Städtenetzwerk „Cities Changing Diabetes“ beitreten
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Rathaus Umschau 131 / 2020, veröffentlicht am 14.07.2020
Städtenetzwerk „Cities Changing Diabetes“ beitreten
Antrag Stadträtinnen Sabine Bär, Alexandra Gaßmann und Dr. Manuela Olhausen (CSU-Faktion) vom 18.4.2019
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
In Ihrem Antrag fordern Sie einen Beitritt Münchens zu dem Netzwerk „Cities Changing Diabetes“ der Firma Novo Nordisk und führen hierzu aus: „Diabetes ist leider zu einer Volkskrankheit geworden und befindet sich weiter auf dem Vormarsch. Die International Diabetes Federation geht mit Stand 2017 davon aus, dass jährlich eine halbe Million Menschen in Deutschland neu an Typ 2 Diabetes erkranken. Dazu kommen pro Tag über 2.000 Kinder mit der Neu-Diagnose Diabetes Typ 1. In Städten nimmt die Anzahl der Diabetiker zudem überproportional zu.
Cities Changing Diabetes ist ein weltweites Städtenetzwerk von Metropolen, das dazu beitragen will, die lokale Zahl der Neuerkrankungen zu reduzieren und bereits erkrankten Diabetikern bessere Behandlungen sowie mehr Lebensqualität zu ermöglichen. Cities Changing Diabetes könnte eine wertvolle Austausch-Plattform für die Unterstützung von Diabetikern oder von Diabetes gefährdeten Münchnerinnen und Münchnern sein. Im März 2020 findet außerdem der jährliche ‚Citys Changing Diabetes Summit‘ in München statt. Ein Beitritt der Landeshauptstadt München sollte also rechtzeitig davor, am besten noch im Jahr 2019 erfolgen.“
Zunächst bitte ich die verspätete Behandlung zu entschuldigen und darf Ihnen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, zu Ihrem o.g. Antrag und im Hinblick auf die Corona-Pandemie mit einfachem Schreiben Folgendes mitteilen:
„Cities Changing Diabetes“ (CCD) ist eine Initiative der dänischen Pharmafirma Novo Nordisk, einem der führenden, wenn nicht dem führenden Hersteller von Antidiabetika weltweit.
Novo Nordisk knüpfte als globale Initiative gegen Diabetes ein Netzwerk aus bisher ca. 20 Städten. Dazu gehören neben der „Heimatstadt“ Novo Nordisks Kopenhagen viele Städte in Asien und Nord- bzw. Südamerika. In Europa sind u.a. Manchester, Madrid, Mailand, Istanbul oder Warschau Mitglied.
Da zwei Drittel der Diabetikerinnen und Diabetiker in Städten leben, wird davon ausgegangen, dass in den Städten besondere Risikofaktoren zum Tragen kommen. Urbane, stressauslösende und eine wenig bewegungsförderliche Umwelt sowie Luftverschmutzung stellen gesundheitliche Risikofaktoren in den Städten dar. Diese betreffen aufgrund der Arbeits- und Wohnsituation vor allem die sozial schwachen und armutsbetroffenen Bevölkerungsgruppen. Dies gilt auch für den ungesunden „urbanen“ Lebensstil (Rauchen, Fast-Food, Bewegungsmangel, Adipositas).
Ziel von CCD ist es, einen starken Anstieg von Diabetes Typ 2 zu verhindern, indem die Zunahme von Adipositas (starkes Übergewicht ab einem Body Mass Index über 30) in Städten abgeschwächt wird („Bending the Curve on Diabetes“).
Partnerstädte, die dem Netzwerk beitreten, unterzeichnen einen Kooperationsvertrag und verpflichten sich darin u.a.:
-Daten bezüglich Adipositas zu erheben (z.B. Häufigkeit und Verteilung in den Stadtvierteln, nach sozioökonomischem Status),
-konkrete Maßnahmen zu vereinbaren (z.B. stadtplanerische zur Erhöhung der Walkability),
-die geplanten Maßnahmen umzusetzen.
Der Vorteil für die Städte ergibt sich aus der Sicht von Novo Nordisk aus der Bereitstellung von Know-How zur Maßnahmenplanung und -umsetzung durch CCD und der Möglichkeit zum Austausch mit den Partnerstädten. Alle zwei Jahre tauschen sich Vertreterinnen und Vertreter der Partnerstädte bei einem zweitägigen Summit aus. Im März 2020 war der Summit in München geplant, musste aber aufgrund der Covid-19-Pandemie kurzfristig abgesagt werden.
Ein Beitritt zum Netzwerk bindet erhebliche (Personal)Ressourcen und sollte deshalb eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz versprechen. Folgende Faktoren sind im Falle CCD kritisch zu betrachten:
-Der Antrag verfolgt die Intention, die Situation von Diabetikerinnen und Diabetiker in München zu verbessern. Dieses Ziel kann durch einen Beitritt zu CCD nicht erreicht werden, da bereits erkrankte Menschen nicht Zielgruppe der Initiative sind. Ziel von CCD ist weder die Verbesserung der Behandlung von Diabetikerinnen und Diabetiker noch die Erhöhung der Lebensqualität Erkrankter.
