Leerstand und Zweckentfremdung in München IV: Wilhelmstraße 27
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE./Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 30.7.2020
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 30.7.2020 weisen Sie darauf hin, dass trotz knappem Wohnraumbestand und vielen Wohnungssuchenden in München Wohnungen und ganze Häuser leer stehen. Wohnungsleerstand und Zerstörung günstigen Wohnraumes dürften nicht geduldet werden. Dazu führen Sie u.a. Folgendes aus:
„Leerstand und Missbrauch von Eigentum findet sich in der ganzen Stadt. So ist die Wilhelmstraße 27 in Schwabing Freimann seit 2017 in den Fängen der Spekulanten. Seit dem Kauf für 12 Millionen Euro durch eine Immobilienfirma der Omega AG wurde das Haus teilweise entmietet und schließlich 2019 mit einem verschachtelten Konstrukt weiterverkauft, mit dem die Grunderwerbssteuer per Share-Deal umgangen werden konnte. Laut Recherchen des Bayerischen Rundfunks ist der Plan der aktuellen Ei- gentümer für das Projekt einen Erlös von 28 Millionen Euro zu erwirtschaften. Die Bewohner*innen berichten, dass von neun Wohnungen im Haus seit längerem drei leer stehen. Lediglich drei Wohnungen werden noch regulär vermietet. Die anderen Wohnungen werden unter anderem von Bauarbeitern bewohnt.“
Auf Grund der Komplexität der Anfrage waren Stellungnahmen mehrerer Referate erforderlich. Zudem bedingte die Ferienzeit Verzögerungen. Eine fristgemäße Bearbeitung war daher nicht möglich. Dies wurde mit Schreiben vom 5.8.2020 mitgeteilt. Für die Fristverlängerung bedanken wir uns.
Zu Ihrer Anfrage vom 30.7.2020 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wurde der beschriebene Leerstand über den städtischen Leerstandsmelder angezeigt?
Welche Kenntnisse hat die Stadt München über den bestehenden Leerstand?
Antwort:
Der erste Leerstand einer Wohneinheit wurde im November 2018 durch einen Hinweis über die städtische Meldeplattform bekannt. Die weitere Beantwortung dieser Frage erfolgt in der Antwort zu Frage 2.
Frage 2:
Ist die Stadt dieser Zweckentfremdung nachgegangen? Welche Maßnahmen hat die Stadt bisher ergriffen, um den Leerstand zu beenden? Falls keine Maßnahmen ergriffen wurden: weshalb nicht?
Antwort:
Das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration hat daraufhin ein zweckentfremdungsrechtliches Verfahren eingeleitet. Die Verfügungsberechtigten gaben an, die Wohnung sei unbewohnbar und stehe zum Verkauf. Im Zuge des Verfahrens wurden weitere Leerstände bekannt, es erfolgten Ortsermittlungen, Zwischenmietverträge wurden vorgelegt und es erfolgte ein Wechsel der Verfügungsberechtigten. Im weiteren Verfahrensablauf wurde schließlich ein Abbruchantrag für das gesamte Anwesen gestellt.
Frage 3:
Im Bezirksausschuss Schwabing Freimann wurde im Januar 2020 einstimmig ein Antrag auf Abriss und Neubau abgelehnt. Wie ist der aktuelle Stand des Sachverhalts? Wann wurde der Antrag gestellt? Welche Version der Zweckentfremdungssatzung würde im Fall des Antrages greifen?
Antwort:
Ein zweckentfremdungsrechtlicher Abbruchantrag wurde am 18.12.2019 gestellt. Für die Genehmigung des Antrags ist u.a. eine Baugenehmigung für den erforderlichen Ersatzwohnraum notwendig. Bei Ablehnung des Bauantrages wird zeitnah auch der Zweckentfremdungsantrag abgelehnt. Sollte der Bauantrag genehmigt werden, muss der zweckentfremdungsrechtliche Abbruchantrag nach alter Zweckentfremdungssatzung genehmigt werden.
Frage 4:
Welche Auswirkungen hat der Ensembleschutz des Gebäudes auf die Abrisspläne der Eigentümer? Wird aktuell die Aufnahme des Anwesens in die Denkmalschutzliste geprüft?
