Bomben und Munitionsfund in Freimann – weiterhin Unsicherheit für die betroffenen Hausbesitzer
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Richard Quaas und Dorothea Wiepcke
(CSU-Fraktion) vom 19.12.2017
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Ihre Anfrage vom 19.12.2017 wurde im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Reiter dem Kreisverwaltungsreferat zur Beantwortung zugeleitet.
Ihrer Anfrage schicken Sie folgenden Sachverhalt voraus:
„Am 3. März wurde am Zwergackerweg in Freimann bei Bauarbeiten in einem Privatgarten eine große Menge noch scharfer Munition und Bomben aus den 2. Weltkrieg gefunden, die an dieser Stelle von der Wehrmacht oder den amerikanischen Besatzungstruppen vergraben wurden. In einer wochenlangen komplizierten Bergungsaktion wurde die Altlast beseitigt, so dass es keine unmittelbare Gefahr mehr gibt. Nach geltendem Recht, bzw. Rechtsprechung, müssen Grundeigentümer für die Kosten der Bergung selbst aufkommen, selbst, wenn sie beim Kauf nicht wussten, was hier vom Deutschen Reich, dessen Rechtsnachfolger die Bundesrepublik ist, verbuddelt worden ist.
Die 73-jährige Hausbesitzerin ist deshalb – zu Recht – in großer Unruhe, weil Kosten in Höhe von ca. 1 Million Euro durch Bergung der Sprengmittel und die Evakuierung der Anwohner entstanden sind und deren Zahlungs- verpflichtung, die alte Dame finanziell ruinieren würde. Hier sind Staat und Stadt gefordert! Es kann nicht sein, dass letztlich durch den Staat – die Wehrmacht war ein staatliches Organ – verursachte Schäden und Boden- verunreinigungen von zwischenzeitlich privaten Grundeigentümern getragen werden müssen. Hier muss eine Kostenübernahme durch die öffentliche Hand erfolgen!“
Eingangs erlauben wir uns, zur Beantwortung Ihrer Fragen auf den einstimmig gefassten Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates vom 05.04.2017, Munitionsfund Zwergackerweg, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/ V 08555, zu verweisen. Die Kurzübersicht dazu ist diesem Schreiben beigefügt.
Frage 1:
Ist es richtig, wie in Medien berichtet, dass die Besitzerin des Grundstücks auf dem die Munition gefunden wurde, bisher völlig im Ungewissen gehalten wird, wie die Angelegenheit finanziell und auch baulich weitergeht?
Antwort:
Nachdem sich bei laufenden Entmunitionierungsarbeiten auf dem Grundstück am Zwergackerweg 3 das nicht vorhersehbare Ausmaß an Munitionsbelastung herausgestellt hatte, entschied der Münchner Stadtrat in seiner Vollversammlung am 05.04.2017 einstimmig über erste finanzielle Hilfen für die Grundstückseigentümerin. Dem Stadtratsbeschluss entsprechend übernahm die Landeshauptstadt München ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Aufwendungen für die notwendigen Entmunitionierungsmaßnahmen in Vorleistung sowie vollumfänglich die Kosten für die Unterbringung der evakuierten Anwohner und die personellen und sächlichen Aufwendungen der Verwaltung. Die Entscheidung des Stadtrats wurde öffentlich bekannt gegeben (siehe auch Rathaus Umschau 67/2017, veröffentlicht am 06.04.2017), so dass die Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die Munition gefunden wurde, von Anfang an Kenntnis über den finanziellen Fortgang der Angelegenheit hatte.
Darüber hinaus wurde im Rahmen eines persönlichen Gespräches im August 2017 im Kreisverwaltungsreferat mit der Grundstückseigentümerin im Beisein ihres Rechtsbeistandes vereinbart, dass das Kreisverwaltungsreferat hinsichtlich der Kosten für die Entmunitionierungsmaßnahmen, die von der Stadt München ohne Anerkennung einer Rechtspflicht in Vorleistung übernommen wurden, den Antrag auf Kostenerstattung beim Bundesamt für Immobilienaufgaben in Erfurt initiiert. Dieser Antrag auf Kostenerstattung bezieht sich auf die sogenannte Staatspraxis im Sinne von Art. 120 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) und ist formal von dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr zu stellen. Der Staatspraxis entsprechend trägt der Bund die Aufwendungen für Maßnahmen zur Beseitigung von unmittelbaren Gefahren für Leben oder Gesundheit von Menschen auch auf nicht bundeseigenen Grundstücken, sofern diese Gefahren von ehemals reichseigenen Kampfmitteln ausgehen. Die Entscheidung der Bundesbehörde steht noch aus.
Insofern kann zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich die endgültige finanzielle Belastung der Grundstückseigentümerin noch nicht beziffert werden. Sie ist aber durch das persönliche Gespräch im August 2017 informiert, dass das Verfahren der Bundesbehörde, das letztlich zu ihren Gunsten eingeleitet wurde, abgewartet werden muss.
