Lebensmittelverschwendung in städtischen Einrichtungen verringern: Weitergabe von übrig gebliebenem Essen an Privatpersonen ermöglichen und fördern
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Tobias Ruff und Johann Sauerer (ÖDP) vom 15.1.2020
Antwort Stadtschulrätin Beatrix Zurek:
Nach §60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Bei den von Ihnen mittels Antrag vom 15.1.2020 vorgebrachten Anregungen handelt es sich jedoch um eine laufende Angelegenheit, die für die Stadt München keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine erhebliche Verpflichtung erwarten lässt. Daher obliegt deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und §22 GeschO dem Oberbürgermeister, weshalb eine Beantwortung auf diesem Wege erfolgt.
In Ihrem Antrag baten Sie darum, dass städtische Einrichtungen, in denen Essen ausgegeben wird, grundsätzlich übrig gebliebenes Essen an Privatpersonen weitergeben dürfen.
Diejenigen, die Lebensmittel nach Hause mitnehmen, unterschreiben einen Haftungsausschluss und entscheiden selbst, ob die Lebensmittel für den Verzehr noch geeignet sind. Die städtischen Einrichtungen werden dadurch von jeglicher Haftung für die Genießbarkeit bzw. gesundheitliche Unbedenklichkeit der Ware entbunden. Die Einrichtungen sind auch nicht zur Abgabe verpflichtet.
Hierzu kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Lebensmittelverschwendung ist ein lange bekanntes Problem und in allen städtischen Referaten ist ein fachliches Bewusstsein für diese Problematik gegeben. In der Vergangenheit wurde dazu bereits viel über mögliche Ver-änderungen nachgedacht, aufgrund der bestehenden, gesetzlichen Vorgaben konnten bislang jedoch keine zufriedenstellenden Lösungen gefunden werden.
Da Ihre Anfrage die gesamte Landeshauptstadt München betrifft, wurden im Rahmen der Beantwortung die Rückmeldungen der tangierten Referate und Geschäftsbereiche eingeholt und in diesem Schreiben durch das RBS federführend zusammengefasst.
So dürfen laut Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Lebensmitteln (Lebensmit-telhygiene-Verordnung – LHMV, § 3 Allgemeine Hygieneanforderungen), diese Lebensmittel nur so hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht werden, dass sie bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung ausgesetzt sind. Entsprechend der vorgeschriebenen HACCP-Konzepte müssen grundsätzlich bereits regenerierte Speisen, die eine Küche noch nicht verlassen haben, noch am Tag des Regenerierens vernichtet werden. Dies gilt auch für vor Ort selbst zubereitete Speisen.
Bei einer Weitergabe von übrig gebliebenen Essen kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Speisen nach der Ausgabe an Privatpersonen einer nachteiligen Beeinflussung ausgesetzt sind und es dadurch zu Gesundheitsrisiken für die Empfängerinnen und Empfänger kommen kann. Auch wenn bei der Ausgabe ein Haftungsausschluss unterschrieben wird, trägt die ausgebende Stelle zumindest eine Mit-Verantwortung. Eine einfache und unkomplizierte Ausgabe von übrig gebliebenem Essen ist grundsätzlich aufgrund der gesetzlichen Vorgaben über alle städtischen Bereiche hinweg weiterhin als problematisch zu sehen.
Die konkrete Handhabung der einzelnen Referate und Geschäftsbereiche erfolgt im Einzelnen wie dargestellt:
1. Referat für Bildung und Sport
1.1. Geschäftsbereich KITA
Grundsätzlich ist es dem Geschäftsbereich KITA ein Anliegen, verantwortungsbewusst und sozialverträglich mit Lebensmitteln umzugehen. In städtischen Kindertageseinrichtungen werden je nach Anzahl der zu versorgenden Kinder Lebensmittel eingekauft, Menükomponenten regeneriert bzw. Gerichte frisch zubereitet. Wird in einer städtischen Kindertageseinrichtung das Verpflegungssystem Cook & Freeze umgesetzt, liefert der Rahmenvertragspartner tiefgekühlte, regenerierfertige Menükomponenten in Großgebinden. Auf den jeweiligen Verpackungseinheiten ist angegeben, wie viele Portionen (Anzahl Portionen und Gramm-Angabe) enthalten sind. In der Kindertageseinrichtung können so genau die Mengen hergestellt werden, die an dem jeweiligen Tag benötigt werden. Zudem werden weitere Speisenkomponenten und Beilagen von der Einrichtung vor Ort nach den aktuellen Bedarfen bestellt bzw. zubereitet.
