Leerstand und Zweckentfremdung in München IX: Türkenstraße 66, Schellingstraße 25 und 27
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE./Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 30.7.2020
Antwort Sozialreferat:
In Ihrer Anfrage vom 30.7.2020 führen Sie sinngemäß zusammengefasst Folgendes aus:
Während in München die Mieten weiter steigen, immer mehr Menschen keine bezahlbaren Wohnungen finden und die Anzahl an Wohnungs- und Obdachlosen auf knapp 10.000 angestiegen ist, stehen weiter Wohnungen und ganze Häuser leer.
Der „Bericht zu Wohnungsleerständen 2018 in München“ zeigt aufgrund von Hochrechnungsergebnissen des Mikrozensus aus dem Jahr 2014 auf, dass von einem Gesamtwohnungsbestand von rund 747.000 Wohnungen 39.000 Wohnungen leerstehen. Dies entspricht einer Leerstandsquote von 5,22 Prozent. Bei städtischen Immobilien betrug diese Quote im Jahr 2018 nur 0,44 Prozent.
Auch wenn baulich bedingter Leerstand nicht gänzlich vermeidbar ist, macht eine zehnfach höhere Quote als bei städtischen Immobilien jedoch ein grundlegendes Problem deutlich.
Trotz Wohnungsnot stehen in München Häuser leer und es wird günstiger Wohnraum regelmäßig zerstört, weil Wohnraum durch steigende Boden- preise zum Spekulationsobjekt verkommt.
Ein Beispiel hierfür ist das Haus Türkenstraße 52/54, das zwischen 2008 und 2019 mehrfach veräußert wurde und in dem nach Entmietung, jahrelangem Leerstand und Abriss letztendlich günstige Mietwohnungen verloren gingen, während sich in der gleichen Zeit der Bodenwert mehr als vervierfacht hat.
Das genannte Anwesen ist jedoch kein Einzelfall. Auch im übrigen Stadtgebiet gibt es derartige Fälle, wie beispielsweise die Häuser der Türkenstraße 66 sowie der Schellingstraße 25 und 27. Die Häuser wurden 2017 von der Omega AG gekauft, zwischenzeitlich mit Arbeitern belegt und es wurden denkmalschutzrechtlich relevante Ausstattungen wie das Treppenhaus zerstört. Die Gebäude mit 19 Wohnungen und drei Gewerbeeinheiten sollen abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.
Da aufgrund von notwendigen Stellungnahmen anderer Referate und wegen Urlaubseinbringungen innerhalb der Ferienzeit eine fristgemäße Bear-beitung nicht möglich war, wurde einer Fristverlängerung zur Beantwortung bis 31.10.2020 zugestimmt.
Zu Ihrer Anfrage vom 30.7.2020 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Welche Kenntnisse hat die Stadt München über den zwischenzeitlichen Leerstand in den drei Häusern? Welche Maßnahmen hat die Stadt bisher ergriffen, um den Leerstand zu beenden?
Haben die Maßnahmen der Stadt dazu geführt, dass die leerstehenden Wohnungen wieder genutzt werden?
Antwort:
Da die Häuser abgerissen werden sollen, sind die Leerstände unvermeidbar und daher zweckentfremdungsrechtlich gerechtfertigt. Maßnahmen dagegen konnten deshalb nicht ergriffen werden.
Frage 2:
Laut Aussage von Anwohner*innen sollen die Gebäude bis Ende 2021 komplett entleert sein. Dafür wurden entsprechende Angebote an die Mieter*innen gemacht. Liegt der Stadt ein Antrag auf Abriss und Neubau vor und wie ist der Stand des Genehmigungsverfahrens? Wann wurde der Antrag gestellt? Welche Version der Zweckentfremdungssatzung würde im Fall des Antrages greifen?
Antwort:
Baurechtlich gilt hier Folgendes:
Es gibt für das o.g. Grundstück einen positiven Vorbescheid vom 4.11.2019, wonach die Bebauung des Grundstücks planungsrechtlich möglich ist. Bei der Beantwortung zu Frage 1 des Vorbescheides wurde Folgendes festgelegt:
Unter der Voraussetzung, dass die unter Denkmalschutz stehende Schaufensteranlage unter restauratorischen Prämissen abgebaut, gelagert und im Erdgeschoss des Neubaus zur Straße wieder eingebaut wird, ist der Abbruch der Gebäude möglich.
Eine (baurechtliche) Abrissgenehmigung für die Maßnahme wurde nicht erteilt bzw. ist nach Art. 57 Abs. 5 Bayerische Bauordnung (BayBO) auch nicht notwendig. Eine Anzeige für die Beseitigung der Gebäude liegt nach Durchsicht der Unterlagen im zuständigen Baubezirksteam nicht vor. Ein Bauantrag für den Neubau auf dem Grundstück liegt ebenfalls noch nicht vo r.Die Genehmigung zur Zweckentfremdung durch Abbruch wurde für alle drei Anwesen am 24.3.2020 erteilt, da angemessener Ersatzwohnraum durch Neubau in einem anderen Stadtbezirk (Haderner Stern) geschaffen wird.
