Artenvielfalt in München 4: Artenschutz endlich ernst nehmen – Naturschätze JETZT sichern!
Antrag Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch, Sabine Krieger und Angelika Pilz-Strasser (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 18.4.2019
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I)Elisabeth Merk:
Ihr oben genannter Antrag beinhaltet, das Forum Biotoppflege zu beauftragen, innerhalb von sechs Monaten die naturschutzfachlich bedeutsamen Flächen in der Stadt zu benennen und zu sichern:
Zur Begründung geben Sie unter anderem an, dass bereits 2014 ein Gutachten „Flächenkulisse Biologische Vielfalt“ angekündigt wurde, um Flächen zu definieren, die nicht oder nur über sehr lange Zeiträume wiederherstellbar sind sowie Flächen mit unwiederbringlichen Arten vorkommen. Seither sei jedoch nichts geschehen.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und §22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt, weil die fachliche Bewertung naturschutzfachlich bedeutsamer Flächen Aufgabe der Naturschutzverwaltung im Rahmen des Vollzugs der Natursschutzgesetze ist. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Inhaltlich teilt Ihnen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung zu Ihrem oben genannten Antrag Folgendes mit:
Naturschutzfachlich bedeutsame Flächen in München werden seit vielen Jahren beobachtet und erfasst. Die amtliche Stadtbiotopkartierung und die amtliche Artenschutzkartierung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt waren Grundlage für das Arten- und Biotopschutzprogramm der Landeshauptstadt München von 2005, in dem umfassend Ziele für die Sicherung und Entwicklung naturschutzfachlich bedeutsamer Flächen definiert wurden.
Seither hat sich die Kenntnis über solche Flächen und Arten durch Gutachten zu Planungen und Bauvorhaben aber auch durch Naturschutzprojekte sowie unabhängige, wissenschaftlich fundierte Beobachtungen hauptamtlicher und ehrenamtlicher Personen und Institutionen vertieft. Deshalbstehen dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung bereits Grundlagen zur Einschätzung der naturschutzfachlichen Bedeutung vieler Flächen und Kenntnisse über Vorkommen wichtiger Arten in München zur Verfügung. Die Daten der Biotopkartierung sind zwanzig Jahre nach ihrer Erstellung veraltet, da sich seither zahlreiche Veränderungen der Flächen ergeben haben. Darüber hinaus lassen sich die naturschutzfachlich wertvollen Flächen im Stadtgebiet aus heutiger Sicht nicht auf diejenigen Flächen beschränken, die nach der vorgegebenen Methodik der amtlichen Biotopkartierung zu erfassen sind. Außerdem wurde für verschiedenste Eingriffe in Natur und Landschaft eine Vielzahl von Ausgleichsflächen geschaffen, deren Qualität noch nicht stadtweit erfasst wurde, die aber zur Biodiversität in München beitragen. Insofern ist eine erneute Erfassung des Zustandes der (potenziell) naturschutzfachlich bedeutenden Flächen und Artvorkommen in München erforderlich. Um dabei eine schlüssige und verwertbare Arbeitsgrundlage für die Planungen des Naturschutzes und auch der Stadtentwicklung insgesamt zu erhalten, ist eine methodisch einheitliche Gesamtschau über das Stadtgebiet Voraussetzung.
Deshalb wird zu Recht seit einiger Zeit eine Aktualisierung der Datengrundlagen und eine Bewertung unter den Gesichtspunkten der Wiederherstellbarkeit gefordert.
Auf der Grundlage des Beschlusses der Vollversammlung des Stadtrats „Aktualisierung naturschutzrelevanter Daten – Gutachten „Flächenkulisse Biodiversität“ Sachmittelbedarf“ vom 24.10.2018 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 12660) wurden Vergabeunterlagen für eine Kartierung der naturschutzfachlich bedeutsamen Flächen in der Stadt erarbeitet. Hierfür war im Anschluss an die Beschlussfassung eine umfangreiche und zeitintensive Auswahl und einzelfallbezogene Anpassung der zu kartierenden Flächen, die zu einem großen Teil, wie bereits oben erwähnt, auf zwanzig Jahre alten Daten beruhen, erforderlich. Des Weiteren zeigte sich, dass die Angebotspreise für vergleichbare gutachterliche Leistungen seit der Kostenschätzung von 2016 – vermutlich durch die der baulichen Entwicklung geschuldeten hohen Nachfrage – deutlich gestiegen waren. Der Kartierungsumfang wurde aufgrund dieser sachlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sorgfältig angepasst, um ein sowohl fachlich als auch wirtschaftlich optimales Ergebnis erzielen zu können.
Für die Kartierungsarbeiten werden aufgrund des großen Umfangs – wie seinerzeit bei der Stadtbiotopkartierung – zwei Vegetationsperioden angesetzt. Die Kartierungen sollen durch geeignete Gutachter auf der Grundlage der in der Biotopwertliste zur Bayerischen Kompensationsverordnungaufgeführten Biotop- und Nutzungstypen und den dazu gehörenden Erfassungsmethoden erfolgen. Dabei handelt es sich um eine standardisierte Erfassungs- und Bewertungsmethodik, in der alle Lebensräume und Bodennutzungen nach den Kriterien Seltenheit/Gefährdung, Natürlichkeit und Wiederherstellbarkeit eingewertet werden. Die Wiederherstellbarkeit soll wiederum als eine Grundlage für die Bewertung der Flächen, Lebensräume und Arten herangezogen werden, die für den Erhalt der Biodiversität in München unabdingbar sind. Die jetzt kurz vor der Vergabe stehenden gutachterlichen Kartierungen bilden in diesem Sinne eine Grundvoraussetzung für die Auswahl und Sicherung der nicht oder nur langfristig ersetzbaren Lebensräume in München.
