Inklusionsgerechte Stadt: Ampelschaltung bei Bedarf verlängern
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Rathaus Umschau 144 / 2021, veröffentlicht am 30.07.2021
Inklusionsgerechte Stadt: Ampelschaltung bei Bedarf verlängern
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Tobias Ruff und Johann Sauerer (ÖDP) vom 11.3.2020
Antwort Mobilitätsreferent Georg Dunkel:
Vielen Dank für die gewährte Fristverlängerung.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Sie haben Folgendes beantragt:
„In Anlehnung des „Green Man + “-Angebots in Singapur werden in München an geeigneten Standorten, beispielsweise vor den Alten- und Service-Zentren, Ampeln eingesetzt, deren Grünphase per Karte verlängert werden kann. Es ist zu prüfen, ob diese Karte auch mit Seniorentickets des MVV verknüpft werden kann.“
Und als Begründung angeführt:
„Für viele Seniorinnen und Senioren und für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sind die Grünphasen der Fußgängerampeln oftmals zu kurz, um stressfrei und sicher die Straßen zu überqueren. In Singapur werden bereits Ampeln eingesetzt, deren Grünphase sich bei Bedarf durch das Auflegen einer Karte verlängert.
In München sollten diese Ampeln vor den ASZ-Standorten und an viel besuchten Plätzen eingesetzt werden, um alle, die ein bisschen mehr Zeit zum Überqueren der Straßen brauchen, diese zu gewähren. Wenn sich diese Technik auch in München bewährt, könnte überlegt werden, die Karte freiwillig auch mit Seniorentickets des MVVs zu verknüpfen.“
Für die Anordnung von Lichtsignalanlagen (LSA/Ampeln) und ergänzende Beschilderung ist das Mobilitätsreferat zuständig.
Das Mobilitätsreferat als Straßenverkehrsbehörde trifft Maßnahmen auf öffentlichem Verkehrsgrund – wie verkehrliche Anordnungen zu LSA und den dazugehörigen Markierungen im Kreuzungsbereich – nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Vollzug der Straßenverkehrsordnung ist eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeisterobliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist rechtlich nicht möglich.
Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftweg zu beantworten.
Zu Ihrem Antrag teile ich Ihnen Folgendes mit:
Am 11.10.2019 hatte die SPD-Stadtratsfraktion einen thematisch nahezu identischen Antrag zu längeren Grünphasen mittels Ampelkarten für Seniorinnen und Senioren sowie für mobilitätseingeschränkte Personen gestellt (StR-Antrag Nr. 14-20/A 06048, „Längere Grünphasen an Ampeln für Seniorinnen und Senioren: Ampelkarten in München!“).
Das Kreisverwaltungsreferat (inzwischen liegt der Zuständigkeitsbereich im Mobilitätsreferat) hat diesen Antrag im Juli 2020 wie folgt beantwortet:
„Seit Ende 2018 ist ein Pilotprojekt zur Freigabeverlängerung für mobilitätseingeschränkte Personen an der Lichtsignalanlage Kreiller-/Marianne-Plehn-Straße aktiv. Dort wurden für den Testbetrieb Transponder an ausgewählte Personen mit Mobilitätseinschränkungen verteilt. Durch das Betätigen des Transponders wird die Grünzeit im nächsten Umlauf verlängert und eine Querung der Kreillerstraße dadurch erleichtert.
Anfang 2020 wurde dieses System evaluiert. Dabei stellte sich heraus, dass die verwendete Transponder-Lösung in dieser Form nicht flächendeckend eingesetzt werden kann, da sich die Hardware in ihrer Anwendung nicht bewährt hat. Die Verlängerung der Grünzeit als Ergebnis der Transponder-Lösung wurde jedoch positiv beurteilt.
Um ein System mit einer Freigabeverlängerung für Seniorinnen und Senioren sowie für mobilitätseingeschränkte Personen auf das gesamte Münchner Stadtgebiet auszuweiten, muss ein einheitlicher Standard geschaffen werden. Ein flächendeckendes System kann nur dann zukunftssicher sein, wenn es herstellerunabhängig erweitert werden kann. Eine mindestens bundesweit einheitlich verwendbare Lösung muss dabei angestrebt werden.
Grundsätzlich sind alle Systeme mit zusätzlichen Hardware-Komponenten, wie auch die von Ihnen vorgeschlagenen Ampelkarten, mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden. Zum einen müssen klare Nutzungsvoraussetzungen bis hin zu Haftungsfragen bei Verlust oder Defekt geklärt werden.Zum anderen muss dokumentiert werden, wer diese Nutzungsvoraussetzungen erfüllt und an wen ein Transponder ausgegeben wurde. Bei einer flächendeckenden Ausweitung auf das gesamte Stadtgebiet wäre der dadurch entstehende Verwaltungsaufwand sehr umfangreich.
