Mit dem diesjährigen Geschwister-Scholl-Preis wird der in der Türkei inhaftierte türkische Schriftsteller und Journalist Ahmet Altan für sein Buch „Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis“ ausgezeichnet. Der mit 10.000 Euro dotierte Geschwister-Scholl-Preis wird jährlich für ein Buch vergeben, das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben. Der Preis wird gemeinsam vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V. und der Landeshauptstadt München vergeben. Die Verleihung mit Ansprachen von Oberbürgermeister Dieter Reiter und dem Vorsitzenden des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V., Michael Then, findet am Montag, 25. November, mit geladenen Gästen statt.
Ahmet Altan durfte am 4. November nach mehr als drei Jahren Haft das Gefängnis verlassen. Doch bereits nach acht Tagen wurde er wieder verhaftet. An seiner Stelle nimmt die Autorin und Journalistin Yasemin Çongar als enge Vertraute von Ahmet Altan und Übersetzerin der englischen Ausgabe des ausgezeichneten Buches den Preis entgegen.
Bei einer öffentlichen Lesung am Dienstag, 26. November, 20 Uhr, in der Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstraße 45, wird das Buch im Gespräch mit Hans Jürgen Balmes vom S. Fischer Verlag, Lektor von Ahmet Altan, zusammen mit Nils Beintker von Bayern 2 vorgestellt. Aus dem Buch liest Peter Veit, Sprecher beim Bayerischen Rundfunk. Karten für 10 Euro sind im Vorverkauf erhältlich über München Ticket. Informationen auch über www.literaturfest-muenchen.de.
Zu den Preisträgern des Geschwister-Scholl-Preises zählten in den letzten Jahren unter anderem Götz Aly, Hisham Matar, Garance Le Caisne, Achille Mbembe, Glenn Greenwald, Otto Dov Kulka, Liao Yiwu, Joachim Gauck, Roberto Saviano, David Grossman und Anna Politkovskaja.
Die Jury begründete ihre Entscheidung wie folgt:
„Seit dem Sommer 2016 befindet sich der türkische Schriftsteller und Journalist Ahmet Altan in Haft. Am 16. Februar 2018 wurde er, in einem zweifelhaften Gerichtsverfahren, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anklage ist der Auffassung, Ahmet Altan habe den Putschversuch gegen die Regierung von Staatspräsident Recip Tayyip Erdogan unterstützt, und zwar durch die angebliche ‚Verbreitung einer unterschwelligen Botschaft‘.
Mit dem politisch motivierten Urteil wurde ein kritischer Kommentator des Geschehens in der Türkei seiner Freiheit beraubt. Ahmet Altan hat wieder- holt deutlich Position mit Blick auf die Lage der Kurden bezogen, ebenso in der Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Armeniern. Sein Schicksal ist leider beispielhaft für die Situation vieler unabhängiger Journalistinnen und Journalisten in zunehmend autoritären oder auch diktatorischen Gesellschaften.
In seinem Buch ,Ich werde die Welt nie wiedersehen‘ erzählt Ahmet Altan von seinen Erfahrungen in der Untersuchungshaft, im Gerichtssaal und schließlich im Gefängnis. Er schildert seine Begegnungen mit den Polizisten, die ihn verhaften, mit dem Staatsanwalt, der keinerlei Beweise für seine Anklage vorlegen kann, und mit den Richtern. Ebenso porträtiert er seine Mitgefangenen im ,Käfig‘, in der überfüllten Zelle im Untersuchungsgefängnis.
Ahmet Altans Texte zeigen auf eine ruhige, klare Weise, wie es im Augenblick um die Türkei bestellt ist. Vor allem aber zeugen die Berichte von einer großen Standhaftigkeit, vom Entschluss, trotz aller Entbehrungen stärker zu sein als die Vernehmer, Ankläger und Richter. In der Situation größter Unfreiheit behauptet Ahmet Altan auf eine bewegende und mutige Weise seine innere Freiheit. Die Texte, geschrieben immer wieder auch im Dialog mit der Weltliteratur, sind ein Dokument des Widerstehens und der geistigen Unabhängigkeit. Nach der Urteilsverkündung beschließt er, er werde kämpfen wie Odysseus. Und er erklärt, mit der Zaubermacht des Schriftstellers könne er mühelos auch durch die Wände des Gefängnisses gehen. Die Literatur ist am Ende stärker als alle Willkürjustiz, als jede Despotie. Ahmet Altans Buch ,Ich werde die Welt nie wiedersehen‘ erinnert uns, die wir in Freiheit leben, an seine Stimme. Es mahnt uns darüber hinaus aber auch dazu, all die Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren, die wie der Schriftsteller in Haft sitzen, weil sie mundtot gemacht werden sollen. Ahmet Altan spricht für alle die, die für die Wahrheit eintreten und die Freiheit verteidigen, gerade unter schwierigsten Bedingungen. Auf diese Weise verteidigt er selbst die Freiheit und erinnert an das Vermächtnis der Geschwister Scholl.“
Infos zum Geschwister-Scholl-Preis unter www.geschwister-scholl-preis.de.