Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur Bindungsfrist: Sind Sozialwohnungen in München in Gefahr früher aus der Bindung zu fallen?
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Rathaus Umschau 200 / 2019, veröffentlicht am 21.10.2019
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur Bindungsfrist: Sind Sozialwohnungen in München in Gefahr früher aus der Bindung zu fallen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch und Thomas Niederbühl (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 15.2.2019
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 15.2.2019 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
Für die Beantwortung Ihrer Anfrage war es zunächst notwendig, die Veröffentlichung des Urteils am 6.3.2019 abzuwarten. Im Anschluss waren zur rechtlichen Bewertung referatsübergreifende Prüfungen notwendig, die auch in der bis Ende Mai erbetenen Fristverlängerung nicht abgeschlossen werden konnten. Wir danken daher für die gewährte Terminverlängerung bis 30.9.2019.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs endet die Sozial-Bindung von Wohnraum, wenn die erwähnten finanziellen Vorteile aufgebraucht sind. Gegenstand des Urteils war eine notariell vereinbarte ‚ewige‘ Sozialbin- dung von staatlich geförderten Wohnungen. Diese Vereinbarung ist dem- nach unwirksam. Eine entsprechende Verpflichtung von Wohneigentümern, Sozialwohnungen verbilligt zu vermieten, kann nicht unbegrenzt gelten. Das Urteil wirft außerdem die Frage auf, ob eine befristete Sozialbindung durch Aufbrauchen der Fördersumme vorzeitig beendet werden kann.“
Frage 1:
Sind Wohnungen in München von diesem Urteil direkt oder indirekt betroffen? Welche Möglichkeiten gibt es zu verhindern, dass diese vorzeitig aus der Sozialbindung fallen?
Antwort:
Sie beziehen sich auf das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH), Aktenzeichen V ZR 176/17. Hierin hat der BGH am 8.2.2019 entschieden, dass bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus im sogenannten dritten Förderweg individuell vereinbarte, zeitlich unbefristete städtische Belegungsrechte unwirksam sind, da sie gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstoßen. Dies gelte auch dann, wenn die Kommune dem privaten Investor zur Teilfinanzierung ein zinsgünstiges Darlehen gewährt sowie vergünstigtes Bauland zur Errichtung von geförderten Wohnungen überlassen hat. Die Beschränkungen müssen vielmehr geeignet und erforderlich sein, um den mit der Subvention zulässigerweise verfolgten Zweck für einen angemessenen Zeitraum sicherzustellen.
Der BGH trifft in seinem Urteil keine konkrete, fallbezogene Aussage darüber, welche Bindungsfrist genau im konkreten Fall angemessen wäre. Dies muss das Oberlandesgericht Celle (OLG Celle), an das der Fall zurückverwiesen wurde, anhand der Prüfung des Einzelfalls klären. Als Leitlinie für diese Prüfung gibt der BGH vor, dass bei der Gewährung eines langfristigen, vergünstigten Darlehens im Zweifel anzunehmen sei, dass die im Gegenzug übernommenen Belegungsrechte während der Laufzeit des zinsvergünstigten Darlehens fortbestehen sollen, im Ausgangsfall waren das 35 Jahre. Die vereinbarte, zinsvergünstigte Förderung stelle nämlich einen Ausgleich für den Verzicht auf eine profitablere Vermietung zu den Gegebenheiten des Marktes dar. Maßgeblich für die Beurteilung des Vorteils seien hierbei die Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss, nicht das tatsächliche Verhältnis von Kreditvorteilen zu entgangenen Marktmieten aus heutiger Sicht. Jedoch könne auch nach Ablauf der Zinsbindung im Einzelfall noch ein Subventionsvorteil und damit eine angemessene Bindung vorliegen. Sei hingegen der Subventionsvorteil vor Ablauf des Darlehens aufgebraucht, müsse die Verwaltung unter Umständen einer vorzeitigen Rückführung des Darlehens zustimmen.
