Wie steht es um die kinderärztliche Versorgung in München?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Anja Berger, Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch, Jutta Koller, Dominik Krause, Sabine Krieger, Sabine Nallinger, Thomas Niederbühl, Angelika Pilz-Strasser, Dr. Florian Roth, Oswald Utz und Sebastian Weisenburger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 6.2.2020
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Immer wieder schlagen Ärztinnen und Ärzte in München Alarm wegen des Mangels an Personal und Einrichtungen für die medizinische Versorgung von Kindern. So berichtet z.B. die SZ vom 18./19. Januar 2020, dass von den 700 Betten in der Kinder- und Jugendmedizin und der Kinderchirurgie durchschnittlich 80% belegt seien. Diese Zahl relativiere sich dadurch, dass durch den Mangel an Pflegepersonal bis zu 25% der Betten gesperrt seien, die in dieser Rechnung enthalten sind. Rechnerisch und erfahrungsgemäß ergebe sich somit eine massive Unterversorgung. Junge Patientinnen und Patienten, die nicht mehr in einer Münchner Kinderklinik untergekommen sind, werden mit dem Rettungswagen oder Hubschrauber nach Starnberg, Garmisch-Partenkirchen oder Augsburg gebracht. Schon im Gesundheitsausschuss vom 19. April 2018 haben Die Grünen – Rosa Liste um eine Darstellung der medizinischen Versorgungssituation von Kindern in Krankenhäusern in München gebeten. Unser Antrag enthielt auch die Forderung, sich auf der Landes- und Bundesebene für die Beseitigung des Pflegenotstands und die Sicherstellung einer adäquaten medizinischen Versorgung von Kindern einzusetzen. Die Situation scheint sich jedoch immer mehr zuzuspitzen.“
Herr OB Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Zunächst bedanke ich mich für die Terminverlängerung. Die Fragen darf ich – unter Berücksichtigung der Stellungnahme der München Klinik (MüK) zu den Fragen 1 bis 4 – wie folgt beantworten:
Zunächst darf ich in der klinischen Behandlung auf die Unterscheidung zwischen den Fachbereichen der Neonatologie und Pädiatrie hinweisen: Neugeborene vom 1. bis 28. Lebenstag, Säuglinge vom 29. Lebenstag bis zum 1. Geburtstag, danach Kinder. Für die erstgenannten Patientinnen und Patienten ist die Klinik für Neonatologie zuständig, für die weiteren die Kinderklinik (Pädiatrie).
Frage 1:
Wie ist die momentane Belegung in der Pädiatrie in der München Klinik?
Antwort:
Die MüK antwortete hierzu: „Die Kinderklinik Harlaching verfügt zum 1.1.2020 über 17 pädiatrische und 23 neonatologische Betten, davon acht Intensivbetten. Die Kinderklinik Schwabing verfügt zum 1.1.2020 über 52 internistische pädiatrische Betten, 18 kinderonkologische Betten und über 25 neonatologische Betten. Die Kinderklinikbetten (pädiatrische Betten) sind an den Standorten München Klinik Schwabing und München Klinik Harlaching im Februar voll belegt gewesen (Harlaching: 112,5%; Schwabing: 95,3%). Aus medizinischen Gründen (z.B. Influenza, Coronavirus) kann es immer wieder erforderlich sein, dass einzelne Betten gesperrt werden müssen.“
Frage 2:
Wie ist die momentane Personalsituation?
Antwort:
Zur Personalsituation teilt die MüK Folgendes mit: „Für alle zu behandelnden Kinder ist ausreichend Pflegepersonal vorhanden. Zurzeit sind in den beiden Kinderkliniken 25 Pflegestellen aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels nicht besetzt. Eine Besetzung der offenen Stellen würde bereits zu einer deutlichen Entspannung beitragen und Einzelfälle von Verlegungen auch über München hinaus reduzieren bis ausschließen. Bei zusätzlichem spezialisiertem Pflegepersonal könnten rein räumlich auch noch zusätzliche Behandlungskapazitäten angeboten werden. Daher wurden bereits in der Vergangenheit eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um für Bewerberinnen und Bewerber attraktiv zu sein und auch für die Bestandsmitarbeiterinnen gute Arbeitsplätze zu sichern.“
Frage 3:
Gibt es Schließungen von Stationen aufgrund des Fehlens von Personal?
Antwort:
Hierzu teilt die MüK Folgendes mit: „Wenn nicht ausreichend ärztliches oder pflegerisches Personal vorhanden ist, müssen Versorgungskapazitäten eingeschränkt werden. Dies ist bei einzelnen Betten, nicht aber bei ganzen Stationen der Fall. Durch die Neubauten und die dort vorgesehenen erweiterten Untersuchungskapazitäten erwartet die München Klinik eine perspektivische Stabilisierung der Situation. Jedoch können bereits jetzt aufgrund des Fachkräftemangels im Pflegebereich nicht immer alleBettenplätze auf den Intensivstationen vollumfänglich betrieben werden bzw. im Umkehrschluss könnten mehr Betten betrieben werden, wenn mehr Pflegefachpersonal vorhanden wäre.“
Frage 4:
Wie ist der Betreuungsschlüssel in der Pädiatrie (auf der Normalstation und auf der Intensivstation)?
Antwort:
Die Frage wird von der MüK folgendermaßen beantwortet: „Der Betreuungsschlüssel für pädiatrische Intensivpatientinnen und -patienten ist abhängig von der Erkrankungsschwere und der medizinischen Notwendigkeit bei 1:2 bzw. 1:1 (Pflegekraft : Patient).
