Unser Wasser schützen – Einsatz gegen Mikroplastik intensivieren
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Kathrin Abele, Ulrike Boesser, Verena Dietl, Dr. Ingo Mittermaier, Christian Müller, Cumali Naz, Heide Rieke, Jens Röver, Klaus Peter Rupp, Julia Schönfeld-Knor und Birgit Volk (SPD-Fraktion) vom 30.4.2019
Antwort Baureferentin Rosemarie Hingerl:
In Ihrer Anfrage haben Sie um die Beantwortung mehrerer Fragen rund um das Thema Mikroplastik in der Umwelt gebeten. Da die Fragen mehrere Bereiche der Münchner Stadtverwaltung betreffen, wurden die Fragen von den jeweils betroffenen Referaten beantwortet und sind nachfolgend zitiert.
Frage 1:
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse existieren zum Vorkommen von Mikroplastik und Reifenabrieb in Gewässern, im Grundwasser und in der Umwelt?
Antwort Referat für Gesundheit und Umwelt:
Die Auswirkungen von Mikroplastik auf Gewässer, Grundwasser sowie Umweltorganismen sind noch unzureichend erforscht. Gelangen Kunststoffe in die Umwelt, so verbleiben sie dort aufgrund ihrer Stabilität und Beständigkeit über lange Zeit. Kunststoffabfälle können dabei durch Abschwemmung (Wasser) und Abdrift (Wind) über weite Strecken verteilt werden. Durch den Abrieb und die Erosion entstehen im Laufe der Zeit aus größeren Kunststoffteilchen immer kleinere Bruchstücke und somit Mikroplastik. Mikroplastik findet sich jedoch auch in Duschgels, Shampoos, Peelings und Zahnpasta als Füll- oder Schleifstoff, um die Produkteigenschaften zu verbessern. Über das Abwasser gelangen diese Partikel oft in die Umwelt und somit in die Oberflächengewässer, da Kläranlagen diese Mikropartikel nicht komplett filtern können.
Trinkwasserbrunnen in der Nähe von Oberflächengewässern sind durch die Bodenmatrix geschützt, da diese das infiltrierende Wasser filtern und dabei Viren, Bakterien sowie kleinste Partikel, wie Mikroplastik zurückhalten können. Im Allgemeinen bilden Böden und Sedimente für die Ausbreitung von Partikeln und Schadstoffen ins Grundwasser eine wirkungsvolle natürliche Barriere. Die Bodenmatrix schützt in der Regel als deckende Schicht das Grundwasser vor dem Eintrag von Mikroplastikteilchen. Das Risiko der Weiterverlagerung von Mikroplastikpartikeln ins Grundwasser hängt deshalb im Wesentlichen ab von den Partikeleigenschaften (z. B. Größe, Form,Oberfläche, Ladung, Dichte) und von Faktoren, die die Filterwirkung von Böden und Sedimenten beeinflussen (z. B. Korngrößenverteilung, organischer Anteil, Wassersättigung, Fließgeschwindigkeit u. a.).
Frage 2:
Welche Ursachen existieren für die Verschmutzung der Isar durch Mikroplastik?
Antwort Referat für Gesundheit und Umwelt:
Mikroplastik findet sich in Kosmetika als Füll- oder Schleifstoff sowie als Vektor in Arzneimittelstoffen vor. Nach der Anwendung gelangen diese Stoffe in den Abfluss und damit in die Kanalisation. In der Kläranlage können diese Mikropartikel nicht komplett gefiltert werden.
Die größeren Kunststoffteilchen bleiben oft im Klärschlamm hängen, jedoch können kleinere Teilchen (Mikroplastik) in die Oberflächengewässer gelangen, da diese derzeit nicht vollständig gefiltert werden können. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich auch in der Isar als Vorfluter Mikroplastik anreichert.
