Grüne Welle auf Münchens Straßen – Antrag zur Vollversammlung am 17.6.2020
Antrag Stadtrats-Mitglieder Daniel Stanke, Markus Walbrunn und Iris Wassill (AfD) vom 8.6.2020
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Sie haben am 8.6.2020 Folgendes beantragt:
„Der Stadtrat möge beschließen:
Die Ampelschaltungen in München sind zu überprüfen und in Hinsicht auf das Erzeugen der sogenannten ‚Grünen Welle‘ hin zu optimieren. Des Weiteren sind verkehrstechnisch unnötige Verkürzungen der Grünphasen zu beseitigen.
Begründung:
Der Straßenverkehr war anlässlich des Lockdowns ab Mitte März zeitweise völlig zum Erliegen gekommen. Auch heute befinden sich noch große Teile der Arbeitnehmerschaft im Homeoffice und nehmen daher noch nicht wieder im selben Umfang wie vorher am Straßenverkehr teil. Dennoch ist bereits eine deutliche Wiederbelebung, insbesondere im Bereich des Individualverkehrs, feststellbar. Für viele Bürger aus München ist das Auto, nach wie vor, das Beförderungsmittel der Wahl und viele Pendler schlicht eine Notwendigkeit. Dem PKW kommt daher jetzt und auch in absehbarer Zukunft, eine herausragende Bedeutung im städtischen Straßenalltag zu.
An vielen Stellen in München fällt jedoch auf, dass Ampelschaltungen nicht aufeinander abgestimmt sind und dazu führen, dass die Kraftfahrzeuge ein- oder zweihundert Meter weit fahren können und dann wieder an einer roten Ampel stehen. Hierdurch entstehen für die Bürger unnötige Wartezeiten und unnötige Kosten, in Form von zusätzlichem Treibstoffverbrauch. Hinzu kommen noch eigentlich vermeidbare Schadstoffemissionen durch die längere Fahrt- bzw. Wartezeit.
Im digitalen Zeitalter des 21. Jahrhunderts muss es möglich sein, dass hier bedarfsgerecht geschaltet wird. Ob durch Sensoren oder nach Ver- kehrszählungen vor Ort, sollte es möglich sein, eine optimale Lösung für jede Kreuzung zu finden.
Die AfD verlangt daher die Überarbeitung aller Ampelschaltungen, vor allem an besonders neuralgischen Punkten, um die Umwelt durch eine ‚Grüne Welle‘ weniger zu belasten.“
Der Antrag zielt also vor Allem darauf ab, die Programmierung der Lichtsignalanlagen (LSA) im Stadtgebiet München zu Grünen Wellen zu überprüfen und zu optimieren, wobei „verkehrstechnisch unnötige Verkürzungen der Grünphasen beseitigt“ werden sollen.
Das Kreisverwaltungsreferat als Straßenverkehrsbehörde trifft Maßnahmen auf öffentlichem Verkehrsgrund – wie verkehrliche Anordnungen zu LSA und den dazugehörigen Markierungen im Kreuzungsbereich – nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Vollzug der Straßenverkehrsordnung ist eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist rechtlich nicht möglich.
Dem Stadtrat wurde darüber hinaus, zuletzt am 27.11.2018, Vorlagennummer 14-20/V 12304, in der 3. Fortschreibung des Verkehrsmanagementplanes über den Stand der Optimierung der Grünen Wellen Bericht erstattet.
Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftweg zu beantworten.
Zu Ihrem Antrag kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Das Kreisverwaltungsreferat als Verkehrsbehörde ist ständig beauftragt, Grüne Wellen einzurichten und zu optimieren. Hierbei handelt es sich – wie oben bereits ausgeführt – um ein Geschäft der laufenden Verwaltung.
