SWM: Lokal handeln, statt global zu investieren I – Nehmen die SWM den Widerstand gegen Windparks in Norwegen ernst?
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Rathaus Umschau 133 / 2019, veröffentlicht am 16.07.2019
SWM: Lokal handeln, statt global zu investieren I – Nehmen die SWM den Widerstand gegen Windparks in Norwegen ernst?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 8.5.2019
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 8.5.2019 führten Sie als Begründung aus:
„Während in der Region München seit Jahren kaum in die Potentiale erneuerbarer Energien investiert wurde, werden durch die Stadtwerke München (SWM) europaweit Großprojekte vorangetrieben, auch gegen den Willen der dortigen Bevölkerung. Die SWM handeln immer mehr wie ein von Profitmaximierung getriebener und global agierender Energiekonzern. Es wird weltweit in Großprojekte investiert statt lokal zu handeln und eine dezentrale Energiewende einzuleiten.
In den letzten Tagen und Wochen standen die Windparkprojekte der SWM in Norwegen im medialen Fokus. Im gemeinsamen Joint Venture mit TrønderEnergi halten die SWM 70 Prozent der Anteile. Geschäftsführer der gemeinsamen Holding ist der frühere Investmentdirektor der SWM. Aktuell wird der Beginn der Errichtung des Windparks auf der Insel Frøya durch den Protest der ansässigen Bevölkerung verhindert. Dieser entfachte sich vor allem nach Bekanntwerden der Dimensionen des Projektes. In einem Referendum sprachen sich 78 Prozent der Bevölkerung gegen das Großprojekt aus. Auch der örtliche Gemeinderat hat sich mit großer Mehrheit gegen die Ausmaße des Projektes gestellt. Am heutigen Mittwoch bringen die Bewohner von Frøya den Protest vor das 500 Kilometer entfernte norwegische Parlament in Oslo. Die Bevölkerung Frøyas scheint entschlossen, das Projekt zu verhindern.
Eine erfolgreiche Energiewende kann nur unter Beteiligung der Menschen vor Ort geschehen. Die Entwicklungen in Frøya erzeugen jedoch den Eindruck, dass die SWM die Sorgen der Menschen vor Ort nicht ernst nehmen.“
Die in Ihrer Anfrage gestellten Fragen können anhand einer Stellungnahme der SWM wie folgt beantwortet werden:
Frage 1:
Wie ist der aktuelle Stand der Errichtung des Windparks in Frøya?
Antwort der SWM:
Der Baubeginn für das Projekt ist am 1. April 2019 erfolgt. Nach einer Blokkade der Zufahrtsstraße durch Demonstranten hat die Gemeinde Frøya zunächst einen Baustopp verhängt, der am 10. Mai 2019 vom Gouverneur der Provinz („fylkesmannen“) für unzulässig erklärt wurde. Die Bauarbeiten wurden danach unverzüglich wieder aufgenommen. Überraschend hat am 27. Mai 2019 das Ministerium für „Local Government and Modernization“ (Kommunalministerium) auf Antrag der Gemeinde eine Überprüfung der Entscheidung des Gouverneurs angekündigt und für die Zeit bis zur Entscheidung ein Aussetzen der Bautätigkeit verfügt. Inzwischen hat das Kommunalministerium die Entscheidung des Gouverneurs bestätigt und den Baustopp wieder aufgehoben. Nachdem nun zum zweiten Mal die Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens bestätigt wurde, können die Bauarbeiten somit fortgesetzt werden.
Frage 2:
Wann wurden die endgültigen Ausmaße des Windparks Frøya der Öffentlichkeit dargestellt?
Antwort der SWM:
Die Planungen für das Windparkprojekt in Frøya haben 2003 – weit vor der Beteiligung der SWM im Jahr 2018 – begonnen. Die Initiative ging dabei von der Gemeinde Frøya selbst aus. Ursprünglich war für das Projekt eine installierte Leistung von 200 Megawatt vorgesehen. Im Rahmen des Genehmigungsprozesses durch die zuständige Behörde des Norwegischen Energieministeriums (NVE) wurde die Planung an die örtlichen Begebenheiten angepasst und auf eine installierte Leistung von nun 60 Megawatt deutlich reduziert. Die Genehmigung für die Errichtung eines Windparks mit 60 Megawatt wurde im Jahr 2012 erteilt, die abschließende Umsetzungsgenehmigung („Detailed MTA Plan“), die die Einzelheiten der Bauausführung regelt, wurde am 28. März 2019 gewährt.
