Prinzregentenstraße: Luftreinhaltung nur vorgeschoben?
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Rathaus Umschau 129 / 2020, veröffentlicht am 10.07.2020
Prinzregentenstraße: Luftreinhaltung nur vorgeschoben?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 8.6.2020
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage haben Sie folgende Ausführungen vorangestellt: „Der Rathaus Umschau vom 4.6.2020 ist zu entnehmen, dass es aufgrund einer neuen Ampelsteuerung entlang der Prinzregentenstraße zu erheblichen Staus bis auf die A94 kommen soll. Als Begründung für die neuen Ampelschaltungen wird angegeben, dass der Luftreinhalteplan umgesetzt wird.
Die Maßnahme wurde vor über einem Jahr beschlossen – für den Fall, dass sich die Luftqualität nicht verbessert und die Grenzwerte nachhaltig überschritten werden. Im vergangenen Jahr hat sich aber (auch ohne Corona-Effekt) die Luftqualität bezüglich der Stickstoffdioxidbelastung in der Stadt erheblich verbessert. Dies wird von Experten auf die bisherigen Maßnahmen und auf die andauernde Verjüngung der Diesel-Fahrzeuge zurückgeführt.
In der Rathaus Umschau heißt es dazu: ‚Nach verschiedenen Maßnahmen der Landeshauptstadt zur Luftreinhaltung gab es in den vergangenen Monaten bei den Messwerten stadtweit – auch an der Prinzregentenstraße – schon eine deutlich positive Entwicklung. In der Prinzregentenstraße wurden Jahresmittelwerte (1. April 2019 bis 31. März 2020) von 48 und 43 μg/m³ gemessen.‘
Der Grenzwert liegt bei 50 μg/m³. Damit wird dieser an der Prinzregenten- straße unterschritten.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Ich beantworte ihre Fragen gerne wie folgt.
Frage 1:
Ist es zutreffend, dass die Messwerte für Stickstoffdioxid im ganzen Stadtgebiet in der Zeit vom 1.4.2019 bis 31.3.2020 stark zurückgegangen sind?
Antwort:
Die Tabelle in der Anlage zeigt die Entwicklung der NO2-Werte im Zeitraum vom 1.4.2019 (Beginn 2. Quartal 2019) bis 31.3.2020 (Ende 1. Quartal 2020) an den von der Landeshauptstadt München beauftragten Messstellen. Erfreulicherweise bestätigt sich die anhaltend rückläufige Tendenz.Nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung der vorläufigen, vom Landesamt für Umwelt (LfU) zur Verfügung gestellten NO2-Quartalsmittelwerte in μg/m³ im Zeitraum vom 1.4.2019 bis 31.3.2020 an den vom LfU betriebenen Stationen des Lufthygienischen Landesüberwachungssystems Bayern (LÜB).
Mitunter jahreszeitlich bedingt sind Schwankungen in der Wertentwicklung festzustellen. Aufgrund der jahreszeitlich und witterungsbedingten Schwankungen der Messwerte ist letztendlich der Jahresmittelwert ausschlaggebend. Für das Jahresmittel ist gemäß Neununddreißigster Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(39. BImSchV) ein Grenzwert festgeglegt, der bei 40 μg/m³ liegt. Erfreulicherweise bestätigt sich für den Jahresmittelwert eine anhaltend rückläufige Tendenz, wie folgende Tabelle der mittleren Jahresmittelwerte in μg/m³ zum Ausdruck bringt.
Frage 2:
An welchen Messstellen und auf wie vielen km städtischer Straßen werden die Grenzwerte derzeit noch nachhaltig überschritten?
Antwort:
Die Tabelle in der Anlage zeigt die veröffentlichten Messwerte des 1. Quartals 2020. An insgesamt 35 Standorten liegen die NO2-Werte unterhalb des gesetzlichen Jahresmittelgrenzwerts von 40 μg/m3. Insbesondere in den Wohngebieten wird der Grenzwert deutlich unterschritten. Außerdem verbesserten sich an allen Messstationen, an denen im Jahr 2019 eine Überschreitung des Jahresmittelwertes (40 μg/m³) festgestellt wurde, die Werte. Diese liegen für das erste Quartal 2020 zudem unterhalb der Jahresmittelwerte von 2019 sowie unter den Messwerten des Vergleichszeitraumes im ersten Quartal des Vorjahres.