Für München gilt nach diesem Urteil Folgendes: Es ist, wie bekannt, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Auferlegung von Bindungsfristen einzuhalten, d.h. dass die Bindung nicht länger bestehen darf als der Subventionsvorteil. Um die Münchner Modelle konkret auf den Prüfstand zu stellen, sollte das Urteil des OLG Celle abgewartet werden, an das der Ausgangsfall des Urteils zurückverwiesen wurde. Das Oberlandesgericht muss nun den Subventionsvorteil konkret bemessen, d.h. die Grundstückswerte und Darlehensmodalitäten mit einer Bindungsfrist ins Verhältnis setzen. Dafür sind verschiedene Parameter zu betrachten: der förderfähige ebenso wie der tatsächliche marktentsprechende Grundstückswert und die Laufzeit und Zinssätze der Darlehen. Diese Bemessung könnte dann wahrscheinlich als höchstrichterliche Richtschnur dafür dienen, wann bei verschiedenen Fördermodellen von einem Ablauf des Subventionsvorteils auszugehen ist.
Frage 2:
Trifft dieses Urteil auch auf die im Wohnraumfördergesetz vereinbarten – zeitlich begrenzten – Bindungsfristen von Sozialwohnungen zu, wenn die gewährten finanziellen Vorteile vorher aufgebraucht sind? Wenn ja, welche Möglichkeiten gibt es, die Bindungsfristen abzusichern?
Antwort:
Die Bindungsfristen sind in Bayern in einer Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium des Innern geregelt, den Wohnraumförderbestimmungen 2012 des Freistaates Bayern (WFB). Diese sehen in Ziffer 16 bzgl. der einkommensorientierten Förderung (EOF) feste Bindungsfristen von 25 bzw. 40 Jahren vor. Während dieser Bindungsfristen gilt ein vergünstigter Zinssatz von 0,5 v.H. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die finanziellen Vorteile nicht vor Ablauf der Zinsbindungsfrist aufgebraucht sind und damit der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
Für Objekte, die im Rahmen der Einkommensorientierten Förderung gefördert werden, wird zudem ein allgemeiner Zuschuss gewährt, der ebenfalls als finanzieller Vorteil der Bindungsdauer gegenüber steht.
Frage 3:
Sind weitere in der Stadt genutzte Modelle der Förderung von Sozialwohnungen bzw. bezahlbarem Wohnen durch das Urteil gefährdet?
Antwort:
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (siehe Antwort zu Frage 1) ist grundsätzlich für jedes Modell des geförderten Wohnungsbaus einschlägig.
Es fand im vergangenen halben Jahr ein Austausch der Stadtverwaltung mit den Münchner Notarinnen und Notaren bezüglich der vertraglichen Wirksamkeit von Bindungsfristen für geförderten Wohnungsbau statt. Zunächst war die Bindungsfrist des Eigentumsmodells (Eigenwohnraum) aus der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN), bei dem eine Privatperson vom Bauträger erwirbt, Gegenstand der Diskussion. Im Rahmen des Austausches äußerten die Notare, dass zusätzlich auch Bindungsfristen von 40 oder mehr Jahren in anderen Modellen als unverhältnismäßig und somit rechtlich risikoreich erachtet werden.
Nach einem intensiven Meinungsaustausch dürften nach jetziger Einschätzung und unter besonderer Würdigung des Urteils des BGH vom 15.2.2019 (V ZR 77/18) jedoch sowohl die Fördermodelle beim Verkauf städtischer Grundstücke als auch bei privaten Flächen im Rahmen der SoBoN rechtmäßig sein.
Dies gilt bei der Münchner Mietwohnraumförderung beim Verkauf städtischer Grundstücke für die 40-jährige Bindung bei der staatlichen einkom-mensorientierten Förderung (EOF) wie auch beim München Modell (-Miete und -Genossenschaften) angesichts massiver Subventionen seitens der Stadt: Die in beiden Programmen sehr niedrigen Grundstückswertansätze und die Laufzeit der zinsvergünstigten Darlehen über den gesamten Zeitraum der Bindungsfrist sprechen dafür, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.