Antwort:
Für das Anwesen Wilhelmstraße 27 liegt ein Bauantrag „Abbruch und Neubau eines Wohngebäudes“ vor. Die Prüfung der Genehmigungsfähigkeitist noch nicht abgeschlossen. Vorbehaltlich der Klärung der Denkmaleigenschaft des Bestandsgebäudes als Einzeldenkmal gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 DSchG handelt es sich bei dem Bestandsgebäude um einen prägenden Bau im Ensemble „Nordschwabing“. Für eine fachliche Beurteilung ist das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege eingeschaltet. Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass aus denkmalfachlicher Sicht keine Zustimmung zum Abbruch erteilt wird.
Frage 5:
Wie hoch beziffert die Stadt München den Bodenwertzuwachs des Objekts vom Zeitpunkt des Verkaufs 2017 bis heute?
Antwort:
Das Kommunalreferat, Bewertungsamt teilt dazu mit:
Um eine aufwendige Einzelbewertung mit Ortsbesichtigung, der Ermittlung von Baurechten, Recherchen zu Mieten, Restnutzungsdauer, besonderen objektbezogenen Grundstücksmerkmalen und weiteren Parametern mit dem Ziel einer ökonomischen Arbeitsweise zu vermeiden, wurde für die Ermittlung des jeweiligen Bodenwertzuwachses auf die Steigerung der Bodenrichtwerte zum Stichtag abgestellt. Die so abgeleitete Zahl enthält eine gewisse Unschärfe, zeigt aber die generelle Entwicklung auf. Für das Anwesen Wilhelmstraße 27 beträgt der Zuwachs des Bodenrichtwerts 15% pro Jahr.
Frage 6:
Bei wem sieht die Stadt München die Hauptverantwortung für den beschriebenen Leerstand?
Antwort:
Bei komplexen Bauvorhaben mit vielschichtigen Kausalzusammenhängen bedingen sich insbesondere die persönlichen Interessen der Eigentümer*innen, Rechte und Pflichten der Beteiligten und die ökonomischen Rahmenbedingungen wechselseitig. Im Allgemeinen liegt die Möglichkeit, Leerstand zu beheben, weitgehend in der Hand von Eigentümer*innen. Die öffentliche Verwaltung kann nur im Spielraum der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Möglichkeiten agieren.
Das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration hat stets alle Entwicklungen engmaschig überwacht und steht in engem Kontakt zum Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Lokalbaukommission. Solange dort über den Bauantrag nicht entschieden ist, kann auch über den Abbruchantrag nicht entschieden werden.
Frage 7:
Kann man nach Einschätzung der Stadt im Fall der Wilhelmstraße 27 von einem offenbaren Missbrauch des Eigentumsrechtes sprechen?
Antwort:
Ein offenbarer Missbrauch des Eigentumsrechts kann aus unserer Sicht nicht angenommen werden. Das Recht auf Eigentum stellt einen verfassungsrechtlichen Grundsatz dar, der nur in engen Grenzen eingeschränkt werden kann. Rein rechtlich betrachtet missbrauchen diejenigen ihr Eigentumsrecht nicht, die über ihr Eigentum in den Grenzen des rechtlich Zulässigen verfügen. So verhält es sich grundsätzlich auch im vorliegenden Fall. Diese eher nüchterne Bewertung sagt jedoch nichts darüber aus, dass ein solches Verhalten nicht mit dem Grundgedanken der Sozialbindung von Eigentum kollidieren kann. Hier gibt es gleichwohl Fälle, in denen diesem Grundsatz gerade nicht entsprochen wird. Diese Fälle sieht das Referat für Stadtplanung und Bauordnung ebenfalls kritisch, verfügt aber auch hier nicht über die geeigneten Mittel, diesen Entwicklungen rechtswirksam gegenüberzutreten. Insoweit wäre es auch an dieser Stelle Aufgabe des Bundesgesetzgebers, diesen Entwicklungen zu begegnen.
Frage 8:
Wann kann damit gerechnet werden, dass die leerstehenden Wohnungen wieder einer Nutzung zugeführt werden?
Antwort:
Darüber kann derzeit keine belastbare Aussage getroffen werden. Abhängig von den baurechtlichen Möglichkeiten wird das Sozialreferat auf eine baldige Wiederbelegung hinwirken und diese gegebenenfalls mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen.
Ich versichere Ihnen, dass die Landeshauptstadt München und ich im Bereich der Zweckentfremdung unser Möglichstes tun. Bezahlbarer Wohnraum in München ist mir ein zentrales Anliegen.