Entwicklung der Besucherzahlen im NS-Dokumentationszentrum
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Kathrin Abele, Renate Kürzdörfer, Marian Offman, Klaus Peter Rupp, Julia Schönfeld-Knor, Dr. Constanze Söllner-Schaar und Christian Vorländer (SPD-Fraktion) vom 8.8.2019
Antwort Kulturreferent Anton Biebl:
Das NS-Dokumentationszentrum bittet die wegen Überlastung des zuständigen Bereichs nicht fristgerecht erfolgte Beantwortung Ihrer Anfrage und die unterbliebenen Anträge auf Fristverlängerung vielmals zu entschuldigen.
Sie haben nach der Entwicklung der Besucherzahlen des NS-Dokumentationszentrums gefragt.
Ihre Anfrage vom 8. August 2019 beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Wie hat sich die Besucherzahl im NS-Dokumentationszentrum vom Zeitpunkt der Eröffnung entwickelt. Wir bitten um Vorlage der Zahlen für den Betrachtungszeitraum von der Eröffnung bis zum 31. Dezember 2019.
Antwort:
2015, im Jahr der Eröffnung, hatte das NS-Dokumentationszentrum rund 180.000 Besucherinnen und Besucher (davon rund 125.000 in den eintrittsfreien ersten drei Monaten nach der Eröffnung). Von rund 95.000 Besuchen 2016 steigerte sich die Zahl auf rund 100.000 im Jahr 2017 und rund 120.000 im Jahr 2018 bis auf knapp 190.000 für das Jahr 2019.
Frage 2:
Wie hoch ist die Gesamtbesucherzahl seit der Eröffnung?
Antwort:
Die Gesamtbesucherzahl seit der Eröffnung beträgt bis zum 31. Dezember 2019 über 680.000.
Frage 3:
Wie hoch ist der Anteil von Schul- und Studierendengruppen an dieser Gesamtzahl?
Antwort:
Der Anteil von Schul- und Studierendengruppen an dieser Gesamtzahl beträgt in etwa 25%.
Frage 4:
Hat der vom Stadtrat beschlossene kostenlose Eintritt seit April 2019 einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Besucherzahlen gehabt und in welchem Ausmaß?
Antwort:
Ein Vergleich der Besucherzahlen 2019 mit denen von 2018 zeigt:
Während die Zahlen des Zeitraums Januar bis Ende April 2019 in etwa denen des Vorjahres entsprechen, ist direkt nach der Einrichtung des freien Eintritts für die Monate Mai und Juni ein Anstieg um knapp 160% zu verzeichnen, der sich für die Folgemonate bis zum Jahresende auf ein durchschnittliches Plus von gut 60% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einpendelt.
Diese Steigerungen sind mit Sicherheit auch, aber nicht nur ausschließlich, auf den freien Eintritt zurückzuführen. Wie aktuelle Studien aus Baden-Württemberg, Berlin und Essen belegen, wirkt sich freier Eintritt in Museen nur dann nachhaltig aus, wenn zugleich andere Neuerungen umgesetzt sowie attraktive Ausstellungen und Veranstaltungen geboten werden, die medial entsprechend beworben werden.
Das NS-Dokumentationszentrum hat sich schon seit der Eröffnung als Lern- und Erinnerungsort etabliert, wie die insgesamt über die Jahre nach der Eröffnung steigenden Besucherzahlen zeigen. Die Attraktivität des Angebots an Vermittlungsangeboten, Ausstellungen und Veranstaltungen für ein breit gefächertes Publikum, Weiterempfehlungen durch zufriedene Besucherinnen und Besucher, wirkungsvolle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und ein zielgruppengerechtes Marketing haben dazu ebenso beigetragen wie die aktive Besucherakquise.
Frage 5:
Welche proaktive Arbeit wird betrieben zur weiteren Bekanntmachung des NS-Dokumentationszentrums und zur Steigerung der Besucherzahlen (z.B. Werbemaßnahmen, Veranstaltungen, usw.)?