An drei Standorten, davon zwei am Mittleren Ring, sind Werte zwischen 50 μg/m3 und 60 μg/m3 gemessen worden. An weiteren fünf Standorten liegt der Wert zwischen 40 μg/m3 und 50 μg/m3.
Frage 3:
An welchen Messstellen und auf wie vielen km städtischer Straßen wurden die Grenzwerte zwischen dem 1.4.2017 und dem 31.3.2018 nachhaltig überschritten?
Antwort:
Das ergänzende Messnetz der Landeshauptstadt München wurde erst zum 1.1.2018 eingerichtet. Daher liegen für diesen Zeitraum keine Vergleichsdaten vor. Eine vom Landesamt für Umwelt beauftragte Berechnung ergab 2017 für den Analysefall 2015 eine Überschreitung des NO2-Werts über 40 μg/m3 an 123km des städtischen Straßennetzes.
Frage 4:
Warum wird die neue Ampelschaltung entlang der Prinzregentenstraße gerade jetzt umgesetzt, wenn die Messwerte sich schon ohne diese Maßnahme unter dem Grenzwert eingependelt haben?
Antwort:
Die Maßnahme ist Teil der 7. Fortschreibung des Luftreinhalteplans der Regierung von Oberbayern, die am 31.10.2019 in Kraft gesetzt wurde. Die vom LfU berechnete notwendige Verkehrsreduzierung um 15 Prozent basierte auf Messwerten des LfU in 2018 in der Prinzregentenstraße in Höhe von 57 und 56 μg/m³, womit nach BImSchG der gesetzliche Grenzwert von 40 μg/m³ und auch der für Fahrverbote relevante Wert von 50 μg/m³ deutlich überschritten wurde. Die Maßnahme des Luftreinhalteplans der Regierung von Oberbayern sieht eine Umsetzung innerhalb von 6 Monaten vor. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der Landeshauptstadt von Seiten des zuständigen Freistaats eine Verlängerung der Umsetzungsfrist gewährt. Die von der Landeshauptstadt mit Schreiben des Oberbürgermeisters vom 30.3.2020 an Staatsminister Thorsten Glauber vorgeschlagene Aussetzung der Maßnahme und das Abwarten der Entwicklung der – stadtweit und an der Prinzregentenstraße zwischenzeitlich verbesserten – Messwerte im Lauf des Jahres wurde abgelehnt.
Frage 5:
Ist es zutreffend, dass sich der Schadstoffausstoß beim fließenden Verkehr um bis zu 70 Prozent gegenüber dem stehenden Verkehr reduziert?
Antwort:
Die motorbedingten Emissionen für Kraftfahrzeuge hängen im Wesentlichen ab von:–den so genannten Verkehrssituationen („Fahrverhalten“), das heißt der Verteilung von Fahrgeschwindigkeit, Beschleunigung, Häufigkeit und Dauer von Standzeiten,
–der sich fortlaufend ändernden Fahrzeugflotte (Anteil Diesel etc.), –der Zusammensetzung der Fahrzeugschichten (Fahrleistungsanteile der Fahrzeuge einer bestimmten Gewichts- bzw. Hubraumklasse und einem bestimmten Stand der Technik hinsichtlich Abgasemission, z.B. EURO 2, 3, ...) und damit vom Jahr, für welches der Emissionsfaktor bestimmt wird (= Bezugsjahr),
–der Längsneigung der Fahrbahn (mit zunehmender Längsneigung nehmen die Emissionen pro Fahrzeug und gefahrenem Kilometer entsprechend der Steigung deutlich zu, bei Gefällen weniger deutlich ab) und –dem Prozentsatz der Fahrzeuge, die mit nicht betriebswarmem Motor betrieben werden und deswegen teilweise erhöhte Emissionen (Kaltstarteinfluss) haben.
