Verliert München tatsächlich seit Jahren laufend Gewerbeflächen und Arbeitsplätze oder wird hier mit Zahlenspielen die Bilanz bewusst heruntergerechnet?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden und Anna Hanusch (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 16.1.2019
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 16.1.2019 führen Sie als Begründung aus:
„Im Zuge des Gewerbeflächenentwicklungsprozesses GEWI wird immer wieder behauptet, dass seit Jahren durch Umstrukturierungsprozesse laufend Gewerbeflächen verloren gehen, ohne Berücksichtigung, dass durch eine Vielzahl von Nachverdichtungen und im Zuge von Neubauprojekten zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Antworten auf die gestellten Fragen sollen dazu dienen, mehr Wahrheit und Klarheit in die Diskussion zu bringen. “
Einführend zur Beantwortung Ihrer Fragen folgende Hinweise zur Erläuterung:
Die Bilanzierung der Gewerbeflächen erfolgt getrennt nach klassischem Gewerbebaurecht (Eignung für Gewerbe mit höherem Störungsgrad – GE/A) in Hektar und dem sogenannten höherwertigem Gewerbe (GE/B, MI, MK) in Quadratmeter Geschossfläche (GF). Dies liegt zum einen in den unterschiedlichen städtebaulichen Anforderungen (Dichte, Verkehrsflächenanteil, Lagerflächen) von produzierendem Gewerbe (GE/A) und höherwertigem Gewerbe (zumeist Bürostrukturen in GE/B, MI, MK). Zum anderen bemisst sich im Falle der Umstrukturierung von GE/A Flächen das Ausgangsbaurecht in den meisten Fällen nach § 34 BauGB, d.h. insbesondere nach Art und Maß der baulichen Nutzung der betroffenen Fläche und seiner näheren Umgebung. Eine präzise Erfassung des tatsächlichen Umfangs der gewerblichen Geschossfläche wäre in diesen Fällen nur mit einem unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich.
Die jährlichen Berichte des Referates für Stadtplanung und Bauordnung über neu ausgewiesenes gewerbliches Baurecht, die in den Jahreswirtschaftsberichten des RAW übernommen werden, folgen auch dieser Systematik.
In der Antwort werden je nach Fragestellung Flächen berücksichtigt, bei denen die Bebauungsplanverfahren abgeschlossen sind (Satzungsbeschluss), bzw. für die ein entsprechender Aufstellungs- und ggf. Billigungsbeschluss gefasst wurde. Ausnahmen hiervon sind entsprechend gekennzeichnet.
In den folgenden Aufstellungen werden sämtliche Angaben für MK/MI-Flächen zu 100% angesetzt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass MK/MI-Flächen regelmäßig Nutzungsanteile von bis zu 60% für gewerbefremde Nutzungen wie Wohnen, soziale Infrastruktur, Gastronomie und Einzelhandel enthalten kann.
Die in Ihrer Anfrage gestellten Fragen können wie folgt beantwortet werden:
Frage 1:
Wie viele Hektar GE-Flächen sind in den letzten 10 Jahren in München verloren gegangen?
Welches Baurecht in Quadratmeter Geschossfläche (und umgerechnet in ha) ging dabei verloren? Wie viele davon jeweils auf städtischem Grund und auf Privatgrund?
Antwort:
Im Betrachtungszeitraum gingen 115 ha Flächen für klassisches Gewerbe GE/A verloren. Hiervon entfallen 4,3 ha auf städtische Grundstücke.
Darüber hinaus werden 10,7 ha städtische klassische Gewerbeflächen mittel- bis langfristig für die Unterbringung von Geflüchteten und weiteren sozialen Einrichtungen genutzt und stehen damit dem Gewerbemarkt nicht zur Verfügung.
Im Betrachtungszeitraum gingen für GE/B und MI- und MK-Nutzungen 824.000 m² GF (davon 102.000 m² GF städtische Flächen) verloren.
Frage 2:
Wie viele Hektar GE-Flächen werden laut aktuellen städtebaulichen Planungen des Planungsreferates in den kommenden 5 Jahren 2019 bis einschließlich 2023 voraussichtlich verloren gehen? Welches Baurecht in Quadratmeter Geschossfläche (und umgerechnet in ha) geht dabei verloren? Wie viele davon jeweils auf städtischem Grund und auf Privatgrund?
Antwort:
In den nächsten Jahren werden voraussichtlich 34,4 ha GE/A-Flächen verloren gehen. Hiervon entfallen 3 ha auf städtische Flächen.Durch die Nutzung als Interimsstandort für den Gasteig entfallen an der Hans-Preißinger-Straße ab 2020 voraussichtlich weitere 2,4 ha Sondergebiet GE im Eigentum der Stadtwerke München.
In den nächsten Jahren werden voraussichtlich 319.000 m² GF GE/B, MI und MK verloren gehen. Hiervon entfallen 32.000 m² GF auf städtische Flächen.