Hinsichtlich der Frage nach dem baulichen Fortgang der Angelegenheit ist zunächst festzuhalten, dass die Grundstückseigentümerin aufgrund einer rechtskräftigen Anordnung verpflichtet war, für die Entmunitionierung ihres Grundstückes zu sorgen. Nach Abschluss der Entmunitionierungsmaß-nahmen wurde die Oberfläche des betroffenen Areals wiederhergestellt. Diese Kosten der Wiederherstellung wurden im Antrag auf Kostenerstattung bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben geltend gemacht, da es sich hierbei um Kosten für notwendige Nacharbeiten im Sinne der Staatspraxis handelt.
Nicht geltend gemacht werden können dagegen die Kosten für die endgültige Wiederherstellung in den Urzustand des Grundstücks (zum Beispiel Gartenanlage, Pflasterarbeiten und dergleichen). Diese Kosten sind von der Grundstückseigentümerin zu tragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Aufwendungen allein schon wegen der ursprünglichen Verpflichtung zur Entmunitionierung – also unabhängig von dem Ausmaß des Munitionsaufkommens – der Grundstückseigentümerin zuzurechnen sind.
Im Rahmen des Gespräches im August 2017 wurde die Hauseigentümerin auch auf die Kostentragungspflicht für die endgültige Wiederherstellung des Grundstücks in den Urzustand hingewiesen. Nach Kenntnisstand des Kreisverwaltungsreferates wurden dafür Spendengelder zur Verfügung gestellt.
Darüber hinaus stehen der Grundstückseigentümerin die Mitarbeiter/Innen des Kreisverwaltungsreferates für Auskünfte sowohl telefonisch als auch persönlich zur Verfügung. So wurde sie Anfang Dezember unter anderem im Rahmen eines Telefonats über den Sachstand informiert.
Frage 2:
Gibt es Gespräche der Stadt mit Bund und/oder Freistaat ob die Kosten von ca. 1 Mio. Euro von der öffentlichen Hand übernommen werden und wenn ja, wie ist der Sachstand?
Antwort:
Die Kosten, die im Zusammenhang mit der Entmunitionierung angefallen sind (Personalausgaben für die mit der Kampfmittelbeseitigung unmittelbar beschäftigten Arbeitskräfte und Sachaufgaben für die Durchführung konkreter Kampfmittelbeseitigungsmaßnahmen) und welche die Stadt München in Vorleistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernommen hat, belaufen sich auf ca. 1.310.000 Euro.
Herr Oberbürgermeister Reiter verwendete sich persönlich mit den Schreiben vom 29.03.2017 und 06.04.2017 bei Herrn Ministerpräsident Seehofer sowie Herrn Kanzleramtsminister Altmaier dafür, dass sich der Bund undder Freistaat Bayern in diesem besonders gelagerten Fall finanziell an der unmittelbaren Räumung der vorgefundenen Kriegsfolgelast beteiligen. Der Freistaat Bayern verneinte eine generelle Kostenbeteiligung, die über die Kosten für Abtransport und Vernichtung der geborgenen Kampfmittel hinausgeht. Vielmehr wurde auf die Kostenerstattung im Rahmen der sogenannten Staatspraxis im Sinne von Art. 120 Abs. 1 GG verwiesen. Diesen Antrag auf Erstattung der Kosten in Höhe von 1.310.000 Euro an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Erfurt, gestellt durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, begründete das Kreisverwaltungsreferat mit Schreiben vom 21.11.2017. Die Entscheidung der Bundesbehörde steht noch aus, wobei die Landeshauptstadt München über keine Erfahrungswerte hinsichtlich der Dauer derartiger Verfahren ver fügt.
Um die Voraussetzungen auf Kostenerstattung im Rahmen der Staatspraxis zu belegen, war es zunächst notwendig, die relevanten Ausgaben zu evaluieren sowie sämtliche Rechnungsbelege der mit der Entmunitionierung beauftragten Firmen zusammenzustellen. Währenddessen führte das Kreisverwaltungsreferat umfangreiche Recherchearbeiten durch, die für die Begründung des Kostenerstattungsantrages vom 21.11.2017 zwingend er forderlich waren. Hierfür mussten die Eigentümerverhältnisse der betroffenen Grundstücke in Freimann im Jahr 1945 geklärt werden. Dazu mussten die Urkunden und Dokumente im Grundbuchamt beim Amtsgericht München sowie im Staatsarchiv eingesehen und ausgewertet werden.
Frage 3:
Kann es sein, dass eine 73-jährige Rentnerin über Monate in Angst und Sorge gehalten wird, weil der „Staat“ nicht in der Lage ist, eine menschlich anständige und sachgerechte Lösung zu finden?