Das letzte öffentliche Treffen („public meeting“) vor Baubeginn fand im Januar 2019 statt. Bei diesem Treffen wurde auch die aktuellste Realisierungsplanung vorgestellt.
Frage 3:
War den SWM das Ausmaß des Protestes der Bevölkerung von Frøya bekannt, als die Verträge mit TrønderEnergi geschlossen wurden?
Antwort der SWM:
Nein, den SWM lagen keine Hinweise auf Proteste der Bevölkerung vor.
Frage 4:
Haben die SWM bzw. TrønderEnergi in der Planungsphase aktive Schritte unternommen, um die ansässige Bevölkerung ernsthaft zu beteiligen? Falls ja: Wie haben sich die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung auf das Ergebnis ausgewirkt?
Antwort der SWM:
In Norwegen gibt es ein sehr strenges rechtsstaatliches Genehmigungsverfahren für Windparks, welches alle Belange der unterschiedlichen Interessenträger bestmöglich berücksichtigt und in Ausgleich bringt. Es werden daher auch viel mehr Projektanträge abgelehnt, als genehmigt. Nur die Projekte, die in ihrer Gesamtheit ein besonders vorteilhaftes Verhältnis zwischen grüner Stromproduktion und Einschränkungen für Natur und Nachbarschaft aufweisen, erhalten eine Genehmigung und dürfen gebaut werden.
In den Jahren der Projektentwicklung und Genehmigungserteilung stand TrønderEnergi im dauernden Austausch mit Bürgern, Landeigentümern und den Vertretern der Kommune Frøya. Treffen fanden mindestens jährlich statt. In 2018 wurde die Abstimmung insbesondere mit der Kommune Frøya noch einmal deutlich intensiviert – man stand in einem engen Austausch.
Das Projekt hat sich im Verlauf der Entwicklung und Genehmigung deutlich verändert. Die ursprünglich geplanten und beantragten 200 Megawatt installierter Leistung wurden in dieser Zeit auf die aktuell im Bau befindlichen rund 60 Megawatt reduziert. Diese Anpassungen sind nicht ausschließlich – aber auch – auf die Bürgerbeteiligung im Rahmen des Genehmigungsprozesses durch das NVE zurückzuführen.
Frage 5:
Stimmt es, dass Frøya in einem Naturschutzgebiet (norwegisch LNF-område) liegt? Wenn ja, war dies den SWM bei Vertragsabschluss bekannt? Graciela Rusch, eine der führenden Wissenschaftlerinen, die den kürzlich erschienenen UN-Bericht zum Artensterben verfasst haben, erwähnte in einem kürzlich erschienenen Interview die Gefahr für die Artenvielfalt an der norwegischen Küste durch Windparks. Sie ging dabei speziell auf die Insel Frøya ein. Haben diese Erkenntnisse Einflüsse auf die Durchführung des Windparkprojektes in Frøya?
Antwort der SWM:
Vorweg: Bei LNF Gebieten handelt es sich nicht um Naturschutzgebiete. LNF (=Landbruk, Natur og Friluftslivsområde) beschreibt Gebiete, die für landwirtschaftliche Nutzung sowie Natur- und Freiluftaktivitäten (Freizeit)vorgesehen sind. In Norwegen müssen alle Flächen bestimmten
Nutzzungsklassen zugeordnet werden. Die Zuordnung LNF nimmt hierbei oftmals eine Sammelfunktion wahr und fasst Gebiete zusammen, die keiner expliziten Nutzung zugewiesen werden. Um in einem LNF Gebiet einen Windpark zu errichten, bedarf es einer förmlichen Befreiung („Dispensation“) durch die Kommune. Diese wurde durch die Kommune Frøya – entsprechend der üblichen Regelungen des norwegischen Baurechts mit einer Befristung für 3-Jahre – erteilt.
