Welchen Kriterien müssen Fahrradstraßen in München genügen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider und Tobias Ruff (ÖDP) vom 28.11.2018
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Ihrer Anfrage legen Sie folgenden Sachverhalt zu Grunde:
„München hat derzeit 63 ausgewiesene Fahrradstraßen und es kommen weitere hinzu. Laut der Evaluierung von 2016 steigern Fahrradstraßen das Radverkehrsaufkommen und sind überwiegend sicher. Die Intention, die Radinfrastruktur zu stärken, ist begrüßenswert und notwendig. Die Ausgestaltung von Fahrradstraßen kann jedoch noch erheblich verbessert werden. Bisher werden in München Schilder aufgestellt und blaue Verkehrszeichen auf die Fahrbahn gemalt. Keine Fahrradstraße wurde jedoch für den Pkw-Durchgangsverkehr gesperrt und nur noch für den Pkw-Verkehr von Anwohnerinnen und Anwohnern freigegeben. Es wurden auch trotz teilweise beengten Platzverhältnissen in keiner Fahrradstraße Parkspuren gestrichen. Diese Handhabung erzeugt Konflikte und löst nicht den Bedarf an dringend benötigten Flächen für den Radverkehr.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Welche Kriterien werden herangezogen, um eine Straße als Fahrradstraße umwidmen zu können?
Antwort:
Die Ausweisung einer Straße als Fahrradstraße erfolgt zunächst nach dem sogenannten Netzgedanken. D. h., wesentliches Entscheidungskriterium für die Ausweisung einer Straße als Fahrradstraße ist die Bündelung des Radverkehrs, z. B. durch bereits bestehende Beschilderung als Radverkehrsroute oder als wichtige Verbindungsfunktion für den Rad-verkehr. Weitere Kriterien sind u. a.:
- eine bereits vorhandene oder zukünftig zu erwartende starke Nutzung durch Radfahrende
- keine Interessenskonflikte mit dem Linienbusverkehr
- die bauliche Gestaltung der Straße (insbesondere sollte die Straße asphaltiert und nicht mit Großsteinpflaster versehen sein)- die Attraktivität der Straße für den Radverkehr durch eine ausreichend breite Fahr-gassenbreite (eine gesetzliche Mindestbreite gibt es dabei nicht, kurze Engstellen werden als verträglich betrachtet)
- die Gestaltung der Radverkehrsführung am Beginn und Ende der Fahrradstraße
- keine baulichen Radwege vorhanden, da der Radverkehr auf der Fahrbahn gebündelt werden soll (ggf. vorheriger Rückbau vorhandener baulicher Radwege erforderlich)
- keine Hauptverkehrsstraße (nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt06) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) können Fahrradstraßen in Erschließungsstraßen mit einer Belastung von bis zu 400 Kraftfahrzeugen pro Stunde eingesetzt werden)
Letztlich ist jede Ausweisung einer Straße zur Fahrradstraße eine Einzelfallentscheidung, welche durch die referatsübergreifende Arbeitsgruppe Fahrradstraßen, der VertreterInnen aus dem Baureferat, dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung und dem Kreisverwaltungsreferat angehören, getroffen wird.
Frage 2:
Welche Markierungen werden angebracht?
Antwort:
Die Piktogramme (Zeichen 244.1 StVO) werden grundsätzlich im Verlauf der Fahrradstraße nach jeder Einmündung aufgebracht. Sind Einmündungen dicht nebeneinander wird unter Umständen nicht an jeder Einmündung ein Piktogramm aufgebracht. Die derzeit verwendeten Piktogramme haben die Größe 80 cm x 80 cm. Im unter Frage 7 beschriebenen Pilotversuch werden Piktogramme in der Größe 3 m x 2 m verwendet und im Rahmen des Versuches auf deren Wirkung hin untersucht.
