutung, welches Amt das ‚öffentliche Personal‘ […] im Einzelfall bekleidet. Eine klare Begrifflichkeit, wer Adressat der […] Neutralitätspflicht ist, existiert in der Rechtsprechung nicht. Es ist die Rede von ‚Staatsorganen‘, ‚Amtsträgern‘, ‚Gemeinden und ihren Organen‘. Entscheidend ist hier, wie bedeutsam der jeweilige Amtsträger ist, um kraft Amtsstellung tatsächlich mit seinem Tätigwerden im Wahlkampf eine wahlbeeinflussende Rolle spielen zu können.“
Den Münchner Kammerspielen und ihrem Intendanten kommt mangels echter hoheitlicher Befugnisse im Vergleich zu anderen Trägern öffentlicher Gewalt nur eine vergleichsweise eingeschränkte Wirkmacht „kraft Amtsstellung“ zu. Auch das konkret vorgeworfene Verhalten – Unterstützung eines Aufrufs als eine Institution unter vielen – dürfte in Hinblick auf eine etwaige wahlbeeinflussende Rolle ohne größere Bedeutung im Wettbewerb der Parteien sein. Dieser Gedanke ist auch treffend zusammengefasst in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 21. Juli 201814:
„Wie immer Satzung und Arbeitsverträge aussehen, nach außen jedenfalls spielt das keine Rolle, weil der Aufruf niemandem eine Verpflichtung auferlegt.“ „Lilienthal wirft nur“, so der Staatsrechtler Oliver Lepsius zur SZ, „seine Autorität als Theaterdirektor in die Waagschale.“
Im Übrigen enthält der vom Münchner Stadtrat beschlossene Sonderdienstvertrag mit dem Intendanten der Kammerspiele keine Vorgaben zur parteipolitischen Neutralität. Aus seinem Dienstverhältnis ist er lediglich zur Beachtung von Nr. 1.1 der AGAM (erläutert durch Rundschreiben Nr. 122) verpflichtet. Er unterliegt nicht der strengeren beamtenrechtlichen Verpflichtung zur Mäßigung und Zurückhaltung aus Paragraf 33 Absatz 2 BeamtenStG.
Selbst wenn man die Frage der Dienstpflichtverletzung anders beurteilen würde, so könnte einer dienstaufsichtlichen Maßnahme wie „Rüge“, „Ermahnung“ oder förmliche „Abmahnung“ entgegenstehen, dass ähnliches Verhalten in der Vergangenheit bereits von der Landeshauptstadt München geduldet wurde. Eine regelmäßige Duldung gleichartiger „Vertragsverletzungen“ kann nämlich zu einer inhaltlichen Änderung des Vertrags beziehungsweise zur Verwirkung des Rügerechts führen.
Die Münchner Kammerspiele beziehungsweise Matthias Lilienthal persönlich haben sich in der Vergangenheit bereits mehrfach an zivilgesellschaftlichen Aktionen oder Demonstrationen beteiligt, unter anderem an den nachfolgenden Veranstaltungen/Projekten:
-Fürchtet Euch nicht - Gemeinsam singen gegen Pegida am 03/2018
-Zusammenstehen (über Facebook) 06/2018
-Politik der Angst (Mitveranstalter) 12/2017
-Anti-Pegida-Demonstration 12/2014
-Projekt „Bellevue di Monaco“ 7/2014
Alle diese Fälle weisen explizite politische und gesellschaftskritische Bezüge auf. Thema war häufig Fremdenfeindlichkeit und/oder angstgetriebene Politik. An vielen der genannten Veranstaltungen waren Mitglieder des Stadtrats beteiligt (aus allen Fraktionen und in unterschiedlicher Zusammensetzung). Keine dieser zivilgesellschaftlichen Aktionen der Kammerspiele wurde öffentlich oder im Münchner Stadtrat wegen eines Verstoßes gegen das Gebot parteipolitischer beziehungsweise weltanschaulicher Neutralität kritisiert.
Eine Dienstaufsichtsmaßnahme wäre auch vor diesem Hintergrund mit Rechtsrisiken behaftet.
Im Ergebnis wurde in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister, dem
Kulturreferat und der Rechtsabteilung des Direktoriums entschieden, dem Grundrecht der Kunstfreiheit in diesem Einzelfall den Vorrang einzuräumen und keine dienstaufsichtlichen Maßnahmen gegen Matthias Lilienthal zu ergreifen. Auch das Personal- und Organisationsreferat kommt zum Ergebnis, dass dienstaufsichtliche Maßnahmen nicht veranlasst sind.
Von den vorstehenden Ausführungen bitte ich Kenntnis zu nehmen und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
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1 so auch: Beschluss der Vollversammlung zum Delegations- und Steuerungskonzept für die Eigenbetriebe - Vorlagen Nr. 08-14 / V 02501, Literatur statt vieler: PdK-Bayern Art. 88 BayGO Ziffer 2.4; Klein / Uckel / Ibler, Kommunen als Unternehmer, Fach 43.20 Ziffer 5.2
2 vgl. Praxis der Kommunalverwaltung Bayern, Art. 37 BayGO, Ziffer 2.1.2
3 Kalscheuer, KommJur 4/2018 S. 121
4 VG München, Urteil vom 26. April 2018, M 10 K 17.238 (noch nicht rechtskräftig)
5 statt vieler: BeckOK Grundgesetz Art. 5 Rn. 174
6 grundlegend BVerfGE 30, 173 – „Mephisto“
7 Zum Ganzen: Gomille, www.wiwi.uni-siegen.de/rechtswissenschaften/ klass/arbeitsmaterialien/sommersemester_2018/medienverfassungs-
recht/_6_-_die_kunstfreiheit.pdf – abgerufen am 26.07.2018
8 Beschluss des Kulturausschusses vom 26.09.2013, Nr. 08-14 / V 13045 – nicht-öffentlich
9 Gabriela Herpel; „Der Mann aus Reihe drei“; Süddeutsche Zeitung Magazin 27. Februar 2015, S. 15
10 Matthias Lilienthal, in: Evelyn Vogel: „Immer im Takt. Der designierte Intendant der Münchner Kammerspiele“; Süddeutsche Zeitung. 23. Juli 2015
11 „Gerät die Kunstfreiheit mit einem anderen Recht von Verfassungsrang in Widerstreit, müssen vielmehr beide mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dabei kommt dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu […]. Bei Herstellung der geforderten Konkordanz ist daher zu beachten, dass die Kunstfreiheit Ausübung und Geltungsbereich des konkurrierenden Verfassungsrechtsgutes ihrerseits Schranken zieht [...]. All dies erfordert eine Abwägung der widerstreitenden Belange und verbietet es, einem davon generell [...] Vorrang einzuräumen.“ (BVerfGE 83, 130, 143)
12 BVerfG, Urteil vom 2. März 1977, 2 BvE 1/76, juris, Rn. 77.
13 Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes – Zulässigkeit und Grenzen von Wahlkampfbeschränkungen der Parteien; WD 3 – 3000 – 315/14; S. 16
14 Andreas Zielcke ; „Matthias Lilienthal tut, was politisch geboten ist“; Süddeutsche Zeitung vom 21.7.2018