-Auch die Situation von Menschen mit Typ 1 Diabetes kann durch CCD nicht verbessert werden. Diabetes Typ 1 tritt meist im Kindes- oder Jugendalter auf und ist eine Autoimmunerkrankung mit starker erblicher Komponente. Diabetes Typ 1 steht nicht in Verbindung mit Übergewicht oder Adipositas, ist nicht lebensstilbedingt und kann daher durch Maßnahmen wie Gewichtsreduktion nicht verhindert werden. In Deutschland sind ca. 0,4 Prozent der Bevölkerung von Typ 1 Diabetes betroffen (das entspricht deutschlandweit ca. 373.000 Menschen, davon sind ca.32.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren). Typ 1 Diabetes ist zwar derzeit im Steigen begriffen, dennoch zum Glück nicht so stark wie im Antrag erwähnt: derzeit steigen die Neuerkrankungen in Deutschland ca. um 3,4 Prozten pro Jahr (Inzidenz). Das entspricht 2.200 neuen Diagnosen pro Jahr. Die Gründe für den Anstieg sind noch nicht bekannt und werden gerade erforscht.
-Das Referat für Gesundheit und Umwelt hat seit vielen Jahren – unabhängig von einzelnen Initiativen wie CCD – die Gesundheit aller Münchner Bürgerinnen und Bürger auch hinsichtlich der Belastung durch Adipositas und Diabetes im Blick. Die im Herbst 2019 veröffentlichten Zahlen („Gesundheitsatlas“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK) zeigen zwar, dass München mit 5,9 Prozent die geringste Häufigkeit an Diabetes Typ 2 aller bayrischen Großstädte aufweist (Bayern wiederum liegt unter dem deutschen Durchschnitt von ca. 9 Prozent). Dennoch ist Diabetes Typ 2 auch in München ein relevantes Gesundheitsproblem und die Verringerung der diesbezüglichen Risikofaktoren ein wichtiges Ziel.
Zur Prävention von Zivilisationskrankheiten fokussiert das RGU aber weniger auf eine einzelne Erkrankung wie Diabetes, sondern arbeitet daran, Bedingungen für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil der Menschen zu schaffen. Im Einklang mit der nationalen Präventionsstrategie und dem Bayerischen Präventionsplan geschieht dies über die Stärkung der für Gesundheit und Wohlbefinden notwendigen personalen, sozialen und umweltbezogenen Ressourcen (Salutogenese).
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention (2015) wurden für Maßnahmen und Projekte des ÖGD neue Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet. Die Kooperation zwischen Kommune und gesetzlichen Krankenkassen wurde seither ausgebaut und gestärkt. Dies kommt bereits seit 2016 in einigen mehrjährig angelegten GKV-finanzierten Projekten zum Tragen: z.B. im Projekt zur Förderung der gesunden Ernährung in Grundschulen oder im Projekt „München gesund vor Ort“, das mit Stadtteilgesundheitsmanagement und einem breiten Spektrum an Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention in vier ausgewählten Münchner Stadtteilen umgesetzt wird. Gleichzeitig sind gesunde Ernährung sowie Bewegungsförderung zentrale Themen einer Vielzahl von Aktivitäten im Rahmen der Frühen Hilfen, der schul- ärztlichen Beratung und im Rahmen der Suchtprävention, vieler Kindertagesstätten und Schulen sowie einiger Zuschussnehmerinnen und -nehmer des RGU, wodurch eine erhebliche Breitenwirksamkeit erzielt werden kann.
-Bisher sind nur wenige (mittel)europäische Städte bzw. Städte aus Ländern mit einem dem deutschen vergleichbaren GesundheitssystemMitglied bei CCD. Die Anknüpfungspunkte für einen gewinnbringenden Austausch wären damit sehr begrenzt. München ist seinerseits durch den Gesundheitsbeirat, die Großstadt-Gesundheitsämter, den Partner- prozess „Gesund aufwachsen“ und die Mitgliedschaft im Gesunde Städte Netzwerk bereits jetzt sehr gut lokal und national vernetzt. Alle diese Verbünde haben zum Ziel, durch zielgruppenspezifische Gesundheitsförderung und Prävention die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung zu verbessern und lebensstilbedingte Krankheitsursachen wie Übergewicht/Adipositas, Fehlernährung, Bewegungsmangel oder Rauchen etc. einzudämmen. Es ist sicher effizienter und effektiver, diese Kooperationsbezüge weiterhin intensiv zu nutzen, als in einen für die Landeshauptstadt München wenig Gewinn versprechenden internationalen Austausch einzutreten.
Ein Beitritt zu Cities Changing Diabetes wird aus den genannten Gründen daher derzeit nicht empfohlen.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit insoweit abgeschlossen ist.