Sozialtherapeutische Einrichtung dauerhaft retten und sichern durch Erwerb oder Neubau eines neuen, gleichwertigen Gebäudes (Arcisstraße 63)
Antrag Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 19.5.2020
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Sie beantragen, dem Stadtrat einen Beschluss über neue und gleichwertige Räumlichkeiten für die sozialtherapeutische Einrichtung für Menschen mit einer seelischen Behinderung in der Arcisstraße 63 vorzulegen, da der bisherige Standort aufgegeben werden muss. Der Antrag sieht eine Beauftragung der Verwaltung vor, gemeinsam mit dem Einrichtungsträger innerhalb von sechs Monaten diese Ersatzmöglichkeiten zu finden und anzumieten.
Angesichts der zu berichtenden Inhalte Ihr Einverständnis voraussetzend, erlauben wir uns, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
Zu Ihrem Antrag vom 19.5.2020 teilen wir Ihnen in Abstimmung mit dem Sozialreferat, dem Kommunalreferat, dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung sowie dem Bezirk Oberbayern Folgendes mit:
Das „Boardinghaus Arcisstraße“ ist eine sozialtherapeutische Einrichtung, in der seit 2008 insgesamt 37 Menschen mit einer psychischen Erkrankung ein besonders flexibles Wohn- und Betreuungsangebot in Anspruch nehmen können. In sieben Apartments sowie 15 Zweizimmerwohnungen ist es in Form eines „Betreuten Einzelwohnens“ möglich, auch intensivere Unterstützungsbedarfe in einem ambulanten Betreuungsrahmen zu decken oder zeitweilig auftretende Krisen abzuwenden und dadurch eine stationäre Weiterbetreuung zu vermeiden. Der Betreuungsschlüssel kann, anders als sonst in diesem Leistungstyp üblich, flexibel vereinbart und dem individuellen Bedarf angepasst werden. Der Bezirk Oberbayern als Träger der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen finanziert die Betreuungsleistungen durch Fachkräfte über eine entsprechende Leistungs- und Entgeltvereinbarung. Die Räumlichkeiten sind demzufolge vom Einrichtungsträger angemietet und werden an die leistungsberechtigten Personen untervermietet. Dies bedeutet, dass die Miete von den Bewohner*innen selbst bestritten wird. Mehrheitlich erhalten diese hierfür Trans- ferleistungen wie Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung bei Erwerbsminderung oder Leistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (ALG II).Dabei gelten die vom örtlichen Träger festgesetzten Mietobergrenzen, die durch mehrfachen Verkauf der bisherigen Immobilie und die damit einhergehenden Mieterhöhungen weit überschritten wurden. Diese Mieten sind dadurch nicht mehr durch die in Anspruch genommenen Transferleistungen gedeckt, so dass die bisherige Leistungsvereinbarung an diesem Standort nicht mehr umsetzbar ist. Hinzu kommt, dass auf Grundlage des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes teure Strukturmaßnahmen und Investitionen notwendig gewesen wären. Der Einrichtungsträger hat sich daher dazu entschlossen, den Mietvertrag zum März 2021 zu kündigen.
Vor diesem Hintergrund teilen wir mit, dass die Stadtverwaltung keine weiteren Möglichkeiten sieht, um den Standort der Einrichtung zu erhalten oder eine Immobilie in Aussicht zu stellen, die eine Umsetzung der bisherigen Leistungsvereinbarung zulässt. Das Kommunalreferat prüfte zunächst eine Ausübung des Vorkaufsrechtes, das in einem Erhaltungssatzungsgebiet gilt. Dem Entscheidungsvorschlag des Kommunalausschusses, aufgrund des hohen Kaufpreises auf das Vorkaufsrecht zu verzichten, folgte der Oberbürgermeister am 29.5.2020 auf dem Wege einer dringlichen Anordnung gemäß Art. 37 Abs. 3 GO. Die Entscheidung wurde der Vollversammlung des Stadtrates am 17.6.2020 zur Kenntnis gegeben. Auch eine Prüfung des Referats für Stadtplanung und Bauordnung gemäß eines Beschlusses des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung vom 20.5.2020 zur Nutzung des Teilbereichs „Kreativfeld“ im geplanten Kreativquartier und Integration der sozialtherapeutischen Einrichtung in das Gesamtprojekt der GEWOFAG Wohnen GmbH verlief erfolglos: Die Prüfung ergab, dass mit einer Fertigstellung frühestens im Jahr 2026 zu rechnen ist, so dass das Quartier als Ersatzstandort keine planbare Option darstellt. Um dennoch einen Beitrag zur Deckung des Bedarfs an Wohnraum für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu leisten, wurde zwischen dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung sowie der GEWOFAG Wohnen GmbH vereinbart, im genannten „Kreativfeld“ fünf bis acht Wohnungen für diesen Personenkreis und eine spätere Nutzung zu reservieren – zusätzlich zu dem dort bereits vorgesehen Wohnraum für besondere Zielgruppen. Das Gesundheitsreferat wiederum verfügt über keine Möglichkeiten der Raumbeschaffung und finanziert weder Wohnkosten noch den Erwerb
oder Bau von Immobilien.
