Green Deal der EU I: Möglichkeiten, öffentliche Beschaffung nachhaltiger zu gestalten
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Tobias Ruff und Johann Sauerer (ÖDP) vom 11.12.2019
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Auf Ihre Anfrage vom 11.12.2019 nehme ich Bezug:
Nachdem die zentralen Vergabestellen und das Baureferat in die Beantwortung der Anfrage einzubinden waren, konnte die Beantwortungsfrist gemäß Geschäftsordnung nicht eingehalten werden. Ich bitte dies zu entschuldigen.
In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt vorausgeschickt: „München ist seit 2017 Mitglied der Partnerschaft zum öffentlichen Auftragswesen, insbesondere zur nachhaltigen und innovativen Vergabe im Rahmen der EU-Städteagenda. Wir gehen davon aus, dass in dieser Zeit Treffen auf europäischer Ebene zum gegenseitigen Austausch stattgefunden haben und Kenntnisse über eine Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitskriterien erlangt wurden. Des Weiteren wird die EU-Kommission heute den Green Deal veröffentlichen, in dem der Punkt ‚Nachhaltige Beschaffung‘ eine Rolle spielt. Das heißt, dass auch (gesetzliche) Impulse aus der EU zu erwarten sind. München sollte darauf gut vorbereitet sein und einen Beitrag leisten können.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Welche Themen wurden innerhalb der Partnerschaft zu innovativer und verantwortungsbewusster öffentlicher Vergabe bearbeitet?
Antwort:
Die Stadt Haarlem (Niederlande) als koordinierende Stadt in der Partnerschaft hat zusammen mit europäischen Städten und Organisationen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Europäischen Kommission einen Aktionsplan bestehend aus den folgenden Aktionen entwickelt:
-Entwicklung einer Strategie: Diese Aktion unterstützt Politiker und Techniker in Städten (insbesondere mittelgroße und kleine) beim Aufbau ihrer Strategie für das öffentliche Beschaffungswesen. Diese Strategie ermöglicht die Umsetzung der globalen Strategie der Stadtziele bei der Bewältigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen.-Lokale Kooperationszentren: Die Maßnahme zielt darauf ab, Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich des innovativen und nachhaltigen öffentlichen Beschaffungswesens zu verbessern, einschließlich der Phasen vor und nach dem Beschaffungs-/Ausschreibungsverfahren. Durch den Austausch von Wissensressourcen, Instrumenten und Risikomanage-
ment haben Städte in bestimmten Märkten eine größere Wirkung, um dringend benötigte innovative Waren und Dienstleistungen zu beschaffen, die auch eine nachhaltigere Entwicklung fördern.
-Makler für Innovationsbeschaffung: Die Partnerschaft untersucht die spezifische Notwendigkeit einer Vermittlung von Innovationsbeschaffungen zwischen der Nachfrage- und Angebotsseite, das Organisationsmodell, die Merkmale eines Vermittlers von Innovationsbeschaffungen und wie es die Interaktion zwischen öffentlichen Käuferinnen und Käufer und Wirtschaftsteilnehmerinnen und Wirtschaftsteilnehmer praktisch unterstützen kann.
-Finanzierung: Städte benötigen finanzielle Unterstützung, um Projekte zu entwickeln, um von fortgeschritteneren Städten im Bereich der zirkulären Beschaffung und der sozialen Verantwortung bei der Beschaffung zu lernen, um Innovationen und Projekte zu beschaffen, bei denen sie fachkundige Unterstützung für die Entwicklung einer „gemeinsamen grenzüberschreitenden Beschaffung“ suchen.
-Rechtliche Rahmenbedingungen: Ziel der Entwicklung eines Rechtsrahmens ist es, eine praktische Toolbox mit Roadmaps von Innovationsprozessen und -instrumenten bereitzustellen, die die Behörden bei der Erreichung innovativer und verantwortungsbewusster öffentlicher Aufträge unter Berücksichtigung rechtlicher Aspekte unterstützen.
-Ausgaben messen: Die Aktion zielt darauf ab, eine gemeinsame europaweite Methodik für Kommunen und andere Institutionen zu entwickeln, mit der gemessen werden kann, wohin ihre Beschaffungsausgaben
fließen.
Die erarbeiteten Ergebnisse und weitere Dokumente sind veröffentlicht unter: https://ec.europa.eu/futurium/en/public-procurement
Frage 2:
Welche (neuen) Möglichkeiten hat die Landeshauptstadt München künftig bei der Vergabe in größerem Maße Nachhaltigkeitskriterien zu verwenden?
