Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlichen (umF)?
Anfrage Stadtrat Wolfgang Zeilnhofer (damals FDP-mut Stadtratsfraktion) vom 7.8.2019
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 7.8.2019 führen Sie Folgendes aus:
„Unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche haben nach der UN-Kinderrechtskonvention, nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen und nach europäischen und nationalen Vorgaben, Anspruch auf besonderen Schutz. In München ist das Young Refugee Center (YRC) seit dem 18.4.2016 die Erstaufnahmestelle in der Bayernkaserne und damit die zentrale Anlaufstelle für alle in München ankommenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Administrative Vorgänge werden unmittelbar vor Ort durch das Stadtjugendamt bearbeitet https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Sozialreferat/Fluechtlinge/umF.html) Nach mehrjähriger Tätigkeit des YRC ist ein Bericht dringend erforderlich. Ich bitte den Oberbürgermeister um die Beantwortung folgender Fragen:“
Die nachfolgenden Antworten für die im Betreff genannte schriftliche Anfrage konnten leider nicht in der vorgesehenen Frist beantwortet werden, da für die Beantwortung der Fragen mehrere Dienststellen im Sozialreferat und das RGU zuständig sind. Die Beantwortung der Fragen musste untereinander abgestimmt werden. Dieser Prozess nahm mehrere Wochen in Anspruch.
Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Zu Ihrer Anfrage vom 7.8.2019 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wie viele umF wurden seit der Flüchtlingskrise 2015 bis dato von der Landeshauptstadt München betreut?
Antwort:
Im Zeitraum Januar 2016 mit Juli 2019 wurden insgesamt 2.798 unbegleitete Minderjährige gemäß § 42a SGB VIII vorläufig in Obhut genommen.
Frage 2:
Ist die medizinische Grundversorgung für alle Neuankömmlinge gewährleistet?
Antwort:
Das Stadtjugendamt sieht die medizinische Grundversorgung als gewährleistet an. Folgendes Verfahren hat sich in der Vergangenheit hierzu im Young Refugee Center (YRC) bewährt:
Alle neu ankommenden minderjährigen Flüchtlinge werden zunächst in der sogenannten ISO Gruppe untergebracht. Die hier geltenden Regelungen dienen dazu, die Ansteckungsgefahr untereinander und für die Betreuenden so gering wie möglich zu halten. Zeitnah nach der Aufnahme im YRC werden die jungen Menschen von niedergelassenen Ärzten medizinisch untersucht. Die qualifizierte Alterseinschätzung und die Verlegung in eine andere Wohngruppe finden erst nach dieser Untersuchung und nach Ausschluss der im Infektionsschutzgesetz (IfSG) genannten Erkrankungen statt. Die Finanzierung der Untersuchung erfolgt über Krankenschein. Je nach akutem Gesundheitszustand der/des Neuankommenden wird im Einzelfall die sofortige medizinische Versorgung sicher gestellt (z.B. Einweisung in ein Krankenhaus, Heckscher Klinikum oder zu den jeweiligen Fachärzten, wie Zahnarzt, Augenarzt etc.).
Nach der Alterseinschätzung werden die Minderjährigen zur TBC-Untersuchung und 4 fach-Impfung beim Referat für Gesundheit und Umwelt angemeldet.
Die Vorgehensweise wurde im Einvernehmen mit dem RGU eingeführt.
Das Referat für Gesundheit und Umwelt führt hierzu Folgendes aus: „Zur medizinischen Grundversorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (umF) gehören alle von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen.
Die frühzeitige Impfung von unbegleiteten Minderjährigen durch die örtlichen Gesundheitsämter ist durch die Verwaltungsvorschrift des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) zum Vollzug des § 20 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom 22.12.2014 geregelt. Auf dieser Grundlage bietet das RGU täglich Impftermine für minderjährige Flüchtlinge an. Dieses Angebot erfolgt in Kooperation mit dem Young Refugee Center.
Die notwendigen Impfungen – in der Regel als Grundimmunisierung wegen fehlender oder nicht vorliegender Impfdokumente – erfolgen nur nach Einverständnis des Impflings und des Vormundes unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers.
Die in München ankommenden umF werden im RGU auch auf das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose gemäß § 36 Abs. 4 IfSG untersucht. Nach einer Inobhutnahme durch das Jugendamt werdenzusätzlich die vorgesehenen infektiologischen Untersuchungen (HIV, Hepatitis B) analog Asylgesetz durchgeführt.“
Frage 3:
Ist ab dem Aufnahmetag eine feste Tagesstruktur mit Kita, Schule und Hausaufgabenbetreuung an fünf Tagen pro Woche, unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährleistet?
