Verkehrswende einleiten – alternative Finanzierungsquellen für den ÖPNV?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 29.11.2017
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 29.11.2017 führen Sie als Begründung aus:
„Das anhaltende Wachstum von München und den Nachbarsregionen kann nur verträglich gestaltet werden, wenn eine wirkliche Verkehrswende eingeleitet wird. Dazu gehört neben der Förderung der Nahmobilität und dem Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur eine Konzentration auf Ausbau und noch stärkere Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Ein wichtiger Baustein hierzu wäre eine radikale Vereinfachung der Tarife im ÖPNV, verbunden mit alternativen Finanzierungsquellen. Im gerade laufenden Prozess zur Reform der MVV-Tarifstruktur sollen zwar übersichtlichere Regelungen gefunden werden, doch nach den bisherigen Veröffentlichungen wird es weiterhin Diskussionsbedarf über Detailregelungen geben. Weitergehende Überlegungen in Richtung Steuerfinanzierung oder Bürgerticket werden bisher nicht verfolgt.“
Wir haben hierzu Stellungnahmen der Stadtkämmerei und der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) eingeholt und dürfen Ihre Fragen wie folgt beantworten:
Frage 1:
Gibt es die gesetzliche Möglichkeit, eine „Nahverkehrsabgabe“ für alle privaten Haushalte im MVV-Tarifgebiet einzuführen? Falls nicht, welche Gesetze müssten in Bund oder Land geändert werden, damit Kommunen eine solche Nahverkehrsabgabe einführen können?
Antwort:
Der Begriff Nahverkehrsabgabe ist rechtlich, wirtschaftlich oder politisch nicht eindeutig definiert. Diskutiert wurde in der Vergangenheit die Einführung einer verkehrslenkenden Nahverkehrsabgabe als Steuer oder als sonstige Abgabe.
Nahverkehrsabgabe als Steuer:
Eine finanzielle Beteiligung der Bürger an den Kosten des Staates erfolgt in der Regel über die Einführung von Steuern. Steuern sind Geldleistungen, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen undzur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit nicht bundesgesetzlich geregelte Steuern gleichartig sind. Aufwandssteuern belasten die Verwendung von Einkommen der Bürger. Eine Differenzierung der Belastung aller Bundesbürger nach dem ÖPNV-Angebot vor Ort ist unter Beachtung des Vorrangs abschließender Bundesregelungen und des Gleichheitsgrundsatzes kaum möglich. Eine steuerliche Umsetzung einer sog. „Nahverkehrsabgabe“, die im Sinne der Antragsteller örtlich differenziert („MVV-Gebiet“), scheidet damit aus.
Nahverkehrsabgabe als Gebühr:
Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung, deren Kosten ganz oder teilweise zu decken. Die Gebühr ist also Gegenleistung für den vom Staat zugewandten Vorteil. Wie die nach dem Bundesfernstraßengesetz geltende LKW-Maut für die Benutzung der Bundesautobahnen und bestimmter Bundesstraßen könnte eine Pkw-Straßenbenutzungsabgabe als Gebühr erhoben werden. Anders als bei der Einführung einer Steuer ist das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip zu beachten. Zuständig ist das Land.
Eine Gebühr, die alle Einwohner des MVV-Gebiets unabhängig von der Nutzung des ÖPNV trifft, ist nicht zulässig.
Nahverkehrsabgabe als Beitrag:
Gemeinden und Landkreise sind auf Grundlage der derzeitigen Regelung des Art. 5 Abs. 1 KAG berechtigt, zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten Beiträge zu erheben. Voraussetzung ist, dass die Möglichkeit der Inanspruchnahme den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten besondere Vorteile bringt. Beitragsfähig ist beispielsweise der Investitionsaufwand für Einrichtungen der Wasserversorgung, der Abwasserversorgung oder der Geh- und Radwege. Die Beitragspflicht hängt dabei nicht davon ab, ob der Pflichtige die Einrichtung konkret in Anspruch nimmt. Es genügt, dass sie dem Pflichtigen generell zur Verfügung steht und er daraus wirtschaftliche Vorteile zieht. Insoweit unterscheidet sich der Beitrag von der Gebühr. Grundsätzlich wäre die Erhebung eines Beitrags auf Grundlage einer entsprechenden landesgesetzlichen Vorschrift denkbar.Die Gesetzgebungskompetenz liegt bei den Ländern. Derzeit ist es auf Grundlage des KAG nicht möglich, einen Beitrag zu erheben, der alle Einwohner des MVV-Gebiets unabhängig von der Nutzung des ÖPNV trifft.
Frage 2:
Können Städte und Gemeinden bereits jetzt die Kosten im ÖPNV redu- zieren, indem sie z.B. die Gewerbesteuer für diesen Zweck erhöhen und einen Teil der Kosten daraus zahlen? Falls nicht, welche Gesetze stehen einer solchen Finanzierung entgegen?
Antwort der Stadtkämmerei:
„Nach Artikel 106 Abs. 6 Grundgesetz steht das Aufkommen der Gewerbesteuer den Gemeinden zu. Der jeweiligen Gemeinde ist auch das Recht eingeräumt, den Hebesatz der Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG). Aus haushaltsrechtlicher Sicht ist jedoch eine Verknüpfung einer bestimmten Ausgabenerhöhung mit einer Steuererhöhung unzulässig. Insbesondere dienen die Einnahmen der Gewerbesteuer als Deckungsmittel für alle Auszahlungen der Stadt München und können keiner Zweckbindung für bestimmte Ausgaben unterworfen werden. Einer unmittelbaren Steuerfinanzierung von Aufgaben des ÖPNV steht somit das kommunale Haushaltsrecht entgegen.“
Frage 3:
Gibt es die gesetzliche Möglichkeit, im MVV-Gebiet eine „Nahverkehrs- abgabe“ für alle Beherbergungsbetriebe einzuführen? Falls nicht, welche Gesetze müssten ggf. geändert werden?
Antwort:
Gemeinden, in denen die Zahl der Fremdenübernachtungen im Jahr in der Regel das Siebenfache der Einwohnerzahl übersteigt, können zur Deckung des gemeindlichen Aufwands für die Fremdenverkehrsförderung von den selbständig tätigen, natürlichen und den juristischen Personen, den offenen Handelsgesellschaften und den Kommanditgesellschaften, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Vorteile erwachsen, einen Fremdenverkehrsbeitrag erheben. Ein Beitrag in diesem Sinn knüpft an die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer von der öffentlichen Hand finanzierten Dienstleistung an. Denkbar wäre es beispielsweise, den Beitrag zur Finanzierung von ÖPNV Angeboten zu nutzen, die sich speziell an Touristen richten.
Ein Fremdenverkehrsbeitrag dürfte beispielsweise nicht dazu genutzt werden, das Nahverkehrssystem insgesamt zu finanzieren.
Frage 4:
Wie hoch sind im MVV aktuell die „Vertriebskosten“, d.h. die Kosten für Ausgabe und Kontrolle der verschiedenen Fahrkarten? Welches Einsparpotential gäbe es, wenn durch eine alternative Finanzierung auf die Ausgabe von Fahrkarten und die Fahrscheinkontrollen verzichtet werden könnte?
Antwort der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH:
„Ein Verzicht auf die Nutzerfinanzierung ist aus Sicht der MVG nicht sinnvoll. Er wäre mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und mit gravierenden finanziellen, steuerlichen, rechtlichen und unternehmerischen Nachteilen verbunden.“
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.