Luftschadstoffe in München falsch gemessen?
Anfrage Stadträte Dr. Reinhold Babor, Manuel Pretzl, Richard Quaas und Sebastian Schall (CSU-Fraktion) vom 9.3.2018
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Nach Berichten in den Münchner Medien, werden die diversen Luftschadstoffe an einigen der Messstellen im Stadtgebiet, bezogen auf die EU- Norm – die auch maßgeblich für Maßnahmen zur Luftreinhaltung ist, wie z.B. mögliche Fahrverbote – eindeutig falsch gemessen, also die Daten, die innerhalb der Europäischen Union vergleichbar sein müssen, falsch erhoben. So werden die Kriterien, wie der Abstand zum Fahrbahnrand, Haus- wänden usw. – die ganz wesentlichen Einfluss auf die Messergebnisse haben, nicht normgerecht beachtet und geben deshalb ein völlig verfälschtes Bild der Ist-Situation wieder. Sowohl am Stachus, als auch in der Landshuter Allee, die Messstellen mit den höchsten Schadstoffwerten, entspricht der Aufstellungsort eindeutig nicht den EU Vorschriften! Da aber diese Daten als Grundlage für die Kartierung von europaweiten Messungen für München hergenommen werden, ergibt sich ganz offen- sichtlich ein völlig falsches Bild! Auf dieser Grundlage basiert auch die Diskussion über Dieselfahrverbote in München und eine mögliche Klage der EU-Kommission gegen Deutschland. Der Hinweis, dass diese Messstellen schon vor dem Inkrafttreten der EU-Norm aufgestellt worden sind, macht die Sache nicht besser, auch, dass bei der Überprüfung des Standortes 2010, die aufstellende Behörde des Landes bei sich selbst keinen Fehler entdeckt hat. So etwas gehört zum Wesen einer Behörde, eigene Fehler nicht zu bemerken, bzw. auch an eigenen Festlegungen festzuhalten, selbst wenn sie den allgemeinen Normen widersprechen.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Das für die Aufstellung und den Betrieb der LÜB-Messstationen zuständige Landesamt für Umwelt (LfU) hat auf Ihre Fragen folgende Ausführungen übermittelt:
Frage 1:
Welche Messstellen gibt es und wann wurden jeweils die Messstellen in München errichtet?
Antwort:
„Derzeit sind in München nachfolgende Messstationen (jeweils mit Jahr der Inbetriebnahme) des Lufthygienischen Landesüberwachungssystems Bayern (LÜB) in Betrieb:
München/Stachus 1978
München/Lothstraße 1991
München/Johanneskirchen 1993
München/Landshuter Allee 2004
München/Allach 2014“
Frage 2:
Aufgrund welcher Norm oder Erkenntnisse wurden diese Messstellen seinerzeit eingerichtet, waren das Faustregeln die die aufstellende Behörde selbst entwickelt hatte?
Antwort:
- Verordnung über die Festsetzung von Belastungsgebieten nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 27.4.1976, GVBl., S. 176
- 4. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BImSchG (4. BImSchVwV), Ermittlung von Immissionen in Belastungsgebieten, vom 8.4.1975, GMBl. S. 358, geändert am 26.11.1993
- Verordnung zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen in austauscharmen Wetterlagen (Smog-Verordnung) vom 23.9.1985
- Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft (22. BImSchV) vom 11.9.2002“
Frage 3:
Welche der Messstellen wurden vor dem Inkrafttreten der gültigen EU- Norm eingerichtet?
Antwort:
„Von den unter Frage 1 genannten Messstationen wurden die Stationen München/Johanneskirchen, München/Landshuter Allee, München/Lothstraße und München/Stachus vor dem Inkrafttreten der EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG errichtet.“
Frage 4:
Wer hat beim Inkrafttreten der gültigen EU-Norm überprüft, ob die Situierung der Messstellen noch der EU-Norm mit ihren genauen Abstandsangaben entspricht?
Antwort:
„Das Bayerische Landesamt für Umwelt.“
Frage 5:
War das die aufstellende Behörde des Freistaates oder eine städtische Dienststelle?
Antwort:
„Das Bayerische Landesamt für Umwelt war die aufstellende Behörde.“
Frage 6:
Oder wurden diese Messstellen ohne Anpassung an die verbindlichen EU-Normen einfach unbesehen übernommen?
Antwort:
„Bei Inkrafttreten der EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG wurden alle Standorte unserer Stationen überprüft. Einige Messstationen mussten versetzt werden. Bei anderen Stationen konnten wir durch Vergleichsmessungen und/oder Modellierungen zeigen, dass eine Versetzung nicht erforderlich ist.“
Frage 7:
Ist es richtig, dass die Platzierung von Messstellen, so wie sie in München – zum Teil oder sogar generell – vorgenommen wurde, einen negativen Einfluss, was die Höhe der gemessenen Schadstoffe betrifft, gegenüber Messstellen hat, die nach der verbindlichen EU-Norm, so im europäischen Ausland, platziert werden?
Antwort:
„Die LÜB-Messstationen in München halten die gesetzlichen Vorgaben (39.BImSchV) ein. Die 39. BImSchV ist eine 1:1 Umsetzung der EU-Richtlinie. Wir gehen davon aus, dass sich die anderen EU-Staaten ebenfalls an die EU-Richtlinie halten. Somit sind die Messwerte vergleichbar; ein negativer Einfluss ist nicht zu befürchten.“
Frage 8:
Ist es richtig, dass durch die, nach EU-Norm, falsche Platzierung der Messstellen, die Vergleichbarkeit mit anderen Messstellen innerhalb der EU nicht mehr oder noch nie gegeben war und so die wissenschaftliche Basis der Ergebnisse nicht mehr gegeben ist?
