Münchner Kohlenstoffsenken schaffen: (1) Mit Pflanzenkohle Münchner Erden zur Klimaschutzerde machen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Nicola Holtmann, Hans-Peter Mehling und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/FW) vom 15.1.2021
Antwort Kommunalreferat:
Mit Ihrem Antrag fordern Sie die Landeshauptstadt München (LHM), Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM), auf, zusätzlich zur bestehenden Trockenfermentationsanlage
„1. eine Pyrolyse-Anlage zur Herstellung von Pflanzenkohle aus Biomüll, Grünschnitt und organischen Abfällen zu errichten,
2. sich im Anschluss an den Bau der Pyrolyse-Anlage als Anbieter von Pflanzenkohle zertifizieren zu lassen,
3. die Abwärme der Pflanzenkohle-Produktion und die Nebenprodukte Pyrolysegas und -öl energetisch sinnvoll zu nutzen,
4. mit der eigens hergestellten Pflanzenkohle ein neues Produkt ‚Münchner Klimaschutzerde‘ zu schaffen, das Eigenschaften ähnlich der ‚Terra preta de índio‘ aufweist, indem die Pflanzenkohle in die Münchner Komposterden eingebracht wird. Für den Herstellungsprozess erwirbt der AWM die erforderlichen Lizenzen oder entwickelt in Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen ein eigenes Verfahren.“
Begründet wird der Antrag damit, dass München bis 2035 klimaneutral werden möchte. Um dies zu erreichen, sei es notwendig, Kohlenstoffsenken zu schaffen. Die bereits getrennt erfassten Bioabfälle, aber auch das im Restmüll nach wie vor vorhandene Potenzial an Bioabfällen könnten zu wertvoller Pflanzenkohle umgewandelt und somit als Kohlenstoffsenke genutzt werden.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch ein laufendes Geschäft des Eigenbetriebs, dessen Besorgung nach Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Gemeindeordnung (GO) i.V.m. der Betriebssatzung des AWM der Werkleitung obliegt. Das Beobachten von unterschiedlichen Verwertungstechnologien sowie die Ausarbeitung von Verwertungsstrategien für die Verwertung einzelner Stoffströme gehören zu den typischen Aufgaben der Verwaltung und stellen somit laufende Angelegenheiten dar, die keine grundsätzliche Bedeutung für die LHM haben. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.Zu Ihrem Antrag vom 15.1.2021 teile ich Ihnen Folgendes mit:
Der Klimaschutzgedanke, welcher in der Anwendung von Pyrolysekohlen steckt, ist wie folgt erklärt: Biomasse wird durch technische Prozesse der Karbonisierung innerhalb weniger Stunden in kohleähnliche Produkte umgewandelt. Die so erzeugte Pyrolysekohle (oder häufig „Biokohle“ genannt) wird dann in den Boden eingebracht. Sie soll aufgrund ihrer hohen Abbaustabilität den in ihr enthaltenen Kohlenstoff langfristig speichern, d.h. der Biosphäre entziehen (C-Sequestrierung).
Bei der Anwendung von Pyrolysekohle, welche aus Bioabfall hergestellt werden soll, sind die im Folgenden aufgeführten Aspekte zu beachten:
Rechtliche Einordnung von Pyrolysekohlen
Grundsätzlich müssen Stoffe, die mit der Zweckbestimmung als Düngemittel, Bodenhilfsstoff oder Kultursubstrat in den Verkehr gebracht oder angewandt werden sollen, zugelassen sein. Nach deutschem Recht sind derzeit nur Braunkohle und Holzkohle aus chemisch unbehandeltem Holz als Ausgangsstoff für Kultursubstrate zugelassen (Düngemittelverordnung (DüMV), Anlage 2, Tabelle 7.1.10). Gegenwärtig ist nur eine Nutzung von Pyrolysekohlen aus unbehandelten Hölzern als Bestandteil von Düngemitteln, Kultursubstraten und Bodenhilfsstoffen zulässig, wenn diese als Produkt in Verkehr gebracht werden sollen.