Antwort:
Den Verantwortlichen der Landeshauptstadt München, allen voran den Stadträtinnen und Stadträten und Herrn Oberbürgermeister Reiter, war von Anfang an bewusst, dass die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die Entmunitionierung in diesem besonders gelagerten Fall für die betroffene Grundstückseigentümerin existenzbedrohend sein kann. In diesem Sinne erfolgten die umgehende Unterstützung des Stadtrats mit seinem Beschluss vom 05.04.2017 sowie die Kontaktaufnahme des Herrn Ober bürgermeisters mit Herrn Ministerpräsident Seehofer und Herrn Kanzler amtsminister Altmaier.Zahlreiche Mitarbeiter/Innen aus fünf städtischen Referaten waren über 34 Tage und sind auch im Nachgang bis heute damit beschäftigt, den Vorfall abzuarbeiten und die besonderen Herausforderungen, die mit der Beseitigung von 15 Tonnen Raketen, Granaten und Minen einhergingen, zu bewerkstelligen. Die Begleichung der Rechnungen der mit der Entmunitionierung beauftragten Firmen erfolgte unmittelbar und unbürokratisch. Die Beträge wurden der Landeshauptstadt München von den Firmen in Rechnung gestellt und von der Stadt (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht) in Vorleistung beglichen.
Alle Beteiligten waren und sind bestrebt, die Belastung für die Grundstückseigentümerin so gering wie möglich zu halten. Dennoch muss an dieser Stelle wieder auf das laufende Verfahren bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwiesen werden. Erst nach der Entscheidung über die Beteiligung des Bundes an den Entmunitionierungskosten kann der umfassende Sachverhalt erneut dem Münchner Stadtrat zur Kenntnis gebracht sowie hinsichtlich des weiteren Vorgehens zur Entscheidung vorgelegt werden.
Frage 4:
Unterstützt die Stadt die ältere Dame bei der Durchsetzung ihres zumindest moralischen Anspruchs auf Kostenübernahme durch den Bund, als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches?
Antwort:
Im Rahmen der seit Ende der 1950-er Jahre geltenden sogenannten Staatspraxis im Sinne von Art. 120 Abs. 1 GG erstattet der Bund den Ländern bestimmte Aufwendungen, die erforderlich sind, um die von ehemaligen reichseigenen Kampfmitteln ausgehenden unmittelbaren Gefahren für Leben oder Gesundheit von Menschen zu beseitigen. Der Kostenerstattungsanspruch gilt ausschließlich im Bund-Länder-Verhältnis; Dritten bietet er dagegen keine eigene Anspruchsgrundlage gegen die öffentliche Hand.
Da die Landeshauptstadt München mit ca. 1.310.000 Euro für die Entmunitionierung finanziell in Vorleistung getreten sowie mit dem Ablauf sämtlicher Maßnahmen im Rahmen der Entmunitionierung vertraut ist, fertigte das Kreisverwaltungsreferat die ausführliche Begründung für den Antrag auf Kostenerstattung, der von dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben eingereicht wurde.Wie bereits zu der Antwort zu Frage 2 ausgeführt wurde, erforderte die Stellungnahme des Kreisverwaltungsreferates im Vorfeld tiefgehende Recherchen zu den Eigentümerverhältnissen am Zwergackerweg 3. Zudem bedurfte es einer umfangreichen Begründung unter Einbeziehung der geltenden Rechtsprechung, um das Vorliegen der weiteren Anspruchsvoraussetzungen in Bezug auf die Staatspraxis herauszustellen.
Frage 5:
Wenn ja, in welcher Weise?
Antwort:
Siehe Antworten zu den Fragen 3 und 4.
Frage 6:
Wenn nein, warum lässt die Stadt ihre Bürger mit so einer finanziellen, aber auch psychisch riesigen Last alleine?
Antwort:
Die Beantwortung entfällt.
Frage 7:
Kann die Grundbesitzerin in Freimann jetzt mit einer aktiven Unterstützung der Stadt bei der rechtlichen Bewältigung der finanziellen Folgelasten der Munitionsbergung rechnen?
Antwort:
Wie die Ausführungen zu den Fragen 1 bis 4 zeigen, wurde der Grundbesitzerin in Freimann jede rechtlich und tatsächlich mögliche Unterstützung zur Bewältigung der finanziellen Folgelasten zuteil.
Sobald die Antwort des Bundesamtes für Immobilienaufgaben vorliegt und damit beziffert werden kann, in welcher Höhe sich die Grundstückseigentümerin an den Entmunitionierungskosten zu beteiligen hat, wird der umfassende Sachverhalt dem Stadtrat zur Kenntnis gebracht. Danach ist eine Entscheidung möglich, ob und ggf. in welcher Höhe die Grundstückseigentümerin weiter finanziell von der Landeshauptstadt München unterstützt werden kann.
Ich darf Sie um Kenntnisnahme dieser Ausführungen bitten und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.