636 der 1.132 aktiven Münchener LSA sind Bestandteil mindestens einer Grünen Welle – eine LSA kann aufgrund der Netzstruktur auch in mehrere Grüne Wellen eingebunden sein. Es gibt derzeit insgesamt 85 zu Grünen Wellen koordinierte Streckenabschnitte, die bereits alle überarbeitet wurden. Die Grünen Wellen werden kontinuierlich gepflegt und fortentwickelt. Signalprogrammänderungen werden eingearbeitet. Änderungen der Verkehrsmengen bzw. -zeiten werden angepasst. Dies stellt einen laufenden Prozess dar. Auch Hinweisen der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrs- teilnehmer wird konsequent nachgegangen, um die Funktion der Grünen Wellen zu prüfen und bei Bedarf zu optimieren.
Über die Grünen Wellen für den motorisierten Individualverkehr (mIV) hinaus wurden in der Schelling-, der Kapuziner- und der Adalbertstraße bereits drei Grüne Wellen für Rad Fahrende umgesetzt. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Rad Fahrenden, sind diese Grünen Wellen noch schwieriger zu planen, als die des motorisierten Individualverkehrs (Hierzu siehe auch Vorlagennummer 14-20/V12750 vom 19.3.2019).
Zunächst ist zur „Grünen Welle“ grundlegend vorauszuschicken:
Das Prinzip der Grünen Welle erscheint zunächst sehr einfach. Ein Fahrzeug startet an Lichtsignalanlage A und benötigt unter Einhaltung aller Vorschriften eine aus Knotenpunktabstand und Geschwindigkeit errechenbare Zeit – den Zeitversatz – um zum nächsten Signalquerschnitt an der LSA B zu gelangen.
Grüne Wellen unterliegen insgesamt jedoch vielen Einflussfaktoren und hängen von verschiedenen, teils beeinflussbaren, teils aber schlicht unveränderbaren Voraussetzungen ab. Einige dieser Faktoren erschweren den Ablauf einer Grünen Welle erheblich.
Zu berücksichtigen sind unter anderem:
Die Umlaufzeit (Periode) der Lichtsignalanlagen
Die Umlaufzeit einer Lichtsignalanlage ist die Zeit, welche vom Aufleuchten des Grünlichts eines Signals bis zum erneuten Aufleuchten des Grünlichts des gleichen Signals verstreicht.
Wo LSA mit unterschiedlichen Umlaufzeiten aufeinanderfolgen, ist physikalisch zwischen ihnen keine Grüne Welle möglich.
Die Abstände der Knotenpunkte
Bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50km/h müsste bei der in Spitzenstunden üblichen Umlaufzeit von 90s ein quadratisches Straßennetz mit einem Knotenpunktabstand von 625m vorliegen, um die Grüne Welle in beiden Fahrtrichtungen realisieren zu können. In der Realität sind die Knotenpunktabstände nicht nur unterschiedlich lang, sondern im innerstädtischen Bereich meist kleiner als 300m. Somit ist eine Koordinierung alleine deshalb nur in einer der beiden Fahrtrichtungen eines Streckenzuges möglich.
Der Auslastungsgrad
Grüne Wellen verlieren ab einem Auslastungsgrad der signalisierten Querschnitte eines Streckenzugs von 85% zunehmend an Funktionalität. Mit zunehmendem Kfz-Verkehr und wachsendem Mobilitätsbedarf dehnen sich die Zeiten, zu denen diese Belastungsgrenze überschritten wird, an vielen Stellen bereits nahezu über den gesamten Tagesverlauf aus. Die auftretenden Verkehrsspitzen verbreitern sich ständig und treten über immer längere Zeiträume auf.Bei höheren Verkehrsbelastungen ist eine Grüne Welle trotz korrekter Koordinierung nicht mehr möglich, da sich während der Rotphase zu viele Fahrzeuge aus der Nebenrichtung an der vorgelagerten Kreuzung aufgestellt haben und diese erst den Streckenzug räumen müssen. Dies führt dazu, dass die Fahrzeuge aus der Hauptrichtung auf diesen Fahrzeugpulk auffahren und somit zum Abbremsen gezwungen werden. Hierdurch kann es vorkommen, dass die Fahrzeuge am Ende eines Fahrzeugpulks der Hauptrichtung den Folgeknoten nicht mehr im selben Umlauf passieren können. Durch die verbleibenden Fahrzeuge wird die Grüne Welle auch für die nachfolgenden Fahrzeugpulks gestört, bis das Verkehrsaufkommen wieder einen Wert erreicht hat, der das Abfließen aller Fahrzeuge ermöglicht.
