COVID-19-Krise – Wie viele Beatmungsplätze hat München?
Anfrage Stadtrat Professor Dr. Hans Theiss (CSU-Fraktion) vom 5.5.2020
Antwort Stephanie Jacobs, Referentin für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
„Bis zur Entwicklung einer spezifischen Therapie erfolgt die Behandlung von Covid-19-Patienten in der Regel symptomatisch. Der Einsatz von Beatmungsgeräten ist bei einem schweren Krankheitsverlauf hier oft der letzte Trumpf. Deshalb stellt die Verfügbarkeit von Intensivplätzen mit Beatmungsgeräten bis zu einem Durchbruch in der Behandlung oder gar der Entwicklung eines Impfstoffes einen relevanten Faktor dar.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des ehemaligen Ärztlichen Leiters der Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) der Stadt München wie folgt:
Frage 1:
Wie hoch ist die Anzahl der in München verfügbaren Intensivplätze mit Beatmungsgerät (sog. Beatmungsplatz)?
Antwort:
Aktuell gibt es in der Stadt München 536 Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit (Stand 1.7.2020). Die Anzahl der Intensivbetten wird in der webbasierten eHealth Software „Interdisziplinärer Versorgungsnachweis“ (IVENA) erfasst. IVENA bündelt die Informationen über die Behandlungskapazitäten auf der Ebene der Integrierten Leitstellen. Durch klinikinterne Optimierungsprozesse könnten im Notfall innerhalb von 24 Stunden maximal 695 Intensivbetten, zum Teil mit Notbeatmungsmöglichkeiten, geschaffen werden.
Frage 2:
Wie viele Intensivplätze mit Beatmungsgerät sind in den letzten 6 Wochen in München zusätzlich entstanden?
Antwort:
Auf Grund der zahlreichen Umbau- und Umstrukturierungsmaßnahmen konnte nach Auskunft des ehemaligen Ärztlichen Leiters der FüGK im Raum München eine Verdoppelung der Intensivkapazitäten (Beatmungsbetten) erreicht werden. Dies war aber nur durch strukturelle Veränderungen möglich, z.B. indem medizinisches Personal in andere Stationen undFunktionsbereichen wechselte und medizinische Ausstattung, z.B. aus dem OP-Bereich, auf den Intensivstationen bereitgestellt wurde.
Frage 3:
Wie verteilen sich die Beatmungsplätze auf die verschiedenen Kliniken und Krankenhäuser in München?
Antwort:
Gemäß der Allgemeinverfügung vom 19.6.2020 des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sind die Behandlungskapazitäten von COVID-19-Patientinnen und Patienten an den Krankenhäusern meldepflichtig im IVENA-System zu erfassen. Das System bündelt die Informationen auf der Ebene der Integrierten Leitstellen und unterstützt die Führungsebenen unter anderem im Rettungsdienst und in den Krankenhäusern bei der Steuerung der Patientenströme. Eine Veröffentlichung der Daten auf Klinikebene ist nicht vorgesehen. Insgesamt können 17 Münchner Kliniken Beatmungspatientinnen und -patienten versorgen. Die zugelassenen Krankenhäuser sind laut der Allgemeinverfügung vom 19.6.2020 im Rahmen ihres Versorgungsauftrages verpflichtet, die stationäre Versorgung der Bevölkerung einschließlich der Behandlung von COVID-19-Patientinnen und Patienten sicherzustellen. Im Bedarfsfall sind insbesondere Kapazitäten mit der Möglichkeit zur invasiven Beatmung kurzfristig bereitzustellen. Bei einem Wiederanstieg der Infektzahlen und entsprechendem Bedarf werden die Krankenhäuser und medizinischen Einrichtungen erneut zur Bewältigung des Krisengeschehens herangezogen werden.
Frage 4:
Besteht die Möglichkeit und der Bedarf, die Anzahl der Beatmungsplätze noch zu steigern?
Antwort:
Neben den bereits geschaffenen, zusätzlichen Beatmungsbetten besteht noch die Möglichkeit der Notbeatmung mittels Narkosegeräten aus der Anästhesie und Transportbeatmungsgeräten, sogenannten Notfallrespiratoren, wie sie im Rettungsdienst zum Einsatz kommen. Beide Möglichkeiten sind im Regelfall nicht zur Dauerbeatmung geeignet, könnten aber im Notfall unter bestimmten medizintechnischen Voraussetzungen und im Rahmen einer Pandemiesituation verwendet werden. Bisher ist der Einsatz von Notbeatmungsmöglichkeiten in der stationären Versorgung in Bayern im Rahmen der Corona-Pandemie noch nicht notwendig geworden.
Frage 5:
Gibt es eine Reserve? Falls ja, wie schnell kann diese in reelle Beatmungsplätze umgesetzt werden?
Antwort:
Als Reserve verstehen wir die bereits oben erwähnten Notbeatmungsmöglichkeiten. Darüber hinaus hat das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege zusätzlich 1.600 Beatmungsgeräte bestellt (Pressemitteilung vom 23.4.2020). Lieferungen auf diesem Wege oder über die Bundesregierung bzw. die Beschaffung von weiteren Beatmungsgeräten durch die Kliniken selbst würden es ermöglichen, weitere Beatmungsplätze im Intensivbereich zu schaffen.
