Nachgefragt: Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund bzw. Förderbedarf in der LHM
Anfrage Stadtrat Karl Richter vom 23.1.2018
Antwort Stadtschulrätin Beatrix Zurek:
Auf ihre Anfrage vom 23.1.2018 nehme ich Bezug.
Wir bitten die verspätete Antwort aufgrund von Personalengpässen zu entschuldigen.
„Im benachbarten Österreich will die Bildungspolitik der neuen ÖVP-/ FPÖ-Bundesregierung jetzt mit der ‚Integration‘ ernstmachen und gravierende Deutschdefizite bei ausländischen Kindern angehen. Dazu sollen ab dem kommenden Schuljahr Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen ab dem Volksschulalter obligat in eigenen Förderklassen unterrichtet werden. Diese Regelung kündigte der österreichische Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) jetzt an und erklärte Medienberichten zufolge: ‚Die Unterrichtssprache Deutsch ist ein Kriterium der Schulreife. Sobald Fortschritte bei den Schülern erkennbar seien, dürfen diese in die Regelklasse wechseln.
Kinder mit mangelnder Sprachkompetenz sollen der neuen Regelung zu- folge zunächst als außerordentliche Schüler aufgenommen und zum Besuch der Förderklasse verpflichtet werden. Für diese Schüler ist ein eigener Lehrplan mit einem verstärktem Deutsch-Angebot vorgesehen, der für Volksschüler (=Grundschüler) 15 Wochenstunden Deutsch, in der Sekundarstufe 20 Stunden vorsieht. Der Rest des Stundenplans wird ebenfalls mit ‚sprachsensiblen Fächern‘ wie Turnen, Zeichnen oder Musik aufgefüllt. Dort soll das theoretisch Erlernte gleich in der Kommunikation erprobt wer- den. Wer daran teilnehmen muß, wird mittels Tests, die vom Ministerium kontrolliert werden, festgestellt. Der österreichische Bildungsminister widerspricht im übrigen auch dem gelegentlich zu hörenden Einwurf, es würden ‚Ghettoklassen‘ gefördert. Dies sei ein ‚Kampfbegriff‘, der die Augen vor der realen Situation verschließe. Das bisherige System mit maximal elf Stunden in sogenannten Sprachstartklassen, die nicht verpflichtend sind, habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht. (Alles wiedergegeben nach: http://www.krone.at/1620222; zuletzt aufgerufen: 23.1.2018, 01.20 Uhr; KR. – Es stellen sich Fragen.“
Frage 1:
In der LHM ist nicht erkennbar, daß Grundschüler mit „Migrationshintergrund“, die über unzureichende Deutschkenntnisse verfügen, zum Besuch spezieller Deutsch-Förderklassen verpflichtet sind, in denen ihnen die fehlenden Deutschkenntnisse vermittelt werden. Die damit einhergehenden Probleme sind hinlänglich bekannt – die Lehrkräfte müssen mit erheblichem Aufwand versuchen, die sprachlichen Defizite aus dem Elternhaus zu beheben, anstatt sich voll auf die Vermittlung des regulären Lernstoffes konzentrieren zu können; gleichzeitig bleiben Kinder, die über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen, unterfordert. Inwieweit wären geschlossene Deutsch-Förderklassen auch an Münchner Schulen ein Weg, Kindern mit „Migrationshintergrund“ und fehlenden Deutschkenntnissen die erforderliche Schulreife zu vermitteln?
Antwort:
Die Zuständigkeit liegt beim Freistaat.
Das Staatliche Schulamt hat zu dieser Frage wie folgt Stellung genommen: „Insgesamt gibt es im laufenden Schuljahr 87 Übergangsklassen in Grund- und Mittelschulen für Sprachanfänger und fortgeschrittene Sprecher: Die Schülerinnen und Schüler werden nach dem Lehrplan ‚Deutsch als Zweitsprache‘ unterrichtet; die Stundenzahl für das Fach Deutsch liegt höher als in den Regelklassen.
Je nach Lernfortschritt besuchen die Schülerinnen und Schüler die Übergangsklasse bis zu 2 Jahre. Anschließend wechseln sie in eine Regelklasse und werden ggf. mit weiteren Maßnahmen gefördert. Auch ein Wechsel in eine weiterführende Schule ist möglich (z. B. SPRINT-Klasse an der Realschule).
Deutschförderklassen:
Hier werden die Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf in der deutschen Sprache in einer Kleingruppe parallel zum Unterricht in der Regelklasse in den Fächern Deutsch, Mathematik und/oder Heimat- und Sachunterricht unterrichtet. Auch hier ist der Lehrplan ‚Deutsch als Zweitsprache‘ die Grundlage.“
Frage 2:
Inwieweit fanden ggf. bereits Schulversuche an Münchner Schulen statt, um die Praktikabilität reiner Deutsch-Förderklassen für Kinder mit „Migrationshintergrund“ zu eruieren? Ggf. mit welchem Ergebnis?