Der Auslastungsgrad eines signalisierten Querschnitts hängt wiederum von den zur Verfügung stehenden Grünzeiten und der Zahl der Fahrspuren ab.
Die Grünzeiten
Die Grünzeiten einer LSA müssen immer individuell berechnet werden. Sie müssen einerseits dem Verkehrsaufkommen des Kraftverkehrs angepasst werden, dürfen jedoch anderseits keinesfalls die gleichberechtigten Ansprüche aller anderen Verkehrsarten – insbesondere des Fuß- und Radverkehrs vernachlässigen.
Änderungen der Grünzeit eines Signals innerhalb eines Umlaufs wirken sich immer auf andere Signale aus. Vereinfacht kann man sagen: was der einen Signalgruppe an Grünzeit gegeben wird, muss einer konkurrierenden Signalgruppe genommen werden, um die wichtigen Umlaufzeiten einhalten zu können.
Die Beschleunigung des öffentlichen Personennahverkehrs
Um Fahrzeuge des ÖPNV ohne Halt an der LSA bedienen zu können, ist es häufig im Einzelereignis nötig, die Grüne Welle für ankommende Busse oder Trambahnen aufzugeben, um ihnen das möglichst ungehinderte Passieren der Kreuzung zu ermöglichen. 740 der insgesamt 1.132 aktiven LSA sind aktuell mit intelligenter Steuerung zur Beschleunigung des ÖPNV ausgestattet. Die Koordinierung der LSA geht dabei im doppelten Linientakt häufig temporär verloren.
Die Anzahl der Verkehrsphasen der LSA
In jedem Umlauf einer LSA muss jede Verkehrsart und -beziehung grundsätzlich einmal bedient werden. An „normalen“ vierarmigen Knoten sinddafür in der Regel zwei „Phasen“ nötig. Pro Umlauf bekommt einmal die Hauptrichtung einschließlich parallel geführten Fuß- und ggf. Radverkehren grün und nachfolgend einmal die Nebenrichtung.
Erfordert es die Verkehrssicherheit, z.B. abbiegende Verkehrsströme getrennt zu signalisieren, ist hierfür jeweils eine weitere Phase im Umlauf zu bedienen, welche die Grünzeiten entlang der Grünen Welle im Regelfall kürzt. Überlast tritt daher früher ein.
Die verkehrsabhängige Schaltung der LSA
Über 1.000 der 1.132 aktiven Münchener LSA sind verkehrsabhängig – „intelligent“ – gesteuert. Nur der verbleibende, kleine Rest verfügt über „unintelligente“ Festzeitsteuerungen und wird bei Modernisierungen im Regelfall zu einer intelligenten LSA hochgerüstet.
Erfassungseinrichtungen tasten das Verkehrsgeschehen ab und die Programme der LSA passen die Grünzeiten an den Bedarf des mIV an. Was an Grün einer Phase zugeschlagen wird, muss dabei einer anderen Phase weggenommen werden. Mit dieser Art der Steuerung variieren die Grünzeiten und deren Einsatzpunkte im Umlauf, weshalb eine Abstimmung der Zeitversätze für die Grüne Welle nur statistisch basiert möglich ist, nicht jedoch exakt.
Weitere Einflüsse
-Auf Fahrbahnen haltender Park- oder Lieferverkehr, Haltestellenkaps des ÖPNV, Müllentsorgung u.ä.
-nicht abfließende, abbiegende Fahrzeuge
-Leistungsminderung durch Bautätigkeit
-Rad Fahrende, die – soweit keine Radwegbenutzungspflicht besteht – die Fahrbahn mitbenutzen und abschnittsweise nicht überholt werden können
-Die Priorisierung sich kreuzender Grüner Wellen.