Die Zweckbestimmung C-Sequestrierung ist im Düngerecht als mögliches Nützlichkeitsmerkmal nicht verankert. Darum werden die Pyrolysekohlen in Deutschland für die pflanzenbauliche Anwendung derzeit ausschließlich mit Holzhackschnitzeln hergestellt.
Die Bundesregierung weist darauf hin, dass das für düngemittelrechtliche Vorschriften federführende Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zurzeit aus agronomischer Sicht keinen hinreichenden Nutzen aus einer breiten Anwendung in der Landwirtschaft auf Grund der stark variierenden Forschungsergebnisse zu Pyrolysekohlen sehe.*1 Eine Ausweitung der eingeschränkten Zulassung von Pflanzenkohle aus chemisch unbehandeltem Holz als Trägerstoff und Ausgangsstoff für Kultursubstrat unterstütze das BMEL daher nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht. Eigenschaften und Wirkungsweise von Biokohle würden zudem in Abhängigkeit von den verwendeten Ausgangsstoffen und der Herstellungstechnologie variieren. Insoweit seien generelle Aussagen zur Umweltverträglichkeit des Biokohleeinsatzes in Böden derzeit nicht möglich. Weitere Langzeitforschung unter Freilandbedingungen sei nötig, damitdie Auswirkungen von Biokohle als Bodenverbesserer und Trägermittel für Dünger abgeschätzt werden können. Aus Sicht der Bundesregierung seien positive Effekte für die Landwirtschaft nicht hinreichend nachgewiesen. Verschiedene Probleme seien dabei zu berücksichtigen:
- Bei Beachtung der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft ist ein Einsatz von Pflanzenkohle auf der weit überwiegenden Zahl der Standorte in Deutschland nicht notwendig und bietet für die Landwirtschaft keine Vorteile.
- Der Einsatz von Pflanzenkohle ist mit erheblichen Kosten verbunden, denen derzeit keine wirtschaftlichen Vorteile z.B. über einen Mehrertrag gegenüberstehen.
- Bei den Herstellungsverfahren können bei entsprechenden Betriebszuständen Schadstoffe in der Pflanzenkohle eingelagert werden bzw. eine Re-Adsorption erfolgen. Bei der Pyrolyse entstehen während der Konversion als Bestandteile der Teere polycyclische Aromaten (PAK), die auf der festen Phase adsorbiert oder eingeschlossen werden können. Auch können Schwermetalle in der festen Phase aufkonzentriert werden.
- Die Einordnung von Pflanzenkohlen im Rahmen des Düngerechts ist bislang nicht abschließend geklärt. Es ist laut Bundesregierung rechtlich und unter Experten umstritten, ob z.B. die feste Phase der Hydrothermalen Karbonisierung durch das Dünge- und Düngemittelrecht hinreichend erfasst wird.
- Aus rein pflanzenbaulicher Sicht werden durch das Aufbringen von inertem Kohlenstoff auf landwirtschaftlich genutzte Böden unter den hiesigen Boden- und Klimaverhältnissen keine positiven Effekte erwartet.
Geeignete Ausgangsmaterialien
Derzeit immissionsschutzrechtlich zugelassene Anlagen in Deutschland sind die der Fa. Pyreg und die TerraBoga (Berliner Botanischer Garten).*2 Die Firma Pyreg stellt auf ihrer Homepage genaue Anforderungen an die Ausgangsstoffe, die zur Herstellung von Pyrolysekohle geeignet sind. So ist festzustellen, dass die Ausgangsstoffe eine möglichst hohe Homogenität aufweisen müssen und deren Fremdstoffanteil nicht höher als 1% sein darf. Des Weiteren wird ein Trockensubstanzgehalt von 65% vorausgesetzt.*3 Dies trifft beides nicht auf die in der Biotonne München gesammelten Bioabfälle zu, in der Fremdstoffanteile bis zu 4,56 Massen-% bei der Bioabfallsortierung in 2019 ermittelt wurden.
