Mieterinnen besser vor Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen schützen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch und Sabine Nallinger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 23.1.2020
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Sie beantragen, dass der Herr Oberbürgermeister aufgefordert werden soll, sich über den Deutschen Städtetag beim Bund dafür einzusetzen, dass insbesondere in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt Mieterinnen und Mieter besser vor Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen geschützt werden.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teile ich Ihnen zu Ihrem Antrag vom 23.1.2020 Folgendes mit:
Seien Sie vorneweg versichert, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, um Mieterinnen und Mieter in der Landeshauptstadt München zu schützen. So hat er bei den städtischen Wohnbaugesellschaften einen Mietenstopp bewirkt, übt Vorkaufsrechte aus, wo notwendig und sinnvoll, und unterstützt rechtliche Verbesserungen auf Bundes- und Landesebene, etwa mit dem Volksbegehren zu 6 Jahre Mietenstopp.
Gerade in Gebieten mit einem sehr angespannten Wohnungsmarkt müssen Mieterinnen und Mieter vor unberechtigten Kündigungen besonders geschützt werden. Es liegt daher auf der Hand, bei den nachstehend genannten Kündigungsmöglichkeiten strengere gesetzliche Vorschriften zu schaffen, was ich bereits mehrfach angeregt habe.
a) Kündigung wegen angemessener wirtschaftlicher Verwertbarkeit (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB)
Aus Ihrem Antrag ist zu entnehmen, dass es den Anschein hat, dass diese Art von Kündigung vergleichsweise leicht möglich sei. Hier muss aber nach Art der Verwertungskündigung stets sehr differenziert werden. Nicht jeder Kündigungsausspruch bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Mietparteien auch wirklich ausziehen müssen. Der Forderung vermieterseits, dieMietverhältnisse zu beenden, kommen die Gerichte erst nach sehr genauer Einzelfallprüfung nach.
Bei der Kündigung wegen angemessener wirtschaftlicher Verwertbarkeit muss unterschieden werden, ob eine Vertragsbeendigung angestrebt wird, weil
-aa) ein Vermieter bzw. eine Vermieterin bei einem Verkauf mit in der Wohnung lebenden Mietern weniger Gewinn erzielen kann
oder
-ab) ob jemand das Gebäude beseitigen will, weil es wirtschaftlich unrentabel ist.
Zu aa) Eigentümer erzielen bei vermietetem Objekt zu wenig Verkaufserlös
Der Verkauf eines Hauses oder einer Wohnung ist kein zulässiger Grund, das Mietverhältnis zu beenden, zumal nach den gesetzlichen Vorschriften die Erwerber verpflichtet sind, bestehende Mietverträge unverändert zu übernehmen (vgl. § 566 BGB – es gilt der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“).
Eine Kündigung könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn die bisherigen Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert werden und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würden (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB), zum Beispiel wenn der Verkauf des Hauses in vermietetem Zustand unmöglich sein sollte oder zu erheblichen Einbußen führen würde. Diese Gründe sind aber (spätestens im Beweisverfahren vor Gericht) sehr detailliert darzulegen.
Die Chancen von Mieterinnen und Mietern zu gewinnen sind beim Amts- und Landgericht München relativ groß, da im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens die Gerichte sehr genau prüfen. So ist beispielsweise von Bedeutung:
-Wird das Haus verkauft, weil die pflegebedürftige Vermieterin den Erlös für ein Pflegeheim verwenden will oder will ein Spekulant nur mehr verdienen?
- Wie oft und wie vielen Kaufinteressenten wurde das Objekt angeboten (unter Umständen werden Nachweise von Inseraten verlangt)?
-Was wurde hierfür von potentiellen Kaufinteressenten geboten? (Fantasiepreise werden richterlich geprüft)
-Wie wurde das Objekt ursprünglich erworben (gekauft, geerbt, geschenkt), was hat die jetzige Eigentümerin bzw. der Eigentümer dafür ursprünglich bezahlt?Ihre Auffassung, dass es rechtlich nicht sein darf, dass ein Anwesen gekauft und dann von den neuen Eigentümern den Mietern gekündigt wird, weil der hohe Kaufpreis nicht mehr durch Mieten erwirtschaftet werden kann, halte ich für richtig.
Zu ab) Das Gebäude soll abgerissen werden, weil es wirtschaftlich unrentabel ist
Im Rahmen des Beweisverfahrens ist es erforderlich, substantiiert den Instandsetzungsaufwand und die mangelnde Rentabilität darzustellen. Auch wird in der Regel der Bau eines Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück eines kleineren Hauses (z.B. Einfamilienhaus) dazu führen, dass Vermieter mit einer Kündigung Erfolg haben. Bei derartigen Kündigungen ist mieterseits abzuwägen, ob eine prozessuale Auseinandersetzung vorteilhaft sein könnte, zumal wenn Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen werden und oft ein Vergleich mit finanzieller Entschädigung erzielt werden kann.
Wie beim Eigenbedarf handelt es sich hier um Einzelfallentscheidungen nach gründlicher Beurteilung des konkreten Sachverhaltes.
Denkbar wäre, ein Kündigungsverbot für den im vorliegenden Antrag angesprochenen Fall zu schaffen, dass ein Gebäude dazu erworben wird, die vorhandene Mieterschaft zu kündigen, um eine möglichst rentable künftige Miete zu erzielen.