Antwort:
Das YRC ist eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, die von der Regierung von Oberbayern/Heimaufsicht eine Betriebserlaubnis erteilt bekommen hat. Diese sieht eine regelmäßige Beschulung in Form eines Deutschkurses für alle Kinder und Jugendlichen im YRC (auch in der Isolationsgruppe) vor. Die Einstufung der umF gemäß dem Leistungsniveau, die Koordinierung und Einteilung der Lerngruppen erfolgt durch die Lehrkräfte. Die bundesweite Verteilung muss innerhalb von vier Wochen erfolgen. Aufgrund der geringen Aufenthaltsdauer der Jugendlichen im YRC wurde das Anforderungsprofil für den Sprachkurs entsprechend angepasst und von einer regulären Beschulung abgesehen. Dies gilt auch für die Beschulung der Kinder und Jugendlichen der ISO-Gruppe. Ein Schwerpunkt der Beschulung liegt auf der Vermittlung von Sprachkenntnissen, die direkt im aktuellen Lebensalltag angewandt werden können.
Aufgrund von personellen Veränderungen kann der Deutschkurs derzeit nicht durch eine Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache angeboten werden. Die Fachabteilung ist darum bemüht, die Stelle zeitnah zu besetzen. Aktuell wird der Deutschkurs von den pädagogischen Fachkräften übernommen. Je nach Terminlage der jungen Menschen (z.B. Alterseinschätzung, Arzttermine oder erkennungsdienstliche Behandlung) findet der Deutschkurs regelmäßig von Montag bis Freitag entweder am Vor- oder Nachmittag statt.
In den Wohngruppen gibt es zudem eine adäquate Freizeitgestaltung, Nutzung des Mehrzweckraumes mit Billard und Kicker, zweimal wöchentlich Fußballtraining bei „Bunt kickt gut“ und zweimal im Monat „Klettern“ vom Verein Social Outdoor Club e.V.
Kinder unter 14 Jahren sind nach dem medizinischen Erstscreening in einer städtischen Schutzstelle untergebracht und werden dort altersentsprechend gefördert, d.h. es gibt eine pädagogische Vormittagsbetreuung vergleichbar mit einer Kita, und für die Älteren eine Beschulung bis das Clearing abgeschlossen ist und die weitere Perspektive geklärt wurde.
Frage 4:
Finden Kinder, die sich in Begleitung ihrer Eltern bzw. eines Elternteils befinden, ähnliche Strukturen vor?
Antwort:
Für die Bildung und Betreuung von Kindern aus Flüchtlingsunterkünften ist das reguläre städtische System zuständig. Dieses sieht keine Unterscheidung zu allen anderen Kindern in München vor. Unterstützung zur Unterbringung und zum Besuch von Kindertageseinrichtungen und Schulen erhalten die Eltern durch die vor Ort tätigen pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
In jeder Unterkunft, in der Familien leben, finden sich die Flüchtlings- und Integrationsberatung (Betreuungsschlüssel 1:100), pädagogische Hilfskräfte (drei pro Unterkunft) und ein Team aus pädagogischen Fachkräften, das sich speziell um die Belange und Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern kümmert. In der Regel gibt es zusätzlich ein vielfältiges Angebot auf ehrenamtlicher Basis, darunter häufig eine Lern- und Hausaufgabenhilfe.
Außerhalb der dezentralen Unterkünfte gibt es verschiedene andere Angebote:
-An den Grund- und Mittelschulen sind für Kinder und Jugendliche ohne ausreichende Deutschkenntnisse, die auch während des Schuljahres eingeschult werden, sog. „Deutschklassen“ eingerichtet. Eine bedarfsgerechte Aufstockung während des laufenden Schuljahres ist möglich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bildungsberatung International beraten individuell und mehrsprachig zu allen Fragen rund um das Thema Schule und Bildung, bei Bedarf halten sie auch Informationsveranstaltungen vor Ort in den Unterkünften ab.
-Der „Vorkurs Deutsch 240“ ist eine gezielte Sprachförderung für Kinder in Kindertageseinrichtungen mit besonderem Unterstützungsbedarf im Deutschen. Die Vorkurse umfassen 240 Stunden und werden zu gleichen Anteilen von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen und von Grundschullehrkräften in Kooperation durchgeführt.
