Situation und Zukunft von Minderjährigen in Münchner Bedarfsge-
meinschaften
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Jutta Koller und Dominik Krause (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 21.12.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 21.12.2018 führen Sie Folgendes aus:
„Laut Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung kann bei verschuldeter Intransparenz der Einkommensstruktur von Eltern in Bedarfsgemeinschaften eine Rückzahlungsforderung auch an die im Haushalt lebenden min- derjährigen Kinder und Jugendlichen ergehen, unabhängig davon ob diese ursächlich beteiligt waren. Das Vermögen der Kinder und Jugendlichen kann jedoch gemäß des Begriffs der Minderjährigenhaftung (Paragraf 1629 a BGB) erst bei Eintritt der Volljährigkeit und nur in einem Maße belastet werden, wie ein solches tatsächlich gegeben ist. Eine Zusendung der Rückzahlungsforderung erfolgte bei dem im Rahmen der Berichterstattung gegebenen Individualfall direkt an das betroffene Kind, nicht wie vorgesehen an dessen gesetzliche Vertreter.“
Zu Ihrer Anfrage vom 21.12.2018 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wie viele in Bedarfsgemeinschaften lebende Minderjährige in München sehen sich aktuell einer Rückzahlungsforderung ausgesetzt?
Antwort:
Nach Auskunft des Jobcenter München liegen hierüber keine Daten vor bzw. kann in der Kürze der Zeit nicht geklärt werden, ob die angefragten spezifischen Daten zur Verfügung gestellt werden können, da die Forderungseinzugsverfahren über den Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit abgewickelt werden.
Frage 2:
Wie hoch ist die Summe der aktuell bestehenden Rückzahlungsforderungen seitens des Jobcenters München an dieser Personengruppe?
Antwort:
Siehe Antwort auf Frage 1.
Frage 3:
Wie hat sich die Summe der Rückzahlungsforderungen seitens des Jobcenters an diese Personengruppe während der letzten drei Jahre in München entwickelt?
Antwort:
Siehe Antwort auf Frage 1.
Frage 4:
Ist eine Stundung der Rückzahlungsforderung für diese Personengruppe gemäß Paragraf 1629 a BGB generell vorgesehen oder muss diese spezifisch beantragt werden? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ist eine Stundung möglich bzw. nicht möglich, wenn nein, wie wird darüber informiert?
Antwort:
§ 1629 a BGB regelt unter den dort genannten Voraussetzungen Haftungsbeschränkungen eines volljährig gewordenes Kindes für bestimmte, während seiner Minderjährigkeit begründete Verbindlichkeiten ausschließlich auf das mit seinem bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen. Eltern, die für sich und ihre minderjährigen Kinder Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragten, handeln im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht. Paragraf 1620 a BGB erfasst Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht während der Minderjährigkeit mit Wirkung für das Kind begründet haben, beispielsweise Rückzahlungsverpflichtungen nach dem SGB II. Wenn am Stichtag der Volljährigkeit die Verbindlichkeiten das bestehende vollstreckbare Vermögen übersteigen, wird die Haftung auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen beschränkt.
Durch die Vorschrift des Paragraf 1629 a BGB gewährt der Gesetzgeber Minderjährigen ein Recht auf schuldenfreien Eintritt in die Volljährigkeit und vermeidet unzumutbare finanzielle Belastungen. Das Jobcenter ist nach Paragraf 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet, über die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung zu beraten. Die Haftungsbeschränkung ist mittels einer so genannten Einrede geltend zu machen. Die Einrede kann erst nach Erreichen des 18. Lebensjahres ausschließlich durch die ehemals minderjährige Person selbst eingelegt werden. Die berechtigte Einrede führt dazu, dass der Anspruch dauerhaft nicht durchsetzbar ist. Die Einrede kann zu jedem Stand des Verfahrens erhoben werden und ist sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Einziehungs- und Vollstrekkungsverfahren zu beachten. Sie ist von keiner Frist abhängig, sollte aberzeitnah nach Erreichen der Volljährigkeit erhoben werden. Für eine Prüfung der Einrede wird ein Vermögensverzeichnis angefordert, anhand dessen der Stand des tatsächlich vorhandenen Vermögens am Tag des Eintritts in die Volljährigkeit geprüft werden kann.
Frage 5:
Welche Rückzahlungsfristen und -modalitäten bestehen für diese Personengruppe ab Eintritt der Volljährigkeit und werden den Betroffenen aktiv seitens des Jobcenters Beratungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen aufgezeigt?
Antwort:
Rückzahlungen und die damit verbundenen Fristen und Modalitäten liegen in der Zuständigkeit des Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit. Die Vorgaben richten sich dabei nach den Durchführungsbestimmungen zum Kassen- und Einzugswesen in der Bundesagentur für Arbeit (KEBest).
Frage 6:
Wie soll in Zukunft verhindert werden, dass emotional oftmals sehr belastende Rückzahlungsbescheide direkt an die betroffenen Minderjährigen versandt/übergeben werden?
Antwort:
Die Übersendung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides erfolgt grundsätzlich nicht an Minderjährige. Sofern die Kinder minderjährig sind, richtet sich diese Forderung zwar gegen das Kind. Das Kind wird aber durch die Eltern oder einen Elternteil gesetzlich vertreten, so dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid auch hinsichtlich des Kindes an den gesetzlichen Vertreter gerichtet wird und dieser zur Zahlung verpflichtet ist. Bei Forderungen gegenüber minderjährigen Kindern wird durch die Leistungssachbearbeiterinnen und Leistungssachbearbeiter sichergestellt, dass Mahnschreiben an den gesetzlichen Vertreter adressiert sind. Dazu ist von der Leistungssachbearbeitung des Jobcenters im entsprechenden Fachverfahren der gesetzliche Vertreter als abweichender Korrespondenzempfänger zu erfassen. Dies ist in dem von der Presse dargestellten Fall, auf den Sie sich in Ihrer Anfrage beziehen, wohl versehentlich unterblieben.
Frage 7:
Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen seitens des Jobcenters, um Minderjährige in Zukunft vor einer von ihnen nicht ursächlich zu tragenden Vermögensbelastung zu bewahren, ist beispielsweise die volle monetäre Verantwortlichkeit der gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter grundsätzlich denkbar bzw. umsetzbar?
Antwort:
Bei Aufhebungsentscheidungen mit verbundener Erstattung von Leistungen müssen sich die minderjährigen Kinder das Verhalten und das Wissen ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen. Bei der gesetzlichen Vertretung findet eine Zurechnung des Vertreterhandelns über die Zurechnungsnormen des BGB statt (Paragraf 166 Absatz 1 BGB: Wissenszurechnung; Paragraf 278 BGB: Zurechnung von Fehlverhalten). Das bedeutet, dass sich minderjährige hilfebedürftige Kinder das Verhalten ihrer Eltern, in ihrer Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter, zurechnen lassen müssen.