Vision Zero II – „Rundum Grün“ für FußgängerInnen und RadfahrerInnen an Ampelkreuzungen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Kathrin Abele, Gerhard Mayer, Bettina Messinger, Cumali Naz, Jens Röver, Helmut Schmid, Julia Schönfeld-Knor und Christian Vorländer (alle SPD-Fraktion),Dr. Reinhold Babor, Sabine Bär, Kristina Frank, Dr. Evelyne Menges, Manuel Pretzl, Johann Sauerer, Sebastian Schall und Thomas Schmid (alle CSU-Fraktion) vom 16.5.2018
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Nach Paragraph 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Ihr Antrag lautet, die Stadtverwaltung solle prüfen, an welchen Kreuzungen in der Stadt das „Rundum-Grün“ für FußgängerInnen und RadfahrerInnen bei der Verkehrssteuerung und der Ampelschaltung realisiert werden könne.
Als Begründung führen Sie dabei an:
„Das ‚Rundum-Grün für Fußgängerinnen und Fußgänger‘ ist eine aus den Vereinigte Staaten (scramble crosswalk) stammende Regelung der Verkehrsführung, welche die Rot- und Grün-Phasen an Ampelkreuzungen so steuert, dass es eine separate Grün-Phase für Fußgänger und Radfahrer gibt. So kommt es zu keiner Vorfahrts- oder Abbiegekonkurrenz mit Autofahrern. Die Fußgänger und Radfahrer haben so die Möglichkeit, die Fahrbahn auch gefahrlos diagonal zu queren.“
Das Kreisverwaltungsreferat als Straßenverkehrsbehörde trifft Maßnahmen auf öffentlichem Verkehrsgrund nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Vollzug der Straßenverkehrsordnung ist eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Artikel 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und Paragraph 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist rechtlich nicht möglich.
Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftweg zu beantworten und möchte mich zunächst ausdrücklich für die gewährte Fristverlängerung bedanken.
Zu Ihrem Antrag teile ich Ihnen Folgendes mit:Die „Richtlinien für Lichtsignalanlagen – Ausgabe 2015“ (kurz RiLSA) sind verbindliche Grundlage für die Gestaltung der Abläufe an Lichtsignalanlagen (LSA).
In den RiLSA wird unter „2.3.1.1 Grundsätzliche Überlegungen“ ausgeführt:
„Bei der Phaseneinteilung sind verträgliche, nichtverträgliche und bedingt verträgliche Verkehrsströme zu unterscheiden. Verträgliche Verkehrsströme haben keine gemeinsamen Konfliktflächen und können in einer Phase zusammengefasst werden. Nichtverträgliche Verkehrsströme haben eine gemeinsame Konfliktfläche und müssen getrennt freigegeben werden.“
In den RiLSA wird lediglich der Fall „Radfahrer räumen“ als bedingt verträglich zu einfahrenden Radfahrern sowie einlaufenden Fußgängern erwähnt. „Räumen“ bedeutet, dass nach Umschalten des Grünsignals auf Gelb und/oder Rot noch die sogenannte Zwischenzeit verstreichen muss, bis ein nichtverträglicher Verkehrsstrom freigegeben werden darf. In München wird diese Ausnahmeregelung beim Räumen jedoch zur Unterstützung der Verkehrssicherheit nur in seltenen Ausnahmefällen angewendet. Dieser Ausnahmefall erlaubt jedoch nicht die gleichzeitige Freigabe nichtverträglicher Rad- und Fußverkehre durch Grünlicht.
Somit scheidet die gemeinsame Freigabe von Radlern und Fußgängern in einer „Rundum Grün“ Phase aus, denn die Konfliktfälle Radfahrer vs. Fußgänger und Radfahrer vs. Radfahrer fallen in die Kategorie der nichtverträglichen Verkehrsströme, sofern sich deren Wege auf den Konfliktflächen kreuzen.
Eine „Rundum-Grün“ Phase ist ausschließlich für Fußgänger realisierbar. Unsere Recherchen aufgrund des im Stadtratsantrags hergestellten Bezugs auf den „scramble crosswalk“ in den USA ergaben, dass es sich dort – aber auch in anderen Ländern – ausschließlich um eine Freigabe des Fußgängerverkehrs handelt. Eine gemeinsame Freigabe von Fußgängern und Radfahrern konnten wir nicht finden.
