Wie kann die Vertretung verschiedener weltanschaulich-religiöser Gruppen in der Landeshauptstadt strukturiert werden?
Antrag Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 2.5.2019
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 2.5.2019 führen Sie Folgendes aus:
„Bei der Gewährung von Zuschüssen an die verschiedensten Projekte, Initiativen und Gemeinschaften leistet die Landeshauptstadt erhebliche Unterstützung aus dem Bereich freiwilliger Leistungen. Daher wird bei der Bewertung der Zuschussnehmer auch sorgfältig geprüft und diskutiert, ob und in wie fern jeweils eine Förderwürdigkeit gegeben ist. Besonderer Sorgfalt bedarf eine solche Abwägung bei weltanschaulich-religiösen Gruppen und Vereinigungen. Ein breiter Konsens besteht in der Abgrenzung zu rassistischen, nationalistischen, antisemitischen und volksverhetzenden Inhalt.
Eine besonders schwierige Lage ergibt sich bei der Bewertung von islamischen Verbänden. Hier bestimmt größtenteils der politische Islam die inhaltliche und organisatorische Struktur, und dies auf der Grundlage einer fundamentalistisch-reaktionären Auslegung des Islam.
Der sogenannten Muslimrat e.V. bot sich vor Jahren als Vertretung eben solcher Verbände in der Landeshauptstadt an. Dazu gehören u.a. die Reli- gionsvereinigung DITIB, Milli Görüs und das ‚Islamische Zentrum‘, besser bekannt als der Muslimbruderschaft nahestehende ‚Freimann-Moschee‘. Dennoch suggeriert der Muslimrat e.V. gegenüber der Öffentlichkeit, die Alleinvertretung aller in München lebenden Menschen aus islamisch geprägten Ländern zu sein.
Demokratische und säkulare Verbände und liberale Muslim*innen aus diesem Kulturkreis kritisieren schon seit Jahren diese Haltung des Muslimrat e.V.. Sie wehren sich gegen die verbale Vereinnahmung durch Verbände, die ideologisch eher der radikal-islamistischen Muslimbruderschaft nahestehen und damit im Grunde alle Integrationsbemühungen verhindern.“
Eine fristgerechte Beantwortung der Anfrage war leider nicht möglich, da noch die Einbindung mehrerer Stellen erforderlich war. Eine Zwischenmitteilung hierüber ist mit Datum vom 23.5.2019 an Sie ergangen.Zu Ihrer Anfrage vom 2.5.2019 nimmt das Sozialreferat nach Einbindung des Kreisverwaltungsreferats im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Gibt es ein Konzept der Stadt zur Unterstützung muslimischer Religionsgemeinschaften?
Antwort:
Das „Interkulturelle Integrationskonzept“ der Landeshauptstadt München, einstimmig verabschiedet vom Stadtrat im Jahr 2008, hat die gleichberechtigte Teilhabe aller Münchnerinnen und Münchner zum Ziel. Für die Bedeutung der Integration des Islams in die Stadtgesellschaft wird hier exemplarisch der „Runde Tisch Muslime“ dargestellt. Als Ziel des „Runden Tischs Muslime“ wird angeführt, eine Dialogmöglichkeit zwischen Stadtspitze und Verwaltung einerseits sowie Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens andererseits sicherzustellen.
Frage 2:
Wie ist die Zusammenarbeit beim „Runden Tisch Muslime“ zwischen den verschiedenen dort vertretenen Gruppen, welche Themen werden dort behandelt, insbesondere in Hinblick auf:
-Integration der aus islamisch geprägten Ländern zugewanderten Menschen
-Themen wie demokratische Grundwerte, Antisemitismus, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frauen, Teilnahme von Frauen und Mädchen an Sport- und Schwimmunterricht, LGBTIQ-Feindlichkeit?
Antwort:
Der „Runde Tisch Muslime“ tagt seit über zehn Jahren, ein- bis zweimal jährlich. Er wird seit dem Jahr 2015 von Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter geleitet. Eingeladen sind Vertretungen des Muslimrats, von Moscheegemeinden und anderen muslimischen Gruppierungen folgender
Richtungen: Sunnitentum, Schiitentum, Alevitentum, Sufismus und Ahmadiyya.
Wichtige Themen des „Runden Tischs Muslime“ waren seit 2015 neben der Möglichkeit zu einer offenen Bürgersprechstunde mit Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter unter anderem Diskriminierungserfahrungen von Musliminnen und Muslimen (unter anderem in Schulen), Vorstandsorganisation und Vorstandsgewinnung in der Vereinsarbeit, der akute Raummangel und Möglichkeiten zum Gebet in der Münchner Innenstadt.Die von Ihnen aufgezählten Themen wurden in den letzten Jahren nicht als eigener Schwerpunkt behandelt, jedoch in der Regel der Sitzungen angesprochen.
Frage 3:
Wozu braucht es nach Meinung der Verwaltung überhaupt einen einheitlichen Ansprechpartner für religiös-weltanschauliche Gruppen wie den Muslimrat e.V.?
Antwort:
Auf Anregung der Stadtspitze unter dem damaligen dritten Bürgermeister Hep Monatzeder hat sich, vom „Runden Tisch Muslime“ ausgehend, der Münchner Muslimrat 2003 gegründet. Ziel des muslimischen Rates ist es, zwischen der Verwaltung und den Münchner Musliminnen und Muslimen als Ansprechpartner und Brücke zu fungieren.