Frage 3:
Wie läuft die Kommunikation über die veränderten Verkehrsregeln mit Anwohnerinnen und Anwohnern sowie mit den Autofahrerinnen und Autofahrern?
Antwort:
Das Kreisverwaltungsreferat klärt z. B. mit dem Flyer „Fahrradstraßen in München“ und über die Webseite über die Verkehrsregeln in Fahrradstraßen auf. Wird eine Straße zur Fahrradstraße ausgewiesen erfolgt bisher jedoch keine spezielle Kommunikation über die veränderten Verkehrsregeln mit den AnwohnerInnen und KraftfahrzeugfahrerInnen im Sinne einer gezielten Ansprache. Sobald dem Kreisverwaltungsreferat durch das Baureferat die beschilderungs- und markierungstechnische Umsetzung einer Fahrradstraße gemeldet wird, werden die Informationen auf den Kommunikationskanälen der Öffentlichkeitsarbeit für den Radverkehr in München aktualisiert und ggf. Pressemeldungen erstellt.
Frage 4:
Wie breit muss die Fahrbahn sein, die Radfahrenden zur Verfügung steht?
Antwort:
Um die Akzeptanz von Fahrradstraßen bei den Radfahrenden zu erreichen, werden zukünftig Fahrradstraßen nur ausgewiesen, wenn diese eine lichte Fahrgassenbreite von mindestens 4 m – kurze Engstellen ausgenommen – aufweisen.
Frage 5:
Welche Parkplatzordnung ist in Fahrradstraßen erlaubt? Ist z. B. Schrägparken erlaubt, das ein unübersichtliches rückwärtiges Ausparken mit der Gefährdung von passierenden Radfahrenden nötig macht?
Antwort:
Grundsätzlich gibt es bei der Ausweisung von Fahrradstraßen keine Ausschlusskriterien in Bezug auf die Parkplatzanordnung. Sofern in einer als Fahrradstraße in Betracht kommenden Straße Schräg- oder Senkrechtparker vorhanden sind, kommt der vorhandenen lichten Fahrgassenbreite eine besondere Bedeutung zu.
Frage 6:
Unter welchen Voraussetzungen werden in Fahrradstraßen Parkplätze gestrichen?
Antwort:
Die Herausnahme von Parkplätzen bei der Ausweisung von Fahrradstraßen kommt z. B. in Betracht, um die unter Frage 4 angesprochene lichte Fahrgassenbreite zu erreichen oder um die Sichtbeziehungen an den Einmündungen zu verbessern. Dies ist eine Einzelfallentscheidung im Ermessen des Kreisverwaltungsreferates. Dabei kommt dem örtlich zuständigen Bezirksausschuss im Rahmen der Anhörung ein besonderes Gewicht zu. Eine Herausnahme von Parkplätzen gegen den Willen des jeweiligen Bezirksausschusses erfolgt nicht. Im Zweifel wird bei Nichtzustimmung des Bezirksausschusses auf die Ausweisung der Fahrradstraße verzichtet.
Frage 7:
Im interfraktionellen Stadtratsantrag 14-20/A 01819 wurden „echte Fahrradstraßen“ gefordert. Die Bevorrechtigung von Radfahrenden sollte optisch und, wo zielführend, auch baulich hervorgehoben werden. Wie ist der Stand der Umsetzung in zwei Pilotprojekten?