Antwort:
Insbesondere das am 18.4.2016 in Kraft getretene Vergaberecht bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, Vergaben nachhaltig zu gestalten. In § 97 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind die Grundsätze des Vergaberechts festgehalten. Die Berücksichtigung von Qualität, Innovation sowie sozialer und umweltbezogener Aspekte haben dort Eingang gefunden. Dies bedeutet, dass diese Aspekte in jeder Phase eines Verfahrens einbezogen werden können. Auch hinsichtlich der Eignung werden soziale und ökologische Aspekte beachtet (vgl. § 124 GWB). Bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots und der Zuschlagserteilung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden (§ 127 GWB, § 58 Vergabeverordnung). Im Weiteren wird hier klargestellt, dass eine Verbindung mit dem Auftragsgegenstand auch dann anzunehmen ist, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf die Bereiche der Herstellung, Bereitstellung, Entsorgung, auf den Handel oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus bezieht. Es kann beispielsweise so ein zu beschaffendes Produkt, das aus fairem Handel (durch die Beachtung der Kernarbeitsnormen entlang der Produktions- und Lieferkette) stammt, im Rahmen der Zuschlagswertung mit einer höheren Punktezahl versehen werden, als ein konventionell gehandeltes Produkt. Auch nach Zuschlagserteilung kann der Auftraggeber Unternehmen verpflichten, umweltbezogene und soziale Aspekte bei der Auftragsdurchführung als Vertragsbedingung zu beachten (§ 128 Abs. 2 GWB).
Demgemäß legt die Beschaffungsordnung (Ziffer 4.1) der Stadt fest, dass bei der Bedarfsermittlung, -prüfung und -begründung u.a. umweltbezogene Aspekte, soziale Belange, Entgeltgleichheit von Frauen und Männern, ökologische Lebensmittel, Fair-Trade, Arbeits- und Gesundheitsschutz usw. zu beachten sind.
Frage 3:
Welche Maßnahmen zur Umsetzung wurden bisher ergriffen?
Antwort:
Die Vergabestelle 1 hat mitgeteilt:
„Das Thema Nachhaltigkeit ist bereits in vielen Bereichen der öffentlichen Beschaffung der LHM verankert. So enthalten die Vergabeunterlagen umfassende Leistungsbeschreibungen mit leistungsbezogenen und allgemeinen (z.B. Auftragsausführung, Lieferung und Versand betreffend) Klimaschutz- und Nachhaltigkeitskriterien.Im Rahmen des Integrierten Handlungsprogramms für Klimaschutz in München (IHKM) – BV IHKM 2019, 14-20/V11745 wurden unter anderem Maßnahmen beschlossen, die die Nachhaltigkeit in der Beschaffung in mehreren Bereichen vorantreiben und ausbauen. Mit der Maßnahme „7.1.5 Schulung(smodul) nachhaltige Beschaffung“ sollen gezielt die Beschaffenden und Einkaufenden in den Dienststellen hinsichtlich Nachhaltigkeit sensibilisiert und geschult werden. Weiterhin tragen die Maßnahmen „7.2.2 Entwicklung von Bewertungskriterien für nachhaltige Beschaffung“ und „7.3.3 Klimaneutraler Versand“ zu einer Ausweitung der nachhaltigen Beschaffung bei.
Zum Erreichen der klimaneutralen Stadtverwaltung bis 2030 wurden von Seiten des Direktoriums auch Maßnahmen mit Nachhaltigkeitsaspekten vorgeschlagen. So soll z.B. eine Negativliste für Direktbeschaffungen erstellt oder der Kauf von überwiegend langlebigen und reparaturfreundlichen Produkten ausgeweitet werden.“
Das IT-Referat/Vergabestelle 3 hat u.a. Folgendes mitgeteilt:
„….Bei der Beschaffung von Produkten der Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK) werden von der dafür zuständigen Vergabestelle 3 in enger Abstimmung mit den betroffenen Fachbereichen unter anderem seit langem ökologische Kriterien (z.B. umweltgerechte Entsorgung, Gütesiegel oder ISO-Zertifizierungen, Ausschluss bestimmter giftiger Stoffe, Berücksichtigung von Stromverbrauch, Geräuschemissionen und sonstiger Emissionen usw.) vorgegeben und deren Einhaltung bei der Zuschlagsentscheidung berücksichtigt und bewertet. Losgelöst hiervon achtet die Landeshauptstadt München in all ihren Verträgen darauf, dass die beschafften Komponenten nach Ablauf der Nutzungsdauer wenn möglich einer Wiederverwertung, ansonsten der fachgerechten Entsorgung durch anerkannte Entsorgungsbetriebe, zugeführt werden. So ist zum Beispiel für die Rückführung und das Recycling von Rohstoffen der zur Entsorgung von it@M freigegebenen mobilen Endgeräte ein qualifizierter externer Dienstleister mit entsprechend zertifizierten Prozessen verantwortlich.