Bis 2002 waren bestehende muslimische Vereine rein nach Herkunftsländern ihrer Mitglieder organisiert. Es gab weder einen muslimischen Dachverband in München noch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (wie bei vielen christlichen Kirchen). Stadtpolitik und Stadtverwaltung mussten bei Anliegen auf jeden einzelnen Verband und Verein gesondert zugehen. Der Muslimrat München e.V. gilt nicht als religiöse Instanz, sondern ist auch seinem Eigenverständnis nach Koordinator und Sprachrohr für die Bedürfnisse seiner Mitgliedsvereine und darüber hinaus der muslimischen Bürgerinnen und Bürger Münchens insgesamt. Es liegt allgemein im Interesse der Verwaltung, einen guten Zugang zu den muslimischen Münchenerinnen und Münchner zu haben. Über den Muslimrat können viele muslimische Gemeinden erreicht werden. Diese Einbindung stärkt das Selbstwertgefühl von Musliminnen und Muslimen; das Gefühl, stärker berücksichtigt zu werden, wirkt sich wiederum positiv auf die Kooperationsbereitschaft von Einzelnen und Vereinen aus.
Wie sich auch beim diesjährigen öffentlichen Fastenbrechen im Luitpoldpark gezeigt hat, ist der Muslimrat München e.V. in der Lage, einen wichtigen Beitrag zum interreligiösen Dialog zu leisten (s. Artikel in der Süddeutschen Zeitung: http://sz.de/1.4470942).
Frage 4:
Was sagen die Daten des Kreisverwaltungsreferats aus über die Anzahl von Vereinen und Gruppen
-schiitischer Ausrichtung
-sunnitischer Ausrichtung?
Antwort KVR:
In Rahmen seiner Aufgabenerledigung erhebt das Kreisverwaltungsreferat nach den Vorschriften des Vereinsgesetzes Daten zu Vereinen. Hierbei wird jedoch nicht die religiöse Ausrichtung der Vereine statistisch erfasst.
Frage 5:
Wird der Muslimrat e.V. von der Landeshauptstadt gefördert und wenn ja aus welchem Budget bzw. im Rahmen welchen Produkts?
Antwort:
Der Muslimrat München e.V. erhält seit 2015 eine Förderung, über die jährlich im Selbsthilfebeirat beraten wird. Die Förderung erfolgt im Sozialreferat über das Produkt, „Unternehmensengagement, Spenden und Stiftungsmittel/Bürgerschaftliches Engagement“ Produktnummer: 40351300.
Frage 6:
Gibt es Erkenntnisse über Art und Ausrichtung der im Muslimrat e.V. zu- sammengeschlossenen Gruppen, welche Gruppen sind im Vorstand vertreten?
Antwort KVR:
Dem Kreisverwaltungsreferat liegt eine Mitgliederliste des Muslimrat München e.V. aus dem Jahr 2018 vor, die einen Mitgliederstand von 23 aktiven und 5 passiven Mitgliedsvereinen ausweist. Die dort aufgelisteten Vereine sind der sunnitischen Glaubensrichtung zuzuordnen. Sie vertreten ein breites Spektrum sunnitischer Lehren. Unter den Mitgliedsvereinen befinden sich verbandsunabhängige Moscheevereine und Moscheevereine, denen Verbände wie DITTIB, IGBD, jedoch auch IGMG und der DMG angehören. Der Muslimrat München e.V. ist kein Beobachtungsobjekt des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Frage 7:
Trifft es zu, dass der gegenwärtige Vorsitzende des Muslimrat e.V. Mitglied der islamistischen Milli Görüs ist?
Antwort:
Eine Veröffentlichung personenbezogener Informationen ist dem Kreisverwaltungsreferat nicht möglich.
Frage 8:
Was tut die Stadt – bei allen Förderungen verschiedener weltanschaulich- religiöser Gruppen – um die grundgesetzlich gebotene Neutralität aller staatlichen Ebenen gegenüber Religion und ihrer Ausübung zu wahren?
Antwort:
Die Landeshauptstadt München achtete auf die ihr gebotene Neutralität gegenüber Religion und deren Ausübung. Hinsichtlich der finanziellen Förderung von Religionsgemeinschaften hat der Stadtrat in der Vollversammlung vom 23.10.2013 beschlossen, dass die Landeshauptstadt München Kirchen, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften keine Zuschüsse zu religiösen oder vergleichbaren Veranstaltungen gewähren wird. Auch den Bezirksausschüssen ist es nach ihren Zuwendungsrichtlinien verwehrt, Zuschüsse für Veranstaltungen mit religiöser Zielrichtung zu gewähren.
Frage 9:
Wie steht die Stadt zur Idee einer „interkulturellen Dialog-Plattform“ aller weltanschaulich-religiösen Gruppen und Vereinigungen?
Antwort:
Ein gelingender Dialog zwischen den weltanschaulich-religiösen Gruppen in München ist wichtig für ein friedliches Miteinander, der zwischen verschiedenen Gruppierungen auch so gelebt wird (siehe zum Beispiel den Rat der Religionen). Dies ist eine Aufgabe für alle relevanten Akteure der Münchner Stadtgesellschaft.
Die Landeshauptstadt München steht der Idee einer „interkulturellen Dialog-Plattform aller weltanschaulich-religiösen Gruppen und Vereinigungen“ sehr positiv gegenüber. Es mangelt allerdings an personellen Ressourcen und damit an den städtischen Möglichkeiten, um ein derartiges Projekt zu verwirklichen.
Die Gleichstellungsstelle für Frauen und die Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen haben dieses Schreiben mitgezeichnet.