Der Zweckentfremdungsantrag wurde am 30.10.2019 und damit vor Inkrafttreten der neuen Zweckentfremdungssatzung (1.1.2020) beim Amt für Wohnen und Migration gestellt. Daher gilt noch die alte Rechtslage bzw. die alte Version der Zweckentfremdungssatzung. Damit bestand noch keine Möglichkeit, das Ersatzwohnraumangebot in einem anderen Stadtbezirk abzulehnen.
Frage 3:
Wie war der Stand der Untersuchungen zur Aufnahme der drei Häuser in die Denkmalschutzliste? Gibt oder gab es Überlegungen die Gebäude unter Ensembleschutz zu stellen?
Antwort:
Im Januar 2018 wurde bei der Unteren Denkmalschutzbehörde wegen einer möglichen Neubebauung der Anwesen Schellingstraße 25, 27 und Türkenstraße 66 angefragt. Die Anwesen waren zu diesem Zeitpunkt weder als Baudenkmäler noch als Bestandteil eines Ensembles in der Denkmalliste verzeichnet. Da es sich jedoch augenscheinlich um Altbauten aus dem 19. Jahrhundert handelte, wurde das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege um Prüfung der Anwesen auf etwaige Denkmaleigenschaft gebeten. Daher war für 6.2.2018 ein Ortstermin mit dem Landesamt für Denkmalpflege geplant, der auf Wunsch des Eigentümers auf den 27.2.2018 verschoben wurde. Am 9.2.2018 wurde die Untere Denkmalschutzbehörde darüber informiert, dass Bauarbeiten in den drei Gebäuden stattfinden. Es fanden daraufhin Kontrollen vor Ort sowohl durch die Untere Denkmalschutzbehörde als auch durch die Lokalbaukommission statt. Die Kontrollen ergaben, dass historische Ausstattungsteile wie etwa Hauseingangstüren, Treppenstufen und -geländer und Treppenhausfenster entfernt waren. Auch den Austausch der historischen Wohnungseingangstüren hatte der Eigentümer den Mieter*innen bereits angekündigt. Eine Rechtsgrundlage für ein bauaufsichtliches Einschreiten war nicht gegeben. Der Termin mit dem Landesamt für Denkmalpflege fand am 27.2.2018 statt. Der Eigentümer berief sich hinsichtlich seines Vorgehens auf „Notsicherungsmaßnahmen“ und mangelnde Verkehrssicherheit. Letztendlich teilte das Landesamt für Denkmalpflege der Landeshauptstadt München mit Schreiben vom 2.7.2018 mit, dass die historische Schaufensterfront des Antiquariats Kitzinger in die Denkmalliste nachgetragen wurde. Für die Gebäude selbst konnte eine Denkmaleigenschaft nicht festgestellt werden.Was einen möglichen Ensembleschutz für die drei Anwesen betrifft, sind der Unteren Denkmalschutzbehörde keine Überlegungen des Landesamts für Denkmalpflege bekannt, die Gebäudegruppe als Ensemble in die Denkmalliste einzutragen. Die Anwesen Schellingstraße 25, 27 und Türkenstraße 66 sind nicht Bestandteile der Ensembles „Maxvorstadt I“ und „Maxvorstadt II“. Für die Erkennung der Denkmal- oder Ensembleeigenschaft ist allein das Landesamt für Denkmalpflege, Abteilung Z, Denkmalerfassung und Denkmalforschung, zuständig. Die Begrifflichkeit „Ensemble“ richtet sich dabei nach der Definition in Art. 1 Abs. 3 Bayerisches Denkmalschutzgesetz (BayDSchG).
Frage 4:
Wie hoch beziffert die Stadt München den Bodenwertzuwachs des Objekts vom Zeitpunkt des Verkaufs 2017 bis heute?
Antwort:
Auf Basis der Steigerungen des Bodenrichtwertes ergibt sich nach Auskunft des Kommunalreferates, Bewertungsamt, für die Anwesen ein Bodenwertzuwachs von etwa 23 Prozent pro Jahr im Mittel, dies bedeutet seit 2017 rund 69 Prozent.
Frage 5:
Kann man nach Einschätzung der Stadt im Fall der Türkenstraße 66, Schellingstraße 25 und 27 von einem offenbaren Missbrauch des Eigentumsrechtes sprechen?
Antwort:
Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. Das Recht am Eigentum stellt einen verfassungsrechtlichen Grundsatz dar, der nur in engen Grenzen eingeschränkt werden kann. Rein rechtlich betrachtet, missbrauchen diejenigen ihr Eigentumsrecht nicht, die über ihr Eigentum in den Grenzen des rechtlich Zulässigen verfügen. So verhält es sich grundsätzlich auch im vorliegenden Fall.
Ich versichere Ihnen, dass die Landeshauptstadt München und ich im Bereich der Zweckentfremdung unser Möglichstes tun. Bezahlbarer Wohnraum in München ist mir ein zentrales Anliegen.