Fußgängersicherheit stärken: Mehr Zeit zum Überqueren von Fußgängerampeln
Antrag Stadträtin Sonja Haider (Fraktion ÖDP/FW) vom 2.11.2020
Antwort Mobilitätsreferent Georg Dunkel:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Sie haben am 2.11.2020 Folgendes beantragt:
„Die Verwaltung wird gebeten zu prüfen, ob als Berechnungsfaktor zur Bemessung der Ampelgrünzeit für Fußgängerinnen und Fußgänger stadtweit ein Gehtempo von 1,0m/s statt wie bislang 1,2m/s angesetzt werden kann.“
Der Antrag zielt also darauf ab, ob zur Ermittlung der erforderlichen Freigabezeiten für Fußgänger*innen an den Lichtsignalanlagen (LSA) im Stadtgebiet München eine verringerte Geschwindigkeit von 1,0m/s als Regelgeschwindigkeit angesetzt werden kann.
Das Mobilitätsreferat als Straßenverkehrsbehörde trifft Maßnahmen auf öffentlichem Verkehrsgrund nach den Bestimmungen der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Der Vollzug der StVO ist eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist deshalb rechtlich nicht möglich. Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftweg zu beantworten.
Die verspätete Beantwortung bitte ich zu entschuldigen.
Die Bedeutung der Grünzeit an Fußgängerfurten wird leider von der Mehrzahl der zu Fuß Gehenden falsch interpretiert und führt häufig zu der Forderung, die Grünzeiten zu verlängern. Viele zu Fuß Gehende unterliegen dem Irrtum, ihre bei Grün begonnene Querung noch während dieser Grünzeit auch beenden zu müssen. Das Grünsignal bedeutet jedoch ausschließlich, die Fahrbahn betreten und mit der Querung beginnen zu dürfen – Grün ist also nur ein Startsignal. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) sagt hierzu aus:
„Wechselt Grün auf Rot, während zu Fuß Gehende die Fahrbahn überschreiten, haben sie ihren Weg zügig fortzusetzen.“Um dieses Fortsetzen des Wegs bei Rot sicher zu ermöglichen, muss der Grünzeit also immer eine Schutzzeit folgen, die es auch jenen ermöglicht, gefahrlos ihre Querung fortzusetzen und zu beenden, die noch während des Signalwechsels auf Rot die Fahrbahn betreten haben.
An jeder LSA wird somit im Anschluss an die Grünzeit zwingend diese Schutzzeit geschaltet. Während dieser Schutzzeit wird zu Fuß Gehenden zwar bereits Rot gezeigt, sie haben jedoch noch ausreichend Zeit, ihre Querung zu vollenden, bevor kreuzender Verkehr freigegeben wird und die Fußgängerfurt erreichen kann. Zum sicheren Queren einer Fahrbahn steht also nicht nur die Grünzeit, sondern zusätzlich auch die Schutzzeit zur Verfügung.
Bereits wartender, abbiegender Verkehr hat gemäß § 9 Absatz 3 StVO stets den Vorrang der noch die Kreuzung querenden zu Fuß Gehenden zu beachten – auch wenn dabei ein rotes Signal für die zu Fuß Gehenden beobachtet wird. Fahrzeug Führende, welche zu Fuß Gehende während dieser Räumphase bedrängen oder behindern, begehen somit auch einen klaren Regelverstoß, welcher durch die Polizei geahndet werden kann.
Die Dauer der Schutzzeit wird für jede Querungsstelle nach einem einheitlichen Verfahren, das in den bundesweit verbindlichen Richtlinien für Lichtsignalanlagen festgelegt ist, für jede einzelne Fußgängerfurt individuell berechnet. „Nicht verträgliche“ Verkehre werden so lange mit Rotsignal zurückgehalten, dass sie die Fußgängerfurten frühestens mit Ablauf der Schutzzeit erreichen können.
Einfach ausgedrückt setzt sich die für das Queren einer signalisierten Fußgängerfurt zur Verfügung stehende Zeit ausnahmslos aus der Grünzeit und der nachfolgenden Schutzzeit zusammen. Am Beispiel einer 12m breiten Fahrbahnquerung über eine vierspurige Straße sei dies dargelegt: Um die „Mitte der gegenüberliegenden Fahrbahn“ zu erreichen, werden 9m benötigt. Das ergibt eine Grünzeit von 9/1,2 = 7,5s, gerundet 8s. Die Räumzeit beträgt 12/1,2 = 10s. Zur sicheren Querung stehen also insgesamt 18 Sekunden zur Verfügung.
