Leerstand und Zweckentfremdung in München V: Occamstraße 1
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE./Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 30.7.2020
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 30.7.2020 weisen Sie darauf hin, dass trotz knappem Wohnraumbestand und vielen Wohnungssuchenden in München Wohnungen und ganze Häuser leer stehen. Wohnungsleerstand und Zerstörung günstigen Wohnraumes dürften nicht geduldet werden. Dazu führen Sie u.a. Folgendes aus:
„Leerstand und Mißbrauch von Eigentum findet sich in der ganzen Stadt. So steht Nahe der Münchner Freiheit direkt am Wedekindplatz das Haus in der Occamstraße 1 fast vollkommen leer. Nur eine von zehn Wohnungen ist aktuell bewohnt, alle drei Gewerbeeinheiten stehen leer. Das Haus im stark durch Gentrifizierung geprägten Viertel steht dabei unter Ensembleschutz, jedoch trotz vieler historischer und intakter Ausstattungen (wie Treppenhaus und Wandmalereien) nicht unter Denkmalschutz (Stand 2019). 2018 wurde das Haus durch die Altschwabing-Projekt GmbH gekauft. Im Anschluss wurden einige Mieter*innen durch Abfindungsgelder zum Auszug bewegt. Die Mietverhältnisse der Gewerbe wurden nicht mehr verlängert und mussten letztes Jahr weichen.“
Auf Grund der Komplexität der Anfrage waren Stellungnahmen mehrerer Referate erforderlich. Zudem bedingte die Ferienzeit Verzögerungen. Eine fristgemäße Bearbeitung war daher nicht möglich. Dies wurde mit Schreiben vom 5.8.2020 mitgeteilt. Für die Fristverlängerung bedanken wir uns.
Zu Ihrer Anfrage vom 30.7.2020 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wurde der beschriebene Leerstand über den städtischen Leerstandsmelder angezeigt?
Welche Kenntnisse hat die Stadt München über den bestehenden Leerstand?
Antwort:
Der Leerstand wurde durch einen anonymen telefonischen Hinweis bekannt. Die weitere Beantwortung der Frage erfolgt unter Frage 2.
Frage 2:
Ist die Stadt dieser Zweckentfremdung nachgegangen? Welche Maßnahmen hat die Stadt bisher ergriffen, um den Leerstand zu beenden? Falls keine Maßnahmen ergriffen wurden: weshalb nicht?
Antwort:
Das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration leitete bereits 2017 gegen die Voreigentümerin ein zweckentfremdungsrechtliches Verfahren ein. Durch den Verkauf 2018 wurde dieses eingestellt und Ende 2018 wurde gegen die neue Verfügungsberechtigte erneut wegen Leerstand ermittelt. Aufgrund umfangreicher Umbaupläne und der Beantragung eines Vorbescheidsbauantrags war den neuen Verfügungsberechtigten Zeit einzuräumen, einen konkreten Ablaufplan vorzulegen. Durch die Zurückziehung des Antrages auf einen Vorbescheid wurde das zweckentfremdungsrechtliche Leerstandsverfahren wieder aufgenommen. Derzeit ist eine Wiederbelegungsanordnung in Vorbereitung.
Frage 3:
Wurde für das Objekt eine Abrissgenehmigung oder ein Antrag zur Modernisierung beantragt? Wie ist der aktuelle Stand?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Lokalbaukommission teilt dazu mit:
Für das Anwesen Occamstraße 1 liegt kein Bauantrag für einen Abbruch und Neubau vor. Mitte 2019 wurde ein Vorbescheid „Aufstockung eines Wohn- und Geschäftshauses, Einbau eines Aufzugs und Anbau von Balkonen“ eingereicht. Im Zuge der Überprüfung dieses Antrages wurde festgestellt, dass eine Aufstockung planungsrechtlich und denkmalrechtlich nicht möglich ist. Der Antrag wurde deshalb zurückgezogen.
Frage 4:
In einem Artikel der Abendzeitung des letzten Jahres heißt es, dass das Landesamt für Denkmalpflege prüft, ob das Haus ein Einzeldenkmal wird. Wie ist das Ergebnis der Prüfung? Falls die Prüfung nicht erfolgreich gewesen sein sollte, aus welchen Gründen steht das Gebäude trotz der vielsei- tigen historischen und intakten Ausstattung, wie dem Treppenhaus, Wandgemälde oder Originalfenster nicht unter Denkmalschutz?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Lokalbaukommission teilt dazu mit:Aufgrund des eingereichten Vorbescheides wurde die denkmalschutzrechtliche Zulässigkeit geprüft. Das Anwesen befindet sich innerhalb des Ensembles „Alt-Schwabing“ und in der Nähe von Einzeldenkmälern. Das Gebäude wurde durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass das Gebäude nicht die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 BayDSchG hinsichtlich eines Einzelbaudenkmals erfüllt, dass es sich aber um eine für das Ensemble wesentliche bauliche Anlage handelt.
