Stadtratshearing zum Thema LGBTIQ*-feindliche Hasskriminalität
Antrag Stadtrats-Mitglieder Anne Hübner, Christian Müller und Christian Vorländer (SPD-Fraktion) vom 13.12.2018
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Sie beantragen ein Stadtratshearing zum Thema LGBTIQ*-feindliche Hasskriminalität. Aufgrund verschiedener diesbezüglicher Vorfälle sollen gesellschaftliche Entwicklungen, Handlungsstrategien und konkrete Maßnahmen diskutiert und entwickelt werden.
Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, erscheint ein Stadtratshearing zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht zielführend. Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag mit Brief zu beantworten.
Zum Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses stelle ich zunächst folgende Definitionen zu den Begriffen „Hasskriminalität“ und „vorurteilsmotivierte Kriminalität“ voran.
„Dem Themenfeld ‚Hasskriminalität‘ werden politisch motivierte Straftaten zugeordnet, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, sozialen Status, physischer und/oder psychischer Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität, äußeren Erscheinungsbildes, gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.“ (Bundestags-Drucksache 18/11891)
Die über die eigentliche Straftat hinausreichende Bedeutung von „Hasskriminalität“ wird in der Studie des Landeskriminalamts Niedersachsen („Vorurteilskriminalität (Hate Crime) – Erfahrungen und Folgen“, Hannover 2018) eindrücklich erläutert.
„Hasskriminalität oder vorurteilsmotivierte Kriminalität (Vorurteilskriminalität) geht gezielt gegen Personen aufgrund deren sozialer Gruppenzugehörigkeit und orientiert sich an identitätsstiftenden Merkmalen wie z. B. Hautfarbe, religiöser Glaube oder sexuelle Orientierung. Die Schädigung zielt nicht nur auf das direkte Opfer als Individuum, sondern besitzt eine einschüchternde Botschaft, die die Identität der gesamten Opfergruppe, die diese Merkmale teilt, adressiert.“
Bereits in der Münchner Studie „Unterm Regenbogen – Lesben und Schwule in München“ aus dem Jahr 2004 gaben von den über 2.500 Befragten 21,6% der schwulen Männer und 11,8% der lesbischen Frauen an,mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher Gewalt aufgrund ihrer Homosexualität geworden zu sein. Auch deutlich jüngere Studien, die teils europaweit, teils bundesweit durchgeführt wurden, zeigen eine nicht zu akzeptierende Quote an Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen der Bevölkerungsgruppe der LGBTIQ*.
Allerdings sind insbesondere in München keine verlässlichen und insbesondere aussagekräftigen aktuellen Daten zur Hasskriminalität/Vorurteilskriminalität gegenüber LGBTIQ* vorhanden. Die Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen hat sowohl bei den Beratungsstellen für Lesben, Schwule, Trans*- und Inter*-Personen Erfahrungen zu diesem Themenkreis abgefragt als auch über das Kreisverwaltungsreferat eine Rückmeldung des Polizeipräsidiums München erbeten.
Die Beratungsstellen geben an, dass die dort geschilderten Vorfälle in der Regel strafrechtlich relevant seien, die Ratsuchenden jedoch so gut wie nie dazu motivierbar sind, Strafantrag zu stellen. Zudem wird von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen.
Das Polizeipräsidium München hat rückgemeldet, dass die dort erfassten diesbezüglichen Straftaten im einstelligen Bereich liegen.
Die Koordinierungsstelle teilt die Einschätzung der Beratungsstellen hinsichtlich des Melde- und Anzeigeverhaltens von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Inter*-Personen. Auch die in der KGL beratenen Personen, die Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt haben, gehen so gut wie nie den Beschwerdeweg.
Diesem Phänomen liegen verschiedene Ursachen zugrunde. Eine Anzeige oder Meldung der Straftat bzw. Diskriminierung würde für die Betroffenen immer auch bedeuten, gegenüber Behörden, Arbeitgebern oder der Polizei die eigene sexuelle Identität offenlegen zu müssen. Hier besteht erfahrungsgemäß eine hohe Unsicherheit darüber, wie mit dieser Information seitens dieser Stellen umgegangen wird.
