Nach den Dieselgipfeln und Fahrverbotsurteilen: Gesunde Luft für München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Anja Berger, Paul Bickelbacher, Anna Hanusch, Sabine Krieger, Sabine Nallinger und Dr. Florian Roth (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 23.11.2018
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage haben Sie folgende Ausführungen vorangestellt:
„In mehreren Städten haben Gerichtsurteile Fahrverbote für 2019 angeordnet. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass nächstes Jahr auch für München entsprechende richterliche Entscheidungen vorliegen. Auf mehreren Dieselgipfeln hat die Bundesregierung Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur Vermeidung bzw. Abfederung von Fahrverboten angekündigt (zum Beispiel siehe https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/konzept-klarheit-fuer-dieselfahrer.html) .“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich und beantworte ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Können die womöglich erst nach 2020 angebotenen Hardwarenachrüstungen (die weder für alle Marken noch für die nicht in Städten mit hohen NO2-Überschreitungen angemeldeten Kfz finanziell von den Herstellern übernommen werden) in den nächsten Jahren (beispielsweise bis 2022) zur Einhaltung der NOx-Grenzwerte führen?
Antwort:
Das am 2.10.2018 von der Bundesregierung verabschiedete „Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ sieht in allen von Grenzwertüberschreitungen hinsichtlich NO2 betroffenen Städten Hardwarenachrüstungen bei schweren Kommunalfahrzeugen (über 3,5t) sowie bei Handwerker- und Lieferfahrzeugen (2,8t bis 7,5t) vor. In Kommunen, in denen der höchstgemessene Wert in 2017 über 50 µg/m³ im Jahresmittel lag, gelten zusätzliche Maßnahmen. Diese beinhalten zum einen Umstiegsprämien und Rabatte für Euro 4 und Euro 5 Dieselfahrzeuge, beim Kauf von Neufahrzeugen oder emissionsärmeren gebrauchten Fahrzeugen, zum anderen kostenlose Hardware-Nachrüstungen für Euro 5 Diesel-Fahrzeuge mit einem SCR-System (Harnstoff-Einspritzung/AdBlue) seitens der Automobilhersteller. Außerdem wird festgelegt,dass bestimmte Fahrzeuge (alle Euro 6-Fahrzeuge sowie Euro 4 und Euro 5 Fahrzeuge, die im realen Fahrbetrieb Stickstoffdioxidemissionen von weniger als 270 mg pro Kilometer ausstoßen) von Verkehrsbeschränkungen und -verboten ausgenommen werden sollen.1
Welche Wirkung derartige Maßnahmen entfalten und ob damit bis 2020 der Jahresgrenzwert von 40 µg/m³ auch an den kritischen verkehrsbelasteten Streckenabschnitten in München eingehalten werden kann, entzieht sich den Kenntnissen der Landeshauptstadt München und kann von der Stadtverwaltung auch nicht abgeschätzt werden.
Vor diesem Hintergrund habe ich jedoch mit Schreiben vom 4.6.2018 an Regierungspräsidentin Els und auch als Maßnahme der 7. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Stadt München der Regierung von Oberbayern eine entsprechende Wirkungsanalyse vorgeschlagen (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13611).
Frage 2:
Wie beurteilt die Landeshauptstadt München das negative Abstimmungsverhalten des Freistaat Bayerns im Bundesrat hinsichtlich Hardwarenachrüstungen in Bezug auf die Verantwortung des Freistaats für die Gesundheit und die Einhaltung der NO2-Grenzwerte in seiner Landeshauptstadt?
Antwort:
Aus Sicht der Landeshauptstadt München ist entscheidend, dass die Emissionen an der Quelle reduziert werden. Dies kann durch einen forcierten Flottenaustausch und/oder eine entsprechende Nachrüstung der bestehenden, auf Münchens Straßen fahrenden Diesel-Fahrzeuge erfolgen. Aufgrund der teilweise deutlich zu hohen Werte an den stark befahrenen Streckenabschnitten ist schnelles Handeln notwendig. Daher unterstützt die Landeshauptstadt München beide Wege mit Nachdruck.
Frage 3:
Wie sinnvoll und vom Datenschutz her akzeptabel ist die von der Bundesregierung vorgesehene Kennzeichenabfrage bei der Kontrolle etwaiger Fahrverbote?
Antwort:
Seitens der Bundesregierung ist eine automatische Kennzeichenerfassung und ein automatischer Abgleich des Kfz-Kennzeichens mit dem zentralen Fahrzeugregister vorgesehen. Die dafür notwendige rechtliche Grundlage soll über eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes geschaffen werden.Der diesbezügliche Entwurf eines neunten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) wurde in geänderter Fassung vom Bundestag beschlossen2.
