Inklusion und Barrierefreiheit in öffentlichen Verkehrsmitteln
Antrag Stadtrat Manuel Pretzl (CSU-Fraktion) vom 29.7.2019
Antwort Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft:
Gemäß o.g. Stadtratsantrag wurde die Verwaltung beauftragt zu prüfen, ob in den Fahrzeugen von Bus, Tram- und U-Bahn eine ausreichende Anzahl an Sitzplätzen für mobilitätseingeschränkte Menschen zur Verfügung steht. Des Weiteren sind die Ein- und Ausstiegssituationen sowie die gesamte Barrierefreiheit in den Fahrzeugen zu analysieren und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Die Thematik hinsichtlich der Barrierefreiheit in öffentlichen Verkehrsmitteln fällt jedoch nicht in die Zuständigkeit des Stadtrates oder als laufende Angelegenheit in die Zuständigkeit des Oberbürgermeisters, sondern in den operativen Geschäftsbereich der Münchener Verkehrsgesellschaft mbH (MVG). Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich. Daher wird der Antrag im Folgenden als Brief beantwortet.
Hierzu haben wir die zuständige MVG um Stellungnahme gebeten, die Folgendes mitteilte:
„Im Rahmen von Fahrzeugneubeschaffungen, unabhängig von U-Bahn, Bus oder Tram, fließen zahlreiche Belange bei der künftigen Ausstattung und Gestaltung mit ein. Neben betrieblichen Erfordernissen sowie neuesten technischen Entwicklungen liegt ein Schwerpunkt bei neuem Wagenmaterial auch auf den Bedürfnissen und Wünschen der Fahrgäste. Ein zentraler Punkt ist dabei die aufgrund der Fahrgastnachfrage erforderliche Kapazität eines Fahrzeuges.
Das für den Fahrgast offensichtlichste Ausstattungskriterium in diesem Zusammenhang ist die Anzahl der Sitzplätze.
Die Anzahl an Sitzplätzen und multifunktionalen Bereichen müssen jedoch stets in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Praktikabilität und Funktionalität stehen. Auf der einen Seite sollte ein Fahrzeug eine angemessene Anzahl an Sitzplätzen alleine wegen des Reisekomforts aufweisen, auf der anderen Seite sollte eine ausreichende Fläche für Kinderwagen, Gepäckstücke, oder orthopädische Hilfsmittel und Rollstühle vorgehalten werden. Beide Bereiche, also sowohl die Sitz- als auch Stehplatz- bzw.Multifunktionalplatzbereiche sollten gleichermaßen bequem und möglichst rasch erreichbar sein. Schon wegen eines möglich konfliktfreien und flüssigen Fahrgastwechsels an Haltestellen ist dieses Merkmal bei einer Fahrzeugausstattung für einen stabilen Betrieb zur Einhaltung eines Fahrplans von hoher Bedeutung.
Um die unterschiedlichen Belange bei Neuentwicklungen oder umfangreichen Neubestellungen von Fahrzeugen möglichst allumfassend berücksichtigen zu können, werden Testkunden befragt oder entsprechende Studien durchgeführt. Hierbei werden auch Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden, wie etwa der Facharbeitskreis Mobilität des Behindertenbeirates eingebunden. Dieser wird regelmäßig angehört und auch zu Besichtigungen in unsere Betriebshöfe eingeladen, um vor Ort am Fahrzeug reale Situationen bei der Nutzung der Verkehrsmittel aufzeigen zu können. Erkenntnisse aus diesen Gesprächen und Marktforschungen fließen regelmäßig bei Fahrzeugbestellungen mit ein.
Des Weiteren dürfen wir darauf verweisen, dass die barrierefreie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Verkehrsmittel der MVG im Rahmen der Fortschreibung des Nahverkehrsplanes der Landeshauptstadt München grundlegend analysiert und dargestellt wurde. Anders als beim Verkehrsmittel Bus, für den es durch die EU-Busrichtlinie feste Vorgaben zur Ausweisung von Vorrangsitzen und Rollstuhlstellplätzen gibt, gibt es diese Vorgaben für Fahrzeuge, die nach der BOStrab zugelassen werden (U-Bahn und Tram) nicht. Als MVG folgen wir hier den Vorgaben und Empfehlungen der TSI PRM für Eisenbahnen, die eine Ausweisung von mindestens 10% an Vorrangsitzen für Mobilitätseingeschränkte fordert. Bei unseren Straßen- und U-Bahnen werden mindestens 12%, häufig bis zu 20% Vorrangsitze ausgewiesen. Die Ausweisung erfolgt selbstverständlich so, dass die Plätze von den entsprechenden Türen schnell und möglichst hindernisfrei erreicht werden können.