In städtischen Kitas mit Kindern unter drei Jahren werden alle Speisen täglich frisch für alle anwesenden Kinder von einer hauswirtschaftlichen Fachkraft gekocht. Auch hier kann der Bedarf an die zu versorgenden Kinder deshalb täglich genau angepasst werden.Beide Verpflegungssysteme, Tiefkühl-Mischküche wie Frisch-Mischküche, ermöglichen somit eine genaue Kalkulation der Speisenmengen für die an dem jeweiligen Tag in der Kita zu versorgenden Kinder.
Alle städtischen Kitas haben das grundsätzliche Ziel, Einkauf, Produktion und Speisenausgabe sehr genau an den täglichen Bedarf anzupassen, um so eine Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß Art. 61 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung (GO) liegt hierbei zu Grunde. Dies bedeutet, es muss sichergestellt werden, dass bei der Essensbestellung in jeder Einrichtung nicht mehr bestellt wird, als tatsächlich für die betreuten Kinder/Personen erforderlich ist. Dadurch kommt es kaum dazu, dass im Hinblick auf die Abgabe des Essens zu viel bezogen wird. Im nächsten Schritt wird darauf geachtet, dass nur soviel an Menge regeneriert bzw. gekocht wird, wie dies für die tatsächlich anwesenden Personen erforderlich und ausreichend ist. Dadurch, dass die Kinder mit ihren Essgewohnheiten dem Personal in der Kita gut bekannt sind, ist hierfür eine in der Regel verlässliche Mengenkalkulation möglich. Dennoch kann es gelegentlich (z.B. aufgrund der Größe der Gebinde) vorkommen, dass etwas Essen übrig bleibt.
Selbst hergestellte Speisen, die übrig bleiben oder auf Vorrat produziert wurden, dürfen im Rahmen der Gemeinschaftsverpflegung in Kindertageseinrichtungen leider auch nicht eingefroren werden. Dies begründet sich darin, dass die Tiefkühlgeräte in den Kitas nicht dazu geeignet sind, Speisen fach- und sachgerecht herunter zu kühlen. Da der Abkühlungsprozess in haushaltsüblichen sowie gewerblichen Tiefkühlgeräten und Fächern zu lange dauert und nicht in den erforderlichen Temperaturschritten erfolgt, kann es hier unter Umständen zu einer nachteiligen Beeinflussung (z.B. einer starken Keimvermehrung) und somit zu einem Gesundheitsrisiko kommen. Zudem bilden sich bei nicht fachgerechter Tiefkühlung große Eiskristalle, die Strukturen von Lebensmitteln zerstören können und einen negativen Einfluss auf Geschmack, Textur, Konsistenz, Farbe und Aussehen der Speisen haben.
Dies gilt nicht für Obst und Gemüse, das als Stückware unverarbeitet (weder geschält noch geschnitten) im Gruppenraum stand. Dies wird nach erneutem Waschvorgang auch einen Tag später in der Kita wieder ausgegeben bzw. weiter verarbeitet.
Der Geschäftsbereich KITA wurde mit Beschluss des Bildungsausschusses vom 6.11.2019 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V16496, „Optimierung der hauswirtschaftlichen Versorgung in städtischen Kindertageseinrichtungen) be-auftragt, ein Projekt zur Optimierung der hauswirtschaftlichen Versorgung in städtischen Kindertageseinrichtungen zu initiieren. Hierbei ist es Ziel, an 30 Kita-Standorten, die bislang in der Regel über eine Tiefkühl-Mischküche versorgt werden, vermehrt frisch zu kochen und damit sowohl Qualität zu erhöhen als auch Speiseverwurf zu reduzieren. In diesem Projekt gilt es herauszuarbeiten, welche Rahmenbedingungen notwendig sind und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen solchen Systemwechsel realisieren zu können. Eine begleitende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Umstellungsprozesses soll zudem valide Daten liefern, um so entsprechende Steuerungsmöglichkeiten für den Geschäftsbereich KITA aufzuzeigen. Hierbei werden auch Daten zum Speisenabfall bzw. dem gesamten Müllaufkommen aus den teilnehmenden Versorgungsküchen erhoben und mit berücksichtigt. Das Projekt ist auf eine Laufzeit von fünf Jahren angelegt und endet am 31.12.2024. Die Ergebnisse werden dem Stadtrat im Anschluss vorgelegt.
