Sind Daten und Dienste von Immobilienscout24 hilfreich oder hinderlich für eine soziale Wohnungspolitik?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 27.3.2019
AntwortStadtbaurätin Professorin Dr.(l) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 27.3.2019 haben Sie gemäß Paragraph 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Die Landeshauptstadt München nutzt Daten und Dienste des Immobilienportals ‚Immobilienscout24‘ als Indikator ‚Mittlere Wiedervermietungsmiete nettokalt‘ bei der Bestimmung von Erhaltungssatzungsgebieten. Für die Erhebung des Wohnungsmarktbarometers werden seit 2017 ebenfalls Daten von Immobilienscout24 herangezogen.
Darüber hinaus werden freifinanzierte Wohnungen und München-Modell- Wohnungen der beiden kommunalen Wohnungsgesellschaften GWG und GEWOFAG über Immobilienscout24 angeboten.
DIE LINKE im Stadtrat München sieht die Nutzung von Daten von privaten Immobilienplattformen, deren Validität und die Auslagerung von städtischen Kompetenzen an Immobilienscout24 sehr kritisch.“
Frage 1:
Sieht die Stadt die Möglichkeit, die Festlegung von Erhaltungssatzungs- gebieten durch überteuert angebotene Mietwohnungen zu beeinflussen? Sind die dabei verwendeten Daten von Immobilienscout24, die ja das Luxus-Segment abbilden, eine valide Grundlage für die Abgrenzung von Erhaltungssatzungsgebieten? Stehen die Daten auch der Öffentlichkeit zur Verfügung, damit sie von der Öffentlichkeit geprüft werden können?
Antwort:
Das Monitoring zur Prüfung von Erhaltungssatzungsgebieten in der Landeshauptstadt München besteht derzeit aus insgesamt 17 Indikatoren, die das Aufwertungspotenzial des Gebäudebestandes und die Verdrängungsgefahr der Bevölkerung in den Untersuchungsgebieten abbilden. Die Angebotsmieten sind demnach nur einer von vielen Indikatoren, die bei der Entscheidung für oder gegen den Erlass einer Erhaltungssatzung relevant sind. Die Möglichkeit, die Festlegung eines Satzungsgebietes über einzelne Indikatoren zu beeinflussen, ist nicht realistisch, da mehrere Faktoren gegeben sein müssen, um ein Erhaltungssatzungsgebiet zu begründen. Sosind nicht nur niedrigere Mieten ein Kriterium für mögliche zukünftige Aufwertungsprozesse, sondern zum Beispiel auch das Alter der Gebäude oder der Anteil an Umbaumaßnahmen im Wohnungsbestand.
Bei der Untersuchung der Erhaltungssatzungsgebiete ist außerdem nicht ausschlaggebend, wie hoch die Miete absolut gesehen ist, sondern ob sie im Vergleich mit dem Durchschnitt der Gesamtstadt beziehungsweise der Viertel innerhalb/außerhalb des Mittleren Rings über- oder unterdurchschnittlich ist. So kann eingeschätzt werden, ob in einem Gebiet Mieterhöhungspotenziale gegeben sind, die Gentrifizierungsprozesse wahrscheinlicher machen.
Es wird daher keine Möglichkeit gesehen, die Festlegung von Erhaltungssatzungsgebieten durch überteuert angebotene Mietwohnungen zu beeinflussen.
Die Landeshauptstadt München geht außerdem nicht davon aus, dass bei Immobilienscout24 lediglich das Luxus-Segment auf dem Wohnungsmarkt abgebildet wird. Zwar ist anzunehmen, dass die angebotenen Mietwohnungen tendenziell teurer vermietet werden als Wohnungen, die „unter der Hand“ im Verwandten- und Bekanntenkreis vermittelt werden und gar nicht erst auf dem Wohnungsmarkt auftauchen. Jedoch hat ein Großteil der Wohnungssuchenden in München, hierunter vor allem Personen, die von außerhalb zuziehen, keinen Zugang zu diesen Wohnungen und ist daher auf das Angebot von Portalen wie Immobilienscout24 angewiesen. Die hohen Mieten, die verlangt werden, bilden für viele Wohnungssuchende die Realität auf dem Münchner Mietwohnungsmarkt ab.
Unrealistisch hohe sowie unrealistisch niedrige Angebote werden, ebenso wie Dubletten, vor Verwendung des Datensatzes gesichtet und eliminiert.
Der von Immobilienscout24 überlassene Datensatz steht der Öffentlichkeit in der verwendeten Form nicht zur Verfügung. Jedoch waren die zugrunde liegenden Wohnungsinserate über das Portal von Immobilienscout24 zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Internet frei zugänglich.