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Datenerhebung ausschließlich zum Zweck der Feststellung von Verstößen gegen die aufgrund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes angeordneten Verkehrsbeschränkungen und Verkehrsverbote erfolgen darf. Eine Überprüfung erfolgt nur stichprobenartig und mit mobilen Kontrollgeräten. Damit ermöglicht die Regelung keine flächendeckende Überwachung der Einhaltung bereits angeordneter Verkehrsbeschränkungen. Eine verdeckte Datenerhebung ist ebenso unzulässig wie Bewegtbildaufzeichnungen, also beispielsweise Videoaufnahmen. Weiterhin sieht die Neuregelung eine absolute Löschungsfrist der erhobenen Daten von zwei Wochen nach ihrer erstmaligen Erhebung vor.
Das KVR führt zu der vorgesehenen Fahrzeugüberprüfung Folgendes aus: „Aufgrund des aktuellen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2018 zur Vereinbarkeit automatisierter Kennzeichenabfragen mit dem Grundrecht der informellen Selbstbestimmung hat die Bundesregierung von der ursprünglich geplanten lückenlosen
Erfassung aller in den gesperrten Bereich einer ggf. künftigen Fahrverbotszone einfahrenden Fahrzeuge mittels Bewegtbildaufzeichnung Abstand genommen.
Das KVR geht zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass Verstöße gegen ein ggf. künftiges Fahrverbot, wie derzeit bei Verstößen gegen die Umweltzone, durch die Kommunale Verkehrsüberwachung (KVÜ) nur im Rahmen von Kontrollen im ruhenden Verkehr geahndet werden können.
Der Gesetzgeber vermeidet leider weiterhin eine eindeutige Kennzeichnung der betroffenen Fahrzeuge, zum Beispiel durch die Schaffung einer neuen Plakette. Eine solche wäre für die Überwachungskräfte der KVÜ effektiv und ohne großen Aufwand im Rahmen der Kontrollen im ruhenden Verkehr – wie in der existierenden Umweltzone mit den vorhandenen Plaketten – kontrollierbar.
Statt dessen werden mit der vorgesehenen Gesetzesänderung die Kontrollen verkompliziert. Die Überwachungskräfte müssen künftig demnach wohl nicht nur bei Fahrzeugen ohne Plakette, sondern selbst bei bestimmten Fahrzeugen mit grüner Plakette vor Ort (bei Wind und Wetter) eine noch zu schaffende Online-Abfrage beim Kraftfahrt Bundesamt (KBA) tätigen, um in jedem Einzelfall festzustellen, ob für das besagte Fahrzeug die Voraussetzungen zum Befahren des jeweiligen Bereiches vorliegen oder nicht. Einesofortige Vorort-Abfrage durch den Außendienst beim Innendienst in jedem Einzelfall würde den Ablauf der Kontrollen behindern.
Diese sofortigen Vorort-Abfragen scheinen aufgrund der verdachtsunabhängigen Erfassung/Prüfung von Kennzeichen rechtlich nach einer ersten Einschätzung problematisch. Die nun beabsichtigte Regelung im StVG muss eine für die Aufgabenerledigung geeignete Rechtsgrundlage schaffen. Darüber hinaus müssen die übrigen datenschutzrechtlichen Grundsätze und Vorgaben bei der Verwaltungstätigkeit berücksichtigt werden.
Es wird davon ausgegangen, dass seitens des Bundes- bzw. Landesministerium nach Verabschiedung der Gesetzesänderung zum einheitlichen und praktikablen Vollzug „Verwaltungsrichtlinien“ für die Vollzugsbehörden erlassen werden.
Mit den vorliegenden Angaben und der beschriebenen Datenlage sind keine Aussagen möglich, die eine Einschätzung des Aufwands und Ressourcenbedarfs im Bereich des KVRs ermöglichen.
Bezüglich der Verkehrsüberwachung ist es in erster Linie eine IT-technische Frage. Die Dienstkräfte der Verkehrsüberwachung sind bereits mit Smartphones ausgerüstet. Seitens der KVÜ ist die Schaffung der dann ggf. benötigten Zugriffe mit einer Meldung in einem leicht bedienbaren Format erforderlich, das heißt die Kontrollkraft sollte nach Eingabe des Kennzeichens eine schnelle übersichtliche Meldung erhalten, die anzeigt „berechtigt oder nicht“ ohne langes Suchen in bedingt übersichtlichen Fahrzeugdaten.
Ohne eine derartige technische Unterstützung wären im Hinblick auf den Mehraufwand und die primären Aufgaben der städtischen Verkehrsüberwachung, anders als bei den zur Zeit (zum Beispiel im Rahmen der bestehenden Plaketten) schnellen Entscheidungen des Außendienstes vor Ort, künftig ggf. nur stichprobenartige Kontrollen möglich.“
Frage 4:
Wie ist die Landeshauptstadt München zum Beispiel mit Ressourcen vorbereitet auf die 2019 oder 2020 durch Gerichtsbeschlüsse drohenden Fahrverbote (angesichts der vom KVR erst angemeldeten und dann wieder im Eckdatenbeschluss gestrichenen Stellen hierfür)?
