Was weiß die Landeshauptstadt über die Gründe für willkürliche Hausdurchsuchungen – auch bei einem Mitglied des Migrationsbeirats?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 16.10.2018
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 16.10.2018 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Es kommt in München verstärkt zu Hausdurchsuchungen, Ermittlungen, Prozessen und Strafbefehlen – auch bei demokratisch gewählten Mit- gliedern des Münchner Migrationsbeirates – wegen des Verdachts ‚des Zeigens von Symbolen von Organisationen, die dem Vereinsverbot gegen die Kurdische Arbeiterpartei PKK zugerechnet werden‘. Konkret geht es um Symbole der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten in Rojava (Nord- Syrien) YPG und YPJ.
So wurde ein bekannter Künstler in einem Strafbefehl über 2.000 Euro nur aus dem Grunde verurteilt, weil er einen (!) Facebook-Beitrag aus dem Reisebericht des Autors Kerem Schamberger (‚Die Kurden. Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion‘, 2018) geteilt hatte. Wohl anlässlich Erdogans Staatsbesuchs wurde – wie aktuell bekannt wurde – sogar die Facebook- Seite Schambergers für 14 Tage (!) gesperrt – von wem, aus wessen Veranlassung? Vorangegangen war bei ihm eine Hausdurchsuchung. Ähnlich ergeht es nun einer weiteren Münchnerin, der am 17. 0ktober 2018 der Prozess wegen des ‚Zeigens von Symbolen von YPG und YPJ gemacht wird. Eine uns bekannte Hausdurchsuchung wegen ähnlicher Vorwürfe betrifft ein Migrationsbeiratsmitglied.
In der Antwort vom 7. Juli 2018 auf eine Anfrage der LINKEN zu ‚Mei- nungsfreiheit und Bekämpfung des Terrorismus‘ hatte der Kreisverwaltungsreferent ausgeführt: ‚Nach Ansicht der Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferats ist das Zeigen oder Verteilen von entweder aus- schließlich Öcalan-Porträts oder ausschließlich Fahnen mit dem Schriftzug YPG, YPJ und PYD versammlungsrechtlich unter bestimmten Voraussetzungen zulässig...‘ – vor allem wenn keine ‚weiteren Umstände vorliegen‘, die ‚einen Zusammenhang zu PKK-nahen Aktivitäten erkennen lassen‘. Natürlich ist der Kreisverwaltungsreferent als Chef der Versammlungsbehörde nicht die Staatsanwaltschaft und auch nicht die staatliche Polizeibehörde. Dennoch wären die Einschätzungen im Lichte der oben geschilderten Aktivitäten von Interesse.“
Zur umfassenden Beantwortung Ihrer Fragen habe ich das Polizeipräsidium München sowie die Staatsanwaltschaft München I um Stellungnahme gebeten. Auf die Beantwortung der Stadtratsanfragen vom 7.6.2018 „Solidarität mit den Menschen in Afrin – ein Grund für Anzeigen?“ und „Meinungsfreiheit und Bekämpfung des Terrorismus“ wird ergänzend hingewiesen. Zusammenfassend beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Gibt es Erkenntnisse über die Anzahl der Hausdurchsuchungen in den genannten Sachverhalten? Lässt sich über das Polizeipräsidium München Näheres erfahren?
Antwort:
Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 21.12.2018:
„Im Sachzusammenhang ergingen in ausgesuchten Fällen Durchsuchungsbeschlüsse. Sie betrafen dabei jeweils Personen, die mehrfach im Zusammenhang mit diesem Delikt in Erscheinung getreten waren. Aufgrund noch laufender Verfahren kann keine Auskunft gegeben werden.“
Frage 2:
Gibt es zwischen Versammlungsbehörde der Landeshauptstadt, Staatsanwaltschaft und Bayerischer Polizei unterschiedliche Rechtsauffassungen dazu?
Antwort:
Soweit die Frage die Rechtsauffassung zur Strafbarkeit des Zeigens von Symbolen der PYD, YPG und YPJ während Versammlungen betrifft, wird auf die Antworten auf die Fragen 1 und 2 der Anfrage „Solidarität mit den Menschen in Afrin – ein Grund für Anzeigen“ sowie der Fragen 3, 4 und 6 der Anfrage „Meinungsfreiheit und Bekämpfung des Terrorismus“ verwiesen. Beide Anfragen sind mit Antwortschreiben vom 7.6.2018 beantwortet worden.
Mit Stellungnahme vom 17.12.2018 führte die Staatsanwaltschaft München I hierzu ergänzend Folgendes aus:
„Die Staatsanwaltschaft prüft im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags das Vorliegen strafbaren Verhaltens. Sie ist dabei ausschließlich an das gel-tende Recht gebunden. Staatsanwaltschaft und Polizei sind nach dieser Maßgabe nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet zu ermitteln, wenn sie von strafbaren Handlungen Kenntnis erlangen.