Antwort:
Über eine aktive Besucherakquise werden gezielt Multiplikatoren und potentielle Zielgruppen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft (z.B. schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen, bürgerschaftlich Engagierte, Glaubensgemeinschaften, Sozialverbände) angesprochen.Darüber hinaus bietet ein stetig wachsendes, breites, diverses und stark zielgruppenorientiertes Angebot den niedrigschwelligen Zugang zum Haus und zur Thematik.
Vielfältige und genreübergreifende Kooperationen (wie z.B. mit dem Amerikahaus, dem Literaturhaus, dem DOK.fest, den Kammerspielen oder der Städtischen Galerie im Lenbachhaus) sowie neue Ausstellungsformate (wie die aktuelle Ausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ oder die in Kooperation mit der Berufsschule für Farbe und Gestaltung reali sierte Ausstellung „Nicht Schwarz-Weiß“) erschließen neue Zielgruppen. Das NS-Dokumentationszentrum ist bei allen Aktionstagen (wie dem Tag der offenen Tür der Stadtverwaltung, dem Internationalen Museumstag, den Internationalen Wochen gegen Rassismus, der Langen Nacht der Münchner Museen, dem Kunstareal-Fest etc.) mit Veranstaltungen beteiligt und zudem seit Jahren auf der ITB Berlin.
Flyer, Programmhefte, Einladungen etc. werden über einen umfassenden Postverteiler an interessierte Einzelpersonen, Institutionen und Touristeninformationen versandt so
wie zudem über kommerzielle Anbieter distribu-
tiert und sorgen so gemeinsam mit einem regelmäßigen Newsletter und verschiedenen Plakatieraktionen dafür, dass die Angebote des Hauses in der breiten Öffentlichkeit präsent sind und bekannt gemacht werden. Die Präsenz in den Sozialen Medien wird seit Ende 2018 kontinuierlich verstärkt und ausgeweitet. Durch die intensive Bespielung mehrerer Kanäle (aktuell Twitter, Facebook und Instagram) wird eine breite nationale wie auch internationale Öffentlichkeit er
reicht. Die Online-Community wird re-
gelmäßig und ausführlich über die Angebote des NS-Dokumentationszentrums informiert. Durch die große Reichweite, die die Sozialen Medien als Marketing-, Kommunikations- und Vermittlungs-Tool haben, werden die Inhalte zudem allen Generationen und sozialen Schichten zugänglich gemacht.
Frage 6:
Gibt es Überlegungen zu einer „Wirkungsanalyse“ bei den Besucherinnen und Besuchern des NS-Dokumentationszentrums?
Antwort:
Das NS-Dokumentationszentrum München wird die Entwicklung der Besucherzahlen weiterhin aufmerksam beobachten. Seit November 2019 findet eine in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Amt erstellte regelmäßige, allgemeine und stichprobenartige Befragung der Einzelbesucherinnen und -besucher statt, in deren Rahmen neben soziodemografischen Daten, Besuchsmotivationen und anderen Themen auchdie Haltung zum Ein-
trittspreis abgefragt wird.
Frage 7:
Erfolgt und erfolgte im Rahmen der Wechselausstellungen und/oder Bereichen der Dauerausstellung eine kritische Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen, Neonazis, der Pegida-Bewegung und sonstigen Strömungen?
Antwort:
Von 29.November 2017 bis 2. April 2018 war im NS-Dokumentationszentrum München die Ausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945“ zu sehen, die neben dem historischen Rechtsextremismus auch aktuelle rechtspopulistische, rechtsradikale und rechtsextreme Organisationen und Tendenzen aufgezeigt hat. Auch die ideologischen Grundlagen des Rechtsextremismus und deren Anschlussfähigkeit in der Mitte der Gesellschaft waren Thema der Ausstellung.
Auch in der Wechselausstellung „Die Stadt ohne. Juden Muslime Ausländer Flüchtlinge“ (30. Mai bis 10. November 2019) wurden aktuelle Beispiele rechtspopulistischer, rechtsradikaler und rechtsextremer Äußerungen und Umtriebe thematisiert, sowohl innerhalb des rechten Parteienspektrums, als auch amBeispiel anderer Organisationen und Vereinigungen.