Antwort:
Aufgrund des von Ihnen angesprochenen interfraktionellen Stadtratsantrags richtet das Kreisverwaltungsreferat drei Fahrradpilotrouten ein, um verschiedene Verbesserungsmaßnahmen hinsichtlich Markierung und Beschilderung sowie die Wirkung einer Vorfahrtsberechtigung der Fahrradstraße testen zu können. Damit soll die Attraktivität wichtiger Radrouten gesteigert und es sollen auch Erkenntnisse für die zukünftige Gestaltung von Fahrradstraßen gewonnen werden. Geplant sind die Fahrradroute Menzinger Straße – U-Bahnhof Petuelring (Umsetzung geplant für 2019) und die zukünftige Radachse durch das Neubaugebiet Freiham. Seit 16.10.2018 ist als erste Pilotroute die Fahrradstraße Clemensstraße zwischen Schleißheimer Straße und Leopoldstraße bereits umgesetzt. Auf der Clemensstraße sollen v. a. Markierungen und Beschilderungen, ggf. in Verbindung mit „weichen“ baulichen Maßnahmen zum Tragen kommen. Bereits unabhängig vom Pilotprojekt im Vorfeld umgesetzte geschwindigkeitsdämpfende Knotenpunktmaßnahmen (Fußgängerüberwege) ergänzen das Pilotprojekt optimal. Auf der zu untersuchenden Pilotroute Menzinger Straße – U-Bahnhof Petuelring kommen vor allem „harte“ bauliche Maßnahmen (Kreuzungsumbau, Straßenverbreiterung, Deckensanierung und Inseleinbau) zum Tragen. Bei der zu untersuchenden Fahrradstraße durch das Neubaugebiet Freiham wird es sich um eine „echte“ Fahrradstraße handeln, welche nicht für den motorisierten Verkehr freigegeben wird. Das Pilotprojekt wird durch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung evaluiert.
Frage 8:
Wie wird „Parkdruck“ gemessen?
Antwort:
Sofern die Herausnahme von Parkplätzen bei der Ausweisung einer Straße zur Fahrradstraße in Betracht kommt, erfolgt eine Einschätzung zu deren verkehrlicher Verträglichkeit durch die Abteilung Verkehrsplanung im Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Von Seiten der Verkehrsplanung erfolgt dabei eine Abwägung zwischen dem Parkraumbedarf und den städtebaulichen Aspekten bzw. der Verkehrssicherheit, die den Entfall von Stellplätzen rechtfertigen können. Eine explizite Parkraumerhebung erfolgt jedoch nur bei Vorhaben mit einem Parkraumentfall größerem Umfangs. Da Fahrradstraßen der Förderung des Radverkehrs auf einem attraktiven Netz abseits der Hauptverkehrsstraßen und damit letztlich auch der Verkehrssicherheit dienen, nehmen diese im Abwägungsprozess ein großes Gewicht ein. Bei einem Entfall von Parkplätzen im Bereich eines Parklizenzgebietes kommen unter Umständen Anpassungen der Parkregelungen in Betracht. Wie bereits unter Punkt 6 dargelegt, erfolgt keine Herausnahme von Parkplätzen gegen den Willen des jeweiligen Bezirksausschusses.
Frage 9:
Wie wird „Fahrraddruck“ gemessen?
Antwort:
Wir gehen davon aus, dass Ihre Frage darauf abzielt, wie die Zahl des Radverkehrs erhoben wird. Nach der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO zu Zeichen 242.1 und 242.2) kommen Fahrradstraßen nur dann in Betracht, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder dies alsbald zu erwarten ist. Um dies beurteilen zu können, wird auf beim Referat für Stadtplanung und Bauordnung vorhandene Verkehrszahlen (motorisierter Verkehr und Radverkehr) zurückgegriffen. Sind Verkehrszahlen nicht vorhanden oder veraltet, werden, sofern nicht offensichtlich erkennbar ist, dass der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder dies alsbald zu erwarten ist, aktuelle Verkehrszählungen durch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung veranlasst.
Frage 10:
Wie wird der Sicherheit von Radfahrenden in Fahrradstraßen Rechnung getragen?
Antwort:
Durch Beachtung der unter Frage 1 genannten Kriterien bzw. Anforderungen an Fahrradstraßen wird der Sicherheit von Radfahrenden in Fahrradstraßen Rechnung getragen.
Wir gehen davon aus, dass Ihre Anfrage abschließend beantwortet ist und stehen für Rückfragen jederzeit gerne zur Verfügung.