Chemische Untersuchungsergebnisse zur Anzahl der Mikroplastikteilchen in der Isar liegen dem RGU nicht vor. Die Untersuchungen erfolgten durch das Landesamt für Umwelt, da der Freistaat Bayern für Gewässer 1. Ordnung zuständig ist. Danach wurden an ausgewählten Fließgewässern Mikroplastikpartikel nachgewiesen. Die Studie weist allerdings darauf hin, dass es sich jeweils um Einzelmessungen handelt und lediglich Momentaufnahmen darstellen können.
Frage 3.1:
Wie erfolgreich können Mikroplastikpartikel, die in die Kanalisation gelangt sind, durch die Münchner Klärwerke zurückgehalten werden?
Antwort Münchner Stadtentwässerung:
Verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen, dass konventionelle Kläranlagen einen Großteil des Mikroplastiks im Abwasser zurückhalten können. Aufgrund einer vergleichenden Analyse verschiedener Studien schätzt das Fraunhofer Institut für Umwelt, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT die massebezogene Abscheideeffizienz von Kläranlagen für Mikroplastik auf 95 % und für Makroplastik auf nahezu 100 %.
Die Münchner Stadtentwässerung (MSE) reinigt das Abwasser in beiden Klärwerken durch mechanische und biologische Reinigungsstufen. Ergänzt werden diese Verfahrensschritte durch eine weitergehende Abwasserreinigung in Sandfiltrationsanlagen. Im Sinne des Gewässerschutzes betreibt die MSE, bereits seit ca. 30 Jahren, im Klärwerk Gut Marienhof eine Sandfiltration zum Rückhalt von abfiltrierbaren Stoffen. In der Fachwelt wird aktuell davon ausgegangen, dass sich solche Sandfilter auch positiv auf den Rückhalt von Mikroplastikpartikel auswirken.
Aufgrund der komplexen Stoffzusammensetzung des Abwassers ist es derzeit weltweit auf Kläranlagen nicht möglich, konkrete Bilanzierungen (Zu- und Ablauf) der abgeschiedenen Mikroplastikfracht darzustellen. Hinzu kommen fehlende Standards für Probenahmen und Analysen, die eine Vergleichbarkeit der verschiedenen veröffentlichten Studien erschweren. Auch fundierte Erkenntnisse, welche Verfahren sich für eine zusätzliche Verbesserung der Abwasserreinigung im Hinblick auf den Mikroplastikrückhalt am besten eignen, liegen bisher nicht vor.
Um sich geordnet den vielen offenen Fragestellungen zu nähern, ist die Münchner Stadtentwässerung zu diesem Thema im regen Austausch mit Behörden und Fachausschüssen und als assoziierter Partner an drei Forschungsprojekten (PLASTRAT, MiPAq und SubμTrack) beteiligt.
Frage 3.2:
Wie bewertet die Stadtverwaltung die von dem Bayerischen Startup „ECOFARIO“ entwickelte Technologie, wonach Klärwasser innerhalb eines trichterförmigen Gefäßes stark zirkuliert und somit Kleinstpartikel separiert werden können?
Sollte der Ansatz vielversprechend sein – inwieweit könnte die Technologie perspektivisch testweise in einer der Münchner Anlagen zum Einsatz kommen?
Antwort Münchner Stadtentwässerung:
Ein informatives Gespräch mit dem Unternehmen ECOFARIO hat am
30.4.2019 stattgefunden.
Das Unternehmen hat der Münchner Stadtentwässerung (MSE) die patentierte Weiterentwicklung eines konventionellen Hydrozyklons, den „High-G-Separator“, vorgestellt. Bisher wurden in der Versuchsanlage des Unternehmens ECOFARIO mit einem Modell im Maßstab 1:4 Versuche zum Rückhalt von Kunststoffpartikeln durchgeführt und bewertet.