Antwort:
„Nein, siehe Antwort zu Frage 7.“
Frage 9:
Ist es richtig, dass die behaupteten Folgen der – vermutlich falschen Messungen – mit zig tausenden von vorzeitig Verstorbenen durch die vorgeblich zu hohe Luftverschmutzung auf epidemischen-statistischen Hochrechnungen beruht, aber nicht auf exakten wissenschaftlich nachweisbaren toxikologischen Untersuchen bei Menschen?
Antwort:
„Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat für Hochrechnungen zu den Folgen der Luftverschmutzung (‚vorzeitige Todesfälle‘) keine Zuständigkeit und führt solche Berechnungen auch nicht durch.“
Das Referat für Gesundheit merkt hierzu an, dass bei der kürzlich veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes (UBA), auf die sich die Frage vermutlich bezieht („Quantifizierung von umweltbedingten Krankheitslasten aufgrund der Stickstoffdioxid-Exposition in Deutschland“), die Exposition der Bevölkerung anhand eines 1km x 1km Rasters abgeschätzt wurde. Das heißt, tatsächliche Messdaten gingen hier nur indirekt über die Modellierung des groben 1km x 1km Rasters ein.
Wie auch aus der Pressemitteilung des UBA zu dieser Studie zu entnehmen ist, ermöglichen epidemiologische Studien keine Aussagen über ursächliche Beziehungen.
Frage 10:
Ist es richtig, dass diese Ergebnisse der – nach Norm falschen – Schadstoffermittlung direkt in die Diskussion und in Urteile zu Beschränkungen aller Art, darunter Fahrverbote für Diesel-Autos einfließt?
Antwort:
„Die vorschriftsmäßig ermittelten Messwerte des Lufthygienischen Landesüberwachungssystems Bayern (LÜB) fließen in die Luftreinhalteplanung ein. Minderungsmaßnahmen werden von den Kommunen nach den
bei der Luftreinhalteplanung üblichen Regularien festgelegt und umgesetzt.“
Das Referat für Gesundheit und Umwelt merkt hierzu an, dass für die Luftreinhaltung grundsätzlich der Freistaat Bayern zuständig ist und von diesem bzw. der Regierung von Oberbayern Maßnahmen in einem Luftreinhalteplan festgelegt werden.
Frage 11:
Ist es richtig, dass eine mögliche Klage der EU-Kommission gegen Deutschland, auch auf der Grundlage der aus München falsch gelieferten Messwerte erfolgen könnte und unser Land deshalb immense Strafzahlungen kosten könnte?
Antwort:
„Die umfangreichen qualitätssichernden Maßnahmen im LÜB scheiden falsche Messwerte zuverlässig aus. Zur Qualitätssicherung gehört auch die nach der 39. BImSchV regelmäßig geforderte Überprüfung der Standortkriterien. Falsche Messwerte werden daher nicht veröffentlicht und auch nicht über das Umweltbundesamt an die EU-Kommission weitergeleitet.“
Frage 12:
Sind die freistaatliche Umweltbehörde und das zuständige städtische Referat bereit, die Messstellen nach der geltenden EU-Norm neu einzurichten und erst deren neue Messergebnisse abwarten, bevor irgendwelche einschneidenden Maßnahmen, wie Fahrverbote ergriffen werden?
Antwort:
„Falls sich belastbare Anhaltspunkte auf nicht vorschriftsmäßig aufgestellte LÜB-Messstationen ergeben, wird das Landesamt für Umwelt bereits von sich aus tätig. Diese Anhaltspunkte liegen derzeit nicht vor.“
Das Referat für Gesundheit merkt hierzu an, dass davon auszugehen ist, dass die bestehenden Messstellen der geltenden EU-Norm entsprechen. Dementsprechend gibt es keine Veranlassung zur Aufstellung anderer oder neuer Stationen.
Um einen genaueren räumlichen Überblick über die Belastungssituation im gesamten Stadtgebiet zu erhalten und zur Überprüfung der Wirksamkeit getroffener Maßnahmen zur Verbesserung der Luftsituation hat die Stadt München im Juli 2017 auf freiwilliger Basis beschlossen (Sitzungsvorlagen Nr. 14 - 20/09397 und 14 - 20/10440), ab 1.1.2018 ergänzende Messungen (20 NO2-Passivsammler) durchzuführen. Ziel der Messungen ist die Ermittlung des in München kritischen NO2-Jahresmittelwerts. Im Sinne der Transparenz wird das Referat für Gesundheit und Umwelt vorläufige Zwischenergebnisse der Messungen quartalsweise veröffentlichen.
Frage 13:
Sind Freistaat und Stadt bereit neue Standorte nach Maßgabe der verbindlichen EU-Normen von unabhängigen – auch wissenschaftlichen – Fach-Institutionen überprüfen und notfalls auch korrigieren zu lassen?
Antwort:
„Das Landesamt für Umwelt ist eine unabhängige Fachinstitution, die sich seit Inkrafttreten der EU-Normen, auch der Normen, die vor der EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG erlassen wurden, mit den Vorschriften befasst und sich auch mit anderen nationalen und internationalen Messnetzen und Gremien darüber austauscht. Sollte wider Erwarten eine andere Fachinstitution zu abweichenden Erkenntnissen kommen, sind wir gerne gesprächsbereit. Darüber hinaus wird die Einhaltung der Normen auch von der EU-Kommission überprüft. Eine kürzlich stattgefundene Überprüfung hat für den Ballungsraum München keine Beanstandung ergeben.“
Wie oben dargelegt ist das Landesamt für Umwelt zuständig für die LÜB-Messstationen. Für eine Überprüfung durch eine dritte Stelle sehen wir seitens des Referats für Umwelt und Gesundheit derzeit keine Veranlassung, haben aber auch keine Vorbehalte.