Frage 2:
Besteht die Gefahr, dass der Wohnungsmarktbarometer durch überteuert angebotene Mietwohnungen auf Immobilienscout24 verzerrt wird?
Antwort:
Das Wohnungsmarktbarometer dient der Beobachtung der Angebotsmieten und Kaufpreise für Wohnimmobilien auf dem freien Markt und dientso unter anderem als Frühwarnsystem für Veränderungen bei Mieten und Kaufpreisen. Dabei wird nicht der Anspruch erhoben, den kompletten Markt abbilden zu können. Von einer „Verzerrung“ des Wohnungsmarktbarometers kann nicht gesprochen werden, da deutlich ausgewiesen wird, dass die Analyse der Angebotsmieten (d.h. Neumietverträge) nur einen Teilbereich des Mietwohnungsmarktes abbildet.
Amtliche Mietendaten, die flächendeckend auf kleinräumiger Ebene und in jährlich aktualisierter Form vorhanden sind, existieren nicht. Die Mikrozensuserhebungen finden in größeren zeitlichen Abständen statt und bilden eher die langfristige Mietenentwicklung ab.
Um die Auswertungen einordnen zu können, widmet sich ein ganzes Kapitel des Wohnungsmarktbarometers dem Vergleich mit anderen Quellen. Zum Teil liegt die ermittelte Durchschnittsmiete im Wohnungsmarktbarometer über den Werten aus anderen Quellen, in einem Fall aber auch darunter. Zu berücksichtigen ist, dass im Wohnungsmarktbarometer Wohnungen aller Größenklassen betrachtet werden. Dies ist nicht bei allen Vergleichsanalysen der Fall, weshalb sich die Werte allein schon deshalb unterscheiden.
Frage 3:
Welche Informationen werden über Immobilienscout24 von den Bewerbe- rinnen und Bewerbern erhoben und wie lange werden diese gespeichert?
Antwort:
Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG stellen bei Immobilienscout24 lediglich Wohnungsangebote ein. Bewirbt sich ein Interessent auf eine dieser Wohnungen, muss er zwingend seinen Namen, Adresse und E-Mail-Adresse angeben, damit er eine Anfrage absetzen kann. Diese Daten gehen an lmmobilienscout24. Darüber hinaus gehende Daten erhält lmmobilienscout24 nicht, weil die eigentliche Vermietung der Wohnungen über den Dienstleister „Wohnungshelden“ abgewickelt wird. Bei „Wohnungshelden“ werden dann anschließend weitergehende personenbezogene Daten verarbeitet.
GWG und GEWOFAG fragen beim Bewerbungsprozess nur Daten ab, die
für die Wohnungsvergabe gemäß der Vergaberichtlinie der Landeshauptstadt München relevant sind. Diese Daten bei „Wohnungshelden“ werden nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens nach sechs Monaten gelöscht. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften haben „Wohnungshelden“ vertraglich dazu verpflichtet, sich an die Datenschutzgrundverordnung zu halten.
Frage 4:
Werden Daten oder Dienste von Immobilienscout24 durch die Stadt bzw. die Verwaltung für weitere Zwecke verwendet?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung verwendet die Miet- und Kaufpreisdaten aus den Immobilienanzeigen zum Zwecke der Wohnungsmarktbeobachtung und bei der Untersuchung von Erhaltungssatzungsgebieten. Die Daten werden nicht an andere Stellen weitergegeben. Es besteht keine Kenntnis darüber, ob andere Stellen innerhalb der Stadtverwaltung ebenfalls Daten von Immobilienscout24 beziehen.
Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verwenden Daten von Personen, die sich über Immobilienscout24 auf eine Wohnung der GWG bzw. GEWOFAG bewerben nur im Rahmen der Vergaberichtlinie der Landeshauptstadt München (LHM). Eine Weitergabe der Daten erfolgt nicht.
Frage 5:
Entstehen der Stadt jeweils Kosten bei der Nutzung der Daten von Immobilienscout24? Wenn ja, wie hoch sind diese?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung erhält von Immobilienscout24 pro Quartal einen Datensatz mit den Miet- und Kaufanzeigen für das gesamte Stadtgebiet sowie alle vier Jahre einen Datensatz mit Miet- und Kaufanzeigen für die gesamte Metropolregion München. Die Kosten für den Ankauf der Daten von Immobilienscout24 belaufen sich jährlich auf einen Betrag im oberen vierstelligen Bereich.
Für die Einstellung von Wohnungsanzeigen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften auf Immobilienscout24 entstehen der LHM keine Kosten, da diese durch die GEWOFAG bzw. GWG selbst übernommen werden. Es handelt sich dabei um monatliche Beträge in Höhe von ca. 850 Euro.