Tierschutzverbände stärken – Verbandsklagemöglichkeiten erweitern
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Tobias Ruff und Johann Sauerer (ÖDP) vom 12.2.2020
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. In Ihrem Antrag fordern Sie, der Stadtrat möge beschließen, dass der Oberbürgermeister im Rahmen des Bayerischen Städtetags dafür werbe, dass Tierschutzverbände mit Umwelt- und Naturschutzverbänden gleichgestellt werden, um ihnen die Möglichkeit der Verbandsklage zu er-öffnen.
Da Ihr Antrag die Beauftragung des Oberbürgermeisters, mit dem Ziel Ihr Anliegen bei einem externen Gremium zu vertreten, zum Gegenstand hat, bedarf es keiner beschlussmäßigen Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat. Ihr Antrag ist mittels Schreiben zu beantworten.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag vom 12.02.2020 Folgendes mit:
Die gesetzliche Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage soll es anerkannten Tierschutzvereinen ermöglichen, im eigenen Namen und ohne eine Verletzung in eigenen Rechten darlegen zu müssen, die im Tierschutzgesetz festgeschriebenen Lebens- und Integritätsinteressen der Tiere vor Gericht geltend zu machen.
Ein bundesweit einheitliches Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine im Tierschutzrecht gibt es bislang im Gegensatz zum Umwelt- und Naturschutzrecht nicht. Dort existieren bereits Regelungen zu Verbandsklagemöglichkeiten von Umwelt- und Naturschutzverbänden, die stellvertretend für Natur und Umwelt die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen überprüfen lassen können.
Die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage ist seit langem ein politisch und rechtlich umstrittenes Thema. Dementsprechend sind auch die Positionen der Bundesländer bisher uneinheitlich. Während sieben Bundesländer inzwischen eine solche tierschutzrechtliche Verbandsklage kennen, ist diese bei der Mehrheit der Bundesländer nicht eingeführt worden. Nach Bremen, 2007, haben 2013 auch Hamburg und das Saarland die gesetzliche Verankerung der Tierschutz-Verbandsklage beschlossen, 2014 Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Im Mai 2015 folgte Baden-Würt-temberg und 2017 führte auch Niedersachsen die Verbandsklage ein. Nordrhein-Westfalen hatte 2013 die Tierschutz-Verbandsklage mit den bundesweit umfangreichsten Klage- und Mitwirkungsrechten für anerkannte Tierschutzverbände eingeführt, sie jedoch 2018 nicht verlängert und damit abgeschafft. Nach Auswertung der Praxiserfahrungen der Behörden mit dem Verbandsklagerecht in Nordrhein-Westfalen kam das Agrarministerium zu dem Schluss, dass sich die Erwartungen an das Klagerecht nicht erfüllten und nur unnötige Bürokratie verursacht hätten. Berlin hingegen hat aktuell als achtes Bundesland am 20.08.2020 ein Gesetz zur Einführung des Tierschutz-Verbandsklagerechts beschlossen.
Das Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände ist vom Bayerischen Landtag in den Jahren 2014 und 2016 abgelehnt worden.
Im Mai 2018 fand eine Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen zum Thema „Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen in Bayern“ statt. Diskutiert wurden Fragestellungen zur Notwendigkeit einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage in Bayern sowie mögliche Argumente für und gegen ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen.
Alle Bayerischen Behörden, Gerichte und Staatsanwaltschaften sind aufgrund der bestehenden Tierschutzgesetze sowie der Verankerung des Tierschutzes in der Bayerischen Verfassung und im Grundgesetz verpflichtet, die Rechte der Tiere zu wahren. Aus Sicht des KVR sichert das Tierschutzgesetz bereits Tierschutzbelange umfassend, nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Beteiligung der Öffentlichkeit und von Tierschutzorganisationen in Verwaltungsverfahren.
Auf Bundesebene beruft das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz nach Paragraf 16 b TierSchG eine Tierschutzkommission ein, die vor dem Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach dem Tierschutzgesetz anzuhören ist. In der Tierschutzkommission sind Mitglieder von Tierschutzorganisationen zu einem Drittel vertreten.
Für den speziellen Bereich der Tierversuche sieht das Tierschutzgesetz in Paragraf 15 vor, dass die nach Landesrecht für den Tierschutz zuständigen Behörden (zuständig für das Stadtgebiet München ist die Regierung von Oberbayern) zur Unterstützung ihrer Entscheidungen über die Genehmigung von Tierversuchen Tierschutzkommissionen berufen müssen. Mindestens ein Drittel der Kommissionsmitglieder muss aus Vorschlagslisten der Tierschutzorganisationen ausgewählt werden. Die Tierschutzkommis-sionen werden von den Behörden über Genehmigungsverfahren nach dem Tierschutzgesetz informiert und haben bei jedem einzelnen Genehmigungsverfahren die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Tierschutzgesetz sieht darüber hinausgehend vor, dass ein oder mehrere Tierschutzbeauftragte durch Einrichtungen und Betriebe, die Tierversuche beantragen, bestellt werden müssen (Paragraf 10 TierSchG). Die - weisungsfreien - Tierschutzbeauftragten sind unter anderem verpflichtet, auf die Einhaltung von Vorschriften im Interesse des Tierschutzes zu achten, die Einrichtung und die Personen, die Tierversuche durchführen, zu beraten, zu jedem Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchs Stellung zu nehmen sowie innerbetrieblich auf die Entwicklung und Einführung von Verfahren zur Vermeidung oder Beschränkung von Tierversuchen hinzuwirken.
Den zuständigen Überwachungsbehörden (zuständig für das Stadtgebiet München ist das Veterinäramt in Zusammenarbeit mit dem Sachgebiet Tier im Kreisverwaltungsreferat) sind zur Kontrolle der Einhaltung der formellen und materiellen Vorschriften des Tierschutzgesetzes nach Paragraf 16 Tier-SchG umfangreiche Aufsichtsbefugnisse eingeräumt. Hierzu zählen unter anderem Auskunfts- und Einsichtnahmerechte in Unterlagen, das Recht, Geschäftsräume, sonstige Einrichtungen und Wohnräume zu betreten sowie das Recht, Tiere zu untersuchen und Proben zu nehmen.
Ferner besitzen die Überwachungsbehörden nach Paragraf 16 a TierSchG die Befugnis, Anordnungen zu erlassen, um Verstöße gegen das TierSchG abzustellen beziehungsweise zukünftige Verstöße zu verhindern. Ergänzt wird diese umfassende behördliche Überwachung durch Ordnungswidrigkeiten- und Straftatbestände, die Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sanktionieren.
Grundsätzlich sind nach dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung die Behörden im Rahmen des Vollzuges des Tierschutzgesetzes umfassend an Gesetz und Recht gebunden und müssen von Amts wegen alle Tierschutzbelange beachten und für einen entsprechenden Verwaltungsvollzug sorgen.
Gleichwohl spricht nichts dagegen, das Thema Verbandsklagerecht in den Bayerischen Städtetag einzubringen und sich gegenüber dem Freistaat Bayern für die Einführung eines Verbandsklageverfahrens auszusprechen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.