1.2. Geschäftsbereiche Allgemeinbildende Schulen und Berufliche Schulen Durch Schulungen, gute Organisation, Förderung von eigenverantwortlichem Arbeiten, gute Nutzung von Haltbarkeitszeiten, erhöhte Kommunikation, wann welche Schülerinnen und Schüler ggf. auf Klassenfahrt etc. sind, sowie z.B. eine Umstellung des Speiseausgabesystems von Linien- auf free-flow-Ausgabe konnte zuletzt der Speiseresterücklauf um 30-35 Prozent gesenkt werden.
2. Rückmeldungen aus dem Sozialreferat
Das Sozialreferat nennt aus seinem Zuständigkeitsbereich folgende Beispiele:
Im Sozialreferat, Amt für Soziale Sicherung, kann als städtische Einrichtung, in der Essen ausgegeben wird, das Alten- und Service-Zentrum Ramersdorf (ASZ), Rupertigaustraße 61 a, 81671 München, genannt werden. Die Besucherinnen und Besucher des ASZ, die ein Mittagessen über das ASZ beziehen möchten, melden ihren Bedarf im Vorfeld an. Sie können dabei zwischen zwei Menüs auswählen. Bei der Auswahl des Lieferanten wurden die Besucherinnen und Besucher mit einbezogen, um einen Lieferanten zu finden, dessen Speisen für eine hohe Zufriedenheit bei den älteren Menschen sorgt. Durch die Art der Essensanlieferung – Anlieferung in großen (Wärme-) Behälter ins ASZ und individuelle Portionierung durch die Mitarbeitenden – kann in der Regel auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden. Neben der Einnahme im ASZ besteht auch die Möglichkeit, das Menü abzuholen. Die Besucherinnen und Besucher bringen ihre eigenen Behältnisse mit, wenn sie das Essen mitnehmen möchten. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird die Anzahl der benötigten Essen(Menüs) eines Tages jeweils zeitnah beim Lieferanten bestellt. Bei Bedarf ist es möglich, kurzfristig Nachlieferungen zu erhalten. Bei Reklamationen erfolgt zeitnah eine Korrektur von Seiten des Lieferanten. Auf Grund dieser organisatorischen Vorgehensweise kann Sorge getragen werden, dass nur der Umfang an Lebensmitteln geliefert wird, der für den Tag notwendig ist und verbraucht werden kann. Für den Fall, dass eine Besucherin oder ein Besucher kurzfristig das Essen zur üblichen Zeit nicht im ASZ zu sich nehmen kann, erfolgt von dem älteren Menschen zuverlässig eine Meldung. Es wird jeweils besprochen, ob die Besucherin und Besucher das Essen später abholen möchte oder es an andere Besucherinnen und Besucher verteilt werden kann. Den Besucherinnen und Besucher ist die Vorgehensweise vertraut und sie wird von ihnen akzeptiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit dem Ablauf und der Organisation zufrieden. Das Wegwerfen von Essen kann seit Jahren erfolgreich vermieden werden.
Die Verpflegungssituation in den Kinder- und Jugendheimen ist nicht mit einer Kantine vergleichbar. Die jungen Menschen leben in diesen Einrichtungen und es kann täglich bedarfsgerecht gekocht werden, weil bekannt ist, wie viele Personen an der Verpflegung teilnehmen und wie viele Portionen benötigt werden. Die Mahlzeiten für die Kinder und jüngeren Jugendlichen werden durch das hauswirtschaftliche Personal in den Großküchen zubereitet. Die benötigten Essensmengen werden dazu tagesaktuell an die Großküchen gemeldet. Auf Bedarf und Wunsch kochen die Fachkräfte des Hauswirtschaftsbereiches auch vor Ort in den Wohngruppen. Die älteren Jugendlichen in den teilbetreuten Gruppen verpflegen sich selbst. Sollte Mittagessen übrig bleiben, wird es am Abend aufbereitet. Die jungen Menschen werden dazu angeleitet, übriges Essen weiterzuverwerten, z.B. aus den Pellkartoffeln vom Mittagessen abends Bratkartoffeln zuzubereiten.