Auch die üblichen Bindungszeiten auf privaten Flächen bei der SoBoN sind als verhältnismäßig einzustufen. Dies betrifft bei der Mietwohnraumförderung die 25-jährige Bindung bei der staatlichen einkommensorientierten Förderung (EOF) und die 30-jährige Bindung im München Modell-Miete. Beim Eigentumsmodell SoBoN-Eigenwohnraum mit 40-jähriger Bindung spricht der deutlich unter dem Verkehrswert liegende niedrige Kaufpreisansatz von derzeit 4.300 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche und die umfassenden Ausstiegsmöglichkeiten aus der Bindung für den Käufer und die Käuferin stark für die Rechtmäßigkeit der Bindung.
Auch die Bindungsfristen in Kaufverträgen der Landeshauptstadt München mit den städtischen Wohnbaugesellschaften GEWOFAG und GWG sind unabhängig vom (Förder-)Modell und der Bindungsdauer als weniger kritisch einzustufen, da eine mögliche Unwirksamkeit von Bindungsfristen in der Durchführung der Verträge aufgrund der Weisungsgebundenheit der 100% städtischen Tochtergesellschaften keine praktischen Auswirkungen hat bzw. in jedem Fall durch einen entsprechenden Beschluss im Aufsichtsrat „heilbar“ wäre.
Ebenfalls als rechtssicher einzustufen sind längere Bindungsfristen in Erbbaurechtsverträgen, wie sie die Landeshauptstadt München z.B. mit Konzeptionellen Mietwohnungsbau-Bauträgern abschließt. Dies bestätigt die aktuelle Rechtsprechung des BGH, wonach sich dauerhafte Beschränkungen nur erreichen lassen, wenn der öffentliche Zweck nicht mit dem Instrument des Grundstücksverkaufs, sondern mit dem dazu bestimmten Instrument der Ausgabe eines Erbbaurechts verfolgt wird (BGH, Urteil vom 8.2.2019, V ZR 176/17).
In der Summe lässt sich – auch in Folge des Austausches zwischen Verwaltung und Notaren und Notarinnen – festhalten, dass eine Dokumentation der mit einem Objekt verbundenen Förderung erforderlich ist. Die darauf aufbauende Begründung der Bindungsdauer ist das entscheidende Kriterium zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit und damit zur Erreichung einer möglichst hohen Rechtssicherheit. Es gilt dabei der Grundsatz, dass der Begründungsbedarf steigt, je länger die Bindung (über 30 Jahre hinaus) vereinbart werden soll.
In künftig abzuschließenden Verträgen soll zudem von beiden Vertragsparteien die Angemessenheit der Bindungsdauer in Bezug auf die Subvention erklärt werden.
Frage 4:
Lässt sich aus diesem Urteil im Umkehrschluss auch eine Verpflichtung ab- leiten, ursprünglich gewährte finanzielle Vorteile so lange weiterzugeben, bis sie aufgebraucht sind? Wäre somit eine Verlängerung der Bindefrist bei Sozialwohnungen einklagbar, wenn wie z.B. bei der GBW die Wohnungen nicht mehr verbilligt vermietet werden, sondern durch Mieterhöhungen der Mietspiegel bereits erreicht wird?
Antwort:
Die mit der Förderung verbundenen finanziellen Vorteile bzw. deren Bindungswirkung gehen auf den jeweils zu Grunde liegenden Förderbescheid zurück. Die darin getroffenen Regelungen sind maßgebend für die mit der Förderung einhergehenden Verpflichtungen.
Insofern kann hier angesichts unterschiedlicher Rechtsstände in der Bewilligung von Fördermitteln hierzu keine generelle Aussage getroffen werden. Eine Verlängerung der Bindefristen über bestehende Verpflichtungen hinaus kann jedoch in jedem Fall nur auf freiwilliger Basis zwischen den Beteiligten vereinbart werden.
Für die Wohnungen der heutigen Dawonia (ehe. GBW AG), welche vom Freistaat Bayern an die GBW AG verkauft wurden, ergibt sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Bindungsfristen keine Zuständigkeit der Landeshauptstadt München. Zum einen lagen die Wohnungen nie auf städtischen Grundstücken und zum anderen war die Landeshauptstadt München auch nicht am Verkauf dieser beteiligt.
Die Beantwortung ist mit dem Kommunalreferat abgestimmt.