Ahmet Altan erhält den Geschwister-Scholl-Preis 2019 Archiv
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Rathaus Umschau 188 / 2019, veröffentlicht am 02.10.2019
Mit dem diesjährigen Geschwister-Scholl-Preis wird der in der Türkei inhaftierte türkische Schriftsteller und Journalist Ahmet Altan für sein Buch „Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis“ ausgezeichnet. Über die Vergabe haben die Vollversammlung des Stadtrats und der Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e. V. auf Empfehlung einer Jury entschieden. Der mit 10.000 Euro dotierte Geschwister-Scholl-Preis wird in diesem Jahr zum 40. Mal vergeben. Mit dem Preis wird jährlich ein Buch ausgezeichnet, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben.
Die Jury begründete ihre Entscheidung wie folgt: „Seit dem Sommer 2016 befindet sich der türkische Schriftsteller und Journalist Ahmet Altan in Haft. Am 16. Februar 2018 wurde er, in einem zweifelhaften Gerichtsverfahren, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anklage ist der Auffassung, Ahmet Altan habe den Putschversuch gegen die Regierung von Staatspräsident Recip Tayip Erdogan unterstützt, und zwar durch die angebliche‚ Verbreitung einer unterschwelligen Botschaft‘. Mit dem politisch motivierten Urteil wurde ein kritischer Kommentator des Geschehens in der Türkei seiner Freiheit beraubt. Ahmet Altan hat wiederholt deutlich Position mit Blick auf die Lage der Kurden bezogen, ebenso in der Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Armeniern. Sein Schicksal ist leider beispielhaft für die Situation vieler unabhängiger Journalistinnen und Journalisten in zunehmend autoritären oder auch diktatorischen Gesellschaften. In seinem Buch ,Ich werde die Welt nie wiedersehen‘ erzählt Ahmet Altan von seinen Erfahrungen in der Untersuchungshaft, im Gerichtssaal und schließlich im Gefängnis. Er schildert seine Begegnungen mit den Polizisten, die ihn verhaften, mit dem Staatsanwalt, der keinerlei Beweise für seine Anklage vorlegen kann, und mit den Richtern. Ebenso porträtiert er seine Mitgefangenen im ,Käfig‘, in der überfüllten Zelle im Untersuchungsgefängnis. Ahmet Altans Texte zeigen auf eine ruhige, klare Weise, wie es im Augenblick um die Türkei bestellt ist. Vor allem aber zeugen die Berichte von einer großen Standhaftigkeit, vom Entschluss, trotz allen Entbehrungen stärker zu sein als die Vernehmer, Ankläger und Richter. In der Situation größter Unfreiheit behauptet Ahmet Altan auf eine bewegende und mutige Weise seine innere Freiheit. Die Texte, geschrieben immer wieder auch im Dialog mit der Weltliteratur, sind ein Dokument des Widerstehens und der geistigen Unabhängigkeit. Nach der Urteilsverkündung, beschließt er, er werde kämpfen wie Odysseus. Und er erklärt, mit der Zaubermacht des Schriftstellers könne er mühelos auch durch die Wände des Gefängnisses gehen. Die Literatur ist am Ende stärker als alle Willkürjustiz, als jede Despotie. Ahmet Altans Buch ,Ich werde die Welt nie wiedersehen‘ erinnert uns, die wir in Freiheit leben, an seine Stimme. Es mahnt uns darüber hinaus aber auch dazu, all die Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren, die wie der Schriftsteller in Haft sitzen, weil sie mundtot gemacht werden sollen. Ahmet Altan spricht für alle die, die für die Wahrheit eintreten und die Freiheit verteidigen, gerade unter schwierigsten Bedingungen. Auf diese Weise verteidigt er selbst die Freiheit und erinnert an das Vermächtnis der Geschwister Scholl.“
Der Jury unter dem Vorsitz von Kulturreferent Anton Biebl und dem Vorsitzenden des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V., Michael Then, gehörten 2019 an: Patrick Bahners (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Niels Beintker (Bayerischer Rundfunk), Andreas Isenschmid (Journalist, Literaturkritiker), Margit Ketterle (Droemer Knaur), Michael Krüger (Schriftsteller und Publizist), Thomas Rathnow (Random House), Dr. Michael Schmitt (3sat / Kulturzeit), Professorin Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky (LMU / Institut für Soziologie), Professorin Dr. Mirjam Zadoff (NS-Dokumentationszentrum) und Sonja Zekri (Süddeutsche Zeitung) sowie von Seiten des Stadtrats Klaus Peter Rupp (SPD-Fraktion), Marian Offman (jetzt SPD-Fraktion) und Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen – rosa liste). Beratende Mitglieder waren neben Dr. Hildegard Kronawitter (Weiße Rose Stiftung e. V.) die Stadträtinnen Ulrike Grimm (CSU-Fraktion) und Dr. Constanze Söllner-Schaar (SPD-Fraktion).
Die Preisverleihung findet im Rahmen des Literaturfests München (13. November bis 1. Dezember) am Montag, 25. November, mit geladenen Gästen statt. Eine öffentliche Lesung ist für Dienstag, 26. November, 20 Uhr, in der Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstraße 45, geplant.