Dies vorausgeschickt gilt für die Verwendung von Kennzeichen der YPG, YPJ und PYD, dass nach hiesiger Rechtsaufassung grundsätzlich ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG vorliegt. Diese Auslegung hat das Landgericht München I mit Beschluss vom 24.5.2018 bestätigt.
Eine Ausnahme kommt etwa dann in Betracht, wenn nach der konkreten Verwendung im Einzelfall eine eindeutige Distanzierung zur ‚PKK‘ erfolgt. Dies bedarf der einzelfallbezogenen Prüfung.“
Die Versammlungsbehörde der Landeshauptstadt München prüft derzeit bei Versammlungen, bei denen Symbole der YPG, YPJ oder PYD als Kundgebungsmittel angezeigt werden, ob bereits im Vorfeld der Versammlung ein Kontext zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erkennbar ist. Ein für die Versammlungsbehörde erkennbarer Bezug zur PKK kann sich beispielsweise aus dem gewählten Versammlungsthema oder durch entsprechende Äußerungen der Veranstalterin bzw. des Veranstalters ergeben. Wenn ein solcher Bezug bereits im Vorfeld der Versammlung offensichtlich vorliegt und die Veranstalterin bzw. der Veranstalter im Rahmen der Kooperation gleichwohl nicht bereit ist, die Anzeige entsprechender Kundgebungsmittel zurückzunehmen, erfolgt eine Untersagung der Verwendung dieser Kundgebungsmittel durch die Versammlungsbehörde der Landeshauptstadt München.
Soweit im Vorfeld der Versammlung ein Bezug der PKK nicht offensichtlich vorliegt, erfolgt hinsichtlich angezeigter Kundgebungsmittel mit der Symbolik YPG, YPJ oder PYD folgende beschränkende Verfügung: „Beim Zeigen oder Verwenden der Kundgebungsmittel, die den Schriftzug YPG, YPJ oder PYD tragen, darf keinerlei Bezug zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans oder zu Abdullah Öcalan hergestellt werden.“ Demnach dürfen die Kundgebungsmittel also nicht verwendet werden, wenn dies im Kontext zur PKK erfolgt. Die Veranstalterinnen bzw. Veranstalter werden zudem auf die oben dargestellte Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft München I und das hohe Risiko von Strafanzeigen im Falle der Verwendung der entsprechenden Kundgebungsmittel hingewiesen.
Frage 3:
Gibt es Erkenntnisse über aktuelle Entwicklungen zu den Rechtsauffassungen in Sachen Vereinsverbot PKK und der Art der „näheren Umstände“, durch die ein Zeigen von Symbolen der YPG, YPJ und PYD zu Strafverfolgung führen kann?
Antwort:
Mit Stellungnahme vom 17.12.2018 führte die Staatsanwaltschaft München I hierzu Folgendes aus:
„Derzeit sind diverse Verfahren beim Amtsgericht München bzw. in zweiter Instanz beim Landgericht München I anhängig. Eine rechtskräftige Entscheidung liegt noch nicht vor.“
Auch nach der Kenntnis des Kreisverwaltungsreferates liegt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung der Strafgerichte zur Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG im Fall von Symbolen der YPG, YPJ und PYD vor. Der derzeit aktuelle Stand der Rechtsprechung sowohl der Verwaltungs- als auch der Strafgerichte und eine Darstellung der verschiedenen Rechtsansichten findet sich in einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 24.9.2018, Az.: M 13 K 18.742. Zusammenfassend ergibt sich nach einer Ansicht eine Strafbarkeit dann, wenn die Verwendung der Symbole im Kontext zur PKK erfolgt – etwa durch zusätzliches Verwenden weiterer Kundgebungsmittel mit PKK-Bezug oder aufgrund des Anlasses, der Thematik bzw. des Ziels der Versammlung. Eine andere Ansicht geht bei der Verwendung der Symbolik grundsätzlich von einer Strafbarkeit aus, da die Symbole von der PKK als eigene Kennzeichen verwendet würden. Nur wenn der Kontext zur PKK zweifelsfrei nicht bestehe, entfalle eine Strafbarkeit.
Aufgrund der beschriebenen komplexen Rechtslage und des hohen Risikos für die Versammlungsteilnehmerinnen bzw. Versammlungsteilnehmer, sich bei Verwendung entsprechender Symbolik strafbar zu machen oder sich zumindest strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, wirkt die Versammlungsbehörde der Landeshauptstadt München, wie bereits in der Antwort zu Frage 2 dargestellt, derzeit im Rahmen der Kooperation darauf hin, auf die Verwendung der Symbole der YPG, YPJ und PYD auch dann zu verzichten, wenn eine Untersagung im Vorfeld der Versammlung nicht möglich ist.