Das „Iglu“ aus Kunststoff für Obdachlose, die in keine Unterkunft gehen
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Dr. Reinhold Babor, Anja Burkhardt, Alexandra Gaßmann und Frieder Vogelsgesang (CSU-Fraktion) vom 4.12.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 4.12.2018 führen Sie zusammengefasst Folgendes aus:
„Niemand muss in München auf der Straße schlafen. Dennoch gehen viele Obdachlose nicht in die angebotenen Kälteschutzeinrichtungen aus teilweise unerklärlichen persönlichen Gründen. In der Presse wurde nach Aussagen von Obdachlosen berichtet, dass man in der Bayernkaserne weder tagsüber bleiben noch Wertsachen sicher aufbewahren könne, es gebe keine Kochmöglichkeiten und in den Schlafsälen finde man keine Ruhe oder Privatsphäre.
Die Camps unter der Reichenbach- und der Wittelsbacherbrücke wurden Ende November geräumt, aber die Probleme bleiben. In Paris und Bordeaux wurden Iglus für Obdachlose mit der Abmessung von zwei Metern und ein Meter Höhe getestet. Das Iglu besteht aus Polyethylen mit Aluminiumverstärkungen. Es speichert die Körperwärme und sorgt für Schutz vor Kälte und bietet auch ein Dach über dem Kopf. Es kann leicht transportiert werden, da es zusammen geklappt werden kann. Es soll nicht mehr als 200 Euro kosten.“
Zu Ihrer Anfrage vom 4.12.2018 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Vorbemerkung
Zu den von Ihnen genannten Aussagen in der Presse über das Kälteschutzprogramm möchte ich vorab Folgendes mitteilen: das Kälteschutzprogramm mit 850 Bettplätzen ist ein humanitäres Angebot der Landeshauptstadt München zusätzlich zu den bestehenden ca. 6.000 Bettplätzen im Sofortunterbringungssystem (Flexi-Heime, Notquartiere, Clearinghäuser und Beherbergungsbetriebe) für wohnungslose Menschen in München. Im Sofortunterbringungssystem können die wohnungslosen Frauen, Männer und Familien selbstverständlich auch tagsüber bleiben, es gibt Kochmöglichkeiten und in der Regel Doppelzimmer, beim Vorliegen einer körperlichen oder psychischen Erkrankung gegebenenfalls auch ein Einzelzimmer.Das Kälteschutzprogramm und der zukünftige Sommer-Übernachtungsschutz (ab 1.5.2019) sind ein zusätzliches freiwilliges Angebot der Landeshauptstadt München vor allem für obdachlose EU-Bürgerinnen und EU-Bürger ohne Sozialleistungssanspruch, das in dieser Form bundesweit einmalig ist. In anderen deutschen Kommunen gibt es für diesen Personenkreis gar keine Angebote, oder zum Beispiel Unterkünfte mit Isomatten oder nachts geöffnete U-Bahn-Stationen.
Der Kälteschutz bietet eine Übernachtungsmöglichkeit und Duschmöglichkeiten, jedoch keine Möglichkeit, sich tagsüber in den Zimmern aufzuhalten und auch keine Kochgelegenheiten. Tagsüber können sich die obdachlosen Personen in verschiedenen Tagestreffs (Teestube „komm“, Tagestreff otto & rosi, Bahnhofsmission, Haneberghaus St. Bonifaz etc.) aufhalten und erhalten dort sozialpädagogische Beratung und kostenloses oder sehr günstiges Essen und Trinken. (siehe Vorlage Nr. 14-20/V 13350 vom 27.11.2018). Alle Personen, die im Kälteschutz übernachten, bekommen einen Spind zugewiesen und können dort ihre Sachen einsperren. Die Schlösser dafür müssen sie selbst mitbringen, für mittellose/hilflose Personen werden jedoch auch Schlösser kostenlos ausgegeben. Im Kälteschutz gibt es Mehrbettzimmer (4-Bett-, 6-Bett-, 8-Bett-, 10-Bett und 12-Bett-Zimmer und je ein Zimmer mit 16 und eines mit 18 Bettplätzen). Für den neuen Kälteschutzstandort in der Lotte-Branz-Straße werden ausschließlich 4-Bett-Zimmer geplant.
Ziel der Wohnungslosenhilfe in München ist es, nachhaltige Hilfen anzubieten, damit Obdach- und Wohnungslosigkeit überwunden werden. An erster Stelle steht die Unterbringung in Flexi-Heimen, Notquartieren, Beherbergungsbetrieben, Clearinghäusern beziehungsweise in verbandlichen Einrichtungen. Falls dies nicht möglich ist, erfolgt eine Vermittlung in den Kälteschutz/Sommer-Übernachtungsschutz und ambulante Beratungsangebote. Die Streetworkerinnen und Streetworker des Evangelischen Hilfswerkes gGmbH suchen deshalb im Auftrag des Sozialreferates unermüdlich die obdachlosen Menschen an ihren Plätzen auf und versuchen, diese Hilfen zu vermitteln.
Frage 1:
Könnte ein Iglu aus Kunststoff mit den Maßen einer Matratze mit Dach, wie in Frankreich entwickelt, besonders im Winter in München zum Einsatz kommen?