Aus diesen Gründen sollten auch Systeme ohne zusätzliche Hardware- Komponenten auf Nutzer*innen-Seite in Betracht gezogen werden. Die Stadt Wien beispielsweise testet derzeit ein Kamera-basiertes Erfassungssystem, das zu Fuß Gehende erfasst und anhand erlernter Bewegungsmuster erkennt, ob diese eine Straße queren wollen. Dieses System, das auch durch den Behindertenbeirat der Landeshauptstadt München vorgeschlagen wurde, ist grundsätzlich eine denkbare Methode für die Auslösung einer Grünzeitverlängerung. Der große Vorteil eines solchen Systems liegt darin, dass keine spezifische Hardware an einzelne Personen verteilt werden muss und der zusätzliche Verwaltungsaufwand entfällt.
Zum aktuellen Zeitpunkt kann das Wiener Fußgängererfassungssystem jedoch nicht unterscheiden, ob eine Person mobilitätseingeschränkt ist oder nicht. Ein Folgeprojekt dazu ist derzeit bei der Stadt Wien in Planung und wird frühestens Ende des Jahres starten. Das Kreisverwaltungsreferat verfolgt den Fortgang dieser Entwicklung und steht mit der Stadt Wien weiterhin in Kontakt.
Eine flächendeckende Ausweitung im Stadtgebiet fordert zudem sowohl einen hohen personellen als auch finanziellen Aufwand, da die Software jeder Lichtsignalanlage individuell angepasst werden müsste. Um den damit verbundenen Aufwand besser abschätzen zu können, wäre vorab eine Untersuchung sinnvoll, welche Anlagen dafür geeignet sind. Eine Grünzeitverlängerung ist zum Einen nicht an allen Lichtsignalanlagen technisch umsetzbar und zum Anderen nicht überall notwendig.
Das Kreisverwaltungsreferat steht einem solchen Projekt sehr aufgeschlossen gegenüber und wird sich erneut intensiv damit befassen, wenn das Wiener Fußgängererfassungssystem oder andere Kamera-basierte Technologien soweit optimiert wurden, dass die Erfassung und Differenzierung von mobilitätseingeschränkten Personen möglich ist.“
Das Mobilitätsreferat konnte trotz Kontaktaufnahme zu verschiedenen Herstellern keine neuen Entwicklungen in Bezug auf Kamera-basierte Technologien zur Erfassung von mobilitätseingeschränkten Personen in Erfahrung bringen.Sobald Ergebnisse des Wiener Fußgängererfassungssystems vorliegen, welches eine Differenzierung von mobilitätseingeschränkten Personen ermöglicht, können wir uns ein weiteres Projekt zur Detektion von Mobilitätshilfen bzw. mobilitätseingeschränkten Personen vorstellen. Wir bleiben daher im engen Kontakt mit den Ansprechpartner*innen, um über die Forschungsergebnisse weiter informiert zu werden.
Auch sollte in Hinblick auf die aktuelle Haushaltssituation der Stadt München durch die Corona-Krise erwähnt werden, dass Kamera-basierte Technologien häufig sehr kostspielig sind. Beispielsweise beträgt die Ausstattung einer einzigen Fußgängerfurt ohne Mittelinsel mit dem Wiener Fußgängererfassungssystem aktuell etwa 20.000 Euro. Der Zeitbedarf, eine Fußgängerfurt zu kalibrieren, beträgt drei Tage. Dies betrifft auch Änderungen durch bauliche Umgestaltungen oder Baustellensituationen. In Wien sind derzeit sieben Querungsstellen so ausgestattet.
Um dennoch das Sicherheitsgefühl insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen zu erhöhen, wird das Mobilitätsreferat zusammen mit der TU München einen Verkehrsversuch an der Lichtsignalanlage Lindwurmstraße/Poccistraße unternehmen, bei dem Fußgänger*innen, aber auch anderen Verkehrsteilnehmer*innen die verbleibende Räum- oder Schutzzeit angezeigt wird, die nach dem Umschalten von Grün nach Rot immer verstreichen muss, bevor „feindliche“ Verkehrsströme die Fußgängerfurt erreichen können.
Die verbleibende Räumzeit soll im Versuch, wie z.B. in den USA bereits stark verbreitet, mittels eines Countdownzählers real in Sekunden angezeigt und heruntergezählt werden.
Die Durchführung des geplanten Verkehrsversuchs soll voraussichtlich im Sommer 2021 beginnen.