In der viel beachteten aktuellen Wechselausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“ (über 50 Besprechungen und Berichte in deutschen und internationalen Medien) beschäftigen sich zahlreiche künstlerische Arbeiten mit den genannten Thematiken. Dazu zählen international renommierte, aber auch jüngere deutsche KünstlerInnen wie Hito Steyerl, deren Arbeiten den Antisemitismus und Rechtsextremismus der Nachwendezeit dokumentieren. Die Münchner Künstlerin Cana Bilir-Meir thematisiert das OEZ-Attentat und antimigrantischen Rassismus, Baseera Khan beschäftigt sich mit Islamophobie und antimuslimischem Rassismus, Brian Jungen und Kent Monkman mit Nativism, Arthur Java mit strukturellem Rassismus in den USA, John Rafman thematisiert Gewalt und Hetze im Internet, Trevor Paglen beschäftigt sich mit dem Einfluss von Algorithmen auf Rassismus und antidemokratische Aspekte des Internets, Ken Lum’s und Emeka Ogbohs Arbeiten im Außenraum thematisieren antimigrantische und rassistische Elemente westlicher Gesellschaften, Ydessa Hendeles Ausstellung in der Kirche St. Bonifaz beschäftigt sich mit religiösem Antijudaismus, Antisemitismus und der Shoa – um nur einige zu nennen.
Im Rahmen der „Assembly“, eines Veranstaltungsschwerpunktes auf dem Vorplatz des Hauses (18. bis 28. Juni 2020) werden diese Themen in Dis-kussionen, Filmen, Lectures, Performances u.a. weiterentwickelt und aktiviert.
Wie seit der Eröffnung der Ausstellung Ende November beobachtet werden kann, schlägt sich die Ausstellung nicht nur spürbar in den Besucherzahlen nieder, sondern bringt auch ein neues und diverses Publikum in das NS-Dokumentationszentrum und zieht sowohl Münchnerinnen und Münchner als auch Touristinnen und Touristen an.
Die Dauerausstellung behandelt die Problematik grundsätzlich und exemplarisch. Gegen
wartsbezug wird über einen Newsticker, auf dem aktuelle
Zeitungsberichte und Pressemeldungen zu fremdenfeindlichen Übergriffen wiedergegeben wurden, am Ende der Ausstellung hergestellt.
Auch in den Veranstaltungen setzt sich das NS-Dokumentationszentrum mit Themen wie Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auseinander. Eine 2019 initiierte Reihe befasst sich beispielsweise explizit mit Rassismus und Antisemitismus in der Popkultur. Darüber hinaus finden laufend Vorträge zum Thema statt, wie zuletzt von dem amerikanische Bestsellerautor Ibram X. Kendi 2019 über den amerikanischen Rassismus, vom Leiter des Instituts für Zeitgeschichte Andreas Wirsching über Demokratiegefährdung oder von Volker Weiss über die „Identitäre Bewegung“. Auch im Rahmen von Podiumsdiskussionen, zum Beispiel über den NSU-Prozess oder den europäischen Rechtspopulismus, findet eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Strömungen statt. Diese Veranstaltungen sind regelmäßig sehr gut besucht und werden vom Publikum mit regen Diskussionen begleitet.
Der Erfolg der genannten Ausstellungen und Veranstaltungen zum Themenfeld Rechtsextremismus und Rechtspopulismus zeigt, dass es unter den Besucherinnen und Besuchern ein großes Bedürfnis gibt, aktuelle politische Fragen vor historischem Hintergrund und im internationalen Kontext zu reflektieren und zu diskutieren. Das NS-Dokumentationszentrum sieht es als seine Aufgabe, diese konstruktive Auseinandersetzung zu ermöglichen und damit zur Stärkung unserer demokratischen Kultur beizutragen. Das Haus wird sich daher weiterhin – sei es direkt oder indirekt – mit den drängenden Fragen des politischen Rechtsrucks und sei nen gesellschaftlichen Auswirkungen beschäftigen, sei es im Rahmen von Ausstellungen, Veranstaltungen und Bildungsprogrammen, mit den Mitteln der bildenden Kunst oder über ein gesellschaftspolitisches Engagement wie etwa im Bündnis „Die Vielen“.