Die für die Vergabe erarbeitete Beschlussvorlage befindet sich derzeit in der verwaltungsinternen Abstimmung. Sie soll am 25.9.2019 in den Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung eingebracht werden. Die im Rahmen der Kartierungen gewonnenen Daten stellen somit die Grundlage für das noch zu vergebende Folgegutachten „Flächenkulisse Biodiversität“ dar, in welchem dann unter Berücksichtigung weiterer Aspekte, wie z.B. besondere Artvorkommen, Pufferflächen und Biotopverbund, die aus Sicht des Biodiversitätserhalts zwingend zu schützenden Flächen ermittelt werden.
Es ist vorgesehen, das Forum Biotoppflege über wichtige Bearbeitungsfortschritte fachlich zu informieren und dessen Fachkompetenz zu nutzen.
Eine Benennung der naturschutzfachlich bedeutsamsten Flächen in der Stadt im Vorgriff auf die Kartierung innerhalb des gesetzten Zeitraums von sechs Monaten wäre grundsätzlich möglich. Im Wesentlichen würden dabei aber nur bereits bekannte Flächen benannt werden können. Viele dieser Flächen und Einzelobjekte genießen dabei bereits einen rechtlichen Schutz durch Rechtsvorschriften auf Europa-, Bundes- oder Landesebene, Naturschutzgebietsverordnungen sowie durch städtische Verordnungen. Sie bilden das Grundgerüst der für den Erhalt der Biodiversität unabdingbaren Flächen. Auf diesen Flächen ist bereits jetzt eine Siedlungsentwicklung weitgehend oder vollständig ausgeschlossen.
Um darüber hinaus weitere naturschutzfachlich wertvolle und unverzichtbare Flächen als Grundlage für eine möglichst umfängliche und dauerhafte Sicherung zu benennen, wurde aus den genannten Gründen der vollumfängliche Ansatz der Flächenkulisse Biodiversität gewählt. Auch wenn auf diesem Weg keine kurzfristigen Ergebnisse in der angestrebten Halbjahresfrist zu erzielen sind, ist die mit dem Gutachten verfolgte methodischeinheitliche Gesamtschau über das Stadtgebiet mittel- und langfristig betrachtet in jedem Fall die nachhaltigere, weil wissenschaftlich belastbare Vorgehensweise.
Es liegt dann im Ermessen und in der Verantwortung der Landeshauptstadt München, auf Basis der gewonnenen Ergebnisse die entsprechenden Instrumentarien zur Sicherung dieser Flächen zu nutzen. Diese bestehen im Wesentlichen weiterhin darin, Schutzgebiete auszuweisen, aber auch ohne formale Inschutznahme im Rahmen der eigenen Planungshoheit (Flächennutzungsplanung und Bebauungsplanung) naturschutzfachlich wertvolle Flächen aktiv zu erhalten.
Soweit eine Sicherung naturschutzfachlich bedeutsamer Flächen als naturschutzrechtlicher Schutzgegenstand erfolgen soll, wird für die rechtssichere Unterschutzstellung aufgrund der vorgegebenen Verfahrensschritte, Fristen, Abwägungen und Beschlussfassungen ebenfalls eine deutlich längere Zeit benötigt als die beantragten sechs Monate. Auch in diesen Verfahren sind Entscheidungen über Schutzbedürfnis und Schutzgewährung immer im pflichtgemäßen Ermessen unter Berücksichtigung etwaiger Gegeninteressen zu treffen. Am Ende des Abwägungsprozesses bedarf es einer entsprechenden politischen Willensbildung mit Beschlussfassung im Stadtrat, um eine Schutzverordnung zu erlassen. Die Laufzeiten förmlicher Inschutznahmeverfahren sind daher vergleichbar mit denen der Bauleitplanung.
Diese Inschutznahmeverfahren werden stets auch mit dem – bei allen unteren Naturschutzbehörden gebildeten Naturschutzbeirat – fachlich beraten und abgestimmt. Die Zuständigkeiten des Forums Biotoppflege sind insoweit nicht berührt.
Insgesamt verspricht eine Benennung der naturschutzfachlich bedeutsamsten Flächen innerhalb von sechs Monaten, im Vorgriff auf die nun anlau- fende Kartierung, aufgrund der o.g. Ausführungen keinen Vorteil gegenüber dem vollumfänglichen Ansatz der Flächenkulisse Biodiversität. Auch die Sicherung der bereits jetzt bekannten naturschutzbedeutsamen Flächen ohne Schutzstatus würde – so sie denn vom Stadtrat beauftragt und rechtlich möglich wäre – länger als sechs Monate benötigen. Das Anliegen Ihres Antrags kann somit nur im Rahmen der vorstehenden Ausführungen berücksichtigt werden.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.