Das Sozialreferat/Amt für Wohnen und Migration betreibt zwar Notquartiere und dezentrale Flüchtlingseinrichtungen. In diesen wird aber grundsätzlich ein System der Selbstversorgung (Gemeinschaftsküchen) verfolgt. Nur in absoluten Ausnahmefällen wird auf Catering zurückgegriffen (wie z.B. Quarantäne aufgrund von Coronafällen). Falls auf Catering zurückgegriffen wird, werden ausschließlich für die zu versorgende Personenanzahl Speisen bestellt und geliefert. Eine Weitergabe von übriggebliebenem Essen ist hier ausgeschlossen.
3. Rückmeldungen aus dem Personal- und Organisationsreferat
Bei der Beantwortung der Frage konzentriert sich das POR in seiner Zuständigkeit auf die Situation in den drei städtischen Kantinen (Rathaus, Baureferat, Kreisverwaltungsreferat).Der Pächter der KVR-Kantine führte aus, dass die Empfehlungen der DGE bezüglich der Portionsmengen berücksichtigt werden und täglich ein „Kellenplan“ zur optimale Portionierung der Gerichte angewandt wird.
Der Pächter der Rathaus- und Baureferatskantine teilte mit, dass im Gro-ßen und Ganzen nicht viel über die Bio-Tonne entsorgt wird – bis auf das, was der Gast auf dem Teller übrig lässt. Als selbständiger Pächter ist es betriebswirtschaftlich geboten, so viel wie möglich Lebensmittel weiter zu verarbeiten. Einwandfreie Gemüse- & Fleischreste werden bspw. für Suppen und Saucen-Ansätze weiter verarbeitet. Als weitere Maßnahme gegen Lebensmittelverschwendung ist das tägliche gemeinsame Essen des Küchenteams nach dem Mittagsgeschäft, gelegentlich können diese auch übrig gebliebene Speisen nach Hause mitnehmen.
Der Pächter hatte in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit der Tafel gemacht, die sich beschwerten, dass es zu oft die gleichen Produkte zur weiteren Verwendung gab. Seit diesen Erfahrungen wurde die Zusammenarbeit eingestellt.
Einhellig führten die Pächter aus, dass eine Weitergabe an Dritte aus hygienischen und haftungsrechtlichen Gründen für bedenklich gehalten wird, daher sollte der Pächter/die Pächterin ab der Mitnahme aus der rechtlichen Haftung sein. Auch müsste der organisatorische Aufwand gering gehalten werden.
4. Fazit
Eine Abgabe von bereits regenerierten bzw. erhitzten Speisen an Privatpersonen, z.B. Kinder aus benachteiligten Familien, kann aktuell aufgrund der vorgeschriebenen Hygienerichtlinien und der entsprechenden HACCP-Konzepte nicht erfolgen, da aus hygienerechtlichen Gründen grundsätzlich eine Vernichtung der Speisen vorgeschrieben ist.
Eine vollständige Freizeichnung von jeglicher Haftung ist derzeit rechtlich nicht möglich, zuletzt wegen § 14 ProdhaftG. Die Ersatzpflicht des Herstellers nach diesem Gesetz darf im Voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Entgegenstehende Vereinbarungen sind nichtig. Daher erfordert das von der Anfrage vorgesehene Vorgehen eine Änderung von HACCP-Konzepten, dies müsste in enger Abstimmung mit den aufsichtspflichtigen Dienststellen erfolgen.
Im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Weitergabe von übrig gebliebenem Essen ist zudem auch die arbeitsrechtliche Relevanz zu beachten. Auch vor diesem Hintergrund ist die Weitergabe von übrig gebliebenemEssen problematisch. Aus der Rechtsprechung sind Fälle bekannt, in welchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirksam außerordentlich gekündigt wurde, weil diese Lebensmittel oder zubereitete Speisen, welche vernichtet hätten werden müssen, selbst verzehrt bzw. mit nach Hause genommen haben. Diese Konstellation scheint in gewissen Punkten mit der vorliegenden Vorgehensweise vergleichbar. Auch hier ist geplant, Essen, welches vernichtet werden soll, einem anderen Zweck zuzuführen, nämlich dem Verzehr durch andere Personen.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass alle Beteiligten für die Abfallvermeidung weiter zu sensibilisieren sind. Dies ist ein wichtiger Aspekt, um eine langfristige Veränderung zu erzielen. Werden die Schnittstellen entlang der Wertschöpfungskette optimiert, kann das eine bedarfsgerechtere Produktion ermöglichen und die Lebensmittelverschwendung verringern.1
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.