Corona-Prävention Mehr Freiflächen für Münchner Kinderbetreuungseinrichtungen
Antrag Stadträte Fabian Ewald und Jens Luther (CSU-Fraktion) vom 29.5.2020
Antwort Stadtschulrat Florian Kraus:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Bei den von Ihnen mittels Antrag vom 29.5.2020 vorgebrachten Anregungen handelt es sich jedoch um eine laufende Angelegenheit, die für die Stadt München keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine erhebliche Verpflichtung erwarten lässt. Daher obliegt deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister, weshalb eine Beantwortung auf diesem Wege erfolgt.
In Ihrem Antrag baten Sie darum, dass im Zuge der Wiedereröffnung der Münchner Kinderbetreuungseinrichtungen für alle Kinder unbürokratisch und temporär für die Dauer der Corona-Pandemie, soweit in der Umgebung verfügbar, den Kindertagesstätten zusätzliche Flächen in Grünanlagen zugewiesen werden und diese auf geeignete Weise abgetrennt sind, damit einzelne Gruppen räumlich besser voneinander getrennt werden können. Es soll außerdem eine zusätzliche Ausstattung dieser Flächen mit Wetterschutz, ggf. mobilen Spielgeräten und Toiletten geprüft werden.
Hierzu kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Durch den bestehenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, aber auch veränderte familiäre Lebenslagen (z.B. Berufstätigkeit beider Elternteile, keine Unterstützungsmöglichkeit durch Großeltern o.ä.) ist eine kontinuierlich steigende Inanspruchnahme der Kindertagesbetreuung in München zu beobachten. Laut KITA-Jahresstatistik 2019 (Bekanntgabe in der gemeinsamen Sitzung von Bildungsausschuss und Kinder- und Jugendhilfeausschuss am 15.9.2020, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 00616) wird derzeit in München für Kinder im Kindergartenalter bereits eine Besuchszeit von 7 - 8 Stunden am häufigsten (28,3%) und die Besuchszeit von 8 - 9 Stunden am zweithäufigsten (25,2%) gebucht, die Tendenz ist weiterhin steigend. Zusammen mit den Buchungen einer Besuchszeit von über 9 Stunden (10,5%) bedeutet dies, dass sich nahezu zwei Drittel aller Kinder den ganzen Tag über, vergleichbar mit einem Vollzeitarbeitstag, in der Kindertageseinrichtung aufhalten (64,0%). Dieses Verhältnis gilt auch für Kinder unter drei Jahren (63,9%).Die Münchner Kindertageseinrichtungen und deren Träger haben deshalb neben ihrem pädagogischen Auftrag mittlerweile auch aufgrund der langen Verweildauer der Kinder eine besondere und weiter steigende Verantwortung für die gesunde Entwicklung von Kindern. Dazu gehören die Bereitstellung von genügend Fachpersonal, bedürfnisorientierte pädagogische Angebote, partizipatorisches Handeln, eine geeignete Bereitstellung an Materialien und insbesondere eine kindgerechte räumliche Ausstattung, die genügend Bewegungsfläche inklusive einem an den Kindern und ihren Bedürfnissen angepasstes Außengelände beinhaltet.
Für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder täglich die Möglichkeit, sich im Freien aufzuhalten. Dies ist in Großstädten wie München häufig nicht gegeben aufgrund oftmals sehr beengter Wohnverhältnisse, einem veränderten, bewegungsarmen Freizeitverhalten von Kindern und Familien einhergehend mit einer hohen Nutzungszeit an digitalen Medien, und wenig Möglichkeiten an selbstbestimmten, freien Bewegungsangeboten in der Wohnumgebung. Diesen Mangel auszugleichen gehört zu den Kernaufgaben jeder Kindertageseinrichtung. Bei den jährlichen Elternbefragungen in städtischen Kindertageseinrichtungen wird von den Eltern immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig es ihnen ist, dass ihre Kinder täglich und bei jedem Wetter den Einrichtungsgarten aufsuchen können.
Außenspielflächen in Kindertageseinrichtungen dienen dabei u.a. der
- Gesundheitserziehung (Aufenthalt in Licht, Luft und Sonne verbunden mit der dazugehörigen Abhärtung in der jeweiligen Witterung mit angemessener Kleidung),
- Bewegungsförderung und -entwicklung (dementsprechende Spielgeräte sind regelmäßig nur schwer in Innenräumen aufzustellen; ein Laufen über längere Distanz ist in Innenräumen kaum möglich; Gleichgewichts- und Klettergeräte sind typischerweise Außenspielgeräte), -Förderung motorischer und sensorischer Fähigkeiten (hier macht sich die Einschränkung des entsprechenden Spielmaterials bemerkbar; klassische Außenspielgeräte können gar nicht in Innenräumen genutzt werden),
- Erziehung zu Umwelt- und Naturverständnis (auch und insbesondere am eigenen Leib sowie an den der Witterung ausgesetzten Flächen und Geräten sowie durch Miterleben der Wetterphänomene, der Bodenbeschaffenheiten, der Pflanzen und Tiere)
- Wahrnehmungsförderung und Transparenz der Technik (die gerade bei robusten und grobteiligen Außenspielgeräten erkennbar wird).Natur- und Umweltbildung sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung spielen im Zusammenhang mit naturnahen Einrichtungsgärten eine fundamentale Rolle. Der Garten einer Kindertageseinrichtung bietet deshalb mit vielfältigen Gestaltungselementen wie Matsch-, Wasser- und Sandbereich, Kletter-, Schaukel-, Balancier- und Rutschangeboten Platz für die Nutzung von Fahrgeräten wie Roller, Laufrad etc., das Erproben unterschiedlicher Gelände durch Hügel und anderen Unebenheiten, unterschiedliche Pflanzenarten, Möglichkeiten der Tierbeobachtungen und Wettererfahrungen einen vielfältigen Erfahrungsraum.