Darüber hinaus verfolgt die Landeshauptstadt München die Strategie, beschaffte Komponenten unter Berücksichtigung der Anforderungen an eine leistungsfähige und moderne ITK-Ausstattung möglichst langfristig zu nutzen. So sind Smartphones und Tablets in der Regel zwischen drei und vier Jahre im Einsatz, um damit unserem Anspruch an einen nachhaltigen und umweltschonenden Umgang mit Ressourcen möglichst Rechnung zu tragen.“Der Abfallwirtschaftsbetrieb/Vergabestelle 7 hat u.a. mitgeteilt: „In den vergangenen Jahren wurden aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 23.11.2005 die Müllgroßbehälter aus Stahl sukzessive durch Behälter aus Kunststoff ersetzt. Das deutlich geringere Gewicht der Kunststofftonnen trägt sowohl den Bedürfnissen des Arbeits- als auch des Lärmschutzes Rechnung.
Bei der Neubeschaffung von grauen Restmüllbehältern aus Kunststoff wurde ein Recyclatanteil von mindestens 80% vorgegeben. Bei den braunen Biomülltonnen und blauen Papiertonnen kann aufgrund der noch nicht einzuhaltenden Farbechtheit derzeit noch kein Recyclatanteil gefordert werden. Dies wird jedoch weiterhin vom AWM beobachtet.
Der AWM hat in durchgeführten Vergabeverfahren Kooperationspartner beauftragt, die die Sicherheits- und Funktionsprüfung von Elektroaltgeräten gemäß DIN VDE 0701 und 0702 durchführen und die darüber hinaus auch den Kriterien des Programms „Dritter Arbeitsmarkt“ entsprechen. Bei der eigenen Alttextilsammlung ist es der Landeshauptstadt München wichtig, eine qualitativ hochwertige Verwertung sicherzustellen. Dabei ist die Umsetzung der 5-stufigen Abfallhierarchie des KrWG und der EU-Richtlinie 2008/98/EG von den Vertragspartnern unbedingt zu beachten. Die Wiederverwendung (Second Hand) sollte oberste Priorität haben. Außerdem muss eine stoffliche Verwertung (Recycling) der nicht mehr tragfähigen Bekleidung auf dem jeweiligen Stand der Technik sichergestellt sein. Der Auftragnehmer soll sich für die Aufrechterhaltung der Verwertungsquote bei Alttextilien von mehr als 90% einsetzen.
Im Rahmen der Ausschreibung der Schlackeverwertung erfolgt die Bewertung der Angebote neben dem Angebotspreis auch nach ausgewählten Nachhaltigkeitskriterien. Hierbei werden Nachhaltigkeitspunkte unter anderem in Abhängigkeit von CO2-Äquivalentwerten des Transports (in Abhängigkeit von der Transportentfernung) und der Art des Transports (z.B. Schiene) vergeben.
Auch bei der Vergabe der Verwertung von Wertstoffen wie Altmetall, Altpapier, Grüngut, Altholz etc. werden kurze Transportentfernungen im Rahmen der Auswertung positiv gewichtet.“
Das Baureferat hat mitgeteilt:
„Das Baureferat setzt bei seinen Ausschreibungen bereits zahlreiche Maßnahmen zur nachhaltigen Beschaffung um. In den Ausschreibungsunterlagen werden grundsätzlich Leistungsanforderungen aufgestellt, die auf eine Langlebigkeit und Umweltfreundlichkeit der verwendeten Produkte abzielen.
Bei technischen Anlagen wird darauf geachtet, dass Reparaturen und Ersetzungen von Verschleißteilen möglichst einfach und unkompliziert durch-geführt werden können (gute Zugänglichkeit, einfache Bauweise) und somit eine möglichst lange, ökologisch vorteilhafte und zugleich wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsdauer erzielt werden kann.
