Der Bauüberhang steigt – macht die Stadt alles, damit (bezahlbare) Wohnungen nicht nur genehmigt, sondern auch gebaut werden?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch und Angelika Pilz-Strasser (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 15.5.2019
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 15.5.2019 haben Sie gemäß § 68 GeschO nachfolgende Anfrage an den Herrn Oberbürgermeister gestellt. Da noch größerer Abstimmungsbedarf innerhalb des Referates erforderlich war, konnte die in der Geschäftsordnung des Stadtrats der Landeshauptstadt München vorgegebene Frist nicht eingehalten werden. Die Zahlen zum Bauüberhang 2019 liegen zwischenzeitlich vor. Die Antwort wurde daher im Mai 2020 nochmals aktualisiert. Wir bitten dies zu entschuldigen.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„In München wird so viel gebaut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch die Baurechtsschaffung durch die Stadt läuft auf höchsten Touren. Um die internen Zielzahlen zu erfüllen, fällt im Rahmen der Bauleitplanung manches dem Zeitdruck zum Opfer.
Dennoch verschärft sich der Wohnungsmangel, insbesondere im geförderten und preisgedämpften Bereich. Die Zielzahlen der gebauten Wohnun- gen werden mittlerweile erreicht. Im geförderten Bereich dagegen werden die Zielzahlen – obwohl sie im letzten wohnungspolitischen Handlungs- programm ‚Wohnen in München VI‘ reduziert wurden – immer noch weit verfehlt (2017: 1.185 fertiggestellte öffentlich geförderte Wohnungen – Ziel: 1.700). Das sind weniger als durch Ablauf der Sozialbindung und Abriss meist preiswerter Wohnungen im gleichen Zeitraum verloren gingen. Mehr als 15.000 Wohneinheiten sind aktuell genehmigt und warten darauf, gebaut zu werden. Insbesondere geförderte und preisgedämpfte Wohnun- gen müssen so schnell wie möglich nicht nur genehmigt, sondern auch gebaut werden.
Die Verwaltung muss alles unternehmen, damit mit Baugenehmigungen nicht spekuliert wird und bezahlbarer Wohnraum mit höchster Priorität gebaut wird.“
Entgegen der getroffenen Aussage, die Zielzahlen seien im geförderten Wohnungsbau immer noch weit verfehlt, sind die Zielzahlen für Bewilligungen im geförderten Wohnungsbau in „Wohnen in München VI“ (2.000) im Vergleich zu „Wohnen in München V“ (1.800) tatsächlich gestiegen:-1.600 (1.500) Wohneinheiten im Mietwohnungsbau (max. Einkommensstufe III)
-100 (100) Wohneinheiten über das Belegrechtsprogramm
-300 Wohneinheiten im Konzeptionellen Mietwohnungsbau – KMB (zuvor 200 für Genossenschaften und Baugemeinschaften, ohne Einkommensbindung)
Eine Zielzahl für die aufgeführten Fertigstellungen ist im wohnungspolitischen Handlungsprogramm nicht festgelegt. Allerdings sind sowohl in den Kaufverträgen für städtische Flächen, als auch in den städtebaulichen Verträgen zur Bindung privater Flächen (z.B. aus der Sozialgerechten Bodennutzung – SoBoN) angemessene Realisierungsfristen vorgesehen.
Möglicherweise wurden im Antrag die Begriffe „Bewilligung“ und „Fertigstellung“ als Synonyme verwendet. Dies führt in der Folge zu dem Missverständnis, dass Zielzahlen verfehlt würden, während tatsächlich zwei unterschiedliche Stadien in der Realisierung eines Bauvorhabens gemeint sind. Im Durchschnitt liegen zwischen „Bewilligung“ einer Wohneinheit im geförderten Wohnungsbau und deren „Fertigstellung“ gut zwei Jahre Bauzeit.
Im Übrigen werden die gestellten Fragen wie folgt beantwortet:
Frage 1:
Wie hat sich der Bauüberhang in den letzten 5 Jahren entwickelt?
Antwort:
Der Bauüberhang (genehmigte, aber noch nicht begonnene Baumaßnahmen von Gebäuden) ist bei neu errichteten Gebäuden innerhalb der letzten 5 Jahre nahezu konstant geblieben.
Bei neu zu errichtenden Wohnungen ist innerhalb der letzten 5 Jahre ein Anstieg von 26% beim Bauüberhang im Wohn- und Nichtwohnbau (z.B. Gewerbebau mit Hausmeisterwohnung) zu verzeichnen. Im Jahr 2015 lag der Bauüberhang insgesamt bei 13.299 Wohnungen. 2019 lag dieser Wert bei 16.692 Wohnungen (Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik).
Bauüberhang neu zu errichtender und noch nicht begonnener Gebäude im Wohn- und Nichtwohnbau (nach Jahren):
Frage 2:
Wie viele Baugenehmigungen sind älter als 4 Jahre, ohne dass mit dem Bau begonnen wurde?