Kindertageseinrichtungen stehen vor der Aufgabe, im Alltag gelebte Partizipation für alle Altersgruppen zu ermöglichen und den Kindern in der Einrichtung ein großes Maß an Selbstbestimmung und Mitwirkung zu ermöglichen. Dies schließt auch die Entscheidung mit ein, wann, wie oft und wie lange jedes einzelne Kind während der Betreuungszeit nach draußen gehen möchte. Um dies im täglichen Alltag der Kinder in der Kindertageseinrichtung gewährleisten zu können, ist eine ausreichende und gesicherte Freifläche am Haus unabdingbar. Nur so können Kinder täglich und wie selbstverständlich Natur- und Umwelterfahrungen sammeln. Dies stellt einen wesentlichen Baustein und wichtigen Erfahrungsschatz dar, um nachhaltige Entwicklung erfahrbar und erlebbar zu machen. Freiflächen von städtisch geplanten Kindertageseinrichtungen werden daher grundsätzlich naturnah gestaltet.
Auch wenn Ausflüge in den Wald, zum öffentlichen Spielplatz, an die Isar oder andere Naturräume bereits jetzt selbstverständlich zur Aufgabe und zum Angebot einer jeden Kindertageseinrichtung gehören, kann dies in keinem Fall den angrenzenden Garten an der Kindertageseinrichtung ersetzen. Der Tagesablauf lässt es nicht zu, den organisatorischen, personellen und zeitlichen Aufwand für tägliche Ausflüge mit allen Kindern umzusetzen.
Bei Kindertageseinrichtungen mit Schulkindern schränken die Verweildauer der Kinder in der Schule sowie die Zeiten für Mittagessen und Hausaufgaben sowie die Gegebenheiten im Wohnumfeld die ohnehin geringen Möglichkeiten, sich ausgiebig zu bewegen, besonders stark ein. Hier bietet meist nur der Einrichtungsgarten den Kindern die Gelegenheit, sich regelmäßig im Freien zu bewegen. Insbesondere Kinderkrippenkinder benötigen darüber hinaus eine für sie bekannte und sichere Umgebung auch im Freien, um sich gut zu entwickeln und explorativ sichere neue Erfahrungen machen zu können.Gerade während der Corona-Pandemie, mit der zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr mit Covid-19 auch viele Einschränkungen des täglichen Lebens einhergehen, bewähren sich die Freiflächen der Kindertageseinrichtungen in besonderer Weise, da sie in standardgemäßer Größe und direkt an der Einrichtung vorhanden sind. Sie können auch für feste Kindergruppen wesentlich besser in gesondert bespielbare Bereiche aufgeteilt werden. Zusätzlich haben personelle Einschränkungen hier nicht so gravierende Folgen, da eine personalintensive Begleitung zu außerhalb der Kindertageseinrichtungen liegenden Freiflächen dann nicht notwendig ist, um den Kindern die Bewegung im Freien zu ermöglichen.
Auf den öffentlichen Spiel- und Freizeitflächen, die den derzeit 1.470 Münchner Kindertageseinrichtungen, davon 453 städtische und 1.017 in freier und sonstiger Trägerschaft (Stand 1.7.2020), zur Verfügung stehen, besteht mittlerweile eine sehr hohe Besuchsfrequenz, auch bedingt durch den verdichteten Wohnraum. Viele Standorte sind einem hohen Andrang ausgesetzt, eine kontinuierliche Nutzung durch Kindertageseinrichtungen ist dadurch erschwert, zumal z.B. kindgerechte Toiletten oftmals fehlen. Auch in regelmäßigen Gesprächen mit dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung wird immer deutlicher, dass durch die begrüßenswerte Förderung des Wohnungsbaus die Bedarfe an unbebauten Flächen immer mehr in Konkurrenz zwischen Kindertageseinrichtungen und umliegender Wohnbebauung zu sehen sind. Von diesem Standpunkt her ist klar, dass eine Abtrennung von Spielflächen in öffentlichen Grünanlagen bzw. privaten Freiflächen schon deshalb nicht erfolgen könnte, um eine Benachteiligung von Kindern auszuschließen, die diese Einrichtungen nicht besuchen und aber natürlich ebenso diese Freiflächen nutzen sollten. Die Flächen von Kindertageseinrichtungen müssen strenge Anforderungen zum Schutz des Kindeswohls erfüllen, um entsprechend der gesetzlichen Vorschriften des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG) eine Betriebserlaubnis zu erhalten, die wiederum Grundlage für die finanzielle Betriebsförderung ist. Für eine Doppelnutzung sind daher noch viele Aspekte wie z.B. Haftungsfragen, Regelung des Zugangs, Wartung, Reinigung zu klären.
Aus den oben erwähnten Darlegungen wird eine schnelle Schaffung von abgesperrten Freiflächen für Kita-Kinder auf Spielplätzen und öffentlichen Grünflächen, die zudem aufgrund des in Corona-Zeiten womöglich eingeschränkt verfügbaren Personals gar nicht genutzt werden können, als nicht zielführend angesehen.Grundsätzlich befürwortet das Referat für Bildung und Sport aber eine gemeinsame Nutzung der immer knapper werdenden Flächen.
Ich bitte um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen und gehe gleichzeitig davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.