Demokratie braucht Übung II: Probier-Wahlen für Ausländerinnen und
Ausländer
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider und Tobias Ruff (ÖDP) vom 18.3.2019
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Mit Ihrem Antrag haben Sie Folgendes gefordert:
„Die Landeshauptstadt München wird gebeten, künftig Probier-Wahlen für bei den regulären Wahlen nicht wahlberechtigte Ausländerinnen und Aus- länder mit Hauptwohnsitz in München durchzuführen. Dazu sollen, erst- mals zu den Kommunalwahlen 2020,
a) alle nicht wahlberechtigten Ausländerinnen und Ausländer Wahlbenach- richtigung erhalten,
b)alle nicht wahlberechtigten Ausländerinnen und Ausländer eine Über- sicht erhalten, mit Links zu den Internetseiten und Wahlprogrammen aller kandidierender Parteien, und, soweit existent, zum Wahl-O-Mat, c) Internetseiten in einfacher Sprache mit Informationen zu den Pro- bier-Wahlen für die bei diesen Probier-Wahlen Wahlberechtigten einge- richtet werden,
d) an einem Tag vor den regulären Wahlen in jedem Stadtviertel Wahllokale für die an den Probier-Wahlen Teilnehmenden eingerichtet werden, e) Original-Stimmzettel, ergänzt um den Eindruck ‚Probier-Wahl‘ zur Verfü- gung gestellt werden,
f) die stadtweiten und stimmbezirksweisen Stimmergebnisse der Pro- bier-Wahlen nach der Auswertung im Internet veröffentlicht werden.
Die Umsetzung der Probier-Wahlen soll über mehrere Wahlen hinweg durch eine (politik)wissenschaftliche Studie begleitet werden, die u.a. über repräsentative Befragungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pro- bier-Wahlen ermittelt,
a) wie entwickelt sich deren politisches Interesse, b) wie entwickeln sich deren Kenntnisse hinsichtlich der Wahlverfahren, c) wie entwickeln sich deren Kenntnisse hinsichtlich der Parteiprogramme und der führenden Politikerinnen und Politiker der verschiedenen politi- schen Ebenen,
d) wie entwickelt sich die Wahlbeteiligung (unterschieden auch nach Aufenthaltsdauer in Deutschland und nach Nationalitäten) bei den Pro- bier-Wahlen, bei den neu Eingebürgerten und bei den nichtdeutschen Unionsbürgerinnen und -bürgern in den regulären Wahlen. Fördermittel Dritter sind für das Projekt zu beantragen, falls erhältlich.“Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt des Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit der Verwaltung, nämlich die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen und Abstimmungen. Der Inhalt des Antrages betrifft damit eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Wir bedanken uns zunächst für die gewährte Fristverlängerung. Die Stellungnahme des Migrationsbeirats zu Ihrem Antrag ist als Anlage beigefügt.
Zu Ihrem Antrag vom 18.3.2019 teilen wir Ihnen Folgendes mit:
Die identifizierten Risiken sowie die fehlenden Rechtsgrundlagen insbesondere unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Vorgaben stehen der Durchführung von Probier-Wahlen entgegen. Im Einzelnen führen wir folgende Punkte an:
Kapazitäten
Die Vorbereitung und Durchführung jeder Wahl oder Abstimmung erfordert erhebliche personelle Ressourcen, die vor allem im Rahmen einer Kommunalwahl keinerlei zusätzliche Spielräume ermöglichen. Aufgrund der einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben, die bei einer Verletzung zu einer Wahlwiederholung führen können, bestehen erhebliche Risiken, wenn mehrere gleiche oder ähnliche Wahlen oder Abstimmungen zeitgleich oder in kurzem zeitlichen Abstand stattfinden.
Gleichzeitig müssen in diesem Zeitraum bereits alle Vorkehrungen für eine ggf. notwendige Stichwahl getroffen werden. Es stehen daher keinerlei Kapazitäten für die Begleitung oder Vorbereitung einer anderen Wahl in diesem Zeitraum zur Verfügung.
Um die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der regulären Wahl nicht zu gefährden und das Risiko von Vermischungen zu reduzieren, müsste für die Probier-Wahl eine eigene Organisationseinheit, die strikt getrennt vom Wahlamt ist, geschaffen und entsprechend ausgestattet werden.
Datenerhebung und Datenschutz
Der Verwendung von personenbezogenen Daten zu wahlrechtlichen Zwecken werden durch die datenschutzrechtlichen Bestimmungen sehr enge Grenzen gesetzt. Die Verwendung der Daten muss durch entsprechendeRechtsgrundlagen legitimiert sein. Eine entsprechende rechtliche Grundlage für die von Ihnen beantragte Probier-Wahl gibt es jedoch nicht.
Maßgeblich für eine Wahlberechtigung sind Alter, Staatsangehörigkeit, Dauer der Wohnsitznahme in München und das Nicht-Vorliegen von Wahlrechtsausschlüssen. Weitere Auswahlkriterien (Aufenthaltsstatus, Aufenthaltsdauer etc.) sind in keinem Wahlgesetz vorgesehen – ebenso die Erhebung der tatsächlichen Wahlteilnahme.
Ein Wählerverzeichnis wird entsprechend der dafür vorliegenden rechtlichen Grundlagen zum jeweiligen Stichtag aus den bestehenden Meldedaten für die jeweilige Wahl angelegt und ist Grundlage für den Versand von Wahlbenachrichtigungen (vgl. § 15 Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz, § 13 Landeswahlordnung, § 16 Bundeswahlordnung, § 15 und § 17 a Europawahlordnung, § 11 Migrationsbeiratswahlordnung, § 12 Seniorenvertretungssatzung).
