Größere Wohnungen durch Überbauung von Straßen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Alexandra Gaßmann und Manuel Pretzl (CSU-Fraktion) vom 14.2.2020
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Sie haben am 14.2.2020 den Antrag „Größere Wohnungen durch Überbauung von Straßen“ gestellt, der wie folgt lautet: „Die Verwaltung wird gebeten zu prüfen, bei welchen Gebäuden eine Überbauung der Straße möglich ist und damit schnell die vorhandenen Wohnräume vergrößert werden können. Begründung:
Wohnungen mit einer ausreichenden Anzahl an Zimmern für Familien mit zwei oder mehr Kindern sind in München Mangelware. Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um zusätzliche Ressourcen zu gewinnen. Durch Überbauung von Straßen könnten die Wohnflächen der Wohnungen vergrößert werden und mehr größere Wohnungen entstehen.“
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt, da er sich auf eine zur Zeit in der Konzeption, Planung bzw. in der Umsetzung befindliche Maßnahme der Verwaltung bezieht. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag vom 14.2.2020 teilt Ihnen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung Folgendes mit:
Die Prüfung von Möglichkeiten, wie noch mehr Wohnraum im Bestand geschaffen werden kann, kann Maßnahmen aufzeigen, um dem Druck auf dem Wohnungsmarkt im stark wachsenden München zu begegnen. Deshalb setzt sich die Stadtplanung aktiv für die Untersuchung neuer Nachverdichtungskonzepte unter anderem auch durch die mögliche Überbauung des Straßenraums zwischen Wohngebäuden ein.
Die Überbauung von Straßenräumen lässt sich grob in zwei architektonische Typologien untergliedern: In eine Bauform als Tor beziehungsweise als Brücke.
Bei der Bauform als Tor wird der Straßenraum durch die Überbauung in der Regel deutlich differenziert. Die Straße erfährt an dieser Stelle eine Zäsur. Es entstehen ein vor und ein hinter dem Tor liegender Straßenraum.Durch die Typologie als Tor werden oftmals ein Innen- und ein Außenraum definiert. Der Torbau kann auch zu einer Abschirmung von Blickbezügen, Geräuschen/Lärm der einen von der anderen Seite führen. Typische Beispiele einer Straßenüberbauung in Form eines Tors finden sich wiederholt in Wohnanlagen oder Siedlungen. Die Überbauung der Straße beinhaltet dabei auch Nutzungen, die der Gemeinschaft/Bewohnerschaft dienen.
Die Bauform als Brücke überspannt den Straßenraum, der in der Regel unverändert darunter durchläuft. Die Struktur und der Raumeindruck des Straßenraums selbst bleiben dabei weitgehend erhalten. Bei Überbauungen der Bauform Brücke wird das Lichtraumprofil der Straße durch die Überbauung nur punktuell differenziert. Eine Straßenüberbauung des Typs Brücke ist beispielsweise bei Bauten des Gewerbes, der Industrie, der öffentlichen Verwaltung, Bildung oder Kultur zu finden. Die Überbauung dient oftmals der Verbindung von Nutzungseinheiten in verschiedenen Gebäuden oder der Logistik über die Straße hinweg beziehungsweise hat betriebliche Gründe.
Die im Antrag Nr. 14-20/A 06779 als Beispiel abgebildete Überbauung (siehe Anlage) zeigt die Lechfeldstraße 7 im Stadtbezirk 25 Laim und trägt Merkmale der Typologie als Tor. So kennzeichnet die Überbauung den Eingang zur sogenannten Klein-Wohnhaus-Kolonie, einer Planung des Architekten und Stadtplaners Theodor Fischer aus dem Jahr 1911. Das Torhaus enthielt ursprünglich Räume zur Versorgung der Siedlung, wie Läden und eine bis heute dort bestehende Gaststätte. Gleichzeitig dient der Torbau der stadträumlichen Definition von innen/außen und schirmt die im inneren liegenden Teile der Wohnbebauung gegen Einflüsse von außen ab. Die Überbauung der Lechfeldstraße 7 ist als ein zentraler Bestandteil eines städtebaulichen Planungskonzeptes entstanden. Das Konzept der Straßen-überbauung ist in die Siedlung integriert und erfüllt mehrere übergeordnete Funktionen.