Das Doppelmietshaus entstand 1893 nach Entwurf des Baumeisters Josef Baudrexl. Der viergeschossige Bau mit einem dreigeschossigen Nebenflügel zur Marktstraße war an den Fassaden der Neurenaissance gestaltet. Der Gebäudeteil Marktstraße 2 hat im Zweiten Weltkrieg Beschädigungen erfahren und erhielt danach ein neues Dach und einen neuen Ausbau des dritten Obergeschosses. Der Gebäudeteil Occamstraße 1 wurde nachträglich im Inneren umgebaut, dabei Grundrisse verändert und zahlreiche Ausbauelemente erneuert. Die Fassaden haben nahezu sämtliche Gliederungselemente verloren. Das Doppelmietshaus Marktstraße 2 und Occamstraße 1 erfüllt deshalb nicht die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 und 2 DSchG, es handelt sich somit nicht um ein Baudenkmal. Auf Grund seiner städtebaulich wichtigen Lage und der erhaltenen Kubatur handelt es sich um einen wichtigen Bestandteil des Ensembles „Alt-Schwabing“. Das Doppelmietshaus bestimmt die Straßen- und Platzbilder Markt-, Occamstraße und Wedekindplatz.
Frage 5:
Wie hoch beziffert die Stadt München den Bodenwertzuwachs des Objekts vom Zeitpunkt des Verkaufs 2018 bis heute?
Antwort:
Das Kommunalreferat, Bewertungsamt teilt dazu mit:
Um eine aufwendige Einzelbewertung mit Ortsbesichtigung, der Ermittlung von Baurechten, Recherchen zu Mieten, Restnutzungsdauer, besonderen objektbezogenen Grundstücksmerkmalen und weiteren Parametern mit dem Ziel einer ökonomischen Arbeitsweise zu vermeiden, wurde für die Ermittlung des jeweiligen Bodenwertzuwachses auf die Steigerung der Bodenrichtwerte zum Stichtag abgestellt. Die so abgeleitete Zahl enthält eine gewisse Unschärfe, zeigt aber die generelle Entwicklung auf. Für das Anwesen Occamstraße 1 beträgt der Zuwachs des Bodenrichtwerts 14% pro Jahr.
Frage 6:
Bei wem sieht die Stadt München die Hauptverantwortung für den beschriebenen Leerstand?
Antwort:
Bei komplexen Bauvorhaben mit vielschichtigen Kausalzusammenhängen bedingen sich insbesondere die persönlichen Interessen der Eigentümer*innen, Rechte und Pflichten der Beteiligten und die ökonomischen Rahmenbedingungen wechselseitig. Im Allgemeinen liegt die Möglichkeit, Leerstand zu beheben, weitgehend in der Hand von Eigentümer*innen. Die öffentliche Verwaltung kann nur im Spielraum der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Möglichkeiten agieren.
Frage 7:
Kann man nach Einschätzung der Stadt im Fall Occamstraße 1 von einem Missbrauch des Eigentumsrechtes sprechen?
Antwort:
Ein offenbarer Missbrauch des Eigentumsrechts kann aus unserer Sicht nicht angenommen werden. Das Recht am Eigentum stellt einen verfassungsrechtlichen Grundsatz dar, der nur in engen Grenzen eingeschränkt werden kann. Rein rechtlich betrachtet missbrauchen diejenigen ihr Eigentum nicht, die über ihr Eigentum in den Grenzen des rechtlich Zulässigen verfügen. So verhält es sich grundsätzlich auch im vorliegenden Fall. Diese eher nüchterne Bewertung sagt jedoch nichts darüber aus, dass ein solches Verhalten nicht mit dem Grundgedanken der Sozialbindung des Eigentums kollidieren kann. Hier gibt es gleichwohl Fälle, in denen diesem Grundsatz gerade nicht entsprochen wird. Diese Fälle sieht das Referat für Stadtplanung und Bauordnung ebenfalls kritisch, verfügt aber auch hier nicht über die geeigneten Mittel, diesen Entwicklungen rechtswirksam entgegenzutreten. Insoweit wäre es auch an dieser Stelle Aufgabe des Bundesgesetzgebers, diesen Entwicklungen zu begegnen.
Frage 8:
Wann kann damit gerechnet werden, dass dieses Anwesen wieder einer Nutzung zugeführt wird?
Antwort:
Wie in der Antwort auf Frage 2 bereits geschildert, bereitet das Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration derzeit eine Wiederbelegungsanordnung für das Anwesen vor. Gegen diesen Bescheid kann durch die Verfügungsberechtigten der Rechtsweg beschritten werden.
Ich versichere Ihnen, dass die Landeshauptstadt München und ich im Bereich der Zweckentfremdung unser Möglichstes tun. Bezahlbarer Wohnraum in München ist mir ein zentrales Anliegen.