-Verkehrsverhalten wie das Einfahren in eine Kreuzung bei Stau.
-Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – wer zu schnell fährt, kommt zu früh an, wer dabei noch überholt und vor einem vorschriftsmäßig fahrenden Fahrzeug bei Rot zum Stehen kommt, zwingt dieses und weitere nachfolgende Fahrzeuge im „Ziehharmonikaeffekt“ unnötig zum Bremsen.
Fazit
Grundsätzlich könnte man Autobahnen als „ideale Grüne Welle“ betrachten, aber auch dort kommt es zu Stauungen, die nicht auf Unfällen oder leistungsreduzierenden Eingriffen beruhen. Mit zunehmender Auslastung steigt auch auf Autobahnen die Staugefahr. Vom sogenannten Stau aus dem Nichts oder „Phantomstau“, der schon unterhalb der Leistungsgrenze durch Bremsvorgänge ausgelöst wird, bis hin zum schlichten Überlastungsfall. Stadtverkehr ist wesentlich diffiziler als Autobahnverkehr.
Jede Grüne Welle wird von vielen, sie dauerhaft oder temporär bestimmenden Parametern beeinflusst.
Eine aus Sicht der Autofahrenden optimale Grüne Welle ist im Regelfall nicht realisierbar, da sonst die berechtigten Interessen anderer Verkehrsarten nicht zum Zuge kämen. Insbesondere die Beschleunigung des ÖPNV geht der Grünen Welle vor, um die effizienteste motorisierte Transportform zu fördern, seine Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu erhöhen und die Reisezeiten unserer Busse und Trambahnen zu verkürzen.
Die sich ergebenden Grünen Wellen stellen daher stets einen Kompromiss dar und sind aufgrund der Kreuzungsabstände in der Regel nur in einer Fahrtrichtung möglich.
Mit Hilfe eines von der Fachabteilung des Kreisverwaltungsreferats entwickelten Softwarepakets werden Grüne Wellen aufgrund ihrer realen Grünzeitverteilungen geplant und optimiert. Wie erwähnt, verschiebt die intelligente Ampelsteuerung mit Hilfe von Detektoren die Grünzeit. Die Mitarbeitenden des Kreisverwaltungsreferates können diese Verschiebungen anhand von Echtdaten nachvollziehen und bei der Planung von Grünen Wellen berücksichtigen. Als eine von sehr wenigen Städten hat München daher die Möglichkeit, Grüne Wellen nicht nur theoretisch auf Basis von Festzeitprogrammen umzusetzen, sondern auf statistisch häufiger eintretende Grünzeitlagen reagierend zu optimieren.
Weiteres Vorgehen
Das Kreisverwaltungsreferat optimiert und pflegt die Grünen Wellen in bewährter Weise weiter. Ihrem Antrag wird mit der derzeitigen Praxis bereits entsprochen. Wie oben erläutert, beinhaltet die Arbeit der Verkehrsingenieure dabei selbstverständlich, die von Ihnen sogenannten „verkehrstechnisch unnötigen Verkürzungen der Grünphasen“ zu beseitigen.Das Kreisverwaltungsreferat geht davon aus, dargestellt zu haben, dass auch die Grüne Welle des motorisierten Individualverkehrs den ihr gebührenden Teil der städtischen Verkehrssteuerung einnimmt.
Gleichzeitig gebe ich zu Bedenken, dass der mIV im Sinne der Verkehrswende nicht mehr den Stellenwert der 60er und 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts einnehmen kann. Die schwachen Verkehrsarten sowie der ÖPNV sind entsprechend zu fördern, um die Verkehrswende voran zu treiben. Innerhalb dieses Rahmens wird die Grüne Welle jedoch immer einen wichtigen Stellenwert besitzen.
Ich bitte um Kenntnisnahme der Ausführungen und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.