„Rundum-Grün“ Phasen für Radfahrer wären auch ohne die Vorgaben der RiLSA aufgrund der Geschwindigkeiten, dem zunehmenden Einsatz von E-Bikes sowie Lastenrädern und der immer weiter wachsenden Anzahl von Radlern kaum denkbar, da die ungeordneten Radfahrerströme untereinander zu Gefährdungen führen würden.An einer durchschnittlichen vierarmigen Kreuzung, wird der Verkehr in der Regel mit zwei Phasen (Haupt- und Nebenrichtung einschließlich der bedingt verträglichen, parallel verlaufenden Fußgänger- und Radfahrerströme) geregelt. Eine jeweils vom Kraftverkehr getrennte Führung von Fußgängern und Radfahrern würde eine Regelung mit fünf Phasen erfordern:
1. „Rundum-Grün“ für Fußgänger
2. Hauptrichtung Radverkehr
3. Hauptrichtung Kraftverkehr
4. Nebenrichtung Radverkehr
5. Nebenrichtung Kraftverkehr
Sollten lediglich Radfahrer getrennt vom Kraftverkehr geschaltet werden, wären immer noch vier (siehe oben 2. bis 5.) anstatt zwei Phasen zu schalten. Zu erwarten ist dabei auch, dass die Rotlichtakzeptanz des parallel zum gerade freigegebenen Kraftverkehr wartenden Radverkehrs nicht sehr ausgeprägt sein dürfte.
Jede zusätzlich geschaltete Ampelphase nimmt Zeit in Anspruch, die den anderen Verkehrsströmen weggenommen werden muss. Das bedeutet erhebliche Leistungsminderungen. Im zu den Stoßzeiten praktisch stets überlasteten Hauptstraßennetz, würde die Einführung solcher Regelungen und der damit verbundene Leistungsverlust zu gravierenden weiteren Behinderungen und Staubildungen führen, die aufgrund des induzierten zusätzlichen Ausweichverkehrs auch schwerwiegende Auswirkungen auf das restliche Straßennetz Münchens, einschließlich der Tempo-30-Zonen und Wohngebiete hätte.
Ebenso würde der ÖPNV gravierend beeinträchtigt werden – hauptsächlich die auf gemeinsamen Fahrbahnen mit dem Kraftverkehr geführten Busse würden, aller Anstrengungen zur ÖPNV-Beschleunigung an Lichtsignalanlagen zum Trotz, mit in den verstärkten Stauungen stehen müssen. Die Attraktivität des ÖPNV würde dabei gemindert werden.
Eine weitere Folge wäre die mit zusätzlichen Stauungen einhergehende Erhöhung der Emissions- und Immissionsbelastung.
Die vorgeschlagene Regelung könnte ausschließlich an sehr gering verkehrsbelasteten Kreuzungen umgesetzt werden. Hier würden zusätzliche Ampelphasen zu erhöhten Wartezeiten führen. Gleichzeitig würde jedoch bei geringem Kraftverkehrsaufkommen die Rotlichtmissachtung durch Fußgänger und Radler provoziert werden. Auf Fahrradstreifen oder Radwegengeführter Radverkehr müsste dann beispielsweise bei Rot warten, solange paralleler Kraftverkehr Grün hat oder während die „Rundum-Grün“ Phase der Fußgänger stattfindet.
Die Untersuchung „Diagonalquerung“ des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (1/2012) endet mit dem Fazit „Diagonalquerungen können Unfälle zwischen abbiegenden Fahrzeugen und Fußgängern wirkungsvoll verhindern. Diese Art der Signalisierung hat jedoch keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen zwischen Kraftfahrzeugen. Längere Wartezeiten für Fußgänger und Autofahrer müssen in Kauf genommen werden. Radfahrer verleitet Diagonalgrün zu häufigeren Rotlichtverstößen“
Zusammenfassend sprechend sprechen folgende Gründe gegen ein
„Rundum-Grün für Fußgänger und Radfahrer“:
-Die Richtlinien zur Planung von Lichtsignalanlagen lassen für diesen Fall kein gleichzeitiges Grün für Fußgänger und Radfahrer zu
-Die für „Rundum-Grün“ erforderlichen zusätzlichen Ampelphasen führten in vielen Fällen zu längeren Wartezeiten für alle Verkehrsteilnehmer -Die für „Rundum-Grün“ erforderlichen zusätzlichen Ampelphasen führten in vielen Fällen zu zusätzlichen oder längeren Staus und damit zu zusätzlicher Umweltbelastung sowie zur Beeinträchtigung der ÖPNV-Beschleunigung
-Durch die erforderliche getrennte Freigabe von Fußgängern und Radfahrern käme es zu mehr Rotlichtverstößen durch Radfahrer und damit verbundenen Sicherheitsrisiken
Das Kreisverwaltungsreferat kann deshalb der Forderung nach „Rundum-Grün für Fußgänger und Radfahrer“ nicht entgegenkommen.
Das KVR sieht in den sogenannten Abbiegeassistenten für LKW das wirkungsvollste Instrument, mit dem die Sicherheit der Radfahrer erhöht werden kann. Hierzu haben sich die EU-Gesetzgeber zwischenzeitlich auf neue Regeln geeinigt. Geplant ist, dass auf europäischer Ebene ein verpflichtender Einbau von Abbiegeassistenten in Lastwagen und Bussen ab 2022 in allen neuen Fahrzeugtypen und ab 2024 in allen Neufahrzeugen erfolgen muss.
Ich hoffe, dass der Intention Ihres Antrages mit den obigen Ausführungen ausreichend Rechnung getragen werden konnte, bitte, von den Ausführungen Kenntnis zu nehmen und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.