Das Vorliegen einer „Dispensation“ durch die Kommune Frøya war im Rahmen der Transaktionsprüfung bekannt geworden. Es handelt sich hierbei um ein übliches Vorgehen. Der Schutz der Artenvielfalt ist eine der Dimensionen, die während des Genehmigungsprozesses durch die genehmigende Behörde detailliert und streng untersucht wird. Hierbei bedient sich die Genehmigungsbehörde auch externer Gutachten. Die Genehmigung eines Windparks erfolgt grundsätzlich in Abwägung zwischen Nutzen für Klima und Versorgung mit erneuerbarer Energie auf der einen Seite und Auswirkungen auf die Natur und Nachbarschaft auf der anderen Seite. Die oben dargestellte Reduktion des Projektes von rd. 200 Megawatt installierter Leistung auf rund 60 Megawatt installierter Leistung trägt auch diesen Belangen Rechnung.
Frage 6:
Aufgabe der Stadt und ihrer Betriebe ist die kommunale Daseinsvorsorge. Dies gilt somit auch die für SWM. Inwiefern dient der Windpark in Frøya dieser Aufgabe? Hat der Windpark in Frøya Auswirkungen auf die Energiesicherheit Münchens?
Antwort der SWM:
Vorrang beim Ausbau der Erneuerbaren haben für die SWM weiterhin Projekte in München und der Region. So betreiben sie hier derzeit 24 Photovoltaikanlagen, 14 Wasserkraftanlagen, ein Hackschnitzel-Heizkraftwerk, eine Biogasaufbereitungsanlage, fünf Geothermieanlagen (zwei davon zur reinen Wärmeerzeugung) und eine Windkraftanlage. Weitere Anlagen sind in Planung.
Um ihr ehrgeiziges Ökostrom-Ausbauziel erreichen zu können (bis 2025 so viel Ökostrom zu erzeugen, wie ganz München benötigt), brauchen die SWM auch Projekte außerhalb Münchens. Denn hier vor Ort gibt es nicht genügend Potenzial, um den Strombedarf der Millionenstadt mit erneuerbaren Energien zu decken. Deshalb engagieren sich die SWM auch in Deutschland und Europa an den hierfür am besten geeigneten Standorten.Eingespeist wird der Strom dort, wo er produziert wird, u.a. um Verluste in den Leitungen durch lange Transportwege zu vermeiden. Das europäische Strom-Verbundnetz ist mit einem riesigen See zu vergleichen. Jeder, der Strom erzeugt, speist in diesen „Strom-See“ ein; jeder, der Strom verbraucht, entnimmt etwas. Jede regenerativ erzeugte Kilowattstunde macht den europäischen See sauberer und hilft dem Klimaschutz.
Die SWM sind der festen Überzeugung, dass die Energiewende notwendig ist. Daher ist es sinnvoll, die Nutzung erneuerbarer Energien weiter voranzubringen. Erneuerbare-Energie-Anlagen sind, egal wo sie errichtet werden, nicht immer unumstritten. Aber die Erzeugung von Ökostrom ist zur globalen Reduzierung der CO2-Emmissionen dringend nötig – übrigens gerade auch in Norwegen selbst: Im Norden des Landes gibt es derzeit zwar einen Überschuss an Strom aus Wasserkraft. Mittelnorwegen ist dagegen aber unterversorgt. Mittelfristig benötigt Norwegen 30 bis 50 Terrawattstunden (30 bis 50 Milliarden Kilowattstunden) zusätzlichen grünen Strom, um die eigenen Klimaziele zu erreichen. Die Regierung will die Windenergie ausbauen und hat am 1. April 2019 den sogenannten nationalen Rahmenplan für den weiteren Ausbau der Windkraft vorgestellt. Deutlich über 70 Prozent der Norweger befürworten den Ausbau der Windkraft an Land. Durch ihren Ausbau ergibt sich ein ideales Zusammenspiel von Wasser und Wind, sie stärkt die Energieautarkie Mittelnorwegens und sichert Norwegens Energiezukunft.
Die Beteiligungen an klimafreundlichen Energiegewinnungsanlagen außerhalb Münchens ist also genauso sinnvoll wie die in München. Denn ihr Umwelteffekt kommt auch den Münchnerinnen und Münchnern zugute. Allein durch die bereits produzierenden erneuerbaren Energien Anlagen der SWM werden jedes Jahr der Ausstoß von rund 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid und mehr als 2,2 Tonnen radioaktiver Abfall vermieden. Der Windpark Frøya hat keine direkten Auswirkungen auf die Energiesicherheit in München.
Frage 7:
Gibt es konkrete Pläne der SWM, das Projekt auf einen kooperativen Weg mit der Gemeinde Frøya und der Bevölkerung weiterzuführen?