Antwort:
Der Bauüberhang bei Wohn- und Nichtwohngebäuden, die bereits 2015 oder früher genehmigt und für die noch nicht mit der Errichtung begonnen, bzw. auch noch kein Baubeginn angezeigt wurde, lag Ende 2018 bei 901 Gebäuden bzw. 3.905 Wohnungen. Für 2019 liegt noch keine belastbare Aussage vor.
Frage 3:
Wie hat sich der Bauüberhang bei den städtischen Wohnbaugesellschaften in den letzten 5 Jahren entwickelt?
Antwort:
Beide städtischen Wohnungsbaugesellschaften teilten auf Anfrage mit, dass es im Regelfall zu keiner Verzögerung zwischen Erteilung der Baugenehmigung und Umsetzung der Baumaßnahme kommt. Verzögerungen, die jedoch nicht als Bauüberhang zu bewerten sind, können sich beispielsweise bei Maßnahmen ergeben, bei denen Rechtsmittel gegen die Baugenehmigung eingelegt werden. Darüber hinaus können Verzögerungen in der Realisierung des Baurechts entstehen, wenn bestehende Siedlungen schrittweise gegen neue Mietwohnungen ersetzt werden, da Bestandsmieter sozialverträglich umgesetzt werden müssen.
Frage 4:
Wie viele geförderte Wohnungen wurden in den letzten 5 Jahren fertiggestellt?
Antwort:
Innerhalb der letzten 5 Jahre wurden insgesamt 6.924 öffentlich geförderte Wohnungen fertiggestellt.
Frage 5:
Wie hat sich der Bauüberhang bei den geförderten Wohnungen in den letzten 5 Jahren entwickelt?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 10.
Frage 6:
Wie viele Wohnungen im Konzeptionellen Mietwohnungsbau (KMB) wurden in den letzten 5 Jahren fertiggestellt?
Antwort:
Der Konzeptionelle Mietwohnungsbau wurde im Jahr 2013 probeweise und im Rahmen von Wohnen in München VI im Jahr 2016 dauerhaft eingeführt. Die ersten Grundstücksvergaben zur Umsetzung ausschließlicher bzw. anteiliger KMB-Vorhaben fanden 2014 statt. Bis heute wurden in diesem Rahmen acht Wohnbauvorhaben mit insgesamt 438 Wohneinheiten
fertiggestellt.
Frage 7:
Wie hat sich der Bauüberhang beim Konzeptionellen Mietwohnungsbau (KMB) in den letzten 5 Jahren entwickelt?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 10.
Frage 8:
Welche rechtlichen Instrumentarien hat die Verwaltung, beispielsweise über Baugebote, den Bauüberhang zu senken?
Frage 9:
Welche dieser rechtlichen Instrumentarien werden von der Verwaltung angewendet?
Antwort zu Frage 8 und 9:
Das Instrument des Baugebots gem. § 176 BauGB wird als Mittel betrachtet, um brachliegende Flächen, für die eigentlich ein Baurecht besteht, einer Bebauung zuzuführen. In München spielte das Baugebot bislang so gut wie keine Rolle. Dies hat mehrere Gründe:
Zum einen gibt es in München nur sehr wenige freie Flächen, die ohne Weiteres für eine Bebauung in Frage kommen. In aller Regel bedarf es bei diesen Flächen einer Bebauungsplanung, um die gewünschte Nutzung zu ermöglichen und die SoBoN zur Anwendung zu bringen und damit vor allem den anteiligen geförderten Wohnungsbau zu gewährleisten.
Zum anderen ist das Baugebot ein Instrument, das massiv in die Verfügungsrechte des Eigentümers eingreift und damit auf der Tatbestandsebene hohen rechtlichen Anforderungen unterliegt. Es ist sozusagen das Gegenstück zur Beseitigungsverfügung.
Hinzu kommt, dass die Durchsetzung des Baugebots in aller Regel einen sehr langen Atem erfordert bis hin zu einem Enteignungsverfahren und damit viel Aufwand bedeutet und keine kurzfristigen Lösungen bietet.
Der Eingriff in die Entschließungsfreiheit der Eigentümerinnen und Eigentümer erfordert dringliche und gewichtige städtebauliche Gründe, die im Rahmen einer Abwägung mit den grundgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechten (Art. 14 GG) überwiegen müssen. Diese städtebaulichen Gründe müssen für jeden Einzelfall konkret nachgewiesen werden. Der pauschale Verweis auf eine generelle Flächenknappheit im Stadtgebiet genügt daher nicht.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass durch ein Baugebot grundsätzlich nur die Bebauung des Grundstücks als solche entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan (§ 176 Abs. 1 BauGB) oder entsprechend den baurechtlichen Vorschriften (§ 176 Abs. 2 BauGB) angeordnet werden kann.
Die konkrete Nutzung kann hingegen nicht vorgegeben werden, wenn verschiedene Nutzungen zulässig wären. Sie bleibt im Rahmen der baurechtlichen Vorschriften Sache des Eigentümers bzw. der Eigentümerin. Damit scheidet die Möglichkeit, die Errichtung von Wohnbebauung auch im Mischgebiet anzuordnen, in aller Regel aus.Bei der Forderung, das Baugebot auch bei Mindernutzungen z.B. zur Aufstockung der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vollgeschosse anzuwenden, handelt es sich um einen Unterfall des Anpassungsbaugebots gem. § 176 Abs. 1 Nr. 2 BauGB. Eine derartige Anordnung ist daher schon auf der Grundlage der bestehenden Vorschriften grundsätzlich möglich.