Die Erstellung eines Wählerverzeichnisses für einen Personenkreis, der nicht wahlberechtigt ist, ist rechtlich nicht vorgesehen. Inwieweit aus datenschutzrechtlichen Gründen eine Erhebung der Daten dieser Personen zum Zweck der Einholung eines Einverständnisses rechtlich möglich ist, wurde nicht geprüft.
Verwechslungsgefahr
Eine Durchführung von Probier-Wahlen mit Originalunterlagen gefährdet akut die ordnungsgemäße Durchführung der regulären Wahl. Die vorgeschlagene Verwendung von Originalunterlagen, die nur durch eine entsprechende Kennzeichnung unterscheidbar sind, führt zu einer erheblichen Irreführung und möglichen Fehleranfälligkeit im Rahmen der regulären Wahl. So ist es bei Haushalten mit Personen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit denkbar, dass Unterlagen (von regulärer Wahl und Probier-Wahl) vertauscht oder verwechselt werden und damit im Rahmen der Briefwahl beispielsweise ungültige Stimmzettel zur Auszählung gelangen. Am Wahltag ist außerdem mit einem erheblichen Beschwerdeaufkommen in den Wahllokalen zu rechnen, wenn Probier-Wählerinnen und Probier-Wähler abgewiesen werden müssen.
Wahlvorstände und Wahlbeteiligung
Neben den ohnehin schon bestehenden Schwierigkeiten ausreichend
motivierte und qualifizierte Wahlvorstandsmitglieder für die anstehende Kommunalwahl zu finden, dürften sich für die Abwicklung einer ebenso aufwändig gestalteten Probier-Wahl vor der Kommunalwahl kaum Freiwillige finden.Von den über 367.000 Wahlberechtigten der Migrationsbeiratswahl 2017 haben 4.842 in einem Wahllokal ihre Stimmen abgegeben (= 1,3% und damit unter 200 Personen pro Wahllokal). Im Rahmen einer Probier-Wahl ist mit einem deutlich geringeren Interesse zu rechnen. Die Einrichtung von Wahllokalen stellt daher einen Aufwand dar, der nicht im Verhältnis zum Nutzen steht.
Gefahr der Beeinflussung der regulären Wahl
Eine Ergebnisermittlung und Veröffentlichung von Ergebnissen einer vorgezogenen Probier-Wahl mit Orginalkandidierenden, die vor der Feststellung und Veröffentlichung der regulären Wahlergebnisse stattfindet, kann die reguläre Wahl beeinflussen und ist daher keinesfalls möglich.
Haushaltsmittel und Vergabeverfahren
Darüber hinaus stehen aktuell keinerlei Mittel und Ressourcen für die Durchführung von Probier-Wahlen zur Verfügung. Da auch keinerlei Vergabeverfahren (z.B. für den Druck und Versand von ca. 200.000 Wahlbenachrichtigungen) durchgeführt wurden, kann das Anliegen auch aus diesem Grund nicht umgesetzt werden.
Neutralitätsgebot
Die gewünschten Informationen zu Wahlprogrammen, Links zu Internetseiten und allen kandidierenden Parteien sowie zum Wahl-O-Mat können nicht durch die Verwaltung erfolgen (Verstoß gegen das Neutralitätsgebot).
Zur gewünschten begleitenden Studie durch Befragungen nach der Wahl hat das Statistische Amt der Landeshauptstadt München wie folgt Stellung genommen:
„Ohne Wahrung des Wahlgeheimnisses wäre die Repräsentativität der Probier-Wahlen anzuzweifeln. Daraus folgt, dass viele der gewünschten Aussagen aus dem Antrag nur über eine Nachwahlbefragung am Wahltag ermittelt werden können (‚Wahlbeteiligung nach Aufenthaltsdauer, Nationalität, etc.‘). Gleichzeitig müsste in geeigneter Weise für die Langzeitbeobachtung sichergestellt werden, dass an jeder Probier-Wahl ein annähernd gleicher Personenkreis teilnimmt.
Eine Nachwahlbefragung ist jedoch einzig und alleine von politischem Nutzen für Parteien und Wahlvorschlagsträger. Diese Daten zu erheben und aufzubereiten, ist damit nicht Aufgabe der Verwaltung. Entsprechende Aufträge müssten deshalb von Parteien und Wählergruppen selbst bei entsprechenden Instituten oder Universitäten in Auftrag gegeben und fi-nanziert werden. Insbesondere spielt es für die Durchführung unserer Aufgaben keine Rolle, welche Parteien und Personen von den hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern geschätzt werden.
Letztendlich ist auch zweifelhaft, ob bei Probier-Wahlen eine Wahlbeteiligung zustande kommt, die ein repräsentatives Ergebnis und damit repräsentative Studienergebnisse zulässt. Bei der Migrationsbeiratswahl 2017 lag die Wahlbeteiligung bei lediglich 3,62%. Damit hatten gerade mal 13.324 von ca. 367.000 Personen ihre Stimmen abgegeben. Dabei hat die Migrationsbeiratswahl durchaus Bedeutung und nicht nur symbolischen Wert. Verkleinert sich der Kreis der Teilnehmenden an einer Probier-Wahl, werden Erhebungen und Auswertungen entsprechend schwieriger und
können leicht ein falsches Bild wiedergeben.“
Zudem lehnt auch der Migrationsbeirat der Landeshauptstadt München die Durchführung einer Probier-Wahl explizit ab.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
Die Anlage zur Antwort kann abgerufen werden unter: www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_dokumente.jsp?risid=5389269