Antwort der SWM:
Wie schon oben ausgeführt stand in den Jahren der Projektentwicklung und Genehmigungserteilung TrønderEnergi im dauernden Austausch
mit Bürgern, Landeigentümern und den Vertretern der Kommune Frøya. Derzeit bemühen sich TrønderEnergi und Midgard Vind Holding mit der Kommune und der Bevölkerung auf Frøya wieder kooperative Gesprächeaufzunehmen. Beide Unternehmen streben hierzu eine lösungsorientierte Information und einen transparenten Austausch über das „wie wird gebaut“ an. Derzeit sind Kommune und Gegner des Ausbaus erneuerbarer Energie nicht gesprächsbereit. Nachdem auch das Kommunalministerium nun bestätigt hat, dass alle Voraussetzungen für die Fortsetzung des Baus gegeben sind, wird auch die Kommunikation mit der Kommune und den Gegnern der Windkraft wieder aufgenommen. Ziel ist es, eine gemeinsame Basis zu finden. Es sollte nicht weiter darüber diskutiert werden ob der Windpark gebaut wird; sondern wie er so gebaut werden kann, dass es für Umwelt und Anwohner die geringsten Beeinträchtigungen mit sich bringt.“
Frage 8:
Wie schätzt die SWM den entstehenden Imageschaden und die möglichen finanziellen Folgekosten für die SWM und die Stadt München ein, wenn das Projekt ohne Kooperation mit der Gemeinde Frøya und der Bevölkerung weiter durchgezogen wird? Welche Auswirkungen könnte dies auf andere Projekte der SWM in Norwegen und Skandinavien haben?
Antwort der SWM:
Das kommunale Unternehmen Stadtwerke München gilt mit seiner Ausbauoffensive Erneuerbare Energien, die bereits im Jahr 2008 gestartet wurde, als einer der Vorreiter der Energiewende. Erneuerbare-Energie-Anlagen sind, egal wo sie errichtet werden, nicht immer unumstritten. Die globale Reduktion des klimaschädlichen CO2-Ausstosses ist jedoch das vordringlichste Ziel unserer Zeit und verzeiht keinen Aufschub.
Der Windpark Frøya, den die SWM gemeinsam mit ihrem norwegischen kommunalen Partner TrønderEnergi errichten, trägt zu eben dieser globalen CO2-Reduktion bei. Die Genehmigung für den Windpark wurde nach einer jahrelangen, detaillierten und strengen Prüfung durch eine staatliche norwegische Behörde, die NVE, erteilt. Dies ist Fakt und sollte in der Debatte nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden.
Die SWM befürchten weder Auswirkungen auf andere Projekte, noch befürchten sie einen Imageschaden. Dem entgegen stehen auch die jüngsten Ergebnisse des BDEW Kundenfokus, bei dem die SWM Spitzenwerte attestiert bekamen in der Beurteilung als ökologisch verantwortungsvolles Unternehmen, welches die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien konsequent vorantreibt.
Frage 9:
Welche Maßnahmen wollen die SWM in Zukunft unternehmen, um frühzeitig Sorgen und Bedürfnisse der Menschen im Einflussgebiet seiner Projekte aufzunehmen, damit es nicht zu Konflikten wie in Frøya kommt? Gibt es Überlegungen, die jeweiligen Gemeinden und die Menschen vor Ort in Form von „Bürgerenergie“-Modellen an Projekten zu beteiligen?
Antwort der SWM:
Als kommunales Unternehmen nehmen die SWM die Sorgen und Bedürfnisse ihrer Kunden und der von ihren Projekten tangierten Menschen grundsätzlich ernst. Dialog und transparentes Handeln haben für die SWM höchste Priorität. Wie bei allen anderen Projekten auch, wurden beim Windpark Frøya sämtliche rechtsstaatliche Genehmigungsprozesse durchlaufen, die betroffenen Parteien wurden einbezogen, alle behördlichen Auflagen wurden und werden selbstverständlich eingehalten. Die SWM stehen für einen kooperativen Dialog mit der Kommune und der Bevölkerung auf Frøya weiterhin jederzeit zur Verfügung.
Bürgerenergiemodelle stehen bei den SWM derzeit nicht im Fokus der Ausbauoffensive Erneuerbare Energien.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.