Frage 3:
Wie viele Quadratmeter (und ha) GE-Geschossfläche wurden in den letzten 10 Jahren neu geschaffen,
a) in Neubaugebieten (z. B. in den Gewerbegebieten Freiham Süd, Wasserburger Landstraße/Stolzhofstraße, Neuperlach Süd, BMW FIZ Future, Parkstadt Schwabing, etc.),
b) wie viele durch Umstrukturierungsmaßnahmen und Nachverdichtungen (z.B. Neue Balan, Werksviertel, Schwabinger Tor, etc.)?
Antwort:
In den letzten 10 Jahren wurden gewerbliche Bebauungspläne als Satzung beschlossen, die 48,7 ha GE/A-Flächen (davon 21,5 ha für die Verlagerung einer Brauerei mit Logistikflächen) sowie 1.405.000 m² GF GE/B MI- und MK-Flächen umfassten.
Darüber hinaus wurden 362.000 m² Geschossfläche in Sondergebieten ausgewiesen, darunter 202.000 m² GF für das BMW FIZ Nord und weitere 140.000 m² GF für Handelseinrichtungen.
Der Bebauungsplan für das Gewerbegebiet Freiham Süd wurde bereits 2005, der Bebauungsplan für das Gewerbegebiet Wasserburger Landstraße/Stolzhofstraße 2008 und der Bebauungsplan für die Parkstadt Schwabing 1999 als Satzung beschlossen und sind in der Antwort nicht berücksichtigt.
Die Angaben für die Bebauungspläne für das BMW FIZ Nord und für Neuperlach Süd (Carl-Wery-Str.) sind in den genannten Zahlen berücksichtigt
Frage 4:
Wie viele Quadratmeter (und ha) GE-Geschossfläche werden laut aktuellen städtebaulichen Planungen des Planungsreferates in den kommenden 5 Jahren 2019 bis einschließlich 2023 voraussichtlich neu geschaffen,a) in Neubaugebieten (z.B. BMW FIZ Future, Bayernkaserne, neue Gewerbehöfe, etc.),
b) wie viele durch Umstrukturierungsmaßnahmen und Nachverdichtungen (z.B. GE am Vogelweideplatz, neues Bürogebäude der SZ, neue Büroflä- chen der Versorgungskammer an der Richard-Strauß-Straße etc.)?
Antwort:
Mit Ausnahme der beabsichtigten Baurechtsschaffung für das BMW FIZ Nord-Nord (vgl. Unterpunkt 4b) sind die benannten gewerblichen Baurechte sog. Kerngebietsflächen (MK).
Baurechtsschaffung für klassisches Gewerbe ist in diesem Zeitraum bisher nicht vorgesehen.
zu a)
In den nachstehenden Ausführungen werden Planungen berücksichtigt, für die bereits ein Aufstellungsbeschluss gefasst wurde. Nach Mitteilung des Planungsreferates kann nur für die Jahre 2019 bis 2021 ein realistischer Zeithorizont zur Schaffung gewerblicher Baurechte angegeben werden.
In den Jahren 2019 bis 2021 sollen in Neubaugebieten die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausweisung von 51.000 m² gewerblicher GF geschaffen werden.
Das Neubaugebiet Bayernkaserne wurde im Dezember 2018 als Satzung beschlossen. Hier wurde im wesentlichen Wohnbaurecht als Allgemeines Wohngebiet und als Urbanes Gebiet ausgewiesen. Gewerbliche Nichtwohnnutzung im Erdgeschoss wird sich vor allen Dingen auf Handel und handelsnahe Dienstleistungen beschränken.
Der Stadtrat hat am 06.02.2018 die Fortschreibung des Gewerbehofprogramms mit zehn weiteren Standortvorschlägen beschlossen (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/ V 09951). Das Referat für Arbeit und Wirtschaft wird noch 2019 eine Beschlussvorlage zur Intensivierung des Gewerbehofprogramms vorlegen. Zur Umsetzung eines Gewerbehofprojektes bedarf es neben der Flächenverfügbarkeit und den planerischen Voraussetzungen bzw. dem Beginn eines Bauleitplanungsverfahrens auch des Realisierungs- und Finanzierungsbeschlusses durch den Stadtrat. Diese Voraussetzungen sind aktuell an keiner Stelle gegeben, so dass keine Prognose hinsichtlich neuer Gewerbehöfe getroffen werden kann.Zu b)
In den Jahren 2019 bis 2021 sollen durch Umstrukturierungen und Nachverdichtungen die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausweisung von 491.000 m² gewerblicher GF geschaffen werden. Davon sind allein 356.000 m² GF Sondergebiet Forschung und Entwicklung für BMW im Bereich FIZ Nord Nord bestimmt.
Demgegenüber werden aber im gleichen Zeitraum in Umstrukturierungsgebieten 319.000 m² GF verlorengehen.
Das GE am Vogelweideplatz ist an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da der Bebauungsplan für das Bogenhausener Tor bereits 2014 als Satzung beschlossen wurde. Das neue Bürogebäude der SZ ist in den Zahlen des Planungsreferats nicht genannt, da noch kein Bebauungsplanverfahren eingeleitet wurde. Auch für die Büroflächen der Versorgungskammer an der Richard-Strauss-Straße wurde noch kein Aufstellungsbeschluss gefasst; hier könnte sich die Geschossfläche um 35.000 m² GF auf insgesamt 68.000 m² GF erhöhen.
