Nachgefragt: Das leidige Thema „Altersangaben unbegleiteter ‚Minderjähriger‘“
Anfrage Stadtrat Karl Richter (BIA) vom 17.9.2019
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 17.9.2019 führen Sie Folgendes aus:
„Eine u.a. dem Nachrichtenmagazin ‚Focus‘ vorliegende Studie des Instituts für Rechtsmedizin in Münster hat erneut das Thema falscher Altersangaben bei vorgeblich ‚minderjährigen‘ Migranten in Erinnerung gerufen. Es war auch im Münchner Stadtrat bereits Gegenstand mehrerer Anträge und Anfragen. Der Münsteraner Studie zufolge hat ein großer Teil der angeblich ‚minderjährigen‘ Einwanderer bei den Altersangaben gelogen. Die Rechtsmediziner der Universitätsklinik begutachteten im Auftrag von Gerichten etwa 600 sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, deren Alter angezweifelt wurde. Dabei stellte sich heraus, daß rund 40 Prozent von ihnen nachweislich 18 Jahre oder älter waren. Hintergrund ist, daß minderjährige Asylbewerber in Deutschland einen besonderen Schutzstatus genießen, mehr Unterstützung erhalten und nicht in Sammelunterkünften untergebracht werden.
Für die Studie waren demnach alle Altersgutachten des Instituts zwischen 2007 und 2018 ausgewertet worden. Die Mediziner handelten dabei im Auftrag von Gerichten und Jugendämtern, die die Altersangaben der Betroffenen angezweifelt hatten. Mit Hilfe der forensischen Altersdiagnostik sollte dann geklärt werden, ob die Einwanderer tatsächlich minderjährig sind oder nicht. In 92 Prozent der Fälle handelte es sich um junge Männer aus Afghanistan, Guinea, Algerien und Eritrea.
Allerdings könnte die Zahl von 40 Prozent auch noch höher sein, heißt es vonseiten des Instituts. ‚Da wir das Geburtsdatum nicht auf den Tag genau bestimmen können, gibt es einen Graubereich. Diese Schwankungsbreite legen wir stets zugunsten des Betroffenen aus, in Zweifelsfällen wird er also als minderjährig eingestuft‘, gab der stellvertretende Institutsdirektor Andreas Schmeling ‚Focus‘ gegenüber zu Protokoll. Die Altersbestimmung sei aus einer Kombination mehrerer Methoden erfolgt. Neben allgemeinen körperlichen Untersuchungen seien die Gebisse und die Handgelenksknochen geröntgt worden. Überdies seien die Schlüsselbeine radiologisch begutachtet worden (wiedergegeben u.a. nach: https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-09/studie-minderjaehrige-gefluechtete-gutachten-alterspruefung; zuletzt aufgerufen: 17.9.2019, 0.30 Uhr; KR). Laut dem Deutschen Städte- und Gemeindebund liegen die Kosten für einen einzigen unbegleiteten minderjährigen ‚Flüchtling‘ bei rund 5.000 Euro im Monat. In den vergangenen Jahren hatte es nicht zuletzt vor diesem Kostenhintergrund immer wieder Streit um verpflichtende Altersuntersuchungen für diesen Personenkreis gegeben.
Bereits vor zwei Jahren war bekannt geworden, daß fast jeder zweite ‚un- begleitete minderjährige Flüchtling‘ (umF) in Wirklichkeit älter als 18 Jahre ist. – Es stellen sich Fragen.“
Zu Ihrer Anfrage vom 17.9.2019 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Inwieweit vermag die LHM anhand eigener Beobachtungen die Zahlen der Münsteraner Studie zu bestätigen, wonach im Zeitraum zwischen 2007 und 2018 mindestens 40 Prozent der vorgeblich „minderjährigen“ Migran- ten in Wahrheit volljährig wären?
Antwort:
Das Stadtjugendamt München führt die Alterseinschätzung von Neuankömmlingen, die für sich Minderjährigkeit geltend machen, seit Februar 2013 durch. Vorher wurde die Alterseinschätzung von der Regierung von Oberbayern durchgeführt.
Statistische Zahlen liegen seit Juli 2015 vor.
Demnach beträgt der Prozentsatz der im Rahmen der qualifizierten Alters- einschätzung volljährig geschätzten Neuankömmlinge im Young Refugee Center:
2015 (Juli bis Dezember)44%
2016 40%
2017 56%
2018 55%
2019 (Januar bis Juli) 43%
Frage 2:
Wie veränderte sich der Befund ggf. seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ 2015?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 1.
Frage 3:
Inwieweit nimmt die LHM die aktuellen Zahlen der Münsteraner Rechtsmediziner zum Anlass, auch in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich rück- wirkend das Alter vorgeblich „minderjähriger“ Migranten, die sie in den letzten Jahren in ihre Obhut genommen hat, nochmals genauer in Augen- schein zu nehmen oder zumindest künftig genauer hinzusehen?
Antwort:
Das Stadtjugendamt München führt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme gem. § 42a SGB VIII eine qualifizierte Alterseinschätzung gemäß der fachlichen Empfehlungen des Zentrums Bayern Familie Soziales, Bayerisches Landesjugendamt durch. Im Rahmen dieser qualifizierten Alters- einschätzung werden junge Menschen, deren Altersangaben in Zweifel stehen, einer rechtsmedizinischen Altersbegutachtung unterzogen. Das Ergebnis dieser rechtsmedizinischen Altersbegutachtung fließt in die Entscheidung über die Eigenschaft minderjährig oder volljährig ein. Sollten sich zu einem späteren Zeitpunkt Anhaltspunkte ergeben, dass eine Altersangabe dem tatsächlichen Alter eines jungen Menschen nicht entspricht, wird die Alterseinschätzung wiederholt.