Die Probleme ergeben sich insoweit weniger aus fehlenden rechtlichen Grundlagen als vielmehr aus faktischen Gründen. So erweisen sich nicht alle Gebäude aus statischen und sonstigen bautechnischen Gründen für eine Aufstockung als geeignet. Bei Wohnungseigentümergemeinschaften fehlt es im Übrigen oftmals an der erforderlichen Zustimmung der Eigentümerinnen und Eigentümer, da in die Bausubstanz eingegriffen wird. Dar-über hinaus können sich auch daraus Hindernisse ergeben, dass die durch die Aufstockung ausgelösten Bedarfe (Stellplätze, Freiflächen, Infrastruktur usw.) auf dem Grundstück nicht befriedigt werden können.
Eine weitere grundlegende Anforderung des Baugebots ist, dass die Durchführung des Vorhabens der Eigentümer und Eigentümerinnen in wirtschaftlicher Hinsicht zumutbar sein muss (§ 176 Abs. 3 BauGB). Hier hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass es gerade für eine Baubehörde oft schwierig ist, die finanziellen und sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Eigentümerin bzw. des Eigentümers zu prüfen und verlässlich zu beurteilen. Gerade bei gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen stößt die Behörde dabei regelmäßig an Grenzen.
Im Ergebnis wird man konstatieren müssen, dass das Baugebot in Einzelfällen durchaus ein wirksames Instrument sein kann, wenn man den damit verbundenen Aufwand und auch die rechtlichen Risiken nicht scheut. Für flächendeckende Lösungen zur Schaffung zusätzlichen bezahlbaren Wohnraums erscheint es im Allgemeinen und in München im Besonderen hingegen derzeit nicht geeignet.
Als weitere rechtliche Instrumente der Verwaltung kann der Bauüberhang auch durch Bauverpflichtungen in städtebaulichen Verträgen gesenkt werden. Jedoch greifen Bauverpflichtungen in städtebaulichen Verträgen nur bei Bebauungsplänen.
Im Rahmen einer Baugenehmigung nach § 34 BauGB kann die Bauherrin bzw. der Bauherr zu einer derartigen Verpflichtung nicht gezwungen werden, wenn er auch ohne den Abschluss eines städtebaulichen Vertrages Anspruch auf die uneingeschränkte Erteilung der Baugenehmigung hat.Aktuell nimmt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung an einem sog. Planspiel zum Thema „Baugebote“ teil, das durch das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) durchgeführt wird. Da dieses erst kürzlich begonnen wurde, wird erst in einigen Monaten mit Ergebnissen zu rechnen sein.
Frage 10:
Wie kann der Bau geförderter Wohnungen beschleunigt werden?
Antwort:
Die Frage 10 wird in Verbindung mit der Frage 5 (Wie hat sich der Bauüberhang bei den geförderten Wohnungen in den letzten 5 Jahren entwickelt?) und der Frage 7 (Wie hat sich der Bauüberhang beim Konzeptionellen Mietwohnungsbau (KMB) in den letzten 5 Jahren entwickelt?) beantwortet.
Geförderte Wohnungen entstehen auf städtischen Flächen und im Rahmen der Verpflichtungen aus der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) auf Flächen privater Grundstückseigentümer, wenn ein Bebauungsplanverfahren zur Baurechtsschaffung vorangegangen ist. Diese Unterscheidung ist grundlegend für die Zeiträume der Bauverpflichtung.
Bei städtischen Flächen ist im Kaufvertrag in der Regel eine kurze Frist bis zur Errichtung festgelegt. Für Wohnbauvorhaben beträgt sie 2 Jahre, sonst 3 Jahre ab Beurkundung des Kaufvertrages. Für die Flächen privater Eigentümer und Eigentümerinnen sind, in Abhängigkeit von der Bebaubarkeit des Grundstücks, im städtebaulichen Vertrag Errichtungsfristen vorgegeben. Die Erfüllung der Pflichten aus den städtebaulichen Verträgen wird überwacht, insbesondere im Zusammenhang mit der Antragstellung für staatliche und städtische Wohnungsbaufördermittel. Auch hier darf es keine Baugenehmigungen auf Vorrat geben.
Eine Beschleunigung im Sinne eines Abbaus von Bauüberhängen ist hier also nicht veranlasst.
Frage 11:
Wie viel Baurecht (insbesondere geförderte und preisgedämpfte Wohnungen) ist in Bebauungsplänen schon gesatzt, ohne dass bereits Baugenehmigungen eingereicht wurden?
Antwort:
Da hierzu keine statistischen Werte vorliegen, ist eine verlässliche Angabe von noch realisierbaren Wohneinheiten, für die noch keine Bauantrag eingereicht oder bisher keine Baugenehmigung erteilt worden ist, nicht möglich.