In den Versuchsreihen wurden Trinkwasser (kein Abwasser) definierte Mengen Kunststoffpartikel in verschiedenen Größenfraktionen zudosiert und der Rückhalt durch Wägung der behandelten Wasserprobe bestimmt. Versuche mit realem Abwasser und etablierten Analyseverfahren (z. B. FTIR-/Raman-Spektroskopie) wurden mit dem Modell in der ECOFARIO-Versuchsanlage bisher noch nicht durchgeführt. Das Unternehmen bemüht sich aktuell um eine Finanzierung eines Prototypen im Maßstab 1:1. Zum aktuellen Zeitpunkt kann die Münchner Stadtentwässerung die Technik des „High-G-Separators“ nicht abschließend bewerten. Um denMikroplastikrückhalt auch für kommunal geprägtes Abwasser belegen zu können, hat die MSE dem Unternehmen ECOFARIO angeboten, reale Abwasserproben aus dem Klärwerk Gut Großlappen für weitere Versuche zur Verfügung zu stellen.
Frage 4:
Welche baulichen und technischen Maßnahmen sind denkbar, um das Eintragen von unbehandeltem Straßenablaufwasser in die Isar zu reduzieren?
Antwort Baureferat:
Dem Baureferat sind Filtersysteme zum Rückhalt von Reifenabrieb, die direkt in konventionelle Straßensinkkästen (Gullys) eingebaut werden können, bekannt.
Zur Entwässerung von Straßen auf Bücken sind jedoch aufgrund der geringen verfügbaren Einbautiefe regelmäßig spezielle Straßensinkkästen mit geringer Bauteilhöhe erforderlich.
In diese können entsprechende Filtersysteme aufgrund des Platzbedarfes nicht eingebaut werden.
Frage 5:
Welchen Mehraufwand würde vor größeren Niederschlagsereignissen die zusätzliche Reinigung von Brücken über Gewässer erzeugen?
Antwort Baureferat:
Eine zusätzliche Reinigung von Brücken ausschließlich vor größeren Niederschlagsereignissen ist aufgrund der Nichtplanbarkeit betrieblich nicht umsetzbar. Es müssten somit turnusmäßige Zusatzreinigungen eingeführt werden. Art und Umfang dieser Zusatzreinigungen und somit der Mehraufwand können jedoch erst nach den Ergebnissen des in Frage sieben aufgeführten Forschungsprojektes „RAU – Reifenabrieb in der Umwelt“ näher bestimmt werden.
Frage 6:
Wie rasch können Fahrbahnbrücken, deren Entwässerung bislang nicht über die städtische Kanalisation erfolgt, an das Münchner Kanalsystem an- geschlossen werden?
Antwort Baureferat:
Da die Entwässerungsleitungen, speziell bei den steinernen Isarbrücken mit Bogentragwerk, aus Gründen des Denkmalschutzes nur innerhalb des Bauwerkes verlegt werden können, sind diese Maßnahmen, soweit es die örtlichen Verhältnisse (Gefälle) zulassen, nur im Rahmen von Instandset-zungsprojekten, wie jetzt bei den Ludwigsbrücken vorgesehen, durchführbar.
Frage 7:
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die TU Berlin arbeiten an einem Projekt mit dem Titel „RAU – Reifenabrieb in der Umwelt“ (Laufzeit 1.8.2017 – 31.7.2020). Ziel dieses Projektes ist es, den Eintrag von Reifenmaterial in die Straßenabläufe und damit auch in Flüsse und Seen zu ermitteln, zu bilanzieren und zu bewerten. Im Rahmen dieses Projektes wurde im vergangenen Jahr eine Technik entwickelt, mit der Reifenabrieb gemessen werden kann.
Würde sich diese Messtechnik eignen, auf Münchens Straßen sowie im Straßenablaufwasser Untersuchungen vorzunehmen?