-Eine Möglichkeit der Integration in das reguläre städtische Betreuungssystem in Kindertageseinrichtungen bietet das sog. Kont-Verfahren. Voraussetzung für die Vermittlung eines „Kont-Platzes“ ist die Bedarfsfeststellung im zuständigen Sozialbürgerhaus. Einrichtungen der Träger mit Überlassungsvertrag und städtische Kindertageseinrichtungen inklusive Tagesheime stellen ein Platzkontingent zur Verfügung. Freigemeinnützigeund sonstige Träger, die nach der Münchner Förderformel (MFF) gefördert werden, können auf freiwilliger Basis Plätze anbieten.
Für die Kinder, die von der Schule zurückgestellt wurden und dadurch den Kindergartenplatz verlieren, ist das Referat für Bildung und Sport zuständig, um hier eine Lösung zu finden. RBS-KITA und das Staatliche Schulamt stehen diesbezüglich in Kontakt.
Frage 5:
Werden regelmäßige Kontrollen durch das Referat für Gesundheit und Umwelt und das Jugendamt durchgeführt? Wenn ja, wie viele Kontrollen wurden durchgeführt? Wie wurde Auffälligkeiten begegnet?
Antwort:
Es gibt keine gesetzliche Grundlage für anlasslose Kontrollen. Insofern führen weder das Referat für Gesundheit und Umwelt noch das Stadtjugendamt entsprechende Kontrollen durch.
In bereits laufenden Fällen der Jugendhilfe findet mindestens einmal jährlich ein Hilfeplangespräch mit Vormund und jungem Menschen sowie der betreuenden Einrichtung statt. Vormünder und Einrichtungen sind verpflichtet, besondere Vorkommnisse unmittelbar an das Stadtjugendamt zu melden.
Wenn es darüber hinaus zu Meldungen an die sozialpädagogischen Fachkräfte des Sozialbürgerhauses bzgl. einer etwaigen Gefährdung eines jungen Menschen oder Auffälligkeiten im Zusammenhang mit einem jungen Menschen kommt, wird dem unverzüglich nachgegangen. Diese Mitteilungen können von Einrichtungen, Kooperationspartnern, sozialen Diensten, Schule, Vormund, Sozialdienst in einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, Ärzten und anderen stammen.
Die Häufigkeit der Klärungen ergibt sich aus der Anzahl der Meldungen. Den gemeldeten Auffälligkeiten wird je nach Art und Ausprägung mit individuell zugeschnittenen Hilfsangeboten sowie Hilfen begegnet. Hierbei wird nach einem standardisierten Qualitätssicherungsverfahren im Vier-Augen-Prinzip ein individuelles Schutzkonzept für den jungen Menschen entwickelt.
Frage 6:
Wie viele umF sind in Privathaushalten untergebracht? Wie oft werden Kontrollen in Privathaushalten durchgeführt?
Antwort:
Das Stadtjugendamt betreut zwischen 20 und 30 unbegleitete Minderjährige in Pflegefamilien, die in einem Privathaushalt leben. Die Divergenz ist durch die kurze Verweildauer in der Pflegefamilie begründet. Gründe für die Fluktuation sind u.a. Familienzusammenführung oder auch der Wechsel in eine stationäre Maßnahme. Aktuell werden zwei Pflegefamilien auf ihre Eignung überprüft.
Unabhängig von der Eignungsprüfung benötigen Pflegefamilien gemäß § 44 SGB VIII zusätzlich eine Erlaubnis des örtlich zuständigen Jugendamtes, wenn sie ein fremdes, d.h. ein nicht verwandtes Kind über Tag und Nacht bei sich im Haushalt betreuen.
Das Überprüfungsverfahren potentieller Pflegepersonen beinhaltet die Pflicht zum Besuch eines Informationsabends, die Teilnahme an mehreren Paargesprächen und Einzelgesprächen, die Teilnahme an einem zweitägigen Seminar für Bewerberinnen und Bewerber, die Akzeptanz eines Hausbesuchs und die Durchführung eines Auswertungsgesprächs zur Pflegeeignung.
Darüber hinaus fordert das Stadtjugendamt München von den Bewerberinnen und Bewerbern einen ausführlichen Eignungsbericht, ein Gesundheitszeugnis, ein erweitertes Führungszeugnis, eine Einwilligung zur Einholung einer Leumundsauskunft der Polizei und eine Auskunft der Bezirkssozialarbeit an.
Neben der Überprüfung der Pflegefamilie finden regelmäßig, mindestens einmal pro Jahr, Hilfeplangespräche, Hausbesuche und qualifizierte Beratungsgespräche statt.
Darüber hinaus wird der Kinderschutz über die enge Vernetzung zwischen Vormund, Schule bzw. Ausbildung gewährleistet.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit ausreichend beantwortet zu haben.