Gebäudeteile, die eine geringere Lebensdauer als das Tragwerk besitzen, werden nach Möglichkeit so geplant, dass künftige Modernisierungen ohne Eingriffe in das Tragwerk machbar sind. Mit einem weitestgehenden Verzicht auf Verbundwerkstoffe und eine Fokussierung auf lösbare Verbindungen wird darüber hinaus zu einem ökologisch positiven Gebäudelebenszyklus beigetragen.
Bei der Ausschreibung z.B. von Straßenbaumaßnahmen wird der Einsatz von Recyclingbaustoffen unter der Prämisse der technischen Eignung und der Umweltverträglichkeit grundsätzlich zugelassen. Ausgebaute Materialien (z.B. Böden, Gehwegplatten, Natursteinmaterial) können in der Regel vor Ort oder bei anderen Baumaßnahmen unmittelbar oder nach entsprechender Aufbereitung wiederverwendet werden. Nicht mehr gebrauchsfähige Stoffe und Bauteile (z.B. Ausbauasphalt, Bauteile der elektrischen Verkehrsinfrastruktur) müssen von den ausführenden Firmen über Recycling-Firmen nach den gesetzlichen Vorgaben materialspezifisch aufbereitet und soweit möglich in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Zudem liegt der Fokus auf einer möglichst regionalen Beschaffung von Bauprodukten und Baustoffen um insbesondere den transportbedingten Ausstoß von Klimagasen (CO2, etc.) zu reduzieren. So werden z.B. bei der Beschaffung von Bauprodukten aus Naturstein für das städtische Steinlager durch die Anwendung ökologischer Wertungskriterien (Bewertung der Emissionen aus Transporten von Schad- und Treibhausgasen) im Vergabeverfahren Natursteinlieferungen aus Fernost – und der damit zusammenhängende Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen – stark minimiert. Verpackungen werden regelmäßig nur dort verwendet, wo sie zur Material- oder Transportsicherung unbedingt notwendig sind. Bei palletierten Materialien werden in der Regel wiederverwendbare Europaletten verwendet, die über Kautionen und Leihgebühren im Wirtschaftskreislauf gehalten werden.
Das Baureferat prüft fortlaufend weitergehende Möglichkeiten zur Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und zur Beschaffung von Produkten im Kreislaufsystem. Darüber hinaus ist das Baureferat aktuell dabei, im Benehmen mit dem Referat für Gesundheit und Umwelt, dem Referat für Bildung und Sport und dem Kommunalreferat unter fachgutachterlicher Begleitung ein Konzept zur Erreichung eines möglichst klimaneutralen stadteigenen Gebäudebestandes zu erarbeiten (vgl. Stadtratsbeschluss vom 18.12.2019, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 16525).“
Frage 4:
Gibt es bereits Maßnahmen, um den in einigen Bereichen noch ausbleibenden Bietern einen größeren Markt in Aussicht zu stellen, beispielsweise durch Ausschreibung in Kooperation mit anderen deutschen Städten?
Antwort:
Das IT-Referat/Vergabestelle 3 hat hierzu mitgeteilt:
„Bei der Beschaffung von Leistungen der Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK) gibt es einen sehr interessierten und breit aufgestellten Markt. Zudem sind die Bedarfe der Landeshauptstadt München an ITK-Leistungen stets in einer Größenordnung angesiedelt, dass es hier keine zu beobachtenden Ressentiments seitens potentieller Bieter gibt. Vielmehr laufen wir – neben kartellrechtlichen Bedenken einer zu starken Nachfragemacht – Gefahr, bei einer Kooperation mit anderen Öffentlichen Auftraggebern zum Zwecke der Bedarfsbündelung klein- und mittelständische Unternehmen abzuschrecken. Selbstverständlich besteht aber ein laufender und enger Austausch – insbesondere auch im Hinblick auf die Berücksichtigung nachhaltiger Belange bei der Beschaffung von Leistungen – mit Vergabestellen anderer Bayerischer Städte wie Nürnberg und Regensburg, aber auch mit der Bundesagentur für Arbeit oder dem Oberlandesgericht München.“
Frage 5:
Welche Entwicklungen sind durch die Veröffentlichung des Green Deal für unsere Stadt zu erwarten?
Antwort:
Mit dem Green Deal sollen insbesondere die Ziele der Klimaneutralität in der EU bis 2050, die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von der Ressourcennutzung sowie der Naturschutz und der Schutz der Menschen vor Umweltrisiken und deren Auswirkungen sichergestellt werden. Diese neue Strategie der EU betrifft auch kommunale Handlungsfelder in den Bereichen Energie, Gebäude, Mobilität und Kreislaufwirtschaft.