Emissionsfaktoren sind in dem vom Umweltbundesamt veröffentlichten Handbuch für Emissionsfaktoren (HBEFA) zu entnehmen. Demnach steigen die Emissionen bei dichter werdendem Verkehr zunächst nur geringfügig an, einzig beim Übergang von gesättigtem Verkehr zu Stop & Go ist eine sprunghafte Zunahme der Emissionen zu verzeichnen (siehe folgende Tabelle, Angaben nach HBEFA 3.3).
Neben den Verkehrszahlen sind dementsprechend auch die Verkehrszustände zu betrachten.
In der Mitte September 2019 veröffentlichten Version 4.1 des HBEFA erfolgte eine umfassende Überarbeitung. Eine nähere Befassung sowie Beispielrechnungen mit HBEFA 4.1 konnten noch nicht erfolgen – es ist aber fest davon auszugehen, dass auch hier der Stetigkeit des Verkehrsflusses die Schlüsselrolle zukommt.
Es ist daher festzuhalten, dass es vor allem auf eine Minimierung der Beschleunigungs- und Anfahrvorgänge, also eine möglichst stetige Fahrweise ankommt und die Qualität des Verkehrsflusses verbessert wird.
Frage 6:
Welche negativen Auswirkungen haben stauverursachende Ampelschaltungen auf den Schadstoffausstoß?
Antwort:
Vgl. Antwort zu Frage 5.
Frage 7:
Welche Schadstoffmehrbelastung ist durch die neuen Staus zu erwarten? Wo und wie wird diese gemessen?
Antwort:
Die Ampelanlagen im Umfeld der Prinzregentenstraße wurden vom Kreisverwaltungsreferat so angepasst, dass die Rückstauungen insbesondere auf der A94, also in einem Bereich ohne direkte Anwohnerinnen und Anwohner, entstehen. Die stärkste Reduzierung erfolgt an der Stadtgrenze, um diesen Effekt zu erreichen. Die Verkehrsmenge auf der Prinzregentenstraße wird so verringert, dass Stop & Go-Verkehr nicht mehr auftritt und eine (bei Auslastungen über 85 Prozent nicht mehr funktionierende) Grüne Welle möglich ist. Lichtsignalanlagen im Umfeld der Prinzregentenstraße wie z.B. an der Eggenfeldener-/Weltenburger Straße wurden in ihrer Grünzeit so angepasst, dass die bisher auftretenden Verkehrsmengen bedient werden können, jedoch kein zusätzlicher Verkehr. Auf diese Art wird nach Einschätzung des Kreisverwaltungsreferats Schleichverkehr zu Überlastungszeiten verhindert.
Insofern ist nicht von einer signifikanten Schadstoffmehrbelastung in einem Bereich mit Gesundheitsauswirkungen auf die Münchner Bürgerinnen und Bürger auszugehen. Da sich die Rückstauungen auf der Autobahn bilden, ist auch dort mit keiner Belastung der Bevölkerung zu rechnen, da sich dort die Emissionen ohne direkt betroffene Anwohnerschaft verflüchtigen können. Das Kreisverwaltungsreferat beobachtet kontinuierlich die Auswirkungen der neuen Ampelschaltung und steuert ggf. nach.
Im Auftrag des Referats für Gesundheit und Umwelt werden weiterhin die NO2-Werte an den Standorten Prinzregentenstraße 74 und 115 gemessen.
Frage 8:
Welche negativen Auswirkungen hat die Ampelschaltung auf die Anwohner der anliegenden Wohngebiete?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 7.
Frage 9:
Handelt es sich bei der Maßnahme um eine ideologisch getriebene Maßnahme, die parallel zu Pop-up-Radwegen und Pop-up-Fußgängerzonen die Autofahrer in künstliche Staufallen treiben soll und ist das Argument der Luftreinhaltung nur vorgeschoben?
Antwort:
Die Maßnahme ist Teil der 7. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für das Stadtgebiet München der Regierung von Oberbayern (vgl. Antwort zu Frage 4).
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen gemäß der obigen Ausführungen zufriedenstellend beantworten konnte.
Die Anlage zur Antwort kann abgerufen werden unter: https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_dokumente.jsp?risid=6059037