In den Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA), welche durch Einführungserlass des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr verbindlich zur Anwendung vorgeschrieben sind, wird Folgendes ausgeführt:„Der Regelwert für die Räumgeschwindigkeit von Fußgängern ist vr = 1,2 m/s. Variationen von vr = 1,0m/s bis höchstens vr = 1,5m/s sind möglich. Der untere Grenzwert soll nur dort eingesetzt werden, wo Furten überwiegend zum Schutz für mobilitätseingeschränkte Menschen eingerichtet werden. An allen anderen Lichtsignalanlagen ist eine Abminderung der Räumgeschwindigkeit nicht notwendig ...“
Somit ist die Anwendung des unteren Grenzwertes der Räumgeschwindigkeit von Fußgänger*innen vr = 1,0m/s nur in besonderen Ausnahmen möglich. Eine grundsätzliche Verwendung ist hingegen ausgeschlossen. Im Gegensatz zu einer Kann-Vorschrift, hat die Verwaltungsbehörde bei einer Soll-Vorschrift einen deutlich geringeren Ermessensspielraum.
Die Grünzeiten an den meisten Fußgängerfurten in München sind so dimensioniert, dass bei normaler Gehgeschwindigkeit mindestens die Mitte der gegenüberliegenden Richtungsfahrbahn erreicht werden kann. Ausnahmen hiervon bilden Straßen mit sehr breiten Mittelteiler oder in bestimmten Fällen auch LSA, welche von ÖPNV-Fahrzeugen direkt beeinflusst werden können.
Hierzu legen die RiLSA fest:
„Bei Fußgängern ist zusätzlich zu gewährleisten, dass bei nur einer zu querenden Furt während der Freigabezeit rechnerisch mindestens die halbe Furtlänge zurückgelegt werden kann.“
Das Mobilitätsreferat hat sich in einem internen Leitfaden hierzu befasst und folgende Projektierungsziele definiert:
- Für Fußgänger*innen wird eine Regelgeschwindigkeit von vr = 1,2m/s angesetzt.
- Höhere Geschwindigkeiten finden innerhalb der Landeshauptstadt München keine Anwendung.
- Der untere Grenzwert von vr = 1,0m/s findet nur in begründeten Sonderfällen Anwendung. Eine Anhebung der Fußgängerfreigabezeit ist stattdessen zu bevorzugen.
- Bei Fußgängerschutzanlagen ist grundsätzlich mindestens eine Freigabezeit anzusetzen, die es den bei Grünbeginn gestarteten Fußgänger*innen ermöglicht, die gesamte Fahrbahnbreite (Bord-zu-Bord) zu queren.
- Bei allen anderen LSA ist im IV-Fall grundsätzlich mindestens die Bordzu-Bord Gehenzeit als Freigabezeit anzustreben. Abweichungen hiervon(z.B. bei Leistungsfähigkeitsproblemen) sind in der verkehrstechnischen Beschreibung zu dokumentieren.
- Im ÖPNV-Fall sind grundsätzlich mindestens Standardfreigabezeiten (bis zur Mitte der gegenüberliegenden Richtungsfahrbahn) als Grünzeit anzusetzen. Begründete Ausnahmefälle sind auch hier zu dokumentieren.
Das Mobilitätsreferat hat sich mit diesen Projektierungszielen bereits eindeutig für eine über die geltenden Richtlinien reichende Gewichtung der berechtigten Interessen von Fußgänger*innen ausgesprochen und berücksichtigt diese in der hier dargestellten Weise.
Ein Ausweiten der Grünzeiten ginge zu Lasten aller übrigen Verkehrsarten und schränkt die Funktion der ÖPNV-Beschleunigung ein. Deshalb sieht das Mobilitätsreferat von noch weiter über die geltenden Richtlinien hinausgehenden Grünzeiten ab. Eine Anpassung von Bestandsanlagen mit derzeit geringerem Fußgängerkomfort ist nur im Rahmen von laufenden Projekten möglich, da darüber hinaus die hierzu erforderlichen Ressourcen nicht vorhanden sind.
In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München plant das Mobilitätsreferat noch 2021 einen Verkehrsversuch durchzuführen und anschließend zu evaluieren, bei dem – wie häufig in den USA – den zu Fuß Gehenden die Schutzzeit mit einem Countdownzähler angezeigt wird.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.