Antwort:
Die Stadtverwaltung und die Träger der Wohnungslosenhilfe sind immer offen für neue und innovative Ideen. Wie in der Vorbemerkung ausgeführt, würden solche Maßnahmen die Obdachlosigkeit verstetigen anstatt diese zu überwinden. Insofern hält das Sozialreferat den Einsatz solcher Iglus gerade nicht für das richtige Vorgehen.
Für die Iglus müssten daneben Standorte im Stadtgebiet gefunden werden. Dies stellt aus Sicht des Sozialreferates die erste große Hürde dar. Es würde nicht ausreichen, den Personen ein Grundstück in einem Park oder einer öffentlichen Grünfläche zur Verfügung zu stellen. Auf dem Grundstück müssten auch Toiletten und Waschgelegenheiten bereit stehen. Weiterhin würden die obdachlosen Personen Kochgelegenheiten benötigen und auch eine Möglichkeit, wo sie sich tagsüber aufhalten können. Die Iglus in Matratzengröße bieten keinen Platz zur Aufbewahrung von Gegenständen. Das heißt – es müssten auch Spinde oder zusätzliche Iglus zur Gepäckaufbewahrung bereitgestellt werden.
Frage 2:
Könnte damit erreicht werden, dass Obdachlose, die in keine Unterkunft gehen, bei frostigen Temperaturen ein „Dach“ über dem Kopf bekommen?
Antwort:
Das Sozialreferat versteht unter einem „Dach über dem Kopf“ eine feste Unterkunft oder Wohnform und keine Zelte oder Iglus. Es stellt sich die Frage, wie lange die Obdachlosen in diesen Iglus leben sollen oder wollen. Mehrere Monate oder Jahre in einem sehr engen Iglu zu verbringen, ist aus Sicht des Sozialreferates menschenunwürdig und es ist fraglich, welche Perspektive diese Menschen mit solchen Maßnahmen aufgezeigt bekommen sollten.
Auch das Kälteschutzprogramm und der zukünftige Sommer-Übernachtungsschutz sollen nur eine kurzfristige Überbrückungsmöglichkeit darstellen. Die dort tätigen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen entwickeln mit den Klientinnen und Klienten Perspektiven und Lösungsansätze für ein Leben in regulärem Wohnraum in München oder im Heimatland.
Frage 3
Könnten solche Iglus an geeigneten Orten aufgestellt werden, wobei die Zuteilung an die Obdachlosen durch Streetworker erfolgt?
Antwort:
Zu den geeigneten Orten siehe auch Antwort zu Frage Nr. 1
Die Stadtverwaltung kann eine verfestigte Lagerbildung auf öffentlichem Grund nicht akzeptieren, da neben der Gefährdung der obdachlosen Personen selbst durch Kälte, Feuer oder Überfälle, auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleistet werden muss. Selbst bei Iglu-Zeltstädten wären diese Gefahren aus Sicht des Sozialreferates nicht vollends gebannt. Daneben kommt es bei größeren Lagern beziehungsweise Camps regelmäßig zu Beschwerden, weil sich Anwohnerinnen und Anwohner durch die Lager an sich, den Alkoholkonsum der obdachlosen Personen oder durch Geruchs- und Lärmbelästigung gestört fühlen.
Die erschreckenden Berichte aus Zeltstädten in Berlin, Paris und anderen Großstädten zeigen, dass die Vermeidung größerer Camps sinnvoll und menschenwürdig ist.
Zur Frage, ob die Zuteilung durch die Streetworker erfolgen kann: Die Streetworkerinnen und Streetworker sehen ihren Auftrag in der Vermittlung der obdachlosen Menschen in feste Unterkünfte. Ein Leben unter Brücken, „auf der Straße“, in Parks oder in Iglus ist eine menschenunwürdige Lebensperspektive. Vielmehr versuchen die Streetworker seit vielen Jahren, in Zelten lebende Menschen zu motivieren, feste Unterkünfte anzunehmen.
Frage 4:
Kann mit einem solchen Iglu ein geordneter persönlicher Bereich für den Obdachlosen entstehen und damit die beanstandeten, unansehlichen Matratzenlager verschwinden?
Antwort:
Aufgrund der engen Maße der Iglus ist der persönliche Bereich für den einzelnen Obdachlosen stark eingeschränkt. Weiterhin kann in den Iglus nicht gekocht werden und die Iglus haben auch keine Sanitäranlagen. Von daher wäre eine Iglusiedlung aus Sicht des Sozialreferates nur denkbar in Verbindung mit den Einrichtungen, die auch ein Campingplatz vorhält. Poblematisch an einem städtischen „Obdachlosen-Campingplatz“ wäre, dass die Gründe, die aus Sicht der Betroffenen gegen den Einzug in den Kälteschutz/Sommer-Übernachtungsschutz sprechen, auch gegen den „Campingplatz“ sprechen würden. In der Hausordnung für einen Campingplatz müssten Regelungen zu Ruhezeiten, Alkohol- und Drogengebrauch und Waffenbesitz aufgenommen und auch durchgesetzt werden. Vor diesem Problemhintergrund und weil damit nur die Verfestigung eines Lebens in der Obdachlosigkeit gefördert würde, wird diese Idee von
Seiten des Sozialreferates nicht weiterverfolgt.