Antwort:
Ergänzend zur Antwort auf Frage 3 haben sich die Aussagen in der von der LHM im Jahr 2017 betrachteten vorläufigen Szenarienuntersuchungzu Aufwand und Ressourcen im Hinblick auf die Beschilderung und die Bearbeitung von Ausnahmegenehmigungen grundsätzlich nicht geändert (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 10628). Aufgrund der Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) entstünde jedoch ein zusätzlicher Aufwand für die IT-Ausstattung der Verkehrsüberwachung, welcher derzeit nicht näher beziffert werden kann.
Frage 5:
Wie wird die Werbung des Kraftfahrtbundesamtes für die mit Rabatten erwerbbaren neueren Diesel-Kfz beurteilt bezüglich a) der staatlichen Neutralitätspflicht,
b) des NO2-Ausstoßes im Realbetrieb der Kfz, c) der Folgen für die CO2-Ziele etwa für München, wenn statt Umstieg auf ÖV, Rad, Elektromobilität und/oder Carsharing der Erwerb neuer Dieselkraftfahrzeuge beworben wird?
Antwort:
Wenn es Ziel ist, die NO2-Grenzwerte schnell im Interesse des Gesundheitsschutzes der Münchner Stadtbevölkerung einhalten zu wollen, ist – in Ergänzung zur Antwort auf Frage 2 – jede Maßnahme grundsätzlich zu begrüßen, die zu einer Reduzierung der NO2-Emissionen an der Quelle führt. Mittel- bis langfristiges Ziel muss es sein, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs in München zu reduzieren und den Restverkehr so emissionsarm wie möglich – zum Beispiel über Elektromobilität – abzuwickeln. Dies ist Grundlage des Masterplans zur Luftreinhaltung der Landeshauptstadt München (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 12218).
Frage 6:
Wie ist aus Sicht der Landeshauptstadt München folgende Aussage des Bundesverkehrsministers Scheuer (CSU) zu beurteilen: „Es gibt aus die- sem Ministerium für Kommunen künftig nur noch Förderungen, wo aktu- elle Luftreinhaltepläne vorgelegt werden“ – angesichts der Tatsache, dass a) die Länder für die Luftreinhaltepläne zuständig sind und b) der Freistaat Bayern bisher keine nur ansatzweise wirkungsvolle Fortschreibung des Luftreinhalteplans für München vorgelegt hat?
Antwort:
Die zitierte Aussage von Herrn Bundesverkehrsminister Scheuer kann nur an Stadtstaaten und solche Kommunen gerichtet gewesen sein, bei denen die Zuständigkeit für die Erstellung und Fortschreibung der Luftreinhaltepläne in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt.Die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 zu den Luftreinhalteplänen der jeweiligen Länder für die Städte Stuttgart und Düsseldorf hat zu keiner Änderung der Zuständigkeiten bezüglich der Erstellung eines Luftreinhalteplans geführt. Zuständig für eine Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Stadt München ist demnach weiterhin der Freistaat Bayern bzw. die Regierung von Oberbayern, denn nach Artikel 8 des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes (BayImSchG) stellen die Regierungen die Luftreinhaltepläne nach Paragraf 47 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) auf.
Die Bayerische Staatsregierung hat mit Beschluss des Ministerrats vom 12.02.2019 die Regierung von Oberbayern beauftragt, eine Fortschreibung des Luftreinhalteplans vorzunehmen, die angesichts der 2018 gemessenen deutlich besseren Luftsituation keine Fahrverbote vorsieht.
Die Regierung von Oberbayern hat verdeutlicht, dass sie entsprechend des Ministerratsbeschlusses vom 12.02.2019 zügig die 7. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für das Stadtgebiet München entwickeln und in Kraft setzen will. Dabei sollen wie vom Ministerrat festgelegt keine strecken- oder flächenbezogenen Fahrverbote aufgenommen werden. Bis 20.03.2019 war die Landeshauptstadt aufgerufen, weitere Maßnahmenbeiträge für ein zu entwickelndes Konzept einzubringen, so dass im Anschluss zeitnah die Öffentlichkeitsphase beginnen kann.
Die Landeshauptstadt München ist dem Aufruf der Regierung von Oberbayern gefolgt und hat mit Stadtratsbeschluss vom 20.03.2019 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 14302) neun weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Luftsituation an stark verkehrsbelasteten Strecken in München beschlossen. Im Fokus stehen bei diesen zusätzlichen Maßnahmen die Standorte, an denen 2018 NO2-Jahresmittelwerte über dem gesetzlichen Grenzwert von 40 µg/m3 gemessen wurden. Diese neun Maßnahmen
ergänzen die bereits im Dezember 2018 an die Regierung von Oberbayern gemeldeten 128 Maßnahmenblätter, die auf den im Sommer 2018 beschlossenen Masterplan zur Luftreinhaltung der Landeshauptstadt basieren (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 12218 und Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13611).
1 vgl. Bundesverkehrsministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten; Internetquelle (26.03.2019): http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/konzept-klarheit-fuer-dieselfahrer.html sowie Konkretisierung im Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, BT-Drucksache 19/6335, 19/6927 und 19/8257.
2 Vgl. BT-Drucks. 19/8248, 19/6334 und 19/6926.