Antwort Baureferat:
Im Rahmen des Forschungsprojektes „RAU“ wurde an der TU Berlin ein spezieller Probenahmekorb entwickelt, der die im Straßenabfluss enthaltenen Feststoffe nach Partikelgrößen fraktioniert zurückhält. Für die Bilanzierung, d. h. für die Bestimmung des Reifenabriebs pro Kfz, werden an den Probenahmestellen kontinuierlich hydraulische Daten (Durchfluss- und Abflussmengen), meteorologische Daten (Niederschlagsmengen) sowie Verkehrsdaten (Verkehrsmengen) erhoben. Zusätzlich werden regelmäßig Straßenkehrichtproben gesammelt, um auch „trockene“ Depositionen zu erfassen. Sämtliche anorganischen (z. B. Sand) und organischen Fremdstoffe (z. B. Pflanzenreste) werden dann durch aufwändige chemischphysikalische und enzymatische Verfahren aus den Proben entfernt, bevor die eigentliche Detektion von definierten Parametern des stofflich komplex zusammengesetzten Gummi- und Straßenabriebs mit einer Kombination verschiedener Analysemethoden erfolgen kann.
Mit diesen Daten kann dann der Reifenabrieb pro Kfz quantifiziert werden. Erste Ergebnisse der Untersuchungen aus Berlin sind bis 2020 zu erwarten.
Mit diesem umfangreichen Untersuchungs- und Messprogramm werden
alle wesentlichen Aspekte und Randbedingungen betrachtet, um die erzielten Ergebnisse auch auf andere Städte und Straßenverhältnisse, z. B. in München übertragbar zu machen. Ein vergleichbares Projekt in München würde nach Einschätzung der TU München aus wissenschaftlicher Sicht keinen wesentlichen zusätzlichen Erkenntnisgewinn für die Stadt München erbringen. Vielmehr sollten die Ergebnisse aus Berlin abgewartet werden, um dann entsprechende Schlüsse für die Situation in München ziehen zu können.Das Baureferat wird die aktuellen Forschungsarbeiten der TU Berlin im Rahmen des Verbundprojektes „RAU“ weiter verfolgen, um die dort gewonnenen Erkenntnisse bei der Umsetzung von möglichen zukünftigen Projekten in München einfließen zu lassen.
Frage 8:
Liegen Erkenntnisse vor, dass von den städtischen Kunstrasenplätzen Mikroplastik in die Umwelt und in den Wasserkreislauf gelangt? Falls von einem Einbringen in die Natur auszugehen ist, wie kann dies verhindert werden?
Antwort Referat für Gesundheit und Umwelt:
Es gibt eine Studie des Fraunhofer Instituts zum Thema Kunststoffe in der Umwelt aus dem Jahr 2018. Nach der Studie stellen Sportplätze mit Kunstrasen eine bedeutende Quelle für primäres Mikroplastik dar. Das Problem sei nicht der Rasen selbst, sondern seine Stabilisierung durch Granulate aus Gummi und anderen Kunststoffen. Diese Stoffe können durch Verwehungen auch in die Umwelt gelangen. Nicht beziffert und hinreichend untersucht sind bislang die im Wasserkreislauf befindlichen Mengen und Qualitäten an Kunststoffen und Mikroplastik. Noch weitgehend ungeklärt sind auch die langfristigen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt. Das Problem an der Studie ist, dass sie sich teilweise nur auf wissenschaftliche Befragungen von zahlreichen Wissenschaftlern stützt und weniger auf das Auswerten von experimentellen Daten.
Frage 9:
Wird auf städtischen Kunstrasenplätzen Gummigranulat eingesetzt? Falls ja, welche Alternativen existieren?
Antwort Referat für Bildung und Sport und Baureferat:
Die LHM setzt auf ihren Freisportanlagen auch Kunstrasenplätze mit einer Gummigranulatfülllung ein und zwar immer dort, wo Plätze so intensiv genutzt werden, dass ein Naturrasenbelag dieser Belastung nicht Stand halten kann. Die Frage nach möglichen Alternativen zum Gummigranulat befindet sich in gemeinsamer Abstimmung und Prüfung zwischen dem Referat für Bildung und Sport für die sportfachlichen Belange und dem Baureferat bezüglich der bautechnischen Aspekte. Hierzu liegen auch Stellungnahmen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des
Deutschen Fußball-Bundes e. V. (DFB) vor, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik wünschen und hierfür einen mehrjährigen Untersuchungszeitraum zu der Thematik Kunstrasen von bis zu sechs Jahren als notwendig erachten.