Für getrennt erfasste Bioabfälle eignet sich aufgrund des hohen Wassergehaltes am ehesten das Verfahren der Hydrothermalen Carbonatisierung (HTC), da sie hier nicht erst aufwendig getrocknet werden müssen. Beihohen Fremdstoffanteilen erhöht sich jedoch der Aufbereitungsaufwand und damit die Behandlungskosten. Im Vergleich zur Pyrolysekohle muss außerdem von einer geringeren Abbaustabilität im Boden ausgegangen werden, die nur eine temporäre C-Sequestrierung über Zeiträume von 10 – 100 Jahren ermöglichen. Nur ein Teil der HTC-Kohle, der primäre Koks, kann als Bodenverbesserer eingesetzt werden. Dies wird in der Forschung aufgrund mangelnder Erkenntnisse, insbesondere zu den langfristigen Umweltauswirkungen (Schadstoffmobilisation, Emissionsveränderung etc.) kritisch diskutiert. Es entsteht neben der HTC-Kohle auch ein stark organisch belastetes Abwasser, welches hohe BSB und CSB-Werte aufweist und einer aufwändigen Aufbereitung bedarf, bevor es als Abwasser eingeleitet werden kann. Aufgrund des hohen Anfalls an Prozesswasser stellt der technisch und wirtschaftlich sinnvolle Umgang mit dem Prozesswasser eine große Herausforderung für die Etablierung des Verfahrens dar.
Die HTC befindet sich derzeit noch in einem frühen Stadium der technologischen Entwicklung und von daher sind weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig, um Produkteigenschaften für die Anwendung in Böden optimieren zu können, Schad- und Abfallstoffe zu reduzieren und die Effizienz der Verfahren zu erhöhen.*4
In einer Veröffentlichung des Umweltbundesamtes (UBA) sind für die Herstellung „Terra Preta ähnlicher Erden“ sowie Anzucht- und Kultursubstrate zur Klärung substrattypischer Anforderungen und spezieller Aufbereitungsverfahren insbesondere bezüglich der HTC-Biokohlen noch erhebliche Entwicklungsleistungen erforderlich.*5
Einschätzung des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Auch der BUND warnt in seiner Einschätzung der Umweltrelevanz davor, aus reinen Klimaschutzgründen Pyrolysekohlen in den Boden einzuarbeiten. Es fehle derzeit noch die Qualitätssicherung des Endproduktes entsprechend des gesetzlichen Standards des Bodenschutz- und Düngemittelrechts. Es seien keine bodenökologisch positiven Wirkungen erkennbar und Risiken nicht abschätzbar. Vorrangig sei, die Umweltqualität der Böden sicherzustellen und belastbare Ökobilanzen abzuwarten.*6
Sie sprechen in Ihrem Antrag eine Menge von 20.000 t/a Bioabfall an, die nicht in der Trockenfermentationsanlage behandelt wird und darum in einer AWM-eigenen Pyrolyse-Anlage verwertet werden soll. Der AWM verfolgt die Strategie, dass durch die Verteilung der Gesamtmenge über mehrere, auch private Verwertungsanlagen eine größtmögliche Entsorgungssicher-heit gewährleistet wird. Weitere, im Restmüll identifizierte 40% Bioabfälle können nur mit extrem hohem Aufwand einer Getrenntsammlung zugeführt werden. Es wird dabei außerdem von hohen Fremdstoffanteilen im Bioabfall ausgegangen, die einer hochwertigen Verwertung entgegenstehen. Der Markt stellt keine entsprechende Aufbereitungstechnik zur Fremdstoffentfrachtung zur Verfügung. Außerdem eignen sich Bioabfälle – wie oben ausgeführt – nach derzeitigem Forschungsstand nicht für eine Behandlung in einer Pyrolyse-Anlage. Dabei spielt die Inhomogenität, der hohe Feuchtigkeitsgehalt, die Fremdstoffanteile sowie ein gewisses Schadstoffpotential eine Rolle.