Im Zuge der dem Stadtrat noch nicht vorgelegten Fortschreibung des Nahverkehrsplans hat die SWM/MVG im Hinblick auf die barrierefreie Zugänglichkeit ihrer Verkehrssysteme eine umfassende und vollumfängliche Bestandsanalyse durchgeführt, die mit dem Nahverkehrsplan bekannt gegeben wird. Diese Bestandsanalyse ist dem Facharbeitskreis Mobilität des Behindertenbeirats sowie dem Behindertenbeauftragten, Herrn Stadtrat Utz, bereits bekannt. Im Rahmen der Ausarbeitung des Nahverkehrsplans wurde beiden die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.Alle Verkehrsbauwerke und Fahrzeuge der MVG galten zum Zeitpunkt ihrer Herstellung bzw. Beschaffung als barrierefrei, andernfalls hätten sie keine Zulassung/Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde erhalten. Unbestritten ist, dass sich die Anforderungen an eine barrierefreie Umwelt und den öffentlichen Nahverkehr zurecht in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert haben.
Gerade im U- und Straßenbahnsystem sind deshalb gemäß PBefG erhebliche Maßnahmen erforderlich, die – vorbehaltlich Förderungen durch den Freistaat und (Rest-)Finanzierung durch die Landeshauptstadt München – durchgeführt werden müssen, um die barrierefreie Zugänglichkeit entsprechend der heute gültigen Standards zu erfüllen.
Die größte Herausforderung bei der Herstellung der Barrierefreiheit stellt dabei das Tramnetz dar. Die SWM/MVG sind aktuell dabei, einen barrierefreien Haltestellenausbaustandard mit reduzierten Spalt- und Abstichmaßen zu entwickeln und mit der Aufsichtsbehörde abzustimmen. Vollständige Barrierefreiheit bei der Tram würde eine umfangreiche bauliche Anpassung aller Bestandshaltestellen erfordern, um die heute deutlich zu großen Spalt- und Abstichmaße zwischen Fahrzeug und Bahnsteigkante zu reduzieren. Ziel der SWM/MVG ist es, alle künftigen Neubaustrecken und Sanierungsvorhaben gemäß neuem Ausbaustandard auszuführen. Zur sukzessiven barrierefreien Ertüchtigung des Bestandsnetzes soll ein mit der Landeshauptstadt München abgestimmtes Ausbauprogramm entwickelt werden.
Bei der U-Bahn wurden etwa die Hälfte aller Bahnhöfe nach altem Ausbaustandard mit einer reduzierten Haltestellenhöhe über Schienenoberkante ausgeführt. Um den damit insbesondere für Rollstuhlfahrer schwierigen Einstieg zu erleichtern, werden diese Bahnhöfe 2020 gemäß Stadtratsbeschluss mit so genannten partiellen Bahnsteigerhöhungen an der ersten Tür ausgestattet. Ebenfalls nicht mehr den aktuellen DIN-Anforderungen entsprechen die an den Bahnsteigen verlegten bzw. eingefrästen Bodenindikatoren. Die SWM/MVG testen hier aktuell analog der S-Bahn unterschiedliche Systeme zur Nachrüstung dieser Leitelemente für Blinde. Nach positivem Test soll auch hier dem Stadtrat eine Entscheidungsgrundlage als Stadtratsbeschluss vorgelegt werden.
Auch die alten A- und B-Wagen bei der U-Bahn sind insbesondere für Rollstuhlfahrer, Personen mit orthopädischen Hilfsmitteln, Kinderwagen, aber auch für Blinde/Seheingeschränkte aus vielerlei Gründen nur eingeschränkt nutzbar. Alle A- und B-Wagen werden im Laufe des nächsten Jahrzehnts ausgemustert und durch C-Wagen oder künftige Fahrzeuggenerationenersetzt. Mit der Ausmusterung der Altfahrzeuge und dem Einsatz künftiger Fahrzeuggenerationen der U-Bahn sollen zudem Fahrzeug- oder bahnsteigseitige Spaltüberbrückungssysteme zum Einsatz kommen, um einen vollständig barrierefreien Zustieg auch an Bestandshaltestellen zu ermöglichen, bei denen der Bahnsteig nicht in einer Geraden liegt.
Im Busnetz muss in den kommenden Jahren ein besonderer Fokus auf dem barrierefreien Ausbau der großen Umsteigeanlagen und Busbahnhöfe liegen. Da viele Anlagen auch im Hinblick auf die Kapazitäten dem weiter stark wachsenden Busangebot angepasst werden müssen, ist diese Aufgabe mit erheblichen Herausforderungen verbunden und nur mit Eingriffen in Straßenraum und Stadtgestaltung möglich.“
Der Behindertenbeirat der Landeshauptstadt München teilte überdies mit, dass eine Bekanntmachung der barrierefreien Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Verkehrsmittel der MVG im Rahmen der Fortschreibung des Nahverkehrsplanes der Landeshauptstadt München noch nicht erfolgt sei und die U-Bahnen und Trambahnen noch nicht barrierefrei zugänglich seien. Voraussetzung zur barrierefreien Zugänglichkeit ist die Abstimmung zwischen dem Bau der Haltestellen und den Fahrzeugen, die in den genannten Bereichen bisher nicht gelungen sei. Bei einem Teil der Busse sei die barrierefreie Zugänglichkeit gegeben.
Ich bitte Sie, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis zu nehmen und hoffe, dass Ihr Antrag zufriedenstellend beantwortet ist und als erledigt gelten darf.