Antwort:
Die Zuständigkeit liegt hier ebenfalls beim Freistaat.
Siehe Antwort auf Frage 1.
Frage 3:
Im Rahmen des „Nationalen Integrationsplans“ der Bundesregierung haben sich die Bundesländer verpflichtet, Verfahren zur Sprachstandsfeststellung vor der Einschulung zur Anwendung zu bringen und bei Bedarf eine anschließende Sprachförderung zu ermöglichen. In Bayern ist dabei derzeit allerdings nur die Teilnahme an einer freiwilligen Sprachstandserhebung in einer Grundschule 18 Monate vor der Einschulung vorgesehen. Bei Kindern mit nichtdeutscher Erstsprache, die im Jahr vor der Einschulung keine Kindertageseinrichtung besuchen und nicht an der vorgezogenen Sprachstandserhebung teilgenommen haben, wird der Sprachstand im Rahmen der regulären Schulanmeldung sechs Monate vor der Einschulung erhoben. Kinder, bei denen dabei Förderbedarf festgestellt wurde, sind verpflichtet, an der Sprachfördermaßnahme „Vorkurs Deutsch 240“ teilzunehmen. Die Förderdauer im Rahmen dieses Vorkurses wurde seit seiner Einführung im Jahr 2001/2002 mehrmals ausgeweitet, zuletzt 2008/2009 auf 18 Monate (240 Stunden), was allerdings nur 3,3 Sprachförderstunden pro Woche entspricht. Inwieweit hält die LHM diese Förderintensität für ausreichend, um Kindern mit „Migrationshintergrund“ und einschlägigen Sprachdefiziten die erforderliche Sprachkompetenz bis zur Einschulung zu vermitteln? Wie beurteilt das Schulreferat die Effizienz der „Vorkurse“?
Antwort:
Die Zuständigkeit liegt hier ebenfalls beim Freistaat.
Das Staatliche Schulamt hat wie folgt Stellung genommen:
„Im Vorschulbereich sind Vorkurse eingerichtet. Hier werden die Kinder mit Sprachförderbedarf bereits vor der Einschulung gefördert. Der Vorkurs umfasst insgesamt 5 Wochenstunden und beinhaltet einen schulischen Teil und einen Teil in der Kindertagesstätte. Beide Einrichtungen kooperieren entsprechend. Die angesprochenen Tests werden in Zuständigkeit der Kindertageseinrichtungen durchgeführt. Die Kindertageseinrichtungen unterstehen dem Ministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration. Seit Einführung des Bildungsfinanzierungsgesetzes 2013 steht der Vorkurs sowohl Kindern mit als auch ohne Migrationshintergrund offen.“
Frage 4:
In Bayern kommt zur Erfassung der Sprachkompetenz von Vorschulkindern derzeit das 2005 vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung entwickelte Verfahren „Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache er- fassen“ zur Anwendung. Dieses Verfahren sieht allerdings bei Feststellung von Förderbedarf „keine differenzierten Fördermaßnahmen“ vor (nach: A. Lisker, Sprachstandserhebung und Sprachförderung vor der Einschulung – Eine Bestandsaufnahme in den Bundesländern. Expertise im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts, Hrsg. Deutsches Jugendinstitut e.V., München 2013, S. 85). Inwieweit kann ein solches Verfahren bei der Vermittlung fehlender Sprachkompetenz hilfreich sein? Inwieweit gibt es – ggf. abweichend vom Verfahren „Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache erfassen“ – in der LHM weiterführende differenzierte Förderangebote abseits des „Vorkurses Deutsch 240“? Mit welchem Erfolg?
Antwort 4:
Die sprachliche Bildung und Förderung von Kindern ist in § 5 der Ausführungsverordnung des Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes (AVBayKiBiG) gesetzlich verankert und regelt in den Absätzen 2 und 3 die verpflichtende Erhebung des Sprachstandes mit den Beobachtungsbögen Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen (SISMIK) und Sprachentwicklung und Literacy bei deutschsprachig aufwachsenden Kindern (SELDAK). Stellt sich auf Grundlage dieser Sprachstandserhebung heraus, dass eine Sprachförderung notwendig ist, wird die Teilnahme am Vorkurs Deutsch empfohlen. Der Vorkurs Deutsch hat, im Gegensatz zu anderen Förderangeboten (wie z. B. das Würzburger Trainingsprogramm „Hören, Lauschen, Lernen“), das breite Spektrum der sprachlichen Förderung im Blick.
Grundsätzlich ist „die Zahl der Kinder, die aus sprachlichen Gründen vom Schulbesuch zurückgestellt (…) wurden, sehr gering“ (StMAS/StMBW (2016): Vorkurs Deutsch 240 in Bayern, Eine Handreichung für die Praxis, Modul A, S. 24).
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.