Zurückstellung vom Schulbesuch wegen mangelnder Deutschkenntnisse
Anfrage Stadträtinnen Anja Berger und Sabine Krieger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 7.8.2019
Antwort StadtschulrätinBeatrix Zurek:
Auf Ihre Anfrage vom 7.8.2019 nehme ich Bezug.
Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Erlauben Sie mir Ihnen vorab noch grundsätzliche Informationen zur Zurückstellung vom Schulbesuch und der Anwendung der einschlägigen Norm, Art. 37 Abs. 4 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) zu geben:
Eine Zurückstellung von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache, die eine Vorkursverpflichtung haben, ist eine Kann-Entscheidung mit Ermessensspielraum der Grundschule, die
1. eine Abwägung aller Umstände im Einzelfall voraussetzt,
2. eine enge Abstimmung mit den Eltern und deren Mitsprache als Bildungspartner erfordert und möglichst im Einvernehmen mit den Eltern zu fällen ist und
3. nur dann zu treffen ist, wenn keine geeigneten Deutschfördermaßnahmen in der Schule vorhanden sind.
Zu den von Ihnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie viele Migrantenkinder wurden – bezogen auf die Schuljahre 2018/2019 und 2019/2020 – nach der Schulanmeldung mit Bezug auf diese Gesetzesbestimmung zurückgestellt?
Antwort:
Das Merkmal Kinder mit/ohne Migrationshintergrund mit/ohne Besuch eines (verpflichtenden) Vorkurses wird bei der Zurückstellung nicht erfasst.
Frage 2:
Mit welcher Priorität erhalten diese Kinder, für die aus Gründen der insbesondere sprachlichen Integration ein Kindergartenbesuch äußerst wichtig ist, einen Kindergartenplatz?
Antwort:
Für den Fall, dass nicht genügend freie Plätze in einer Einrichtung vorhanden sind, richtet sich die Vergabe der Plätze zunächst nach Rangstufen und innerhalb der Rangstufen nach Dringlichkeitsstufen. Die Staatsangehörigkeit bzw. die regionale, ethnische, kulturelle oder sprachliche Herkunft eines Kindes wird von den Platzvergabekriterien der Kindertageseinrichtungssatzung nicht erfasst und spielt daher bei der Platzvergabe keinerlei Rolle.
Vom Schulbesuch zurückgestellte Kinder, die bereits eingeschult waren, dann aber zurückgestellt werden, erhalten Rangstufe 2.
Folglich bekommen diese Kinder – neben Kindern, die im Vorjahr bereits einen Platz in derselben Einrichtung erhalten hatten und bis zum Ablauf von acht Wochen nach erstmaligem Eintritt in die Einrichtung durch Abmeldung aus pädagogischen Gründen ausgeschieden sind – vorrangig einen Platz. In besonderen Fällen kann zudem von den Rang- und Dringlichkeitsstufen abgewichen werden. Diese Entscheidung trifft das Referat für Bildung und Sport, Geschäftsbereich KITA.
Frage 3:
Wie viele dieser Kinder waren im Kindergartenjahr 2018/2019 für eine längere Zeit ohne Kindergartenplatz?
Antwort:
In der KITA Elternberatungsstelle waren zum September 2018 33 Schulrücksteller gemeldet, die noch einen Platz in einer Kindertageseinrichtung benötigten. Ob die Gründe für die Rückstellung der Kinder die mangelnden Deutschkenntnisse waren, wird in der KITA Elternberatungsstelle nicht erhoben. Diesen Kindern wurde zeitnah ein Kindergartenplatz angeboten.
Frage 4:
Welche Maßnahmen und Regelungen plant das Referat für Bildung und Sport, damit der im Gesetz vorgesehenen Kindergartenpflicht von den Eltern auch unverzüglich nachgekommen werden kann?
Antwort:
Die KITA Elternberatung arbeitet eng mit allen sozialen Diensten in München zusammen. Um Rückstellerkindern möglichst schnell einen Platz in einer Kindertageseinrichtung anbieten zu können, falls sie vorher noch keine solche Einrichtung besucht haben, gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Referat für Gesundheit und Umwelt, Sachgebiet Schulgesundheit und der KITA Elternberatung. Eltern, deren Kind aufgrundder Schuleingangsuntersuchung zurückgestellt wird und denen es, auch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht möglich ist, die KITA Elternberatungsstelle aufzusuchen, werden nach Übermittlung der Kontaktdaten durch das Referat für Gesundheit und Umwelt (Schweigepflichtsentbindung liegt jeweils vor), direkt von der KITA Elternberatungsstelle angerufen und beraten bzw. auf der Suche nach einem Platz in einer Kindertageseinrichtung unterstützt. Durch diese Kooperation konnten 2018-2019 91 Rückstellerkinder mit einem Betreuungsplatz versorgt werden.