Da auch hier die Gesetzgebungskompetenz zur Änderung der entsprechenden Vorschrift beim Bund liegt, unterstützt das Sozialreferat den vorliegenden Antrag, in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt strengere mieterschützende Regelungen in das Gesetz aufzunehmen.
b) Kündigung wegen Eigenbedarfs gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
Wie Sie zu Recht ausführen, kann die Kündigung einer Wohnung in München die Existenz bedrohen. Nach den Erfahrungen des Sozialreferates besteht bei vielen Mieterinnen und Mietern die Befürchtung, die Wohnung wegen Eigenbedarfs zu verlieren. Dies führt dazu, dass sie in zunehmendem Ausmaß mietrechtliche Ansprüche wie z.B. Instandsetzungsarbeiten in der Wohnung, für die die Vermieter zuständig sind, nicht geltend machen. Auch unwirksame oder zu hohe Mietforderungen werden oftmals aus Sorge um den Erhalt der Wohnung akzeptiert. Hintergrund ist eine in den vergangenen Jahren vom Bundesgerichtshof (BGH) ergangene Rechtsprechung zum Kündigungsgrund „Eigenbedarf“, die den Vermieterinnenund Vermietern die Beendigung des Mietverhältnisses grundsätzlich erleichtert hat.
Gesetzliche „Verschärfungen“, die diese Tendenz im Sinne der Mieterinnen und Mieter verändern könnten, sind daher aus Sicht des Sozialreferates sinnvoll. Im Einzelnen könnten folgende Änderungen umgesetzt werden: -Der Eigenbedarf sollte nur noch für Verwandte in „gerader Linie“ (Vater/ Mutter, Kinder, Enkel) ausgesprochen werden dürfen. Der Gesetzgeber hat den Begriff der Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht näher bestimmt. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es möglich, auch beispielsweise Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen einzubeziehen. Bei diesen bedarf es – wie auch bei Geschwistern des Vermieters – über die Tatsache der Verwandtschaft hinaus keines zusätzlichen einschränkenden Tatbestandsmerkmals wie etwa einer tatsächlich bestehenden engen sozialen Bindung zu den Vermieterinnen und Vermietern. In
der Beratungspraxis zeigt sich ferner, dass Eigenbedarf selbst für die Schwägerin beziehungsweise den Schwager geltend gemacht wird – auch dies ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zulässig.
-Für einen nachgewiesenen vorgetäuschten Eigenbedarf könnte ein Bußgeldtatbestand vergleichbar der „Hinausmodernisierung“ in § 6 Abs. 1 und 2 WiStG (Wirtschaftsstrafgesetz) eingeführt werden; die Hürden für Mieterinnen und Mieter, Schadensersatz wegen eines vorgetäuschten Eigenbedarfs geltend zu machen, sind in der Praxis sehr hoch. Hier könnten Erleichterungen hinsichtlich der „Beweislast“ der Mieterinnen und Mieter dazu beitragen, Vermieterinnen und Vermieter von vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen besser als bisher abzuhalten. -Die Möglichkeit, Eigenbedarf für eine Zweitwohnung geltend zu machen (die von der Vermieterin beziehungsweise dem Vermieter nur
gelegentlich genutzt wird), sollte ausgeschlossen beziehungsweise zumindest sehr eingeschränkt werden. Vermieterinnen und Vermieter sind zur Kündigung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich auch dann berechtigt, wenn sie die vermietete Wohnung lediglich als Zweitwohnung nutzen möchten. Zwar reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes allein der Wille der Vermieterinnen und Vermieter, in den eigenen Räumen zu wohnen oder dort einen Familien- oder Haushaltsangehörigen wohnen zu lassen, für die Annahme von Eigenbedarf noch nicht aus. Es genügen jedoch vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraumes.
-Die Mieterin beziehungsweise der Mieter sollte besser gegen einen absehbaren Eigenbedarf, der bald nach Vertragsschluss geltend gemachtwird, geschützt werden (Beispiel: Ein Vermieter hat bei Mietvertragsabschluss fast volljährige Kinder, erwähnt dies bei Mietvertragsabschluss jedoch nicht. Nach der derzeitigen Rechtsprechung kann er bereits kurz nach Vertragsschluss Eigenbedarf geltend machen, obwohl der Eigenbedarf „absehbar“ war).
-Der Eigenbedarf wird derzeit von der Rechtsprechung erst dann abgelehnt, wenn der Wohnraumbedarf der Person, zu deren Gunsten die
Kündigung ausgesprochen wurde, „weit überhöht ist“ (zur Zeit ist laut BGH beispielsweise die Kündigung einer 125 qm großen Wohnung grundsätzlich zulässig, wenn der studierende Sohn des Vermieters in dieser Wohnung mit einer zweiten Person eine WG gründen will). Die Anforderungen an einen „überhöhten Wohnbedarf“, aufgrund dessen die Eigenbedarfskündigung unzulässig ist, sollten gesenkt werden.
Die Gesetzgebungskompetenz zur Änderung der entsprechenden Vorschriften liegt beim Bund. Bei Eigenbedarf in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt strengere mieterschützende Regelungen in das Gesetz aufzunehmen, habe ich dort mehrfach angeregt.
Herr Oberbürgermeister Reiter hat sich bereits an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gewandt, um die angesprochenen Änderungen bei § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Eigenbedarf) und bei § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB (angemessene wirtschaftliche Verwertung) zum Schutz der Mieterinnen und Mieter zu fordern.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.