Zukünftige Planungen
Vor diesem Hintergrund verfolgt der AWM derzeit weiterhin die Strategie, ca. 25.000 t/a Bioabfälle über seine Trockenfermtentationsanlage zu verarbeiten und ca. 20.000 t/a an private Verwertungsbetriebe zur Behandlung zu vergeben.
Der Betrieb der aktuellen Anlage zur Verwertung der Bioabfälle der LHM ist nach 2026/2027 aufgrund geänderter Gesetzesgrundlagen (Novelle der Technischen Anleitung Luft und Auslauf der Förderung nach dem Erneuerbaren Energiegesetz) nicht mehr möglich. Die notwendigen Überlegungen für eine neue größere Bioabfallvergärungsanlage für die LHM werden im AWM bereits angestellt. Für die neue Technologie gibt es jedoch einen grö-ßeren Anspruch an die Input-Qualität der Bioabfälle als bisher. Die Novelle der Bioabfallverordnung (BioAbfV) in 2021 fordert derzeit im vorliegenden Entwurf außerdem die Einhaltung von Fremdstoffanteilen von weniger als 0,5 Massen-% vor der Behandlung, eventuell könnte eine Einigung mit den Verbänden auf 2% erreicht werden. Weitere 40% Bioabfälle, welche im Rahmen einer Hausmüllanalyse im Jahr 2016 noch im Restmüll identifiziert wurden, stehen jedoch nicht in der Qualität zur Verfügung, die für eine hochwertige Verwertung erforderlich wäre. Eine technische Sortieranlage für Bioabfälle vor der Behandlung in einer Biovergärungsanlage wird auf dem Markt nicht angeboten und macht wegen der sehr hohen Wassergehalte auch keinen Sinn. Minderwertige Produkte können nicht zertifiziert und vermarktet werden.
Deshalb muss bei der Bioabfallsammlung der Schwerpunkt mehr auf Qualität als auf Quantität gelegt werden.
Ergebnis:
Die Herstellung und Vermarktung von Terra-Preta-ähnlichen Erden mit Pyrolysekohle aus Bioabfällen ist aufgrund der derzeitigen düngerechtlichen Vorgaben nicht zugelassen. Eine Ausweitung ist nach Aussage des BMELauch in nächster Zeit nicht vorgesehen. Auch aufgrund der übrigen vorgenannten Punkte scheidet derzeit die von Ihnen begehrte Vorgehensweise aus. Der AWM wird die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen aber weiterhin im Auge behalten, um gegebenenfalls eine Anpassung vorzunehmen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
Die Anlage 2, Tabelle 7.1.10 kann abgerufen werden unter: https://www.gesetze-im-internet.de/d_mv_2012/anlage_2.html
* top agrar online „Pflanzenkohle – EU plant Regeln für Biokohle als Dünger“, 1.6.2020
*2 UBA Texte 04/2016, Chancen und Risiken des Einsatzes von Biokohle und anderer „veränderter“ Biomasse als Bodenhilfsstoffe oder für die C-Sequestrierung in Böden
*3 UBATexte 09/2021, Ermittlung von Kriterien für hochwertige anderweitige Verwertungsmöglichkeiten von Bioabfällen
*4 https://www.pyreg.com
*5 UBA Texte 04/2016, Chancen und Risiken des Einsatzes von Biokohle und anderer „veränderter“ Biomasse als Bodenhilfsstoffe oder für die C-Sequestrierung in Böden
*6 BUND, Terra Preta/Pyrolysekohle, BUND-Einschätzung ihrer Umweltrelevanz