Frage 5:
Wie bewertet das Referat für Bildung und Sport die genannte gesetzliche Regelung aus pädagogischen und integrationspolitischer Hinsicht? Wäre ein Ausbau der Deutschförderung an Grundschulen nicht der sinnvollere Weg?
Antwort:
Die im Februar 2019 erschienene BAMF-Kurzanalyse „Ankommen im deutschen Bildungssystem“ des Forschungszentrums „Migration, Integration und Asyl“ hebt erneut die zentrale Relevanz der frühzeitigen Partizipation der Kinder mit Migrationshintergrund am hiesigen Bildungssystem für das langfristige Gelingen deren gesellschaftlichen Teilhabe hervor.1
Seit Jahren zeigen die Ergebnisse aus Forschungsuntersuchungen, dass das Wiederholen des letzten Kindergartenjahres ineffektiv ist und die kognitive Entwicklung positiv verläuft, wenn Kinder trotz Entwicklungsverzögerung eingeschult werden. Neuzugewanderte Kinder, die über die verlangte Schulreife verfügen, nur aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse zurückzustellen, erscheint insofern verfehlt.
Die Beschulung an einer Grundschule ist zudem aus pragmatischen Gründen zielführender, da aufgrund des Sprengelprinzips die Aufnahme des Kindes an eine Bildungsinstitution (Schule) und somit eine intensive Deutschförderung sichergestellt werden. Das Sprengelprinzip gilt dagegen nicht im Kindergartenbereich. Aufgrund der angespannten Versorgungssituation im Bereich der Kindertageseinrichtungen ist die Aufnahme des Kindes bei eventuell späteren Zuzügen in eine Kindertagesstätte nicht gesichert. In diesem Fall beschränkt sich die Deutschförderung auf drei Unterrichtsstunden in der Woche (den schulischen Teil des Vorkurses) im Gegensatz zu fünf Wochentagen bei der Beschulung an einer Grundschule. Besonders akut zeigt sich diese Problematik bei der möglichen Zurückstellung bis zum 30. November des angefangen Schuljahres, welche das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Art. 37 Abs. 2 S.2 BayEUG) regelt. Das Referat für Bildung und Sport sieht hier den Freistaat Bayernin der Verantwortung auf die Grundschulen hinzuwirken, Zurückstellungen, insbesondere zu späten Zeitpunkten, im Interesse der Kinder zu vermeiden.
Frage 6:
Sind nach Einschätzung des Referats für Bildung und Sport die Kapazitäten zur Deutschförderung im Grundschulbereich ausreichend und ist eine Unterstützung der betroffenen Kinder durch die Landeshauptstadt München vorstellbar?
Antwort:
Für die Deutschförderung im Grundschulbereich stehen neben dem Pflichtunterricht im Schuljahr 2019/20 2.874 Stunden zur Verfügung. Das entspricht einem Kontingent von 103 Vollzeitlehrkräften.
Dazu kommen knapp 1.000 Stunden für Vorkurse, entsprechend einem Kontingent von 36 Vollzeitlehrkräften. Darüber hinaus führt das Staatliche Schulamt der Landeshauptstadt München im kommenden Schuljahr 22 Deutschklassen im Bereich der Grundschule weiter, für neuzugezogene Kinder im schulpflichtigen Grundschulalter.
Zusätzlich zum Pflichtunterricht und zu den Deutschfördermaßnahmen erhalten die Grundschulen für das kommende Schuljahr 2019/20 Sonderbudgets in Höhe von insgesamt 575 Stunden für integrative Maßnahmen. Zum Vergleich: das Sonderbudget lag im Schuljahr 2018/19 bei insgesamt 446 Stunden für die Grundschule. Der Wert weist also eine Erhöhung um 129 Stunden in Vergleich zu 2018/19 auf.
Somit reichen die Kapazitäten zur Deutschförderung im Grundschulbereich aus.
1http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Kurzanalysen/kurzanaly- se2-2019-ankommenimdeutschenbildungssystem.html;jsessionid=EC2A0C4E8ECB- 76BE76E3204224B24C55.1_cid286?nn=7495794