Durch Abstimmung mit dem Sozialreferat sowie dem Bezirk Oberbayern können wir darüber informieren, dass zwischenzeitlich nahezu allen Bewohner*innen der bisherigen Einrichtung angemessene Wohnraumangebote und bei Bedarf Betreuungsmaßnahmen vermittelt werden konnten. Unter anderem realisiert der bisherige Einrichtungsträger eine neue am-bulant betreute Wohnform mit zehn Plätzen im Neubaugebiet des Prinz-Eugen-Parks. Lediglich für fünf Personen wird aktuell noch nach Lösungen gesucht, intensiv unterstützt durch das Sozialreferat sowie den Bezirk Oberbayern. Der Einrichtungsträger teilt dazu mit, dass auch bei den verbliebenen Personen von einer rechtzeitigen, adäquaten Unterbringung auszugehen ist.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um ein erhebliches strukturelles Problem handelt, das einem äußerst angespannten Miet- und Immobilienmarkt geschuldet ist. Viele Einrichtungsträger finden mittlerweile keine bezahlbaren Objekte zur Umsetzung von betreuten Wohnangeboten mehr, sodass Planungen und Vereinbarungen über ambulante Angebote nicht umgesetzt werden können. Daher haben sich der Bezirk Oberbayern, das Sozialreferat sowie das Referat für Stadtplanung und Bauordnung darauf verständigt, im Rahmen eines Verfahrens zur Bedarfsanmeldung und Umsetzung ambulanter Wohnformen für Menschen mit Behinderungen künftig enger zusammenzuwirken. Hierbei geht es vor allem um eine verbesserte bilaterale Kommunikation zwischen freier Wohlfahrtspflege und der Landeshauptstadt München, sobald Immobilien oder Flächen auf städtischem Grund für eine Umsetzung von Angeboten für Menschen mit Behinderungen in Frage kommen oder dringend benötigt werden. Außerdem hat der Bezirk Oberbayern im Mai 2020 eine Wohnraumkoordination eingerichtet, die gezielt für eine erfolgreichere Vernetzung der Wohnungswirtschaft, der Kommunen sowie der Leistungserbringenden der Eingliederungshilfe sorgen soll. Leistungsberechtigte Personen sollen darüber hinaus direkt bei der Akquise von bezahlbarem Wohnraum unterstützt werden. Diese Wohnraumkoordination unterstützt seitdem auch den Träger der Sozialtherapeutischen Einrichtung in der Arcisstraße bei der Suche nach geeigneten Mietobjekten.
Als Gesundheitsreferat, das mit seiner Abteilung Angebote für sucht- und seelisch erkrankte Menschen auch für die Belange der Menschen mit psychischer Erkrankung in der Landeshauptstadt München zuständig ist, stellen wir abschließend fest, dass der Stadt München mit der Einrichtung „Boardinghaus Arcisstraße“ aufgrund ihrer Konzeption ein besonders wertvolles Angebot an einem zentral gelegenen Standort verloren geht. Der Ansatz, auch intensiven Unterstützungsbedarf in einer ambulanten Betreuungsform zu decken und damit dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ Rechnung zu tragen, ist auf dem freien Miet- und Immobilienmarkt in München kaum noch umsetzbar. Dies hat zur Folge, dass stationäre Einrichtungen oftmals keine Anschlussperspektive mit ihren Klient*innen entwickeln können, obwohl der Unterstützungsbedarf dies zulassen würde. Die Unter-stützung der freien Wohlfahrtspflege zur Umsetzung sozialer Einrichtungen als Teil kommunaler Daseinsvorsorge ist daher dringend geboten.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.