Frage 5:
Wie hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in den Jahren 2009 – 2018 entwickelt? Gibt es belastbare Prognosen für die Entwicklung der Arbeitsplätze in München für 2019 – 2023? Bitte auch neue Arbeitsplätze in der städtischen Verwaltung, bei neuen Schulen und KiTas angeben.
Antwort:
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Angestellten hat sich in München von 690.111 im Jahre 2009 auf 850.395 Beschäftigte im Jahr 2017 erhöht. Für das Jahr 2018 liegen noch keine Zahlen vor. Die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe (sekundärer Sektor) hat sich im gleichen Zeitraum von 123.052 auf 134.951 erhöht.
Hinsichtlich der Frage der Entwicklung der Arbeitsplätze in München ist voranzustellen, dass im Gegensatz zur Statistik der sozialversicherungspflichtig Angestellten, die jährlich und aktuell veröffentlicht wird, bei der Entwicklung der Beschäftigung lediglich alle fünf bis acht Jahre eine Erwerbstätigenprognose in Auftrag gegeben wird. Darüber hinaus umfasst die Zahl der Erwerbstätigen, neben den sozialversicherungspflichtigen Angestellten auch Beamte, Selbständige und geringfügig Beschäftigte.
Im Januar 2016 wurde die aktuelle Prognose bis zum Jahr 2030 veröffentlicht. Die Prognose geht bei der Zahl der Erwerbstätigen von einemAnstieg von 1.087.300 im Jahr 2016 auf 1.207.782 im Jahr 2030 aus. Eine konkrete Zahl für das Jahr 2023 kann die Prognose nicht benennen.
Hinsichtlich der Zahl der Arbeitsplätze bei der Stadtverwaltung München hat das Personal- und Organisationsreferat mitgeteilt, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze bei der Stadtverwaltung München in den Jahren 2009 bis 2018 um rund 9.000 (darunter Schulen 1.500, Kita 1.800) erhöht hat.
Die Gesamtzahl der Beschäftigten der Landeshauptstadt München (Verwaltung etc.) beträgt aktuell rund 40.000 Personen. Davon entfallen alleine 7.500 auf Schulen und 6.500 auf KiTas.
Nach Auskunft des Personal- und Organisationsreferats ist eine Prognose für die Beschäftigten der Landeshauptstadt nicht möglich, da die Einstellung neuer Beschäftigter regelmäßig vom Stadtrat beschlossen werden muss.
Fazit:
Eine Bilanzierung der Bebauungspläne hinsichtlich der GE/ A- Flächen weist im Betrachtungszeitraum einen negativen Saldo in Höhe von 67 ha aus. Darüber hinaus wurden Aufstellungsbeschlüsse gefasst, die in den nächsten drei Jahren einen weiteren Verlust von 34,4 ha bedeuten.
Durch eine soziale Zwischennutzung in den nächsten fünf bis zehn Jahren stehen weitere 10,7 ha GE/A- und GE/B-Fläche für gewerbliche Nutzungen nicht zur Verfügung.
Für die höherwertigen gewerblichen Nutzungen mit GE/B-Charakter (Kerngebiet, Mischgebiet und gewerbliche Sondergebiete) ergibt sich in den letzten zehn Jahren ein positiver Saldo von ca. 943.000 m² GF.
Ein weiterer Gewinn von 223.000m² GF ergibt sich rechnerisch in den nächsten drei Jahren bei der Berücksichtigung der gefassten Aufstellungsbeschlüsse.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass neues MI/MK-Baurecht sehr hohe Anteile nicht-gewerblicher Nutzung (neben Wohnen vor allen Dingen Handel) enthält, auch bei den neu geschaffenen Sondergebieten ca. 140.000 m² GF insbesondere für Handel geschaffen wurden, diese Flächen für die Beantwortung Ihrer Anfrage jedoch, gemäß der üblichen Praxis, zu 100% angesetzt wurden.Weiterhin zu berücksichtigen ist aber auch der Umstand, dass sowohl in den genannten GE-A- als auch den GE-B-Flächen hohe Anteile unternehmensbezogener Vorhaben (FIZ Nord, FIZ Nord-Nord, Brauereiverlagerung) enthalten sind, die dem Gewerbeflächenmarkt nicht zur Verfügung stehen bzw. stehen werden.
Ließe man beispielsweise bei den Zahlen für die nächsten Jahre die große unternehmensbezogene Planung „FIZ Nord-Nord“ außen vor, wäre die Bilanz durch Umstrukturierung und Neuschaffung für höherwertiges Gewerbe negativ, in der Konsequenz, dass dem Immobilienmarkt in den nächsten drei Jahren 133.000 m² GF weniger an höherwertiger Gewerbefläche zur Verfügung stehen würde.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen hiermit zufriedenstellend beantworten konnte.