Was ist aus dem Wahlkampfschlager „Bürgerfonds“ geworden?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE./Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 15.6.2020
Antwort Stadtkämmerei:
Auf Ihre Anfrage vom 15.06.2020, die im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter der Stadtkämmerei zur Beantwortung zugeleitet wurde, nehme ich Bezug.
In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:
„Die Landeshauptstadt München hat im Februar 2020 eine Inhaberschuldverschreibung mit einem Volumen von 120 Millionen Euro als so genannten ‚Social Bond‘ emittieren und platzieren lassen. Auf der Internetseite der Landeshauptstadt München steht: ‚Soziale und nachhaltige Kommu- nalfinanzierung: Bürgerinnen und Bürger kaufen sich ihre Stadt zurück.‘ Am 18.02.2020 wurde der Handel an der Münchner Börse aufgenommen.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie setzt sich die Anlegerstruktur prozentual zusammen?
Antwort:
Banken waren die größte Investorengruppe mit einem Anteil von 38%, gefolgt von Privatinvestoren (20%), Versicherungen (18%) und Sparkassen (14%).
Die Investitionswünsche der privaten Anleger konnten vollständig bedient werden.
Frage 2:
Wie hoch ist der Anteil von institutionellen Investoren wie zum Beispiel Banken, Versicherungen, Fonds?
Antwort:
Die Zuteilung an institutionelle Investoren betrug 80% (vgl. Frage 1).
Frage 3:
Wie viele Münchnerinnen und Münchner haben Anteile am Gesamtvolumen erworben?
Antwort:
Für private Anleger wurden 20% der Emission bereitgestellt und alle vorliegenden Kaufaufträge erfüllt. Wieviele der Käuferinnen und Käufer davon ihren Wohnsitz in München haben, ist uns nicht bekannt.
Frage 4:
Welcher Betrag des Emissionsvolumens von 120 Millionen Euro kam bei der Stadt München an? Wieviel Gebühren verursachte die Emission?
Antwort:
Die Anleihe wurde am Emissionstag zu einer Marktrendite von 0,268% begeben. Die Preisfestsetzung erfolgte mit einem Aufschlag von 0,15 Prozentpunkten über dem laufzeitkongruenten Vergleichszinssatz (Mid-Swap). Der Kupon der Anleihe (fester Zinssatz während der Laufzeit) wurde mit 0,25% p.a. festgelegt. Bei einer gewählten Laufzeit von 12,75 Jahren errechnet sich daraus ein Emissionspreis von 99,775%. Das Disagio von 0,225% des Emissionsvolumens (Nominalpreis 100% minus Emissions-
preis 99,775%) wird durch die gegenüber der Marktrendite niedrigere jährlichen Kuponzahlung von 0,25% während der Laufzeit ausgeglichen und führt zu einem Emissionserlös von 119.730.000 Euro. Die Gebühren für die Emission, die für das Emissionsverfahren, externe Rechtsgutachten, die Erstellung der Second Party Opinion und Börseneinführungsgebühren anfielen, lagen bei 0,155% des Nominalvolumens, dies entspricht 186.000 Euro. Als Nettoerlös ist der Stadt damit ein Betrag von 119.544.000 Euro zugeflossen. Der effektive Zinssatz für die Mittelaufnahme für die LHM lag bei 0,28% p.a..
Frage 5:
Gab es eine Überzeichnung bzw. wie lange war der Kauf möglich?
Antwort:
Das Ordervolumen der Stadtanleihe betrug insgesamt rd. 630 Millionen Euro und war bezogen auf das angestrebte Mindestvolumen von 100
Millionen Euro somit mehr als fünffach überzeichnet. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde das Volumen auf 120 Millionen Euro aufgestockt.
Die Vermarktungsphase für den Privatkundenvertrieb durch die Stadtsparkasse München und die HypoVereinsbank begann am 12.02.2020 und dauerte vier Wochen. Als börsennotiertes Wertpapier ist der Kauf und Verkauf der Münchner Stadtanleihe an der Börse in München seit der Börseneinführung jederzeit möglich (ISIN DE000A254SP3). Also auch für Bürgerinnen und Bürger, die sich zu einem späteren Zeitpunkt für den Ankauf der Anleihe entscheiden.
Frage 6:
In welche Vorkaufsrechte/in welche andere Projekte wurde das Emissionsvolumen in welchem Umfang investiert?
Antwort:
Die Landeshauptstadt München nutzt den überwiegenden Teil der Erlöse der Anleihe, um die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum in der Stadt München weiter zu sichern. Bei dem ausgewählten Projekt handelt es sich um die Ausübung eines Vorkaufsrechtes in einem Erhaltungssatzungsgebiet nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 des Baugesetzbuches (BauGB). Die Erlöse aus der Anleihe dienen der teilweisen Refinanzierung der Ausübung eines gesetzlichen Vorkaufsrechtes im 6. Stadtbezirk Sendling (Beschluss der Vollversammlung des Stadtrats am 27.11.2018 (nichtöffentlich); Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 13343). Das Objekt liegt im Gebiet der Erhaltungssatzung „Am Harras/Passauerstraße“. Hierbei wurde das Vorkaufsrecht zugunsten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG Städtische Wohnungsbau mbH ausgeübt und die zur Finanzierung benötigten Mittel im Weg einer Stammkapitalerhöhung der Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Die Gesellschaft hat die notwendige Verpflichtungserklärung zur Sicherung der wohnungspolitischen Ziele abgegeben.