Aber selbst gegenüber den „Betroffeneneinrichtungen“, also den Beratungseinrichtungen für LGBTIQ* in München fällt ein Offenlegen der erfahrenen Gewalt offenbar nicht leicht. Dies dürfte seine Ursachen auch in Scham und Selbstverunsicherung über das Geschehene haben.
Neben den tatsächlich stattgefundenen Straftaten kann verzeichnet werden, dass es aufgrund der Veränderungen im Glockenbachviertel, dem traditionellen „Heimatviertel“ der Community, zu einer stärkeren „gefühlten Unsicherheit“ im öffentlichen Raum kommt. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass es einerseits immer weniger Einrichtungen mit LGBTIQ*-Bezug im Viertel gibt und andererseits das Glockenbachviertel zueinem „Ausgeh- und Partyviertel“ in Verlängerung der sogenannten „Feierbanane“ geworden ist. Hierbei lösen die ins Viertel strömenden Gruppen von meist jungen Menschen, die keinen Bezug zur LGBTIQ*-Community haben, oftmals ein Gefühl der Unsicherheit aus, auch ohne dass es zu konkreten Straftaten kommt. Hinzu kommen jedoch auch tatsächlich stattfindende Anpöbeleien oder Beleidigungen vor Szeneeinrichtungen.
Die Landeshauptstadt München arbeitet seit vielen Jahren daran, die Akzeptanz von LGBTIQ* in München zu erhöhen. Beispielsweise kann hierfür angeführt werden die „Respektkampagne“, die die Koordinierungsstelle gemeinsam mit Communityeinrichtungen im Glockenbachviertel durchgeführt hat. Zudem finanziert die Landeshauptstadt München eine halbe Planstelle für das Antigewaltprojekt im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum München, Sub e.V., einem Beratungs- und Unterstützungsangebot für schwule Männer mit Gewalterfahrungen.
Auch in der aktuell vom Stadtjugendamt geplanten Kampagne „Nein heißt nein“ ist geplant, das Personal von gastronomischen Einrichtungen im Glockenbachviertel zum Thema LGBTIQ* zu schulen.
Aus Sicht der Koordinierungsstelle wäre es sinnvoll, einerseits vertrauensbildende Maßnahmen zwischen LGBTIQ*-Community und Sicherheits-
behörden durchzuführen, um das Anzeigeverhalten bezüglich erlebter Straftaten zu verbessern. Erste Versuche in diese Richtung gibt es bereits. So hat das Polizeipräsidium München einen Flyer mit Informationen für Geschädigte rechter, rassistischer oder antisemitischer Straftaten herausgegeben, in dem auch die Beratungsstellen von Sub e.V. und Lesbentelefon e.V. aufgeführt sind.
Andererseits wäre es wichtig, dass auch die Beratungseinrichtungen für LGBTIQ* ihr diesbezügliches Angebot verstärkt und dauerhaft präsent in die Community kommunizeren. Die Koordinierungsstelle ist gerne bereit, dies zu unterstützen.
Aufgrund der nicht belastbaren Datenlage zum Thema Hasskriminalität gegen LGBTIQ* erscheint die Durchführung eines Stadtratshearings daher derzeit nicht zielführend. Die Koordinierungsstelle ist jedoch zu diesem Thema in Kontakt mit den Beratungseinrichtungen für LGBTIQ* in München. Um die Wahrnehmungen und Erfahrungen zu dieser Thematik zu bündeln und nach weiterführenden Strategien (wie z. B. einer ständigen Kampagne innerhalb der Community) zu suchen, wird die Koordinierungsstelle in Zusammenarbeit mit dem Kreisverwaltungsreferat auf das Polizeipräsidium München zugehen und entsprechende Gespräche führen. Ziel dieser Gespräche soll sein, über vertrauensbildende Maßnahmen dasAnzeigeverhalten von LGBTIQ* zu verbessern. In diese Gespräche können bei Bedarf auch die Beratungsstellen für LGBTIQ* einbezogen werden.
Von den vorstehenden Ausführungen bitte ich Kenntnis zu nehmen und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.