Die Überbauung von Straßenräumen ist ein Vorhaben von städtebaulicher Relevanz, wenn es in die Stadtgestalt, städtebauliche Funktion oder Nutzung des Stadtraums eingreift.
In der verbindlichen Bauleitplanung kann eine Straßenüberbauung mittels Bebauungsplan realisiert werden. Gemäß Baugesetzbuch (BauGB) können im Bebauungsplan Ort, Größe, Nutzung etc. einer Überbauung festgesetzt werden. Somit kann eine Wohnnutzung in Straßenräume überspannenden Gebäudeteilen, auch zum Zweck besonders großer Wohnungen, geplant und realisiert werden. Die Überbauung von Straßen hat den Zielen undZwecken des städtebaulichen Konzeptes zu entsprechen und ist so integraler Bestandteil einer gesamtheitlichen städtebaulichen Planung. Eine Möglichkeit für die Aufnahme von Straßenüberbauungen in die städtebauliche Planung bieten städtebauliche Wettbewerbe. Anregungen für Straßenüberbauungen können in den Auslobungstext aufgenommen werden. Über die Auslobung kann die Anforderung für eine Straßenüberbauung in die städtebaulichen Entwürfe integriert werden.
Eine schnelle Vergrößerung vorhandener Wohnräume in bestehenden Stadtvierteln kann mit den Mitteln der verbindlichen Bauleitplanung nicht erreicht werden.
Auch mit den Instrumenten des besonderen Städtebaurechts ist das Konzept der Straßenüberbauung, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, nicht zu verwirklichen. Weder Sanierungssatzungen noch Entwicklungssatzungen, Satzungen in Stadtumbaugebieten, Erhaltungssatzungen oder der Einsatz von Baugeboten oder örtlichen Bauvorschriften sind hierfür geeignete Maßnahmen beziehungsweise Instrumente.
Neben den Voraussetzungen einer Straßenüberbauung im Rahmen der städtebaulichen Planung müssen bei möglichen einzelnen Bauvorhaben für Straßen überspannende Bauwerke in bestehenden Stadtquartieren, sowohl städtebauliche als auch eine Vielzahl weiterer Voraussetzungen erfüllt sein.
Rechtsgrundlage für behördliche Genehmigungen einzelner Bauvorhaben (z.B. für Gebäude) sind die auf der Ebene der Bundesländer zu erlassenden Bauordnungen. Im Freistaat Bayern ist dies die Bayerische Bauordnung (BayBO).
Für (Neu-)Bauvorhaben gilt, dass im Baugenehmigungsverfahren nach der Bayerischen Bauordnung grundsätzlich ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Anforderungen geprüft werden dürfen, die im einschlägigen Prüfprogramm enthalten sind. Der Prüfungsumfang ergibt sich aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 der BayBO. Das Prüfprogramm ergibt sich im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren aus Art. 59 der BayBO, bei Sonderbauten aus Art. 60 BayBO.
Für die Bauplanung zum Ziel einer nachträglichen Überbauung von Stra-ßen wäre ein Bauantrag durch einen Bauwerber erforderlich. Im Idealfall stehen die Gebäude zu beiden Seiten des Straßenraums im Eigentum des Bauwerbers, andernfalls ist eine entsprechende Einigung mit einem zweiten Eigentümer erforderlich. Ein Verbindungsbau über eine Straße hinweg führt zu umfänglichen baulichen Veränderungen am Bestand mit umfassenden Konsequenzen hinsichtlich des einschlägigen Sicherheitsrechtes derBayBO, wie u.a. der anzusetzenden Gebäudeklasse, des Standfestigkeitsnachweises, des Brandschutzes und weiteres. Eine nachträgliche Überbauung einer öffentlichen Straße wird, stehen städtebauliche Belange einer Genehmigung nicht entgegen, auch eine Genehmigung als Sondernutzung im Zusammenhang mit Bauvorhaben nach Art. 18 Abs. 1 Bayerisches Stra-ßen- und Wegegesetz (BayStrWG) erfordern.