Einen kleineren Teil der Erlöse der Anleihe nutzt die Landeshauptstadt München, um die Bildungsinfrastruktur der Stadt weiter auszubauen. Die Mittel aus der Emission der Stadtanleihe dienen der teilweisen Refinanzierung des Projektes „Bildungscampus und Sportpark Freiham“ (Beschluss des Stadtrates vom 18.09.2013/02.10.2013; Sitzungsvorlagen Nr. 08-14/V12667; Genehmigung des Nutzerbedarfsprogramms). Der Bildungscampus liegt im Stadtbezirk 22 (Aubing-Lochhausen-Langwied), er ist für 3.000 Schülerinnen und Schüler angelegt und bildet das markante Entrée zum neuen Stadtviertel Freiham, in dem künftig 25.000 Menschen leben werden. Zum Start des Schuljahres 2019/2020 ging der Bildungscampus in Betrieb. Die Landeshauptstadt München hat für die Realisierung des hochmodernen Campus rund 245 Millionen Euro bereit gestellt und das Baureferat hat den Bau nach nur gut zwei Jahren in 2019 pünktlich fertiggestellt. Am 10. September 2019 starteten ca. 1.200 Schülerinnen und Schüler am Campus.
Frage 7:
Plant die Stadt für zukünftige Vorkaufsrechte weitere „Social Bonds“ aufzulegen?
Antwort:
Die Refinanzierung getätigter Investitionen über „Social Bonds“ bleibt eine unter mehreren Möglichkeiten der Mittelbeschaffung neben der Eigenfinanzierung, der Aufnahme von Förderdarlehen oder klassischer Kommunalkredite oder der Emission von sonstigen Anleihen oder Schuldscheindarlehen im Rahmen der Gesamtdeckung des Haushaltes.
Frage 8:
Wie passt dazu der Beschluss des Stadtrates, Vorkaufsrechte nur noch in Ausnahmefällen auszuüben?
Antwort:
Über die Ausübung von Vorkaufsrechten in Erhaltungssatzungsgebieten entscheidet der Stadtrat der Landeshauptstadt München.
Frage 9:
Gibt es eine Einschätzung, ob eine Kreditaufnahme günstiger oder teurerer für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist als die Emission eines „Social Bond“?
Antwort:
Die Emission der Stadtanleihe hatte inklusive der Berücksichtigung von Kosten und Gebühren einen Aufschlag gegenüber dem laufzeitkongruenten marktüblichen Vergleichszinssatz (Mid-Swapsatz) in Höhe von rd. 0,16 Prozentpunkten. Die Landeshauptstadt München refinanziert sich über klassische Kommunalkreditaufnahmen in diesem Laufzeitbereich in der Regel zu Mid-Swapsatz zzgl. Aufschlag in Höhe von 0,1 - 0,2 Prozentpunkten.Die erzielten Konditionen waren daher nahezu vergleichbar mit klassischen Kommunalkreditkonditionen.
Darüber hinaus bieten Anleiheemissionen (zum Beispiel in der Ausgestaltung als Social Bond) folgende Vorteile:
- Verbreiterung der Investorenbasis: direkter Zugang zu Versicherungen, Pensionskassen, Stiftungen,
- Verbreiterung Produktpalette im Refinanzierungsmix der Kommune (zusätzliche Instrumente zur Fremdkapitalbeschaffung als Ergänzung zum klassischen Kommunalkredit),
- auch für Privatkunden geeignet (Bürgerbeteiligung),
- hoher Fremdkapitalbedarf laut Finanzplanung in zukünftigen Haushaltsjahren erfordert einen Ausbau der Refinanzierungsquellen
Folgende Nachteile sind zu sehen:
- Erstaufwand für Erstellung Dokumentation/Vertragswerke, reduziert sich jedoch bei Folgeemissionen, da bereits vorhanden,
- in der Regel nur ohne Tilgung als endfällige Anleihe darstellbar, - zeitlicher Vorlauf zur Begebung notwendig,
- Mindestvolumen in der Regel ab 100 Millionen Euro.
Darüber hinaus darf ich gern auf den Internetauftritt der Landeshauptstadt München zum Thema Stadtanleihe unter http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Stadtkaemmerei/Muenchens-Stadtanleihen.html sowie auf den Beschluss des Stadtrates „Emission ‚Münchner Stadtanleihe‘ 2020: Ergebnisbericht“, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 00530 (FA am 21.07.2020/VV am 22.07.2020), verweisen.