Auf den Normalstationen ist der Betreuungsschlüssel abhängig von der medizinischen Notwendigkeit und dem Fachgebiet (Kinder- und Jugendpsychosomatik, Kinderchirurgie, Pädiatrie) zwischen 1:5 bis 1:10, also insgesamt weniger hoch als bei Intensivpatientinnen. und -patienten.“
Frage 5:
Wie viele Kinder konnten in den Jahren 2018 und 2019 in den vier Münchner Kinderkliniken nicht aufgenommen werden?
Antwort:
Dem Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) liegen keine Zahlen darüber vor, wie viele Kinder in den vier Münchner Kinderkliniken nicht aufgenommen werden konnten. Eine Betrachtung der Nichtaufnahmen würde eine differenzierte Dokumentation in den einzelnen Kinderkliniken voraussetzen, die in dieser Art aber nicht vorgenommen wird. In Einzelfällen erhält das RGU Kenntnis über Nichtaufnahmen bzw. Verlegungen, die aber keine umfassende Aussage zulässt.
Frage 6:
Wie viele Kinder mussten in andere Kinderkliniken in Garmisch-Partenkirchen, Starnberg oder Augsburg gebracht werden?
Antwort:
Da Ablehnungen und Verlegungen von pädiatrischen Notfallpatientinnen und -patienten nicht systematisch erfasst werden, können keine konkreten Zahlen zu Verlegungen in andere Städte genannt werden.
Frage 7:
Wie viele Kinder wurden auf Grund des Bettenmangels in andere Kinderkliniken verlegt?
Antwort:
Ebenso wenig wie die Zahl der verlegten Kinder systematisch erfasst wird, werden die zugrundeliegenden Ursachen dokumentiert.
Im Interdisziplinären Versorgungsnachweis – System (IVENA), mit dessen Hilfe sich Krankenhäuser von der Akutversorgung abmelden können, besteht zwar die Möglichkeit, den Grund für eine Abmeldung anzugeben, dieser wird jedoch nicht regelhaft und klinikeinheitlich angegeben, so dass Auswertungen zu den Abmeldegründen nicht möglich sind.
Wie in Frage 2 und 3 bereits für die München Klinik erläutert wurde, ist der Pflegekräftemangel eine wichtige Ursache für temporäre Bettensperrungen und betrifft auch die anderen Münchner Kinderkliniken. Im Einzelfall kann bei der Verlegung eines Kindes in eine andere Kinderklinik jedoch nicht festgestellt werden, ob hierfür ein Pflegekräftemangel oder andere Gründe, wie beispielsweise Bettensperrungen aufgrund von Renovierungsarbeiten, ursächlich waren.
Frage 8:
Was hat die LH München unternommen, um die prekäre Situation der Notfallversorgung von Kindern zu verbessern
a) in München?
b) auf Landes- und Bundesebene?
Antwort:
a) in München:
Der Runde Tisch Notfallversorgung unter Federführung des RGU begleitet die Weiterentwicklung der Versorgung der Münchner Bevölkerung mit notfallmedizinischen Leistungen vor dem Hintergrund einer steigenden Inanspruchnahme insbesondere in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser. In diesem Zusammenhang führt das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) am Klinikum der Universität München im Auftrag des RGU derzeit die zweite Münchner Notfallstudie durch. Sie wird die aktuelle und zukünftige Situation der Notfallversorgung in München (2019 bis 2025) analysieren und die konkrete Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen, aber auch von älteren Menschen, dabei in den Fokus rücken. Anhand der Studienergebnisse können gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen entwickelt werden.Da Versorgungsengpässe unter anderem darauf zurückzuführen sind, dass ein Teil der Bettenkapazitäten in den Kliniken aufgrund von Fachkräftemangel nicht genutzt werden kann, hat die LH München entsprechende Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Pflege in die Wege geleitet. Ziel der nachfolgend genannten Maßnahmen ist eine Verbesserung der Pflegesituation in allen Fachbereichen, da der Fachkräftemangel nicht nur die Kinderkliniken betrifft:
-Teilnahme am Runden Tisch Pflege mit Pflegedirektorinnen und -direktoren, Pflegedienstleitungen, Sozialreferat und relevanten Verbänden, -Bezuschussung der Schulsozialarbeit für die Auszubildenden an der Akademie der München Klinik,
-Vorbereitung der Münchner Pflegekampagne zur Gewinnung von Pflegekräften und Auszubildenden (Start voraussichtlich im 3. Quartal 2020), -Etablierung eines Pflegescouts für die pflegefachliche Beratung für Pflegekräfte mit einem Abschluss im Ausland,
-Unterstützung der generalistischen Ausbildung in der Pflege, die ab diesem Jahr bundesweit Pflicht ist. Mit einem Simulations- und Übungszentrum soll vor allem die praktische Ausbildung in der Pädiatrie unterstützt werden (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 15881 „Generalistische Pflegeausbildung – Simulationszentrum“ vom 21.11.2019).
b) auf Landes- und Bundesebene:
Sowohl im Bayerischen als auch im Deutschen Städtetag setzen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt für eine Verbesserung der Notfallversorgung von Kindern und Jugendlichen ein.
Darüber hinaus wurden am 6.4.2020 in einem Schreiben des Oberbürgermeisters an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Verbesserungen in der kindermedizinischen Versorgung auf Ebene der Bundespolitik gefordert. Strukturelle Defizite, zunehmender wirtschaftlicher Druck und der sich verschärfende Fachkräftemangel im ambulanten als auch im klinischen Setting können nicht durch die Kommunen alleine gelöst werden. Vielmehr sind Lösungen auf Bundesebene nötig. Insbesondere wurde eine Verbesserung der Finanzierung der medizinischen und pflegerischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen im ambulanten und im stationären Bereich gefordert.