Neben den umfangreichen Herausforderungen für eine erfolgreiche Baugenehmigung stehen eine Reihe bautechnischer Herausforderungen einer schnellen Schaffung von größeren Wohnungen durch die Überbauung von Straßen entgegen.
Wohnräume über einer Straße sind durch ihre Lage dem Verkehrslärm und den Erschütterungen besonders ausgesetzt. Dies erfordert besondere bauliche Aufwendungen. In Abhängigkeit von der jeweiligen Straßenraumbreite erfordert eine Überbauung eine entsprechend weit spannende Konstruktion. Die durch eine Straßenüberbauung miteinander zu verbindenden Gebäude müssen den zusätzlichen Baukörper tragen können, da in der Regel der öffentliche Straßenraum frei zu halten ist. Eine statische Ertüchtigung des Bestandes wird im Regelfall erforderlich sein, wie auch eine Anpassung der Grundrisse der zu vergrößernden Wohnungen. Somit werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Sanierungsmaßnahmen am betroffenen Bestand erforderlich. Während der Umbaumaßnahmen müssen betroffene Mieterinnen und Mieter in Interimswohnungen untergebracht werden. Hierbei ist der Mieterschutz zu berücksichtigen bzw. ein einvernehmliches Vorgehen mit den Mieterinnen und Mietern erforderlich.
Unter Berücksichtigung des oben grob beschriebenen, hohen bautechnischen, logistischen und genehmigungsrechtlichen Aufwands ist für die so vergrößerten Wohnungen ein vergleichsweise hoher Herstellungspreis pro Quadratmeter anzunehmen, der üblicherweise an die Mieterinnen und Mieter weitergegeben werden würde.
Fazit
Aus Sicht des Referats für Stadtplanung und Bauordnung ist eine schnelle Überbauung von Straßen zwischen bereits bestehenden Gebäuden in relevanter Masse aus den oben genannten Gründen nur sehr begrenzt vorstellbar.
Es ist jeweils auf den Einzelfall abzustellen, ob eine Überbauung bereits bestehender Gebäude rechtlich, technisch und wirtschaftlich vertretbar ist. Das Bauplanungsrecht gibt außerhalb des Bebauungsplanes weder eine Rechtsgrundlage für die Planung nachträglicher Überbauungen von Straßen noch für deren bauliche Realisierung vor. Die rechtlichen Begrenzungen, die vergleichsweise hohen zu erwartenden Bau- und in der Folge Mietkos-ten stehen gegen eine breite Anwendung solcher Baumaßnahmen in der Stadt.
Nach dem Leitbild einer nachhaltigen europäischen Stadt kann für die effiziente und nachhaltige Nutzung von Ressourcen eine Straßenüberbauung als Lösung für mehr verdichteten Wohnraum jedoch ein konzeptioneller Ansatz sein. Durch die Ausnutzung der Flächen der öffentlichen Straßenräume werden Lösungen für eine kompaktere Siedlungsstruktur möglich. Dafür können entsprechend Grün- und Freiflächen geschont werden. Trotz verdichteter Bauweise kann auch eine Abschirmung von Lärm und eine höhere soziale Kontrolle in Wohnsiedlungen erreicht werden. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung fügt in die Auslobungstexte der städtebaulichen Wettbewerbe die Anregung ein, bei Wohnbebauungen auch die Überbauung von Straßen zu prüfen, sofern die örtlich sinnvoll ist.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.