Frage 6:
Wie hoch sind die Kosten für den Aufbau eines neuen Beatmungsplatzes?
Antwort:
Je nach Ausstattung und Einsatzzweck unterscheiden sich die Anschaffungskosten. Als Größenordnung muss von Kosten für einen Intensivbeatmungsplatz in Höhe von circa 50.000 Euro ausgegangen werden.
Frage 7:
Gibt es eine Grenze für die Errichtung weiterer Plätze und was sind die wesentlichen limitierenden Faktoren (z.B. das Fehlen von Beatmungsgeräten, keine Räumlichkeiten oder Mangel an Pflegekräften und/oder Ärzten)?
Antwort:
Es gibt Grenzen der Ausbaumöglichkeiten für Intensivbehandlungsplätze. Zu den limitierenden Faktoren gehören – wie oben skizziert – die Ausstattung der Intensivbehandlungsplätze mit Beatmungsgeräten und die Besetzung der Stationen mit qualifiziertem Personal. Die Münchner Kliniken wirken dem Personalmangel entgegen, indem Pflegefachkräfte in Bezug auf die vielfältigen Aufgaben im Intensivbereich weitergebildet werden. Infolge von krankheitsbedingten Ausfällen verringern sich die Personalressourcen sowohl bei Pflegekräften als auch beim ärztlichen Personal. Zudem erlauben oftmals auch die räumlichen Strukturen in den Krankenhäusern keinen weiteren Ausbau der Behandlungsmöglichkeiten.
Frage 8:
In welchem Umfang wurden in München bereits hierfür Fachkräfte reaktiviert z.B. medizinisches Personal in Rente oder Ruhestand? Wie hoch ist hier für die Zukunft das Potential?
Antwort:
Die Maßnahmen, die Personalsituation in der Pflege zu verbessern, sind vielfältig. Die Münchner Kliniken und vollstationären Pflegeeinrichtungen haben in Eigenregie versucht, Personal aus dem Ruhestand zu reaktivieren. Über Zeitarbeitsfirmen wurde zum Teil zusätzliches Personal eingestellt. Zudem haben sich Medizinstudentinnen und -studenten der beiden Münchner Universitäten bereit erklärt, auf den Stationen und in den Funktionsbereichen unterstützend tätig zu werden.
Darüber hinaus wurde ein Pflegepool bei der Vereinigung der Pflegenden in Bayern eingerichtet. Dafür können sich u.a. Fachkräfte, die eine Ausbildung im Pflege- und Gesundheitsbereich absolviert haben, derzeit jedoch nicht in ihrem Ausbildungsberuf tätig sind, registrieren lassen. Bisher konnten allerdings aus dem Pflegepool Bayern nur sehr wenige Pflegende an die Kliniken und vollstationären Pflegeeinrichtungen in München vermittelt werden. Dies ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen: Viele Unternehmen fordern ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach einer Phase in Kurzarbeit jetzt wieder für eine Tätigkeit im eigenen Unternehmen an. Diejenigen Freiwilligen aus dem Pflegepool, die tatsächlich eine längerfristige Tätigkeit in der Pflege anstreben, haben mittlerweile mit Kliniken oder Pflegeeinrichtungen Arbeitsverträge abgeschlossen. Viele betrachten ihren Freiwilligendienst als ein Angebot für den äußersten Notfall. Andere verfügen nicht über die erforderliche Qualifikation oder sind zeitlich zu wenig flexibel. Nach Aufhebung des Katastrophenfalls in Bayern endete laut dem ministeriellen Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (GMS) vom 16.6.2020 die Zuweisung der freiwilligen Einsatzkräfte des Pflegepools bei personellen Engpässen in Einrichtungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes. In dem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 17.6.2020 wurde darauf hingewiesen, dass mit dem Ende der Katastrophe in Bayern auch die Kostenerstattung für den Pflegepool endete.
Frage 9:
Wurden Maßnahmen ergriffen, medizinischem Personal in Teilzeit den Umstieg auf Vollzeit zu erleichtern bzw. besteht die Möglichkeit der Arbeitszeitkumulation, so dass Vollzeitkräfte bei einer entsprechend hohen Welle an Covid-19-Patienten freiwillig auch länger arbeiten dürfen (z.B. bei entsprechend lukrativer Entlohnung)?
Antwort:
Es wurden von den Einrichtungen im Gesundheitswesen zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Personalsituation zu verbessern, darunter auchneue Arbeitszeitmodelle. Auch unabhängig von der Corona-Pandemie bieten die Münchner Kliniken ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgrund des vorherrschenden Pflegepersonalmangels den Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit regelmäßig an. Die Teilzeitquote ist in München allerdings – wie die Münchner Pflegestudie des Referats für Gesundheit und Umwelt von 2019 zeigt – mit 33% geringer als im Bundesdurchschnitt (laut Krankenhaus-Barometer knapp 50%).